Leitsatz (amtlich)
›Hat der Mieter einer nicht preisgebundenen Wohnung aufgrund eines im Jahre 1972 geschlossenen Mietvertrages eine Barkaution gestellt, so ist der Vermieter auch dann verpflichtet, den Kautionsbetrag vom Empfang an zu dem für Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist üblichen Zinssatz zu verzinsen, wenn der Vertrag keine ausdrückliche Vereinbarung über die Verzinsung enthält.‹
Tatbestand
I. 1. Der Kläger mietete durch Vertrag vom 11. Oktober 1972 eine nicht preisgebundene Wohnung im Hause der Beklagten. § 4 des formularmäßigen Mietvertrages lautete:
›Der Mieter leistet bei Abschluß dieses Vertrages eine Zahlung in Höhe von sechs Monatsmieten, das sind insgesamt DM 3.000,-. Dieser Betrag gilt als Mietsicherheit für den Vermieter. Er wird dem Mieter bei Beendigung des Mietverhältnisses nach Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen des Mieters aus diesem Vertrag zurückgezahlt. Eine vorherige Aufrechnung ist dem Mieter nicht gestattet.‹
Das Mietverhältnis ist beendet. Der Kläger verlangt Verzinsung der geleisteten Sicherheit zu einem Zinssatz von 4 % seit dem 11. Oktober 1972. Er hat 784,08 DM eingeklagt.
2. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht als Berufungsgericht hat die Frage, ob eine Mietkaution auch ohne entsprechende Vereinbarung zu verzinsen ist, ggf. in welcher Höhe, dem Kammergericht zum Rechtsentscheid vorgelegt. Es möchte dem Rechtsentscheid des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 9. Februar 1981 (WuM 1981, 82 = NJW 1981, 994), das eine Verzinsungspflicht des Vermieters auch ohne ausdrückliche Vereinbarung bejaht hat, nicht folgen. Das Kammergericht hat den Bundesgerichtshof angerufen, weil es gleichfalls von dem Rechtsentscheid des Bayerischen Obersten Landesgerichts abweichen möchte.
II. Die Anrufung des Bundesgerichtshofs ist nach Art. III Abs. 1 Satz 1 und 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 21. Dezember 1967 (BGBl. I 1248) i.d.F. des Gesetzes vom 5. Juni 1980 (BGBl. I 657) zulässig.
III. In der Sache entscheidet der Senat wie aus der Eingangsformel ersichtlich.
1. Nach der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung und im Schrifttum wird durch die Überlassung einer Kaution ein unregelmäßiges Nutzungspfandrecht begründet. Hieraus wird unter entsprechender Anwendung der §§ 1213, 1214 BGB die Pflicht des Vermieters zur Verzinsung der Kaution hergeleitet (vgl. AG Starnberg ZMR 1973, 243; AG München WuM 1974, 124; AG Schwetzingen NJW 1975, 1746 = WuM 1977, 35; AG Hamburg WuM 1976, 72; AG Bremerhaven WuM 1976, 256; LG Kassel NJW 1976, 1544 = WuM 1977, 50 und WuM 1977, 138; AG Köln ZMR 1977, 179; LG Mannheim ZMR 1977, 176; AG Mainz WuM 1978, 178; LG Hamburg ZMR 1979, 272 = MDR 1979, 759; BayObLG WuM 1981, 82 = NJW 1981, 994; Köhler ZMR 1971, 3; Sternel, Mietrecht, 2. Aufl. II 118; Staudinger/Emmerich, BGB, 12. Aufl. 2. Bearb., vor §§ 535, 536 Rdn. 139; Staudinger/Wiegand, BGB, 12. Aufl. § 1204 Rdn. 57; Voelskow in MünchKomm § 559 Rdn. 9; Soergel/Kummer, BGB, 11. Aufl. vor § 535 Rdn. 189; Soergel/Augustin, BGB, 11. Aufl. § 1213 Rdn. 7; Palandt-Putzo, BGB, 41. Aufl. vor § 535 Anm. 11 b. hh.; Derleder in AK § 535 Rdn. 14; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Teilband 1, S. 188; Loewe/Graf v. Westphalen/Trinkner AGBG § 9 Rdn. 72; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 7. Aufl. S. 87; Schoenebeck WuM 1976, 141; Weimar ZMR 1977, 180 und DB 1981, 1076; Otto ZMR 1974, 224, 228; im Ergebnis gleicher Ansicht, jedoch ohne Begründung: LG Frankfurt WuM 1977, 95; AG Langen WuM 1977, 51; LG Karlsruhe NJW 1976, 2166 - nur Leitsatz -; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 3. Aufl., Anh. §§ 9-11 Rdn. 504; Jauernig/Teichmann, BGB, 2. Aufl. § 536 Anm. III 2).
