Leitsatz (amtlich)
1. Entsprechend der Regelung in § 555 Abs. 3 ZPO für das Anerkenntnisurteil ergeht ein Verzichtsurteil in der Revisionsinstanz nur auf gesonderten Antrag des Beklagten.
2. Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut - der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann - und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen.
Normenkette
ZPO §§ 306, 555 Abs. 3; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 23. September 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung gemäß Ziffer 2a und Ziffer 4 des Tenors des Urteils der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 9. Juni 2020 zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das landgerichtliche Urteil hinsichtlich Ziffer 2a und Ziffer 4 des Tenors abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte verurteilt worden ist, es zu unterlassen, in Bezug auf die Klägerin zu behaupten und/oder behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen
"EHE-TRAGÖDIE"
wie geschehen auf der Titelseite der "FREIZEIT REVUE" Nr. 31 vom 24. Juli 2019, und einen 497,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. November 2019 übersteigenden Betrag zu zahlen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen die Klägerin 12,5 % und die Beklagte 87,5 %.
Die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens trägt die Beklagte aus einem Streitwert von 140.000 €. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin aus einem Streitwert von 20.000 €.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist die Ehefrau des bekannten Fernsehmoderators und -entertainers H. L. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung von Wort- und Bildveröffentlichungen sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Die Beklagte, als frühere Beklagte zu 2 noch unter Burda Senator Verlag GmbH firmierend, ist Rechtsnachfolgerin der auf sie nach Ergehen des Berufungsurteils verschmolzenen früheren Beklagten zu 1, der M.I.G. Medien Innovation GmbH.
Rz. 2
Gegenstand des Rechtsstreits ist zum einen eine von der früheren Beklagten zu 1 in der von ihr verlegten Zeitschrift "neue woche" im Heft Nr. 31 vom 26. Juli 2019 veröffentlichte Wort- und Bildberichterstattung unter der Überschrift "H[…] L[…] - Schockfotos! Was ist bloß mit seiner FRAU los?", zum anderen ein von der früheren Beklagten zu 2 in der von ihr verlegten Zeitschrift "FREIZEIT REVUE" veröffentlichter Beitrag im Heft Nr. 31 vom 24. Juli 2019 mit der Schlagzeile auf der Titelseite: "H[…] L[…] - EHE-TRAGÖDIE - Aus Liebe opfert er seinen großen Traum". Im inneren Teil ist unter der Überschrift "H[…] L[…] - Aus Liebe opfert er seinen großen Traum" ein Artikel veröffentlicht, der sich in Wort und Bild mit dem Umzug der Eheleute L. von B. nach M. befasst.
Rz. 3
Das Landgericht hat dem Unterlassungsbegehren der Klägerin und den daneben gestellten Klageanträgen auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in vollem Umfang stattgegeben und dabei die frühere Beklagte zu 2 unter anderem verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf die Klägerin zu behaupten und/oder behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen
"EHE-TRAGÖDIE"
wie geschehen auf der Titelseite der "FREIZEIT REVUE" Nr. 31 vom 24. Juli 2019 (Ziffer 2a des Tenors des landgerichtlichen Urteils) sowie an die Klägerin 1.390,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. November 2019 zu zahlen (Ziffer 4 des Tenors des landgerichtlichen Urteils). Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht das landgerichtliche Urteil lediglich hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Abmahnkosten abgeändert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihre Anträge auf Abweisung der Klage hinsichtlich der Unterlassung der Äußerung "Ehe-Tragödie" und der Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten gemäß Ziffer 4 des Tenors des landgerichtlichen Urteils weiter. Die Klägerin hat nach Eingang der Revisionsbegründung erklärt, sie verzichte auf den unter Ziffer 2a des Tenors des landgerichtlichen Urteils ausgeurteilten Klageanspruch sowie auf den unter Ziffer 4 des Tenors des landgerichtlichen Urteils ausgeurteilten Anspruch insoweit, als sich der ersatzfähige Schaden reduziert, wenn bei der Berechnung des Gegenstandswerts der Wert des Antrags 2a (Untersagung der Äußerung "EHE-TRAGÖDIE") außer Acht gelassen wird.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen den Unterlassungsausspruch richtet; soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten wendet, hat sie teilweise Erfolg.
