Leitsatz (amtlich)
Eine Unfallflucht im Sinne von § 142 StGB ist auch bei eindeutiger Haftungslage eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kfz-Haftpflichtversicherung und in der Kaskoversicherung.
Normenkette
VVG § 6 Abs. 3; AKB § 7 I (2) S. 3
Verfahrensgang
Saarländisches OLG |
LG Saarbrücken |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 10. März 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 12. August 1998 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die in der Rechtsform der GmbH ein Taxiunternehmen betreibt, unterhält bei der Beklagten eine Kfz-Haftpflichtversicherung und eine Vollkaskoversicherung nach Maßgabe der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung in der Fassung von 1988 (AKB 88). Sie verlangt von der Beklagten Ersatz unfallbedingter Reparaturkosten in Höhe von 25.819,65 DM und möchte festgestellt haben, daß die Beklagte in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht zum Regreß in Höhe von 1.000 DM berechtigt ist.
Am 12. Oktober 1994 gegen 23.30 Uhr verursachte einer der Geschäftsführer mit einem bei der Beklagten versicherten Taxi der Klägerin einen Verkehrsunfall. Er fuhr auf der Z. Straße in H. gegen einen dort ordnungsgemäß geparkten Pkw, der durch den Anstoß gegen einen weiteren Pkw geschoben wurde. Der Geschäftsführer der Klägerin entfernte sich vom Unfallort und ließ die Taxe dort zurück. Sämtliche Fahrzeuge wurden beschädigt. Im Strafverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 StGB (im folgenden: Unfallflucht) konnte ihm nicht nachgewiesen werden, daß er das Fahrzeug gelenkt hatte. Das Verfahren wurde am 23. März 1996 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. In den im Oktober und November 1994 bei der Beklagten eingereichten Schadenanzeigen hatte die Klägerin unter Hinweis auf das laufende Ermittlungsverfahren keine Angaben zur Person des Fahrers gemacht. Dies holte sie nach Abschluß des Strafverfahrens nach und verlangte die Kaskoentschädigung. Die Beklagte lehnte dies ab und kündigte in der Kfz-Haftpflichtversicherung einen Regreß in Höhe von 1.000 DM an.
Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, weil die Klägerin in den Schadenanzeigen den Fahrer nicht angegeben und weil ihr Geschäftsführer Unfallflucht begangen habe. In der Kaskoversicherung bestehe auch wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalls Leistungsfreiheit.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht (NVersZ 1999, 382) hat ihr bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klage ist abzuweisen, weil der Geschäftsführer der Klägerin eine nach § 142 StGB strafbare Unfallflucht begangen und dadurch die versicherungsvertragliche Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich verletzt hat. Die Beklagte beruft sich deshalb zu Recht auf Leistungsfreiheit, in der Kaskoversicherung in vollem Umfang, in der Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 1.000 DM, § 6 Abs. 3 VVG i.V. mit § 7 I (2) Satz 3, V (1) Satz 1, (2) und (4) AKB 88. Ob auch aus anderen Gründen Leistungsfreiheit eingetreten ist, kann offenbleiben.
I. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Geschäftsführer der Klägerin den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB rechtswidrig und schuldhaft erfüllt und, falls er sich zunächst ärztlich habe versorgen lassen wollen, die erforderlichen Feststellungen auch nicht im Sinne von § 142 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB unverzüglich nachträglich ermöglicht hat. Es meint jedoch, eine Unfallflucht stelle dann keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit dar, wenn – wie hier – die Haftungslage eindeutig sei und eine Mitverursachung durch den Geschädigten unzweifelhaft nicht in Betracht komme. In solchen Fällen werde weder in der Kaskoversicherung noch in der Kfz-Haftpflichtversicherung das Aufklärungsinteresse des Versicherers durch die Unfallflucht tangiert. Mit seinem Urteil weicht das Berufungsgericht wie schon in einer früheren Entscheidung zur Kaskoversicherung (VersR 1998, 883) von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und anderer Oberlandesgerichte und der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur ab (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 1958 – II ZR 1/57 – NJW 1958, 993 f.; vom 15. April 1987 – IVa ZR 28/86 – VersR 1987, 657 f. m.w.N. und vom 10. Juli 1996 – IV ZR 287/95 – VersR 1996, 1229 unter 1; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 7 AKB Rdn. 18, 19, 24 m.w.N.).
