Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main

 

Gründe

I. Am 19. November 1984 um 8.35 Uhr traf der Angeklagte mit dem Flug CX 281 aus Hongkong kommend auf dem Rhein-Main-Flughafen ein. In drei Koffern seines Flugreisegepäcks befanden sich über 8 kg Heroinzubereitung von hoher Wirkstoffkonzentration. Das Rauschgift wurde bei einer zollamtlichen Überprüfung des Gepäcks gegen 9.00 Uhr entdeckt, der Angeklagte von 9.45 bis 10.30 Uhr im Transitraum observiert. Den beabsichtigten Weiterflug nach Amsterdam konnte er nicht mehr antreten, nachdem er die drei Koffer als sein Eigentum bezeichnet hatte.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit versuchter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und das Rauschgift, die drei Koffer sowie einen Flugschein eingezogen.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Sein Rechtsmittel hat teilweise Erfolg, teilweise ist es im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Während der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln keinen Bedenken begegnet, hat die Verurteilung wegen tateinheitlichen Versuchs der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand.

Die Strafkammer, die vollendete Einfuhr deshalb verneint, weil das Rauschgift schon kurz nach der Landung entdeckt worden war und von da ab unter zollamtlicher Kontrolle stand, begründet die Annahme der versuchten Einfuhr wie folgt: es sei "davon auszugehen", daß dem Angeklagten die Möglichkeit, sein Gepäck bei der Zwischenlandung in Frankfurt am Main herauszuverlangen, bekannt gewesen sei, weil er schon mehr als 20 Flugreisen - "auch mit Umsteigen" - gemacht habe, also flugerfahren gewesen sei.

Diese Begründung trägt nicht. Soweit aus der Flugerfahrung des Angeklagten geschlossen wird, daß er gewußt habe, sein Flugreisegepäck während des Transitaufenthalts in Frankfurt am Main auf Verlangen erhalten zu können, setzt diese Schlußfolgerung unausgesprochen voraus, daß der Fluggast bei Zwischenaufenthalten dieser Dauer tatsächlich die Möglichkeit hat, sich sein Flugreisegepäck aushändigen zu lassen. Dies hat das Landgericht indessen nicht festgestellt. Da es an einer solchen Feststellung fehlt, mangelt es der Schlußfolgerung des Gerichts an der für sie notwendigen Tatsachengrundlage.

Allerdings hat der beschließende Senat eine tatrichterliche Feststellung dieses Inhalts bisher für entbehrlich gehalten; er ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß der Flugreisende bei einem Transitaufenthalt auf dem Flughafen sein Flugreisegepäck ohne Schwierigkeiten ausgehändigt bekommen könne. Diese Möglichkeit sei bei einer Umladung des Gepäcks am Ort der Zwischenlandung regelmäßig gegeben; von Ausnahmen abgesehen erhalte es der Transitreisende dort noch vor der Weiterbeförderung, sofern er nur den Wunsch äußere und den Gepäckschein vorweise (BGHSt 31, 374 [376 f, 378]).

An dieser Annahme, die keinen Rechtssatz darstellt, sondern mit ihrer Aussage über die "regelmäßige Übung" tatsächliche Gegebenheiten zum Gegenstand hat, hält der Senat indes nicht mehr fest. Die erwähnte Entscheidung, bei der die grundsätzliche Abgrenzung der "Einfuhr" von der "Durchfuhr" im Vordergrund stand, stammt aus dem Frühjahr 1983 (Urteil vom 4. Mai 1983 - 2 StR 661/82). Seitdem ist der Senat als das für den Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt am Main zuständige Revisionsgericht mit zahlreichen "Transitfällen" aus dem Bereich des Rhein-Main-Flughafens befaßt gewesen. Die dabei gewonnenen Erfahrungen haben bei ihm gewichtige Zweifel an der Richtigkeit seiner bisherigen Annahme über die "regelmäßige Übung" geweckt. Diese Zweifel brauchen in diesem Zusammenhang nicht näher erläutert und begründet zu werden; denn sie sind nicht der innere Grund, sondern lediglich der äußere Anlaß dafür, daß der Senat seine frühere Annahme über die Möglichkeiten des Transitreisenden, sein Flugreisegepäck am Ort der Zwischenlandung zu erhalten, ausdrücklich aufgibt. Dies ist vielmehr deshalb geboten, weil diese Annahme mit ihrer in der Form eines Regel-Ausnahme-Satzes gehaltenen Aussage keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage betrifft. Daraus folgt, daß die Beantwortung dieser Frage nicht Sache des Revisionsgerichts, sondern Sache des Tatrichters ist. Weder können Aussagen des Revisionsgerichts über die "regelmäßige Übung" den Tatrichter nach Art eines Rechtssatzes binden noch entheben sie das Tatgericht der Notwendigkeit, auch insoweit die nach Maßgabe der gebotenen Sachaufklärung erforderlichen Feststellungen in eigener Verantwortung zu treffen.

Dies bedeutet demgemäß nicht, daß der Senat nunmehr an die Stelle seiner bisherigen Annahme über die Praxis der Aushändigung von Luftreisegepäck an Transitreisende die gegenteilige oder eine andere Aussage setzt. Vielmehr wird lediglich klargestellt, daß die Beantwortung dieser, zum Bereich des Tatsächlichen gehörenden Frage dem Tatrichter obliegt.

Der Senat wird an der Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung in dieser Frage nicht dadurch gehindert, daß andere Strafsenate des Bundesgerichtshofs gelegentlich ebenfalls davon ausgegangen sind, der Transitreisende könne sein Flugreisegepäck am Ort der Zwischenlandung ohne Schwierigkeiten erhalten (vgl. etwa BGH, Beschluß vom 16. Dezember 1983 - 3 StR 507/83 und - unausgesprochen BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1985 - 1 StR 485/85); denn er gibt lediglich eine tatsächliche Annahme auf, ohne damit in einer Rechtsfrage von Entscheidungen anderer Strafsenate abweichen zu müssen (vgl. § 136 Abs. 1 GVG).

Der Senat ist im hier zu entscheidenden Falle der Auffassung, daß Feststellungen, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtfertigen könnten, auch von einer neuen Verhandlung nicht zu erwarten sind. Er ändert deshalb den Schuldspruch von sich aus: die Verurteilung wegen versuchter Einfuhr entfällt, die Verurteilung wegen Handeltreibens bleibt dagegen bestehen. Auch die rechtsfehlerfreie Einziehungsanordnung wird aufrechterhalten.

Dagegen muß der Strafausspruch aufgehoben werden. Zwar hat die Strafkammer den Strafrahmen der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wegen Versuchs nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert und demgemäß die Strafe dem Strafrahmen des § 29 Abs. 3 BtMG (Handeltreiben im besonders schweren Falle) entnommen. Bei der Strafzumessung ist jedoch erschwerend berücksichtigt worden, daß der Angeklagte "zwei Strafgesetze verletzt" habe (UA S. 8). Das Strafmaß ist mithin von einer rechtsfehlerhaften Erwägung beeinflußt. Die Strafe nuß deshalb neu zugemessen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992834

DRsp III(380)222a

NStZ 1986, 273

MDR 1986, 625 (Holtz)

NStE Nr. 4 zu § 29 BtMG

StV 1986, 252

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