Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 18.05.1992; Aktenzeichen 11 KLs 462 Js 160496/90)

 

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18. Mai 1992 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten nach Aufhebung eines ersten Urteils durch den Senat in erneuter Hauptverhandlung wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen zur Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung in drei Fällen wurde der Angeklagte freigesprochen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist nicht begründet.

1. Zutreffend weist die Revision zwar darauf hin, daß sich das Verhalten des Angeklagten im ersten Fall nach den Feststellungen als Gewalt im Sinne des § 177 StGB darstellt. Das Gericht sah aber "keinen tragfähigen Beweis dafür, daß der Angeklagte... sein Körpergewicht einsetzte, um Widerstand zu unterdrücken oder... das Mundzuhalten als Mittel einsetzte, um den Widerstand, den er als ernsthaft erkannt haben müßte, zu brechen". Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb aus subjektiven Gründen vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen.

Die Revision verlangt demgegenüber letztlich, daß das Landgericht aus dem festgestellten objektiven Geschehen auch auf den subjektiven Tatbestand der Vergewaltigung hätte schließen müssen. Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ist jedoch Sache des Tatrichters. Dessen Schlußfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, daß sie möglich sind (BGHSt 29, 18, 20). Seine in prozeßordnungsgemäßer Weise gewonnene Überzeugung ist für das Revisionsgericht bindend. Deshalb hat das Revisionsgericht die Entscheidung des Tatrichters auch grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten. Diese sind namentlich dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen die Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (vgl. BGHSt 29, 18, 20; BGH NStZ 1984, 180; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; Hürxthal in KK StPO 2. Aufl. § 261 Rdn. 51 m.w.N.).

Einen Rechtsfehler in diesem Sinne enthält das Urteil nicht. Der Revision ist einzuräumen, daß das Landgericht hier aus dem objektiven Geschehen - Äußerung der Geschädigten "Ich will das nicht"; Zuhalten des Mundes, als die Zeugin laut wurde; Niederhalten durch Körpergewicht - auch den Schluß hätte ziehen können, es sei dem Angeklagten bewußt gewesen, daß er auf diese Weise gegen den Willen des Mädchens den Geschlechtsverkehr erzwinge, und sein gewaltanwendendes Verhalten habe diesem Zweck gedient. Das Landgericht hat demgegenüber in eingehender und differenzierter Weise erörtert, unter Berücksichtigung der gesamten Entwicklung erwogen und es für möglich erachtet, daß das "Lautwerden" und das "Ich will nicht" vom Angeklagten "eben nicht als ernsthaftes Widerstreben erkannt wurde". Dabei wurden die Zweifel des Landgerichts zulässig auch dadurch gefördert, daß die Zeugin bei mehreren Vernehmungen das Ausmaß ihres Widerstandes und ihr widerstrebendes Verhalten insgesamt in sehr unterschiedlicher Weise dargestellt und letztlich der Einlassung des Angeklagten nicht sicher widersprochen hatte.

Die daraus vom Landgericht gezogenen Schlüsse waren jedenfalls möglich. Denn zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten war es zuvor ohne Zwang zahlreich zu sexuellen Handlungen gekommen. Wiederholt hatte er auf Geschlechtsverkehr gedrängt. Als die beiden um die Jahreswende 1984/1985 in die Wohnung des Angeklagten fuhren und er sie aufforderte, sich auszuziehen, war ihr klar, daß es zum Geschlechtsverkehr kommen sollte. Gleichwohl zog sie sich freiwillig aus und legte sich auf die Couch. Erst als der Angeklagte entkleidet auf ihr lag, um den Geschlechtsverkehr auszuführen, erklärte sie, "daß sie das nicht wolle". Das Landgericht hält es für möglich, der Angeklagte habe dieses Widerstreben im Hinblick auf teilweise gleichartiges früheres Verhalten als bloßes "Sich-Zieren" angesehen, und meint, daß "nach den den Geschlechtsverkehr vorbereitenden Hinweisen des Angeklagten und dem Verhalten des Mädchens - freiwilliges Ausziehen - sich eine Situation darstellte, in der der Angeklagte nicht daran zu denken brauchte und auch nicht dachte, daß es im weiteren Fortgang zum Geschlechtsverkehr irgendeines Druckes bedurfte".

Das Landgericht geht weiterhin ohne Rechtsfehler davon aus, vor dem Geschlechtsverkehr habe man "geschäkert und Spaß gemacht und daß die Zeugin dabei laut geworden sei und gequietscht habe". Das Zuhalten des Mundes, das der Angeklagte in gleicher Weise wie die Zeugin schildert, diente nach Auffassung des Landgerichts daher nicht sicher der Erzwingung des Geschlechtsverkehrs, sondern konnte auch - wie vom Angeklagten behauptet - dahin ausgelegt werden, die Nachbarn hätten nicht merken sollen, daß er ein junges Mädchen im Zimmer habe.

2. Der Senat teilt nicht die Bedenken des Generalbundesanwalts, das Landgericht habe zum Freispruch in den Fällen 2 und 3 keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. Zwar hat der Tatrichter bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen festzustellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muß so abgefaßt sein, daß das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 5). Was dabei im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich aber nach dessen Umständen. Das Landgericht hat im Rahmen der tatsächlichen Feststellungen mitgeteilt, daß es nach dem ersten Geschlechtsverkehr in der Folgezeit "bis Mitte September 1985 durchwegs zweimal monatlich zum Geschlechtsverkehr (kam), dem A. nicht mehr widerstrebte". Nachdem es dabei auch weder zu Drohungen noch zur Gewaltanwendung kam, was das Landgericht beweiswürdigend eingehend und fehlerfrei erörtert, waren von Rechts wegen weitere Feststellungen zu den Einzelheiten des als Vergewaltigung angeklagten zweiten und dritten Geschlechtsverkehrs nicht erforderlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993167

NStE Nr. 30 zu § 177 StGB

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