Leitsatz (amtlich)
Nach der zum 1.12.2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gem. § 1004 BGB, die auf die Abwehr von Störungen seines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts gerichtet sind, weiterhin selbst geltend machen (Fortführung von BGH, Urt. v. 11.6.2021 - V ZR 41/19 WuM 2021, 521).
Normenkette
BGB § 1004; WEG § 9a Abs. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.02.2021; Aktenzeichen 2-13 S 46/20) |
AG Büdingen (Urteil vom 25.02.2020; Aktenzeichen 2 C 398/19) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 13. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 11.2.2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klageantrag zu 1) abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien bilden eine aus zwei Einheiten bestehende Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie sind jeweils Eigentümer einer Einheit. Der Klägerin steht zudem ein Sondernutzungsrecht an zwei Stellplätzen zu. Ein Verwalter ist nicht bestellt. Im Sommer 2018 errichtete der Beklagte ohne Zustimmung der Klägerin auf einer im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Grundstücksfläche eine Betonmauer, brachte darauf einen Holzzaun an und baute ein Tor ein.
Rz. 2
Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten in der Hauptsache auf Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage in Anspruch. Das AG hat der Klage, soweit von Interesse, mit Urteil vom 25.2.2020 stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das LG hat die Klage nach mündlicher Verhandlung vom 4.2.2021 abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in ZfIR 2021, 277 veröffentlicht ist, meint, die Klägerin könne die Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage nicht verlangen. Abwehrrechte aus dem an die Stelle des § 15 Abs. 3 WEG a.F. getretenen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG stünden nach dem seit dem 1.12.2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht nur noch der Gemeinschaft zu. Insoweit sei die Klägerin nicht mehr aktivlegitimiert. Ein Beseitigungsanspruch bestehe auch nicht in Bezug auf das Sondernutzungsrecht an dem Stellplatz. Das Sondernutzungsrecht werde nicht beeinträchtigt, da der Stellplatz für die Klägerin weiter erreichbar sei und die Mauer- und Zaunanlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen auf der dem Stellplatz vorgelagerten Gemeinschaftsfläche erschwere. Für die Ansprüche aus § 1004 BGB auf Beseitigung von Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums sei gem. § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuständig. Insoweit habe die Klägerin ihre Prozessführungsbefugnis verloren.
II.
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg. Zu entscheiden ist durch Versäumnisurteil. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis des Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 82 ff.).
Rz. 5
1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass die Klägerin nach der zum 1.12.2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes für den Anspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nicht mehr aktivlegitimiert ist. Der Anspruch aus dem an die Stelle von § 15 Abs. 3 WEG a.F. getretenen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG ist nunmehr allein der Gemeinschaft zugewiesen (vgl. BT-Drucks. 19/18791, 52; BGH, Urt. v. 16.7.2021 - V ZR 284/19, juris Rz. 13).
Rz. 6
2. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 BGB, soweit er das Sondernutzungsrecht an dem Stellplatz betrifft.
Rz. 7
a) Allerdings ist die Klägerin für den Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung des Sondernutzungsrechts an dem Stellplatz aus § 1004 Abs. 1 BGB prozessführungsbefugt. Dem steht § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG nicht entgegen.
Rz. 8
aa) Die alleinige Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gem. § 9 Abs. 2 WEG bezieht sich auf die Abwehr von Störungen des Gemeinschaftseigentums. Ein Wohnungseigentümer kann deshalb, wie der Senat bereits entschieden hat, nach der zum 1.12.2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche gem. § 1004 BGB und § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG, die auf die Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich des Sondereigentums gerichtet sind, weiterhin auch dann selbst geltend machen, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum von den Störungen betroffen ist (BGH, Urt. v. 11.6.2021 - V ZR 41/19 WuM 2021, 521 Rz. 13).
Rz. 9
bb) Entsprechendes gilt für den Anspruch eines Wohnungseigentümers gem. § 1004 Abs. 1 BGB auf Abwehr einer Störung eines dinglich wirkenden Sondereigentumsrechts.
