Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 12.07.2004) |
Tenor
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Juli 2004 wird verworfen.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener zweifach versuchter gefährlicher Körperverletzung angeordnet. Die Revision des Beschuldigten hat keinen Erfolg.
1. Der zur Tatzeit 30jährige Beschuldigte konsumiert etwa seit 1997 Drogen, vornehmlich in der „Techno-Szene” gebräuchliche Psychostimulantien wie LSD, Speed, Ecstasy und Amphetamine. Seit 1999 entwickelte er nach Einnahme von Drogen verstärkt mit optischen und akustischen Halluzinationen einhergehende massive Angstzustände. Im Sommer 2000 hatte er sich Feuerwehrleuten widersetzt, die wegen eines derartigen akuten Zustandes von seiner Mutter alarmiert worden waren, und hatte, nach einer Verfolgungsfahrt gestellt, im Zustand der Schuldunfähigkeit auf zwei Polizeibeamte mit einer einem Beamten entrissenen Dienstwaffe mit Tötungsvorsatz geschossen. Die deshalb gegen den Beschuldigten angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt war nach knapp zehnmonatigem Maßregelvollzug mit Rücksicht auf die Verweigerungshaltung des Beschuldigten, der sich ausschließlich einer Therapie außerhalb des Maßregelvollzugs stellen wollte, für erledigt erklärt worden. Schon während des Maßregelvollzugs hatte der Beschuldigte einen Drogenrückfall erlitten, nach dem er wiederum paranoid wurde und eine behandelnde Ärztin verletzte. Auch in der anschließenden externen Drogentherapie hatte er alsbald einen Rückfall erlitten. Nach deren Beendigung im November 2001 war er rund eineinhalb Jahre drogenfrei geblieben. Seit Frühjahr 2003 konsumierte er wieder Ecstasy und später gesteigert Speed und Amphetamine.
Nach verstärktem Ecstasy- und Amphetaminmißbrauch in der Nacht zum 28. September 2003 litt der Beschuldigte an Kreislaufproblemen; er bekam zudem wiederum optische und akustische Halluzinationen, dabei fühlte er sich und seine Familie bedroht. Seine Mutter, zu der er sich in diesem akuten Angstzustand begab, erkannte er psychosebedingt alsbald nicht mehr. Er bewaffnete sich mit zwei Messern mit jeweils rund 15 cm Klingenlänge. Am Mittag des Folgetages alarmierte schließlich die Mutter des Beschuldigten, die selbst wegen seines bedrohlichen Verhaltens aus ihrer Wohnung geflüchtet war – die Großmutter hatte sich im Badezimmer verbarrikadiert –, die Polizei. Der Beschuldigte war offensichtlich „nicht Herr seiner Sinne”; er vermochte zustandsbedingt auch die Polizeibeamten als solche nicht wahrzunehmen. Nur mit großen Mühen und erheblichem Einsatzaufwand konnte er schließlich überwältigt werden. Zuvor lief er zweimal mit gezogenen Messern auf zwei Polizeibeamte zu und versuchte, freilich vergeblich, sie mit kraftvoll und wuchtig geführten Stichen ober- und unterhalb ihrer Schutzschilde zu treffen und zu verletzen. Dabei war möglicherweise bereits seine Unrechtseinsichtsfähigkeit, jedenfalls seine Steuerungsfähigkeit zustandsbedingt aufgehoben.
2. Die auf Verletzung des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützte Verfahrensrüge ist jedenfalls unbegründet. Die Strafkammer hat in Anwendung dieser Norm das zur Schuldfähigkeit und zur Frage der Unterbringung des Beschuldigten erstattete Sachverständigengutachten gebilligt. Dies läßt im vorliegenden, maßgeblich durch Suchtmittelmißbrauch geprägten, daher dem Grenzbereich der Anwendbarkeit des § 63 StGB zuzurechnenden Problemfall keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. unten 3).
3. Die Annahme des Landgerichts, daß in dem genannten Problembereich (vgl. hierzu BGHSt 7, 35; 10, 57; 34, 313; 44, 338 und 369; BGHR StGB § 63 Zustand 9, 12, 30; jeweils m.w.N.) hier die Voraussetzungen des § 63 StGB vorliegen, ist ausreichend begründet und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
An einem aufgrund der Beurteilung des Beschuldigten durch den psychiatrischen Sachverständigen festgestellten, zur Tatzeit zweifelsfrei gegebenen Zustand der Schuldunfähigkeit aufgrund eines stabilen geistigen Defekts fehlte es nicht. Ursache war, neben der diagnostizierten Betäubungsmittelsucht, eine zum wiederholten Male aufgetretene massive psychotische (Über-)Reaktion des Beschuldigten von einiger Dauer auf eingenommene Suchtmittel. Diese ist – bei psychiatrischer Diagnose einer substanzinduzierten psychotischen Störung (im Sinne von DSM-IV 292.11 bzw. 12, ICD-10 F 15.51 bzw. 52) – vom Landgericht rechtsfehlerfrei, ungefähr vergleichbar mit einer Alkoholüberempfindlichkeit, als krankhafte seelische Störung gewertet worden. Die für die Anwendung des § 63 StGB erforderliche Dauerhaftigkeit der Störung wird durch deren wiederholtes Auftreten nach immer wieder geübtem Betäubungsmittelmißbrauch, namentlich – wie hier – aufgrund einer Betäubungsmittelsucht, begründet.
Trifft dann mit der dauerhaften krankhaften Suchtmittelüberreaktion ein Hang im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB zusammen, wird über den konkreten Maßregelausspruch – § 63 oder § 64 StGB – gemäß § 72 StGB zu entscheiden sein und bei begründeter Aussicht auf erfolgreiche Bekämpfung der Sucht durch Unterbringung in einer Entziehungsanstalt entweder allein auf diesen weniger einschneidenden Maßregelausspruch zu erkennen sein (§ 72 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. auch § 67a StGB), oder es werden beide Maßregeln nebeneinander mit dem Vorrang des Vollzugs der Unterbringung nach § 64 StGB anzuordnen sein (§ 72 Abs. 2 und Abs. 3 StGB). Hier schied indes nach einem als gescheitert bewerteten Maßregelvollzug nach § 64 StGB eine erneute solche Maßregel mangels der unerläßlichen konkreten Erfolgsaussicht (BVerfGE 91, 1) nach rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung aus. Danach blieb bei der offensichtlich belegten Wiederholungsgefahr und damit verbundenen akuten, Leib und Leben anderer berührenden Gemeingefährlichkeit des schuldunfähigen Beschuldigten nur als dann unerläßliche, ersichtlich verhältnismäßige Maßregel der Besserung und Sicherung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB.
Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der unzulänglichen Krankheitseinsicht des Beschuldigten und einer bislang nicht gesichert organisierbaren erfolgversprechenden stationären Behandlungsmöglichkeit außerhalb des Maßregelvollzugs eine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel nach § 67b StGB abgelehnt.
Die beachtenswerten Hinweise des Verteidigers auf eine mangelnde Eignung des konkreten Maßregelvollzugs zur Heilbehandlung für diesen Untergebrachten mit seiner speziellen Suchtproblematik geben dem Senat Anlaß, auf die Möglichkeit einer Umstellung des Maßregelvollzugs nach § 67a Abs. 1 StGB hinzuweisen, die bei einer konkret geänderten Einstellung des Untergebrachten zur Unerläßlichkeit einer Entziehungsbehandlung in Frage
kommen wird (vgl. zur Dauer der Unterbringung für diesen Fall § 67a Abs. 4 StGB).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2557087 |
BewHi 2006, 184 |
R&P 2006, 102 |