Das Bayerische Oberste Landesgericht begründet seinen Standpunkt zusätzlich, wie auch Gelhaar (BGB-RGRK, 12. Aufl. vor § 535 Rdn. 204), mit dem Hinweis auf die treuhänderische Stellung des Vermieters. Rödding (BB 1968, 934) und Roesch (WuM 1975, 65) befürworten eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, daß der Vermieter die Kaution zugunsten des Mieters zu verzinsen habe. Stenzel (Die Miet- und Pachtkaution - in ihren alltäglichen Erscheinungsformen -, Diss. Mannheim 1974 S. 99 f.) greift zur Begründung der Verzinslichkeit der Kaution auf den Rechtsgedanken des § 347 BGB zurück.
2. Die Gegenansicht (AG Dachau DWW 1976, 36; LG Berlin WuM 1977, 34; LG Düsseldorf WuM 1977, 4g; LG Essen NJW 1977, 253; LG München ZMR 1977, 330; LG Hamburg ZMR 1977, 176 = MDR 1976, 1022; AG Hannover WuM 1978, 131; Demuth ZMR 1976, 195, 196; Freund/Barthelmess NJW 1979, 2121, 2123; Damrau in MünchKomm § 1204 Rdn. 9) lehnt die Einordnung der Kautionsüberlassung als unregelmäßiges Nutzungspfandrecht ab. Das Amtsgericht Dachau (aaO.), das Amtsgericht Neuss (MDR 1978, 2229), das Landgericht Frankfurt (BB 1978, 934 - allerdings für Gewerberaum) und Glaser (ZMR 1977, 331) meinen, die Verkehrssitte stehe der Annahme einer Pflicht des Vermieters zur Verzinsung der Kaution entgegen.
3. Die Frage, ob durch die Entrichtung der Kaution ein unregelmäßiges Nutzungspfandrecht begründet wird, kann hier dahingestellt bleiben. Bei entsprechender Anwendung der §§ 1213, 1214 BGB läßt sich, weil Geld keine von Natur aus fruchtbringende Sache ist (§ 1213 Abs. 2 BGB), eine Verzinsungspflicht des Vermieters nur begründen, wenn ein Nutzungsrecht vereinbart ist (§ 1213 Abs. 1 BGB; vgl. OLG Bamberg Seuff Arch 64 Nr. 48; RGSt. 64, 88; LG Mannheim WuM 1968, 47). Des Zurückgreifens auf die genannten Vorschriften bedarf es aber nicht. Die Auslegung eines wie hier im Jahre 1972 abgeschlossenen Mietvertrages über eine Wohnung, der eine ausdrückliche Regelung über die Verzinslichkeit der Kaution nicht enthält, ergibt nämlich ohne Rücksicht darauf, ob die Überlassung der Kaution als unregelmäßiges Nutzungspfandrecht einzuordnen ist, daß der Vermieter die Kaution zu verzinsen hat.
a) Diese Auslegung kann auch das um Erlaß eines Rechtsentscheids angerufene Gericht vornehmen. Das Oberlandesgericht Frankfurt (WuM 1981, 123 = ZMR 1981, 178) ist zwar der Ansicht, die Auslegung einer Vertragsbestimmung, auch einer formularmäßigen Klausel, sei stets eine Einzelfallentscheidung und keine Entscheidung über eine Rechtsfrage, so daß sie nicht durch Rechtsentscheid vorgenommen werden könne. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Auslegung häufig wiederkehrender und typischer Vertragsbestimmungen unterliegt der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Das gleiche muß auch für das Rechtsentscheidverfahren gelten (vgl. OLG Zweibrücken, WuM 1981, 153; Landfermann WuM 1981, 217, 219). Der Rechtsentscheid dient der Rechtsvereinheitlichung. Gerade dieser Zweck erfordert es, für die Auslegung typischer Mietvertragsbestimmungen verbindliche Auslegungsregeln zu entwickeln.
b) Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie es Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern.
Bei der Auslegung der Kautionsvereinbarung ist von dem beiden Seiten bekannten Zweck der Kaution auszugehen. Der Mieter stellt dem Vermieter die Kaution nicht zur Erlangung von Einkünften, sondern nur als Sicherheit für die Erfüllung von dessen Ansprüchen zur Verfügung. Er verliert zwar das Eigentum, erlangt aber einen durch die Beendigung des Mietverhältnisses aufschiebend bedingten Rückzahlungsanspruch (vgl. Emmerich aaO. vor §§ 535, 536 Rdn. 138 a). Mit Rücksicht auf die fortschreitende Geldentwertung ist er daran interessiert, daß das Kautionsguthaben stetig durch Zinsgutschriften anwächst. Dieses Interesse ist deshalb berechtigt, weil er den Betrag, wenn er ihn zur eigenen Verfügung behalten hätte, weiterhin hätte nutzen, insbesondere auch zinsbringend anlegen können. Hinzu kommt, daß die Ansprüche des Vermieters, zu deren Sicherheit die Kaution dient, mit fortlaufender Vertragsdauer infolge der Geldentwertung im Nominalwert steigen, so etwa die Mietzinsforderungen und die Ansprüche auf Durchführung von Schönheitsreparaturen, zu deren Vornahme sich der Mieter im allgemeinen verpflichtet. Deshalb erwartet der Mieter, daß der Vermieter den übergebenen Betrag zu seinen Gunsten verzinst. Diesem Interesse des Mieters stehen die Belange des Vermieters nicht entgegen. Der Sicherungszweck der Kaution wird nicht beeinträchtigt, wenn der Vermieter sie seinerseits verzinslich anlegt. Widerspricht er nicht den seine Interessen nicht beeinträchtigenden Erwartungen des Mieters, so enthält die Kautionsvereinbarung deshalb die Abrede, daß der Vermieter den Kautionsbetrag zu verzinsen hat.
