Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlageberater. Umfassende Informationspflicht über entscheidungserhebliche zum Anlageentschluss führende Umstände. Auswertung der Wirtschaftspresse. Informationspflicht des Kapitalanlageberaters über Wirtschaftspresseveröffentlichungen gegenüber Anlageinteressenten
Leitsatz (amtlich)
Zur Pflicht des Anlageberaters, den Anlageinteressenten über für die Kapitalanlage bedeutsame Gesetzesänderungen zu informieren und hierzu Erkundigungen einzuziehen.
Normenkette
BGB § 675
Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 10.02.2011; Aktenzeichen 8 U 980/10) |
LG Zwickau (Entscheidung vom 20.05.2010; Aktenzeichen 1 O 754/09) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Dresden vom 10.2.2011 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Kläger nehmen den Beklagten unter dem Vorwurf fehlerhafter Kapitalanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Auf Empfehlung des Beklagten zeichneten die Kläger am 4.11.1997 Beteiligungen als atypisch stille Gesellschafter bei der G. B.-AG, und zwar die Klägerin zu 1) mit einer Gesamtvertragssumme von 29.127 DM (einschließlich 5 % Agio) und der Kläger zu 2) mit einer Vertragssumme von 27.405 DM (einschließlich 5 % Agio). Die Einlagen waren durch Einmalzahlungen sowie nachfolgende monatliche Ratenzahlungen zu erbringen. Die Klägerin zu 1) zahlte auf ihre Beteiligung insgesamt 5.615,41 EUR und der Kläger zu 2) auf die seinige 5.508,03 EUR. Das jeweilige Guthaben der Anleger sollte in Raten zurückgezahlt werden. Die G. B.-AG gehörte zum Konzernverbund der G. Gruppe. Im Juni 2007 wurde über das Vermögen der Anlagegesellschaften der G. Gruppe das Insolvenzverfahren eröffnet.
Rz. 3
Die Kläger verlangen von dem Beklagten die Erstattung ihrer für die Kapitalanlage geleisteten Aufwendungen, den Ersatz entgangenen Gewinns sowie die Freistellung von Rechtsanwaltskosten. Sie haben geltend gemacht, zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen und der Beklagte habe die ihm hieraus erwachsenen Pflichten verletzt. Insbesondere habe der Beklagte keine (genügende) Plausibilitätsprüfung vorgenommen, die Risiken der Anlage verschwiegen oder verharmlost und eine Information über die möglichen Auswirkungen des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 22.10.1997 (6. KWG-Novelle) sowie die damit für die streitgegenständliche Kapitalanlage verbundenen Risiken unterlassen.
Rz. 4
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass der Beklagte zwar als Anlageberater tätig geworden sei, die von den Klägern geltend gemachten Pflichtverletzungen jedoch nicht festgestellt werden könnten. Die Kläger hätten die Darlegungen des Beklagten zur rechtzeitigen Übergabe des Emissionsprospekts und zur hinreichenden mündlichen Aufklärung über die Kapitalanlage nicht zu widerlegen vermocht. Auch der Vorwurf einer unzureichenden Plausibilitätsprüfung greife nicht durch. Der Emissionsprospekt stelle die Vertriebskosten und die damit verbundenen Risiken ausreichend dar. Der Beklagte habe auch Informationen von dritter Seite bei seiner Beratung berücksichtigt. Auf die mit der am 1.1.1998 in Kraft getretenen 6. KWG-Novelle verbundenen rechtlichen Risiken der Kapitalanlage habe der Beklagte nicht hinweisen und deswegen auch nicht bei dem damaligen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen nachfragen müssen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Zeichnung der Beteiligung vor dem Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle erfolgt sei, der Anlageberater insoweit nicht wie ein Emittent haftbar sei und der Beklagte mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht davon habe ausgehen müssen, dass die Anlage ohne die erforderlichen Genehmigungen durchgeführt werden würde. Es würde die Pflicht zur Plausibilitätsprüfung erheblich überspannen, wenn der Berater bei jeder von ihm vertriebenen Anlage das Konzept in rechtlicher Hinsicht überprüfen müsste.
II.
Rz. 7
Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten nicht den Nachweis erbracht, dass der Beklagte die ihm aus dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Anlageberatungsvertrag obliegenden Pflichten verletzt habe, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
Rz. 8
1. Wie das Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegt hat, reichen die Pflichten des Anlageberaters weiter als die Pflichten des Anlagevermittlers.