II. Der Senat folgt der Ansicht des Berufungsgerichts nicht.
1. Was zum Inhalt einer durch Leistungsfreiheit sanktionierten Obliegenheit im Sinne von § 6 Abs. 3 VVG gehört, ergibt sich grundsätzlich aus den zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages getroffenen Vereinbarungen, also aus dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen.
Nach § 7 I (2) Satz 3 der hier vereinbarten AKB 88 hat der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Die Aufklärungsobliegenheit ist danach erkennbar weit gefaßt. Sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach § 34 Abs. 1 VVG ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise (§ 34a Satz 1 VVG) darüber hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort (Knappmann, aaO § 7 AKB Rdn. 7). So ist die Aufklärungsobliegenheit z.B. verletzt, wenn Unfallspuren beseitigt oder die polizeilichen Ermittlungen durch wahrheitswidrige Angaben in eine falsche Richtung gelenkt werden (BGHZ 48, 7, 11; BGH, Urteil vom 15. Dezember 1982 – IVa ZR 33/81 – VersR 1983, 258 unter II 2). Das bloße Verlassen der Unfallstelle stellt dagegen nur, aber auch stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung und in der Kfz-Haftpflichtversicherung dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt wird (BGH, Urteile vom 15. Dezember 1982 – IVa ZR 33/81 – aaO unter II 1 und vom 15. April 1987 – IVa ZR 28/86 – aaO). Auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung ist davon auszugehen, daß die vertragliche Aufklärungsobliegenheit die strafrechtlich sanktionierte Rechtspflicht mitumfaßt (BGH, Urteile vom 12. November 1975 – IV ZR 5/74 – VersR 1976, 84 unter 1 a und vom 5. Mai 1969 – IV ZR 532/68 – VersR 1969, 651). Denn hierbei handelt es sich um eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht. Daß er mit ihrer Verletzung auch den Leistungsanspruch gegen seinen Versicherer gefährden kann, drängt sich ihm schon deshalb auf, weil der Kraftfahrer weiß, daß sein Versicherer bei einem Schadensfall stets ein Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen hat, das er mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt (vgl. auch BGH, Urteile vom 15. Dezember 1982 – IVa ZR 33/81 – aaO unter II 3; vom 18. Februar 1970 – IV ZR 1005/68 – VersR 1970, 458 f. und vom 8. Mai 1958 – II ZR 1/57 – aaO unter 2 b). Der Versicherungsnehmer wird deshalb zwischen der Verwirklichung des Tatbestands der Unfallflucht und der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gegenüber seinem Versicherer nicht trennen und nicht in der vom Berufungsgericht dargelegten Weise differenzieren. Deshalb entfällt bei Unfallflucht die Aufklärungsobliegenheit auch dann nicht, wenn die Haftungslage eindeutig ist (so auch Hofmann, NVersZ 1999, 354 unter III und IV; Rech, NVersZ 1999, 156 unter III und IV; OLG Köln NVersZ 1999, 170 unter 1 bis 3).
2. Der Inhalt der Aufklärungsobliegenheit wird durch den Schutzzweck des § 142 StGB nur insoweit berührt, als bei fehlendem Verstoß gegen die Strafrechtsnorm auch keine entsprechende Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gegeben ist (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1982 – IVa ZR 33/81 – aaO unter II 1). Im übrigen ist der strafrechtliche Schutzzweck für die versicherungsvertragliche Aufklärungsobliegenheit ohne Bedeutung.
