Leitsatz (amtlich)
a) Zur Frage, ob eine Gewerkschaft verpflichtet ist, Bewerber um die Mitgliedschaft aufzunehmen, die als geschlossene Gruppe von vornherein die Solidarität gegenüber der von der Mehrheit der Mitglieder getragenen inneren Vereinsordnung verweigert und mit der ausdrücklichen Erklärung die Aufnahme verlangt, daß sie als geschlossene Gruppe mit eigenem Publikationsorgan in der Gewerkschaft selbständig und ohne Bereitschaft zur Integration agieren will.
b) Eine Gewerkschaft ist nicht gehindert, die Begründung für die Ablehnung eines Bewerbers um die Mitgliedschaft im Rechtsstreit nachzuholen (und neue Gründe nachzuschieben), in dem darum gestritten wird, ob die Aufnahme zu Recht verweigert wird. Streitgegenstand ist nicht die förmliche Entscheidung der Gewerkschaft über die Ablehnung des Aufnahmeantrags, sondern die Frage, ob ein materiell rechtlicher Anspruch des Bewerbers auf Aufnahme besteht. Dafür ist der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz festzustellende Sachverhalt maßgeblich.
Normenkette
BGB § 38; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.11.1983) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 1983 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die verklagte Industriegewerkschaft Metall verpflichtet ist, die sieben Kläger wieder als Mitglied aufzunehmen.
Die Kläger sind Arbeiter der D.-B. AG in S. und Betriebsräte. Sie waren Mitglieder der Beklagten. Diese hat sie ausgeschlossen. Eine von den Klägern zu 1 und 2 gegen ihren Ausschluß erhobene Klage hat das Landgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 6. Oktober 1975 rechtskräftig abgewiesen. In der darauffolgenden Zeit bemühten sich die Kläger erfolglos, wieder von der Beklagten aufgenommen zu werden. Ihr letzter Antrag vom 3. Januar 1979 wurde durch Beschluß des Vorstandes der Beklagten vom 13. November 1979 abgelehnt.
Nach § 3 Nr. 1 der ab 1. Januar 1981 gültigen Satzung der Beklagten kann Mitglied der Beklagten werden, wer in den Wirtschaftszweigen der Metallindustrie beschäftigt ist. In § 3 Nr. 4 ist über die Aufnahme von Mitgliedern bestimmt:
„Die Aufnahme in die IG Metall kann durch Beschluß der zuständigen Ortsverwaltung verweigert oder innerhalb von 3 Monaten rückgängig gemacht werden, wenn dies im Interesse der IG Metall notwendig erscheint. Nicht aufgenommen werden dürfen: Personen, die durch ihr Verhalten Maßnahmen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützt haben, sowie Personen, die Mitglied einer gegnerischen Organisation sind und Personen, die Vereinigungen angehören oder unterstützen, deren Handlungen und Aktionen gewerkschaftsfeindlich sind.
5. Aus der IG Metall … ausgeschlossene … Mitglieder können auf besonderen Antrag nur durch den Vorstand aufgenommen werden.”
Die Kläger haben sich mit anderen Arbeitnehmern in der sogenannten „P.-Gruppe” zusammengeschlossen, deren Anfänge in die 60er Jahre zurückreichen. Sie geben Informationsschriften für die Belegschaft und die monatlich erscheinende Betriebszeitung „p.” heraus (vgl. die von den Mitgliedern der P.-Gruppe G. und Sa. im R. verlag herausgegebene Schrift „p.”). Bei den Betriebsratswahlen 1972 erhielt ihre Liste knapp 28 % der Arbeiterstimmen, 1978 40 % und 1981 30 % aller abgegebenen Stimmen.
Die Kläger sind der Ansicht, ihnen stehe ein Anspruch zu, von der Beklagten wieder aufgenommen zu werden. Sie hätten sich stets zu den Zielen der Beklagten bekannt. Ihre Kritik habe sich nur gegen verkrustete, undemokratische Strukturen und Mißbräuche, vorwiegend im betrieblichen Bereich, gerichtet. Die Beklagte weigere sich nur deshalb sie aufzunehmen, weil sie sie als innergewerkschaftliche Opposition ausschalten wolle. Dies aber sei kein sachlich gerechtfertigter Grund.
Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie als ordentliche Mitglieder aufzunehmen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Nach ihrer Auffassung besteht für sie kein Aufnahmezwang. Im übrigen sei es ihr nicht zumutbar, die Kläger aufzunehmen. Diese hätten sich durch die Aufstellung konkurrierender Listen bei den Betriebsratswahlen und durch ihre Schmähkritik an der beklagten Gewerkschaft schädigend verhalten. Die Beklagte könne nicht gezwungen werden, jemand als Mitglied aufzunehmen, der im Rahmen zentraler gewerkschaftlicher Ziele mit der Art und Weise, wie diese verfolgt werden, nicht einverstanden sei und deshalb eine eigene Politik betreiben möchte.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Aufnahmeanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts gewährt zwar die Satzung der Beklagten ein Recht auf Aufnahme als Gewerkschaftsmitglied. Die Kläger könnten aber trotzdem nicht verlangen, wieder aufgenommen zu werden, weil sie einer Vereinigung im Sinne von § 3 Nr. 4 Abs. 4 der Satzung angehörten, deren Handlungen gewerkschaftsfeindlich seien. Dies greift die Revision im Ergebnis ohne Erfolg an.
Der Auffassung des Berufungsgerichts ist allerdings nicht zu folgen, nach der Satzung der Beklagten bestehe für jeden ein Anspruch, als Gewerkschaftsmitglied aufgenommen zu werden, der in den in § 3 Nr. 1 der Satzung aufgezählten metallverarbeitenden Geschäftszweigen beschäftigt ist. Die Satzung enthält keine Bestimmung, die Außenstehenden ausdrücklich einen Aufnahmeanspruch einräumen würde. Sie ist aber auch nicht in diesem Sinne auszulegen. Die Annahme, ein Verein oder Verband wolle sich verpflichten, unbekannte Dritte ohne weiteres aufzunehmen, ist so ungewöhnlich, daß sich dafür aus der Satzung gesicherte Anahitspunkte ergeben müssen; im Zweifel ist ein Rechtsanspruch auf Aufnahme nicht gewollt. Solche Zweifel lassen sich hier nicht ausräumen. § 3 Nr. 4 Satz 3 der Satzung spricht sogar für das Gegenteil. Danach soll die Aufnahme eines Bewerbers verweigert werden können, „wenn dies im Interesse der IG Metall notwendig erscheint”. Damit hat sich die Beklagte einen Ermessensspielraum vorbehalten, der so wenig bestimmt und so weit gefaßt ist, daß das gegen den Willen der Gewerkschaft spricht, Beitrittserklärungen beliebiger Dritter ohne volle eigene Entscheidungsfreiheit über die Aufnahme als verbindlich hinzunehmen. Jene Bestimmung behält auch ohne eine so weitgehende rechtliche Bedeutung ihren Sinn; sie erklärt sich als interne Richtlinie für die Vereinsorgane, die für die Aufnahme neuer Mitglieder zuständig sind, und sie verpflichtet die Organe, soweit sie die Verweigerungsgründe einschränkt, im gewerkschaftlichen Interesse möglichst viele Bewerber aufzunehmen und damit einen hohen Organisationsgrad der Metallarbeitnehmer zu erreichen Mit dem Fehlen eines satzungsmäßigen Aufnahmeanspruchs läßt sich die Abweisung der Klage aber nicht rechtfertigen, denn es spricht viel dafür, daß die Beklagte, wenn nicht aufgrund der Satzung, so doch aus übergeordneten Gesichtspunkten einem Aufnahmezwang unterliegt. Dies braucht hier aber nicht abschließend entschieden zu werden, da die Beklagte – auch wenn für sie ein Aufnahmezwang bestehen sollte – aus sachlich gerechtfertigten Gründen sich weigern kann, bestimmte Personen als Mitglieder aufzunehmen (vgl. BGHZ 63, 282, 285).