Rz. 9
Der Anlagevermittler schuldet dem Interessenten eine richtige und vollständige Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind (st.Rspr.; z.B. BGH, Urt. v. 12.2.2004 - III ZR 359/02, BGHZ 158, 110, 116; vom 12.7.2007 - III ZR 145/06, WM 2007, 1608 Rz. 8; v. 5.3.2009 - III ZR 17/08, NZG 2009, 471, 472 Rz. 11; v. 16.6.2011 - III ZR 200/09, BeckRS 2011, 17987 Rz. 14). Der Anlagevermittler muss das Anlagekonzept, bezüglich dessen er Auskunft erteilt, wenigstens auf Plausibilität, insb. wirtschaftliche Tragfähigkeit hin überprüfen. Ansonsten kann er keine sachgerechten Auskünfte erteilen (Senatsurteile vom 5.3.2009, a.a.O., m.w.N. und vom 16.6.2011, a.a.O.). Vertreibt er die Anlage anhand eines Prospekts, muss er, um seiner Auskunftspflicht nachzukommen, im Rahmen der geschuldeten Plausibilitätsprüfung den Prospekt jedenfalls darauf überprüfen, ob er ein in sich schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen Informationen, soweit er das mit zumutbarem Aufwand festzustellen in der Lage ist, sachlich vollständig und richtig sind (Senatsurteile vom 12.2.2004, a.a.O.; vom 5.3.2009, a.a.O., Rz. 12 m.w.N. und vom 16.6.2011, a.a.O.).
Rz. 10
Demgegenüber ist ein Anlageberater zu mehr als nur zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich seine Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Entscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Er muss deshalb eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand prüfen oder den Anlageinteressenten auf ein diesbezügliches Unterlassen hinweisen. Ein Berater, der sich in Bezug auf eine bestimmte Anlageentscheidung als kompetent geriert, hat sich dabei aktuelle Informationen über das Objekt, das er empfehlen will, zu verschaffen. Dazu gehört die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 5.3.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688, 690 Rz. 13 ff; vom 5.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360, 2362 Rz. 16, 18 und vom 16.9.2010 - III ZR 14/10, NZG 2010, 1272, 1273 Rz. 10).
Rz. 11
2. Diese Maßgaben hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung beachtet. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
Rz. 12
a) Soweit das Berufungsgericht die in dem Anlageprospekt enthaltenen Angaben zu den Emissionskosten und den Risiken des Ausfalls von Rateneinlagen der Anleger für ausreichend hält, lässt dies entgegen den Rügen der Revision Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass sich die Quote der - betragsmäßig ausgewiesenen - Emissionskosten nach Abzug des Agios i.H.v. 5 % der Einlage auf 14,9 % der Einlagesumme belaufe (S. 72) und dass der Ausfall erwarteter Einlagezahlungen generell - nicht nur: bei "außerordentlichen Systemstörungen" - negative Auswirkungen auf die Durchführung der geplanten Investitionen haben könne (S. 87). Dass das Anlagekonzept der hier streitgegenständlichen Beteiligung von vornherein die Gefahr größerer Zahlungsausfälle in sich getragen hätte und der Anlageerfolg auf diese Weise grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre, haben die Kläger nicht (ausreichend) dargetan. Der Beklagte hat vielmehr, worauf die Revisionserwiderung zutreffend aufmerksam gemacht hat, dargelegt, dass die Stornierungsquote in damaliger Zeit allenfalls 2 % betragen habe und dass nach dem Gesellschaftsvertrag im Falle einer vorzeitigen Stornierung kompensatorische Vorfälligkeits- und Ausgleichszahlungen an die Gesellschaft zu leisten seien, was die Kläger nicht konkret bestritten haben.
Rz. 13
b) Ihre Behauptung, der Beklagte habe die Verlustrisiken der Kapitalanlage grob verharmlost, haben die Kläger nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Berufungsgerichts nicht nachzuweisen vermocht.
Rz. 14
c) Letztlich begegnet auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, über die Auswirkungen der 6. KWG-Novelle, insb. die damit verbundenen rechtlichen Risiken für die Kapitalanlage, zu informieren, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 15
aa) Nach der Neufassung von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG (Einlagengeschäft) durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 22.10.1997 (BGBl. I, 2518) mit Wirkung ab dem 1.1.1998 bestand allerdings die nahe liegende Möglichkeit, dass die Aufsichtsbehörde die ratierliche Auszahlung des späteren Auseinandersetzungsguthabens der Anleger als ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ansehen und gegen die Anlagegesellschaft eine entsprechende Verbotsverfügung erlassen würde. Jedenfalls war die Rechtslage mit Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle insoweit unsicher geworden (s. dazu BGH, Urt. v. 21.3.2005 - II ZR 149/03, NZG 2005, 476, 478). Der II. Zivilsenat des BGH hat die Anlagegesellschaft (Emittentin) daher für verpflichtet gehalten, die Anlageinteressenten darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Gesetzesänderung rechtliche Bedenken gegen die ratierliche Auszahlung der Auseinandersetzungsguthaben bestehen könnten (BGH, Urt. v. 21.3.2005, a.a.O.; vom 18.4.2005 - II ZR 21/04, BeckRS 2005, 07047; v. 26.9.2005 - II ZR 314/03, NJW-RR 2006, 178, 181). Angesichts der Bedeutung dieses Gesichtspunkts für die Kapitalanlageentscheidung mussten die Interessenten darüber informiert werden, ob das Anlagemodell rechtlich abgesichert oder aber mit bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen und damit verbundenen Prozessrisiken zu rechnen war. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht kann, wenn der Gesellschaftsvertrag nach dem Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle geschlossen worden ist, eine Schadensersatzpflicht der Anlagegesellschaft (Emittentin) nach sich ziehen (BGH, Urt. v. 21.3.2005, a.a.O.; vom 18.4.2005, a.a.O., und vom 26.9.2005, a.a.O.).