Deren Zweck besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann (BGH, Urteile vom 12. November 1997 – IV ZR 338/96 – VersR 1998, 228 unter II 1 b m.w.N.; vom 15. April 1987 – IVa ZR 28/86 – aaO). Dabei kommt es nach § 7 I (2) Satz 3 AKB auf alles an, was zur Aufklärung des Tatbestandes oder zur Minderung des Schadens dienlich sein kann, und nicht darauf, was nach dem Ergebnis der Prüfung für die Leistungspflicht wesentlich ist.
Verneint man bei eindeutiger Haftungslage trotz Unfallflucht eine Aufklärungsobliegenheit, wird die dem Versicherer vertraglich eingeräumte Prüfungsmöglichkeit entscheidend verkürzt. Da es um seine Leistungspflicht geht, ist es auch seine Sache, die Haftungslage zu prüfen. Das Berufungsgericht legt diese Prüfung dagegen in die Hand des Versicherungsnehmers. Seine Ansicht läuft zudem darauf hinaus, bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen entgegen § 6 Abs. 3 VVG eine Kausalitätsprüfung im Einzelfall vorzunehmen.
Es trifft auch nicht zu, daß bei eindeutiger Haftungslage kein schutzwürdiges Aufklärungsinteresse des Versicherers besteht. In der Kaskoversicherung geht es dem Versicherer in erster Linie darum zu prüfen, ob er nach § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, weil der Versicherungsnehmer den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit für den Unfall ursächlich war. Auch in der Kfz-Haftpflichtversicherung besteht wegen möglicher Leistungsfreiheit nach § 2 (2) b und c AKB 88 ein Interesse des Versicherers daran, die Person des Fahrers festzustellen. Durch nachträgliche Angaben, deren Wahrheitsgehalt oft nicht überprüft werden kann, ist die Aufklärung nicht zuverlässig gewährleistet (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 22. Mai 1970 – IV ZR 1084/68 – VersR 1970, 826 unter 2).
3. Die Aufklärungsobliegenheit entfällt auch nicht wegen eines vom Berufungsgericht angenommenen unzumutbaren Zwangs zur Selbstanzeige und eines Widerspruchs zur Beweislastregelung des § 61 VVG. § 142 StGB mutet es dem Unfallbeteiligten zu, daß es bei Beachtung der Rechtspflicht zu einer Strafverfolgung wegen einer Trunkenheitsfahrt kommen kann. Entfernt er sich unerlaubt vom Unfallort, macht er sich in jedem Fall strafbar. Daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer bei Erfüllung der Aufklärungsobliegenheit den Beweis für die Voraussetzungen der Leistungsfreiheit nach § 61 VVG erleichtert, ist keine systemwidrige Umkehr der Beweislast, das ergibt sich vielmehr aus § 6 Abs. 3 VVG. Danach ist es dem Versicherer erlaubt, durch Leistungsfreiheit sanktionierte Aufklärungsobliegenheiten zu vereinbaren. Der Zweck der Vorschrift besteht im wesentlichen darin, den Versicherungsnehmer zu zwingen, an der Aufklärung des Sachverhalts auch insoweit mitzuwirken, als es um Tatsachen geht, die zum Verlust des Versicherungsschutzes führen können (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1976 – IV ZR 1/76 – VersR 1977, 272 unter III 4 c). Zur Ermittlung der ihm günstigen Tatsachen, insbesondere der Anspruchsvoraussetzungen, wird der Versicherungsnehmer im eigenen Interesse von selbst beitragen.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Römer, Terno, Seiffert, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 01.12.1999 durch Bartelmus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556269 |
EBE/BGH 2000, 19 |
NJW-RR 2000, 553 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2000, 192 |
DAR 2000, 113 |
MDR 2000, 265 |
NVersZ 2000, 134 |
NZV 2000, 204 |
VRS 2000, 270 |
VersR 2000, 222 |
ZfS 2000, 68 |
ZVR 2001, 102 |