Rz. 5
Ein Verzichtsurteil nach § 306 ZPO konnte trotz der Verzichtserklärung der Klägerin hinsichtlich der noch rechtshängigen Klageansprüche nicht ergehen. Denn entsprechend der Regelung in § 555 Abs. 3 ZPO für das Anerkenntnisurteil hätte es hierzu in der Revisionsinstanz eines gesonderten Antrags der Beklagten bedurft. Der § 555 Abs. 3 ZPO zugrundeliegende Rechtsgedanke, der Möglichkeit entgegenzuwirken, eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs durch ein Anerkenntnis zu verhindern (vgl. BT-Drucks. 17/13948, S. 35), ist auf den Verzicht zu übertragen (vgl. Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 306 Rn. 21 mwN; Musielak in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 306 Rn. 7; a.A. Elzer in BeckOK-ZPO, Stand 1. März 2023, § 306 Rn. 20; offen BGH, Urteil vom 14. Dezember 2021 - X ZR 147/17, GRUR 2022, 511 Rn. 24). Wie beim Anerkenntnisurteil (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2019 - IV ZR 279/17, BGHZ 223, 57 Rn. 9 f.) hängt das Erfordernis eines gesonderten Antrags nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt der Verzicht in der Revisionsinstanz erklärt wurde. Einen Antrag auf Erlass eines Verzichtsurteils hat die Beklagte jedoch ausdrücklich nicht gestellt und sich auf ihr Interesse an einer sachlichen Klärung berufen.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, das Landgericht habe zu Recht und mit zutreffender Begründung dem auf § 823 Abs. 1, § 1004 BGB analog in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gestützten Unterlassungsanspruch der Klägerin wegen des Begriffs "Ehe-Tragödie" auf der Titelseite stattgegeben. Der Umfang des Schutzes des Einzelnen vor der Verbreitung ihn betreffender Äußerungen in den Medien nach diesen Vorschriften und die Reichweite der auch hier verfassungsrechtlich fundierten Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei durch eine Güterabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der Medien zu ermitteln. Insoweit komme dem Schutz der Privatsphäre des Betroffenen besondere Bedeutung zu und habe sein Persönlichkeitsschutz umso mehr Gewicht, je geringer der Informationswert der Berichterstattung für die Allgemeinheit sei. Bei Tatsachenbehauptungen falle für die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht. Nichts anderes gelte für Meinungsäußerungen, die auf einem unwahren Tatsachenkern beruhten, wie es hier der Fall sei. Bei der Bezeichnung eines Sachverhalts als "Tragödie" handele es sich für sich genommen zwar um eine Meinungsäußerung, weil deren Schwerpunkt erkennbar in der Bewertung durch den Äußernden liege. Gleichwohl führe dies nicht zur Zulässigkeit des streitgegenständlichen Begriffs der "Ehe-Tragödie". Bei Äußerungen, in denen sich - wie im vorliegenden Fall - wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengten, dass die Äußerung insgesamt als Werturteil anzusehen sei, falle bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht. Mit Rücksicht darauf, dass dem Durchschnittsleser mit der Offenbarung einer "Ehe-Tragödie" mehr als eine bloße Krise oder sonstige eheliche Unstimmigkeit nahegelegt, sondern schicksalshafte, auf eine Katastrophe zulaufende Geschehnisse heraufbeschworen würden, bedürfe es eines Mindestbestandes an Anknüpfungstatsachen, die geeignet seien, die Grundlage dieser Wertung zu bilden. Solche tatsächlichen Ansatzpunkte für ein etwaiges Scheitern der Ehe der Klägerin seien schon nicht dargetan. Ausgehend hiervon sei ein Berichterstattungsinteresse, das den Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu rechtfertigen vermöchte, der sich durch die Beschwörung einer "Ehe-Tragödie" ergebe, nicht zu erkennen.