Rz. 16
bb) Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht zugleich und ohne Weiteres eine entsprechende Aufklärungs- und Haftungspflicht des Anlageberaters (so auch OLG Frankfurt, Urt. v. 20.12.2007 - 24 U 98/07, juris Rz. 42 - die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Senat durch Beschl. v. 26.6.2008 - III ZR 22/08 zurückgewiesen worden; a.A. hingegen wohl OLG Jena, Urt. v. 28.4.2009 - 5 U 355/08, Umdr. S. 7 f).
Rz. 17
Für den Anlageberater gelten nicht dieselben Maßstäbe wie für die Anlagegesellschaft (Emittentin), die in eigener Verantwortung die rechtliche Einstufung ihrer Geschäftstätigkeit umfassend und unter Inanspruchnahme aller zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu prüfen und um die Erteilung etwaiger erforderlicher Genehmigungen oder Erlaubnisse nachzusuchen hat bzw. die rechtliche Bewertung der zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde abfragen kann ("Negativattest"). Umfang und Art der Hinweis- und Ermittlungspflichten des Anlageberaters bestimmen sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei kommt es insb. darauf an, wie der Anlageberater gegenüber dem Anlageinteressenten auftritt und ob und inwieweit dieser die berechtigte Erwartung hegt, über bestimmte Umstände informiert zu werden. Zu solchen Umständen zählen grundsätzlich zwar auch Gesetzesänderungen, sofern sie für die empfohlene Kapitalanlage erhebliche Auswirkungen haben können. Anders als die Anlagegesellschaft muss der Anlageberater aber nicht ohne besondere Anhaltspunkte infolge einer Gesetzesänderung auftretenden schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen nachgehen, die er regelmäßig nur unter Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe (Rechtsgutachten) abklären könnte.
Rz. 18
Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte im Streitfall nicht gehalten, Erkundigungen über die damals bevorstehende Änderung der Gesetzeslage einzuziehen und die Kläger hiervon in Kenntnis zu setzen.
Rz. 19
Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die 6. KWG-Novelle zum Zeitpunkt der Zeichnung (4.11.1997) noch nicht in Kraft getreten war. Die Kläger haben auch nicht aufgezeigt, dass der Beklagte von der damit verbundenen Problematik für die hier in Rede stehende Kapitalanlage aus der Wirtschaftspresse erfahren hätte oder jedenfalls hätte erfahren müssen. Gleiches gilt für etwaige sonstige Anhaltspunkte. Der Umstand allein, dass der Beklagte seit 1991 Beteiligungen bei der "G. G." in seiner "Angebotspalette" hatte, ist insoweit ohne Aussagekraft.
Rz. 20
Musste dem Beklagten die mit der 6. KWG-Novelle verknüpfte Rechtsunsicherheit demnach nicht bekannt sein und durften die Kläger diesbezügliche Nachforschungen und Informationen nach Lage des Falles von dem Beklagten auch nicht erwarten, so musste der Beklagte die Kläger auch nicht darüber aufklären, dass er eine dahingehende Überprüfung unterlassen habe.
Fundstellen
Haufe-Index 2859791 |
BB 2012, 476 |
BB 2012, 66 |
NJW 2012, 380 |
NWB 2012, 631 |
NZG 2012, 145 |
WM 2012, 24 |
WuB 2012, 385 |
ZIP 2012, 135 |
AG 2012, 177 |
MDR 2012, 147 |
VersR 2012, 1302 |
VuR 2012, 143 |
BKR 2012, 169 |
GWR 2012, 112 |
GuT 2012, 392 |
NWB direkt 2012, 179 |
ZBB 2012, 69 |
RdF 2012, 278 |
ZWH 2012, 158 |
ZWH 2012, 5 |