Leitsatz (amtlich)
›Nach Wiedereintritt in die Verhandlung ist Voraussetzung für eine erneute Beratung in der Form einer kurzen Verständigung im Sitzungssaal, daß bei der Entscheidung einfacher Fragen rascheste Verständigung möglich ist; nicht erforderlich ist, daß der neue Verhandlungsteil ohne jeden sachlichen Gehalt bleibt (wie BGHSt 24, 170, 171).‹
Gründe
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
Die Rüge, die Strafkammer habe in dem Fortsetzungstermin vom 17. Dezember 1991 nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme und Verkündung eines Beschlusses auf Abtrennung des Verfahrens im Fall 6 der Anklage das Urteil ohne erneute Beratung verkündet, ist unbegründet. Es ist nicht bewiesen, daß eine Beratung auch nicht in abgekürzter Form durch Verständigung im Sitzungssaal stattgefunden hat, und nicht ausreichend dargelegt, daß nach Art und Inhalt der weiteren Verhandlung eine Beratung in dieser Form nicht zulässig gewesen wäre.
a) Das Schweigen des Sitzungsprotokolls hierzu (vgl. Bl. 98 d. SA II) beweist nicht, daß eine erneute Beratung nicht stattgefunden hat, da es sich insoweit nicht um einen protokollpflichtigen Vorgang handelt (BGHSt 37, 141, 143). Der Vorsitzende und die richterlichen Beisitzer der Strafkammer haben dienstlich versichert, daß eine nach außen erkennbare Verständigung unter sämtlichen Mitgliedern des Gerichts stattgefunden habe, wonach es bei dem bisherigen Beratungsergebnis bleiben solle. Wenn demgegenüber der Angeklagte, sein Verteidiger und seine als Zuhörerin anwesende Ehefrau in schriftlichen Erklärungen versichert haben, daß sie eine solche Verständigung nicht bemerkt hätten, beweist dies nicht das Gegenteil, da es gut vorstellbar erscheint, daß die Aufmerksamkeit dieser Personen in erster Linie darauf gerichtet war, ob der erhoffte Freispruch erfolgt und ihnen daher ein solch kurzer, der Verkündung vorausgehender Vorgang entgangen ist.
b) Nach dem Protokoll haben der Staatsanwalt und der Verteidiger nach Bekanntgabe des Abtrennungsbeschlusses ihre Anträge wiederholt, der Angeklagte hatte das letzte Wort und erklärte sich zur Sache. Hierzu wird in der Revisionsbegründung ausgeführt, daß er beweiswürdigend zu seiner Alibibeweisführung im Fall 2 der Urteilsgründe Stellung genommen habe. Damit ist nicht dargelegt, daß die weitere Verhandlung neue sachliche Gesichtspunkte erbracht hätte, die eine erneute Beratung außerhalb des Sitzungssaals erfordert hätten. Die Revision behauptet selbst nicht, daß die Ausführungen des Angeklagten inhaltlich Neues zum Gegenstand gehabt hätten; zudem liegt es nahe, daß diese Fragen bereits in ausführlicher Form Gegenstand der vorangegangenen Schlußausführungen der Beteiligten waren, da diese Alibibeweisführung zentrales Thema der Verteidigungsstrategie des Angeklagten und der gerichtlichen Beweisaufnahme war. Für die Frage der Zulässigkeit einer abgekürzten Beratung kann es aber keinen wesentlichen Unterschied machen, ob ein Verfahrensbeteiligter förmlich durch Bezugnahme seine früheren Ausführungen wiederholt oder ob seine neuen Darlegungen eine bloße inhaltliche Wiederholung darstellen. Entscheidend ist, ob sie bereits Gegenstand der bisherigen Urteilsberatung waren und daß sie sachlich nichts Neues enthalten (vgl. OGHSt 2, 193, 194, 196).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist nach Wiedereintritt in die Verhandlung eine erneute Beratung in der Form einer kurzen Verständigung des Gerichts im Sitzungssaal zulässig, wenn bei der Entscheidung einfacher Fragen rascheste Verständigung möglich ist (BGHSt 24, 170, 171 m.w.N.). Soweit der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in späteren Beschlüssen vom 9. Juni 1987 und vom 27. August 1991 (BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 1 und 4) diese Voraussetzung dahin formuliert hat, daß der neue Verhandlungsteil ohne jeden sachlichen Gehalt geblieben ist, handelt es sich nicht um eine inhaltliche Änderung dieser Rechtsprechung, sondern lediglich um eine mißverständliche Wiedergabe. In der grundlegenden Entscheidung BGHSt 24, 170, 171, die mit der dort zitierten früheren Rechtsprechung übereinstimmt, war zwischen zwei Ausnahmealternativen unterschieden worden: Ist der neue Verhandlungsteil ohne jeden sachlichen Gehalt, weil etwa nach einem Hinweis nach § 265 StPO keinerlei Erklärungen abgegeben worden waren, ist auch keine neuerliche Beratung erforderlich (aaO. S. 171 Absatz 1). Waren dagegen einfache Fragen, die rascheste Verständigung ermöglichen, Gegenstand des neuen Verhandlungsteils, genügt eine erneute Beratung durch Verständigung im Sitzungssaal (aaO. S. 171 Absatz 2). Die beiden genannten Beschlüsse des 1. Strafsenates berufen sich ausdrücklich auf diese Rechtsprechung, ziehen jedoch die beiden Ausnahmealternativen in der Form zusammen, daß das Merkmal ›ohne jeden sachlichen Gehalt‹ auch als Voraussetzung für die Beratung durch Verständigung im Sitzungssaal genannt wird. Eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung war angesichts der uneingeschränkten Bezugnahme offensichtlich nicht beabsichtigt. Besonders deutlich wird dies im Beschluß vom 27. August 1991 (BGHR aaO. Beratung 4), in dem in einem Absatz zunächst mit ›wo bei der Entscheidung einfacher Fragen ...‹ korrekt zitiert wird, im Folgeabsatz die gleiche Voraussetzung mit ›ohne jeden sachlichen Gehalt geblieben ...‹ umschrieben wird. Bei dieser Sachlage ist der Senat nicht gehindert, auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung in BGHSt 24, 170, 171 zu entscheiden; ein Abweichen im Sinne des § 136 Abs. 1 GVG liegt nicht vor. Es kommt hinzu, daß in beiden genannten Entscheidungen des 1. Strafsenates diese Frage nicht entscheidungserheblich war, da im Fall des Beschlusses vom 9. Juni 1987 eine Beratung überhaupt nicht stattfand und im Fall des Beschlusses vom 27. August 1991 der Angeklagte sich erstmalig zur Sache erklärte und es somit nicht mehr um einfache Fragen ging, die eine rascheste Verständigung erlaubt hätten, sondern eine Beratung außerhalb des Sitzungssaales erforderten.
Fundstellen
Haufe-Index 2993147 |
NJW 1992, 3181 |
DRsp IV(456)154Nr.5 |
NStZ 1992, 601 |
wistra 1992, 348 |
MDR 1992, 1174 |
StV 1992, 552 |