Der sachlich gerechtfertigte Grund, die Aufnahme der Kläger abzulehnen, besteht darin, daß diese – wie bisher außerhalb – nunmehr als geschlossene Gruppe innerhalb der Gewerkschaft tätig werden wollen in einer Art und Weise, die die Beklagte nicht zu dulden braucht:
Nach dem unstreitigen Sachverhalt und den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Kläger in der Vergangenheit die Beklagte massiv angegriffen und schwere Vorwürfe gegen sie ohne rechtfertigenden Grund erhoben. So haben die Kläger durch ihre Artikel in „p.” fortlaufend den Eindruck erweckt, als arbeiteten die Betriebsratsmitglieder und Funktionäre der Beklagten zum Nachteil der Belegschaft mit der Firmenleitung zusammen (vgl. die Artikel in „p.” Ausgabe August 80 „Was wollen sie?”; Ausgabe Dezember 80 „Vom Jammer der Jasagerei” und „Die roten Ohren der IG Metall”; Ausgabe 29. April 1981 „Werktage werden schlechter”; Ausgabe Mai 1981; „Kronzeuge der Direktion?”). In dem Artikel „Tarifbewegung 81” in der Aprilausgabe 1981 hat der Kläger zu 1 unter anderem geschrieben: „Ohne übermäßig radikal zu sein, sei die Schlußfolgerung erlaubt: Im Zusammenspiel zwischen Gewerkschaftsspitze, Regierung und Unternehmern soll der Reallohn gedrückt werden. Wenn die Gewerkschaftsfunktionäre gegenüber den Unternehmern so radikal auftreten würden wie sie radikal die Mitgliedsbeiträge hochgetrieben haben, wäre die Lohnbewegung 81 schon vergessen.” Die Kläger haben sich ferner gegen die Erhebung des satzungsmäßigen Mitgliederbeitrags der Beklagten in Höhe von 1 % des monatlichen Bruttoverdienstes (§ 5 der Satzung) gewandt und in diesem Zusammenhang zum Beispiel ausgeführt (vgl. „p.” Ausgabe vom 23. Mai 1979): „… warum läßt man denn die Mitglieder nicht soviel zahlen, wie sie selbst für nötig halten … aber wahrscheinlich braucht man bei uns das Geld, um den Angestelltenapparat der Gewerkschaft zu füttern. Dann ist es sowieso rausgeschmissen. Die IG Metall hat schon viel zu viel Obrigkeit. …” In der Ausgabe Oktober 1981 heißt es in diesem Zusammenhang: „… wenn's um's Geld geht, scheinen auch die sonst einfallslosesten Funktionäre eine blühende Phantasie und keinerlei Skrupel zu bekommen …”.
All diesen Angriffen liegt zwar jeweils ein konkreter Vorgang zugrunde. Sie münden jedoch stets in unqualifizierte, mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt nicht mehr zu rechtfertigende Beschimpfungen von Mandatsträgern der Beklagten und ihrer gesamten derzeitigen Organisation. Mit den Vorwürfen, die Beklagte arbeite mit der Firmenleitung zum Nachteil der Arbeitnehmer zusammen und die Gewerkschaftsspitze drücke im Zusammenspiel mit Regierung und Unternehmern die Reallöhne, bringen die Kläger zum Ausdruck, daß die Beklagte, so wie sie zur Zeit organisiert ist und geführt wird, ihrer Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, zuwiderhandelt und die Arbeitnehmerschaft verrät. Dieser Vorwurf ist schon vordergründig der schwerwiegendste Angriff, der gegen eine Gewerkschaft geführt werden kann. In ihm verbirgt sich darüber hinaus ein Angriff gegen die Grundzüge der Gewerkschaftspolitik der Beklagten, die ihren Auftrag, die Interessen der Arbeitnehmerschaft zu vertreten, als integrierter Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung wahrnimmt. Die Besorgnis der Beklagten, der Kläger zu 1 und seine Gruppe würden zu einer fairen und loyalen, der Solidarität der Gewerkschaftsmehrheit verpflichteten Zusammenarbeit nicht bereit sein, hat daher insoweit eine reale Grundlage.