Rz. 10
(1) Nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage konnte der Inhaber eines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts im Rahmen von dessen Zuweisungsgehalt (vgl. dazu Urt. v. 18.11.2016 - V ZR 49/16, ZfIR 2017, 409 Rz. 24; BGH, Beschl. v. 26.11.2020 - V ZB 151/19 WuM 2021, 132 Rz. 15) Störungen durch andere Wohnungseigentümer und Dritte gem. § 1004 Abs. 1 BGB selbst abwehren (vgl. BGH, Urt. v. 21.10.2016 - V ZR 78/16, ZfIR 2017, 355 Rz. 9; Urt. v. 20.3.2020 - V ZR 317/18, BGHZ 225, 136 Rz. 39) und Ansprüche aus § 985 und § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB selbst geltend machen (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2013 - V ZR 230/12, BGHZ 198, 327 Rz. 20; Urt. v. 20.3.2020 - V ZR 317/18, a.a.O.). Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer konnte diese Ansprüche nicht durch Beschluss an sich ziehen.
Rz. 11
(2) Daran hat § 9a Abs. 2 WEG nichts geändert (so auch in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 9a WEG n.F. Rz. 31; , ZWE 2021, 188, 190). Bei dem Anspruch auf Abwehr einer Störung des Sondernutzungsrechts handelt es sich nicht um ein sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebendes Recht. Nach der zum 1.12.2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gem. § 1004 BGB, die auf die Abwehr von Störungen seines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts gerichtet sind, deshalb weiterhin selbst geltend machen.
Rz. 12
b) Die Voraussetzungen für einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB in Bezug auf das Sondernutzungsrecht sind jedoch nicht erfüllt. Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, wonach das Sondernutzungsrecht der Klägerin an dem Stellplatz deshalb nicht beeinträchtigt ist, weil infolge der Errichtung der Mauer- und Toranlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen auf der vor dem Stellplatz gelegenen Fläche, nicht aber der Zugang zu dem Stellplatz selbst erschwert wird, nimmt die Revision hin und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Rz. 13
3. Rechtsfehlerhaft ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Prozessführungsbefugnis für den sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Anspruch aus § 1004 BGB mit Inkrafttreten der Neuregelung des § 9a Abs. 2 WEG am 1.12.2020 verloren.
Rz. 14
a) Nach § 9a Abs. 2 WEG übt zwar die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte aus. Damit ist nunmehr allein die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes prozessführungsbefugt (vgl. BT-Drucks. 19/18791, 46).
Rz. 15
b) Für die bereits vor dem 1.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren besteht - wie der Senat inzwischen, allerdings nach Erlass des Berufungsurteils, entschieden hat - die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG aber fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird. Beurteilungsgrundlage für das Vorliegen eines entgegenstehenden Willens der Gemeinschaft ist die - im Außenverhältnis maßgebliche - Äußerung ihres nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs. Auf die Wirksamkeit der Entscheidungsbildung der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis, insb. die Wirksamkeit eines dazu gefassten Beschlusses, kommt es dagegen nicht an (näher BGH, Urt. v. 7.5.2021 - V ZR 299/19 WuM 2021, 392 Rz. 12 ff., 20 ff.). Diese Grundsätze gelten für alle Wohnungseigentümergemeinschaften, auch für die verwalterlose Zweiergemeinschaft.
Rz. 16
c) Danach ist die Klägerin prozessführungsbefugt, soweit es um den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums geht. Insoweit ist sie auch aktivlegitimiert.
III.
Rz. 17
Die Revision hat somit Erfolg. Das Berufungsurteil war im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 BGB wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat. Sie ist deshalb zur Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist beim BGH in Karlsruhe von einem an diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Die Einspruchsschrift muss das Urteil, gegen das der Einspruch gerichtet wird, bezeichnen und die Erklärung enthalten, dass und, wenn das Rechtsmittel nur teilweise eingelegt werden solle, in welchem Umfang gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.
In der Einspruchsschrift sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann die Vorsitzende des erkennenden Senats die Frist für die Begründung verlängern. Bei Versäumung der Frist für die Begründung ist damit zu rechnen, dass das nachträgliche Vorbringen nicht mehr zugelassen wird.
Im Einzelnen wird auf die Verfahrensvorschriften in §§ 78, 296 Abs. 1, 3, 4, 338, 339 und § 340 ZPO verwiesen.
Fundstellen