Der Senat verkennt nicht, daß die erkennbaren Erwartungen des vertragschließenden Mieters hinsichtlich der Verzinsung der Kaution möglicherweise nicht zu allen Zeiten dieselben waren. Bis 1968 wurde, soweit ersichtlich, die Frage der Verzinslichkeit der Kaution weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung erörtert. Rödding griff sie 1968 auf (BB 1968, 934). Putzo (Palandt, BGB, 29. Aufl. vor § 535 Anm. 11 b. hh.) erwähnte sie erstmals 1970 und führte aus, mangels Vereinbarung bestehe keine Verzinsungspflicht des Vermieters. Erst im Anschluß an die Ausführungen Köhlers (ZMR 1971, 3), denen Putzo aaO. von der 31. Auflage ab beitrat, mehrten sich die Stimmen, die dafür eintraten, den Vermieter zur Verzinsung zu verpflichten. Der Zentralverband der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V., der Vermieterinteressen vertritt, hat 1975 erklärt, es sei eine Selbstverständlichkeit, Mietkautionen zugunsten des Mieters verzinslich anzulegen und entsprechendes zu vereinbaren (DWW 1975, 240). Der Gesetzgeber schließlich hat im Jahre 1980 die Verzinslichkeit der Mietkaution für den Teilbereich des sozialen Wohnungsbaus angeordnet (§ 9 Abs. 5 WoBindG in der Fassung des Wohnungsbauänderungsgesetzes 1980 vom 20. Februar 1980, BGBl. I 159). Bei dieser Entwicklung ist jedenfalls ein im Jahre 1972 abgeschlossener Mietvertrag, der keine ausdrückliche Regelung zur Verzinslichkeit der Barkaution enthält, dahingehend auszulegen, daß der Vermieter den Kautionsbetrag zu verzinsen hat.
4. Dies hat zu einem Zinssatz zu geschehen, der bei Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist üblicherweise erzielt wird (vgl. Gelhaar aaO. vor § 535 Rdn. 204; LG Kassel NJW 1976, 1544 = WuM 1977, 50; AG Langen WuM 1977, 51; LG Mannheim ZMR 1977, 176).
a) Eine Verzinsung zu dem gleichbleibenden Zinssatz von 4 % gemäß § 246 BGB (vgl. Stenzel aaO. S. 101; Zeuner ZMR 1980, 197; AG Köln ZMR 1977, 179) erscheint unangemessen. Diese Lösung berücksichtigt nicht die Zinsschwankungen, die sich langfristig ergeben. Bei hohem Zinsniveau wäre der Mieter benachteiligt, denn ihm sollte der Betrag zugute kommen, den er bei Anlage des Geldes auf einem Sparkonto erzielen kann. Sinkt der Zinssatz für Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist unter 4 %, so ginge dies zu Lasten des Vermieters, der dann ggf. aus eigenen Mitteln eine Zinsdifferenz auszugleichen hätte.
b) Der Vermieter kann auch nicht verpflichtet werden, das Geld so anzulegen, daß ein möglichst hoher Zinsertrag erwirtschaftet wird. Hierzu bedarf es nämlich einer langfristigen Kapitalanlage. Diese ist ihm aber nicht zuzumuten, denn der Kautionsbetrag muß auch bei einem laufenden Mietverhältnis kurzfristig verfügbar sein (vgl. Soergel/Kummer aaO. vor § 535 Rdn. 191), um damit unerfüllte Verbindlichkeiten des Mieters, etwa bei Beschädigung der Wohnung oder bei Zahlungsverzug, abzudecken.
c) Den beiderseitigen Interessen entspricht es daher allein, den Vermieter zu einer Verzinsung der Kaution zu dem für Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist üblichen Zinssatz zu verpflichten. Er wird hierdurch nicht belastet, während umgekehrt der Mieter keine Nachteile erleidet.
Fundstellen
Haufe-Index 542321 |
BGHZ 84, 345 |
NJW 1982, 2186 |
DWW 1982, 270 |
ZMR 1982, 366 |
WuM 1982, 240 |
BGH, HdM Nr. 4 |