Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 12.12.2007) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 12. Dezember 2007 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (in Tateinheit) mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zehn Fällen bei Einzelstrafen von jeweils einem Jahr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt (1.). Die Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge allein dagegen, dass von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde. Das wirksam beschränkte (2.) Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg (3.).
Rz. 2
1. a) Der zum Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils 42 Jahre alte Angeklagte ist mehrfach vorbestraft. Insbesondere wurde er im Jahr 1984 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, sexueller Nötigung in zwei Fällen sowie exhibitionistischer Handlungen in sieben Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie im Jahr 1986 wegen sexueller Nötigung und versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Rz. 3
b) Nach den der jetzigen Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen des Landgerichts brachte der Angeklagte im Zeitraum von Dezember 2005 bis Mai 2006 seine 13 Jahre alte Stieftochter in zehn Fällen dazu, ihn im gemeinsam bewohnten Haus jeweils in Abwesenheit seiner Ehefrau manuell sexuell zu befriedigen. Bei einigen Taten fasste er dem Mädchen an die Brust. Versuche, auch die Scheide zu berühren und seine Stieftochter zum Oralverkehr zu bewegen, scheiterten an deren Ablehnung. Wegen einer beim Angeklagten bestehenden multiplen Störung der Sexualpräferenz (mit exhibitionistischen Denk- und Verhaltensweisen, einer Neigung zu postpubertierenden jungen Mädchen und einer gesteigerten sexuellen Appetenz) hat das insofern sachverständig beratene Landgericht eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen können und deshalb jeweils den Strafrahmen gemäß § 49 StGB gemildert.
Rz. 4
c) Das Landgericht hat von einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen, weil es die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht sicher hat feststellen können. Es hat in diesem Zusammenhang jedoch ausgeführt, der Angeklagte benötige „dringend eine psychotherapeutische Behandlung zur Aufarbeitung der bei ihm vorliegenden multiplen Störung der Sexualpräferenz”. Er solle „sich deshalb in der Haft so schnell wie möglich um die Aufnahme in eine sozialtherapeutische Abteilung” bemühen. Denn es bestehe auch unter Berücksichtigung der früheren Delinquenz des Angeklagten eine ungünstige Kriminalprognose, wobei die unter Berücksichtigung der früher begangenen Straftaten anzunehmende Entwicklung erneute sexuelle Gewaltdelikte einschließe und ein Wechsel in eine andere Deliktskategorie bzw. Opfergruppe wahrscheinlich sei.
Rz. 5
d) Zur Frage der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht sich auf den Satz beschränkt, für eine allein nach § 66 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in Betracht kommende Anordnung sehe es „derzeit noch keine Veranlassung”.
Rz. 6
2. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Denn zwischen Strafe und nicht angeordneter Maßregel nach § 66 StGB besteht – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; NJW 1997, 875) abgesehen – grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 2007, 212, 213).
Rz. 7
3. Das Urteil hat hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung Bestand. Entgegen der Ansicht der Revision lassen die Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit erkennen, dass und aus welchen Gründen das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten abgesehen hat. Es ist damit seiner sachlich-rechtlichen Begründungspflicht (vgl. BGH NStZ 1999, 473 m.w.N.) in für den Senat gerade noch hinnehmbarer Weise nachgekommen. Ob es auch prozessual zu Ausführungen verpflichtet gewesen wäre, vermag der Senat nicht zu prüfen, da die Voraussetzungen des § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO sich weder aus dem Urteil ergeben, noch von der Revision mittels einer Verfahrensrüge vorgetragen worden sind.
Rz. 8
a) Das Landgericht hat ersichtlich sämtliche Anordnungstatbestände des § 66 StGB geprüft und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass eine Unterbringung des Angeklagten allein nach § 66 Abs. 2 StGB in Betracht kam. Aus der gewählten Formulierung, dass dies „in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB” der Fall wäre, entnimmt der Senat, dass das Landgericht neben den formellen Voraussetzungen auch einen beim Angeklagten bestehenden Hang bejaht hat.
Rz. 9
b) Die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung lag damit im landgerichtlichen Ermessen, dessen Ausübung der Kontrolle durch das Revisionsgericht weitgehend entzogen ist. Auch insoweit müssen die Urteilsgründe jedoch erkennen lassen, dass und weswegen von der eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2 und 4). Diesem Erfordernis hat das Landgericht ebenfalls noch entsprochen.
Rz. 10
aa) Die vorgenommene Abgrenzung zu den übrigen, teilweise als Mussbestimmung ausgestalteten Eingriffstatbeständen des § 66 StGB und die gewählte Formulierung, derzeit noch keine Veranlassung für eine Anordnung zu sehen, versteht der Senat so, dass das Landgericht sich des ihm eingeräumten Ermessens bewusst war (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 5).
Rz. 11
bb) Den Urteilsgründen lässt sich insgesamt entnehmen, dass dem Landgericht bei seiner Ermessensentscheidung die von ihm gestellte negative Kriminalprognose nicht aus dem Blick geraten ist. Es hat „derzeit noch keine Veranlassung” für eine Unterbringung des Angeklagten gesehen und mithin – bezogen auf den maßgeblichen Urteilszeitpunkt – die multiple Störung der Sexualpräferenz als noch nicht derart gravierend eingeschätzt, dass der daraus erwachsenden Gefährdung der Allgemeinheit mit der Sicherungsverwahrung begegnet werden müsste. Vielmehr hat das Landgericht eine psychotherapeutische Behandlung des Angeklagten in einer geeigneten Justizvollzugsanstalt zwar als „dringend” notwendig, diese aber wiederum im Verhältnis zu der unmittelbar im Anschluss daran erwogenen Unterbringung nach § 66 Abs. 2 StGB offenbar als ausreichend angesehen. Es hat damit letztlich die für seine Ermessensentscheidung bestimmenden Gesichtspunkte noch hinreichend klar erkennen lassen.
Unterschriften
Nack, Wahl, Elf, Graf, Sander
Fundstellen