Rz. 7
Hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzanspruches für die vorgerichtlich entstandenen anwaltlichen Kosten der Abmahnung der Beklagten wegen des Artikels vom 24. Juli 2019, die der Klägerin dem Grunde nach gemäß § 823 Abs. 1, §§ 249 ff. BGB zustünden, sei der Gegenstandswert der von der Klägerin und ihrem Ehemann veranlassten Abmahnung des Klageantrags Ziffer 2a (Untersagung der Äußerung "EHE-TRAGÖDIE" auf der Titelseite) mit jeweils 20.000 € zu bewerten. Unter Berücksichtigung des weiteren Inhalts der Abmahnung ergebe sich unter Anrechnung einer 0,65 Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 (4) VV ein ersatzfähiger Schaden der Klägerin in Höhe von 590,91 € nebst Zinsen.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 9
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich der Äußerung "Ehe-Tragödie" nicht zu. Zutreffend rügt die Revision, dass das Berufungsgericht seiner Würdigung einen unzutreffenden Sinngehalt dieser Äußerung zu Grunde gelegt hat und die Äußerung bei zutreffender Sinndeutung zulässig ist.
Rz. 10
a) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut - der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann - und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19, VersR 2021, 856 Rn. 11; vom 14. Januar 2020 - VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587 Rn. 28 mwN; zum Verhältnis von Titelseite und Artikel siehe auch BVerfGE 97, 125 Rn. 133, 139; BVerfG, NJW 2001, 1921 Rn. 45).
Rz. 11
b) Nach diesen Grundsätzen ist der Begriff der "Ehe-Tragödie" auf der Titelseite der "FREIZEIT REVUE" Nr. 31 vom 24. Juli 2019 entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nach dem Kontext der Äußerung nicht dahingehend zu verstehen, dass die Ehe der Klägerin nach Meinung des Äußernden aktuell zu scheitern droht. Die bereits auf der Titelseite abgedruckte Beifügung "Aus Liebe opfert er seinen großen Traum", die im Artikel selbst wiederholt und dahingehend erläutert wird, dass der Ehemann der Klägerin seinen "Traum vom Altersruhesitz im Natur-Idyll" in B. "ausgeträumt" und aufgegeben habe, um - zur Vermeidung einer beruflich bedingten und belastenden Fernbeziehung - nach Nordrhein-Westfalen zurückzuziehen, macht für den Durchschnittsleser deutlich, dass die "Ehe-Tragödie" vielmehr in der vom Ehemann der Klägerin getroffenen Entscheidung liegen soll, zugunsten seiner Ehe die Lebensplanung zu ändern. Hinsichtlich dieser Bewertung des in dem - selbst nicht angegriffenen - Artikel geschilderten Sachverhalts, dessen Wahrheitsgehalt hinsichtlich der Motivation des Umzugs von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird, besteht kein Unterlassungsanspruch. Die Klägerin macht insoweit schon keine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend, sondern sieht diese allein in der - tatsächlich nicht geäußerten - Mutmaßung, der Fortbestand ihrer Ehe sei gefährdet.
Rz. 12
2. Da der Klägerin hinsichtlich der Äußerung "Ehe-Tragödie" kein Unterlassungsanspruch wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts zusteht, kann sie insoweit auch nicht den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten nach § 823 Abs. 1, § 249 BGB verlangen. Die im Übrigen von der Beklagten nicht angegriffene Berechnung der ersatzfähigen Kosten der anwaltlichen Abmahnung im Hinblick auf die Veröffentlichungen in der "FREIZEIT REVUE" Nr. 31 vom 24. Juli 2019 durch das Berufungsgericht ist daher insoweit zu korrigieren. Daraus ergibt sich ein von der Beklagten der Klägerin zu erstattender Betrag von 497,96 € nebst Zinsen nach § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. November 2019.
III.
Rz. 13
Das Berufungsurteil ist daher im genannten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO. Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der erkennende Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO auch in der Sache zu entscheiden.
Seiters |
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Oehler |
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Müller |
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Böhm |
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Linder |
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Fundstellen
NJW 2024, 585 |
FA 2023, 268 |
GRUR 2023, 1396 |
JZ 2023, 610 |
JZ 2023, 613 |
WRP 2023, 1404 |
ZUM 2023, 762 |
GRUR-Prax 2023, 644 |
K&R 2023, 738 |