Dies ergibt sich auch aus dem weiteren vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt. Danach haben die Kläger erklärt, auch als Mitglieder der Beklagten eine eigene, mit der Liste der Beklagten konkurrierende Kandidatenliste bei künftigen Betriebsratswahlen aufstellen zu wollen, falls die Beklagte sie nicht auf ihrer Liste kandidieren lasse. Mit dieser, von der Revision nicht angegriffenen Erklärung geben die Kläger zu erkennen, daß sie sich auch einwandfrei zustande gekommenen Mehrheitsentscheidungen der Beklagten bei der Aufstellung von Kandidaten zu Betriebsratswahlen nicht unterwerfen wollen, wenn die Beklagte sie nicht auf ihre Liste setzt. Sie verweigern insoweit von vornherein die grundsätzlich von jedem Gewerkschaftsmitglied geschuldete Verbandssolidarität. Die Kläger können sich zu ihrer Rechtfertigung nicht darauf berufen, daß wegen des Verbots unzulässiger Wahlbeeinflussung gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG 72 aus der Gewerkschaft nicht ausgeschlossen werden darf, wer bei den Betriebsratswahlen auf einer Liste kandidiert, die zwar mit der von der Gewerkschaft unterstützten Liste konkurriert, sich aber über den Wettbewerb um Stimmen hinaus nicht gegen die Gewerkschaft richtet (BGHZ 45, 314; 71, 126; Urt. v. 19.1.1981 – II ZR 20/80, LM BGB § 39 Nr. 16 und BGHZ 87, 337). Der Unterschied zwischen Gewerkschaftsmitgliedern, die sich aus der besonderen Situation und den konkreten Verhältnissen vor einer bestimmten Betriebsratswahl zur Kandidatur auf einer konkurrierenden Liste entschließen und den Klägern besteht darin, daß diese ganz generell und von vornherein die Solidarität gegenüber der Beklagten verweigern, wenn diese ihre Forderungen nicht erfüllt, und die Beklagte unter Druck setzen wollen, um ihre Vorstellungen ohne Rücksicht darauf durchzusetzen, ob diese von der Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder getragen werden.
An alldem zeigt sich, daß es sich bei den Klägern um eine geschlossene Gruppe mit eigenem Publikationsorgan handelt, die von vornherein die Solidarität gegenüber der von der Mehrheit der Mitglieder getragenen inneren Vereinsordnung verweigert und mit der ausdrücklichen Erklärung die Aufnahme verlangt, daß sie als Gruppe in der Gewerkschaft selbständig und ohne Bereitschaft zur Integration agieren will. An diesem Sachverhalt gehen die Ausführungen der Revision zum größten Teil vorbei, so daß auf sie im einzelnen nicht eingegangen zu werden braucht. Soweit die Verletzung von § 287 ZPO gerügt wird, ist diese Rüge nicht begründet (§ 565 a ZPO). Die Beklagte hat allein aufgrund dieses Tatbestandes einen sachlich gerechtfertigten Grund, den Klägern die Aufnahme zu verweigern; dieser schließt die Rechtswidrigkeit der Aufnahmeverweigerung aus, auch wenn man grundsätzlich von einem Aufnahmezwang der Beklagten ausgeht. Auf Art. 9 Abs. 3 GG beruft sich die Revision zu Unrecht. Die individuelle Koalitionsfreiheit kann dem Bewerber nicht zum Eintritt in eine Gewerkschaft verhelfen, wenn zu befürchten ist, daß er den satzungsmäßig bestimmten Vereinsgrundsätzen nachhaltig zuwiderhandeln wird; insofern geht das – ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistete – Schutzbedürfnis der Gewerkschaft vor.
Der Umstand, daß die Beklagte ihre Entscheidung, die Kläger nicht in ihre Organisation aufzunehmen, nicht mit Gründen versehen hat, ist entgegen der Ansicht der Revision nicht geeignet, den Aufnahmeanspruch zu begründen. Auch wenn es zweckmäßig gewesen wäre, die Gründe für die Ablehnung bekanntzugeben, ist die Gewerkschaft nicht gehindert, die Begründung im Zivilprozeß nachzuholen (und neue Gründe nachzuschieben), in dem darum gestritten wird, ob die Gewerkschaft die Aufnahme zu Recht verweigert. Streitgegenstand des Zivilprozeßverfahrens ist nicht die förmliche Entscheidung der Gewerkschaft, mit der sie den Aufnahmeantrag abgelehnt hat, sondern die Frage, ob ein materiell-rechtlicher Anspruch des Bewerbers auf Aufnahme besteht. Die Gerichte haben diesen Anspruch nach allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätzen aufgrund desjenigen Sachverhalts zu beurteilen, der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen festzustellen ist.
Unterschriften
Stimpel, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Bundschuh, Dr. Seidl
Fundstellen
Haufe-Index 1502396 |
NJW 1985, 1214 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1985, 474 |
JZ 1985, 532 |