Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 07.11.2018) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 7. November 2018 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die der Beschuldigten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, die Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft – die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird – und der Nebenklägerin. Beiden Rechtsmitteln bleibt der Erfolg versagt.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des von einer psychiatrischen Sachverständigen beratenen Landgerichts leidet die 72-jährige Beschuldigte seit 2010 an einer anhaltenden wahnhaften Störung (ICD 10: F22) und einer damit einhergehenden Störung der Affektivität und Impulsivität. Sie wähnt sich benachteiligt und beeinträchtigt, fühlt sich – etwa mit der Pflege ihres schwerkranken Ehemannes – überfordert und verzweifelt und reagiert echauffierend, tobend und hysterisch. Sie geriet mit ihrer Mieterin, der 74-jährigen Nebenklägerin B., in einen andauernden Konflikt, weil sie wahnbedingt glaubte, das Haus könne wegen der eingebrachten Möbel und Bücher der Nebenklägerin einstürzen. Im Zustand jeweils erheblich verminderter und möglicherweise aufgehobener Steuerungsfähigkeit versuchte die Beschuldigte, die Nebenklägerin mit einem Altpapiersack zu schlagen und erklärte bei anderer Gelegenheit ihr gegenüber, dass sie das Haus anzünden und sie ausräuchern werde; dies zog sie indes tatsächlich nicht in Erwägung. Diese Ankündigung wiederholte sie anlässlich eines Streits um den Zugang zu ihrer Weihnachtsdekoration, die sie in Kartons in einem nur durch die Wohnung der Mieterin zugänglichen Bodenraum lagerte. Nachdem die Nebenklägerin der Tochter der Beschuldigten den Zutritt gewährt und die Beschuldigte noch am selben Tag die leeren Kartons vor der Mietwohnung abgestellt hatte, öffnete die Nebenklägerin die Tür. Dies nutzte die Beschuldigte für den Versuch, einen auf dem Treppenabsatz abgestellten Tisch der Nebenklägerin in deren Wohnung zu schieben, worauf die Nebenklägerin „mit aller Kraft dagegen” hielt. Daraufhin schlug die Beschuldigte ihr über den Tisch hinweg mit einem Schlüsselbund, den sie in der Hand hielt, mehrfach in das Gesicht und schrie: „Ich hau dir auf die Schnauze, ich prügle dich tot, ich bringe dich um.”
Rz. 3
Das Landgericht hat diese Handlungen als versuchte Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB), Bedrohung in zwei Fällen (§ 241 Abs. 1 StGB) und gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2, § 241 Abs. 1, § 52 StGB) gewürdigt und die Voraussetzungen des § 63 StGB bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und dem anhaltenden krankhaften Zustand der Beschuldigten bestehe und infolgedessen weitere vergleichbare Taten zum Nachteil von Personen in ihrem sozialen Nahfeld zu erwarten seien. Von der beantragten Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer gleichwohl abgesehen, da die Maßregel zur Bedeutung der begangenen Taten sowie zu dem Grad der von der Beschuldigten ausgehenden Gefahr außer Verhältnis stehe (§ 62 StGB).
Rz. 4
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat den Antrag, die Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, im Ergebnis ohne Rechtsfehler abgelehnt.
Rz. 5
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist wegen ihrer unbestimmten und grundsätzlich unbefristeten Dauer eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 3 StR 407/15, NStZ 2016, 144 f.). Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, er werde infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169; jeweils mwN). Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243 f.; vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13, juris Rn. 5 mwN). Das Tatgericht muss die die Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13 juris, Rn. 5).
Rz. 6
Nach dem für alle Maßregeln zu beachtenden und in § 62 StGB hervorgehobenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 62 Rn. 4, 5 mwN) sind darüber hinaus die Geeignetheit der Maßnahme, deren Erforderlichkeit und ihre Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) als Anordnungsvoraussetzungen zu prüfen. Während die Eignung zur Förderung des Sicherungszwecks regelmäßig naheliegt (vgl. SSW-StGB/ Kaspar, 4. Aufl., § 62 Rn. 4) und allenfalls in besonderen Konstellationen der Erörterung bedarf, ist hinsichtlich der Erforderlichkeit der Maßregel stets zu beachten, dass lediglich in dem zur Zweckerreichung nötigen Maße in Rechtsgüter des Betroffenen eingegriffen werden darf und die Unterbringung nur dann in Betracht kommt, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichend zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit gemäß § 62 StGB ist daher in der Regel die Überlegung geboten, ob der Gefährlichkeit des Täters ausreichend durch außerstrafrechtliche Sicherungssysteme – etwa die hier angeordnete zeitweise Betreuung unter anderem für den Bereich der Aufenthaltsbestimmung – begegnet werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 StR 590/14, juris Rn. 5). Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn bestimmt § 62 StGB, dass die Unterbringung nicht angeordnet werden darf, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen oder zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Dabei sind die in der Vorschrift genannten Kriterien in einer Gesamtbetrachtung zusammenfassend zu würdigen und zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs in Beziehung zu setzen (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 1971 – 2 StR 82/71, BGHSt 24, 134, 135 f.; vom 6. Juni 2001 – 2 StR 136/01, NJW 2001, 3560, 3562; LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 62 Rn. 17 ff. zu den einzelnen Bezugspunkten der Prüfung mwN).
Rz. 7
b) Das Landgericht hat die dargelegten Maßstäbe erkannt und ohne durchgreifenden Rechtsfehler angewendet; als Ergebnis seiner im Urteil nachvollziehbar dargelegten Gesamtwürdigung hat es die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als unverhältnismäßig abgelehnt. Dabei ist es angesichts des hohen Lebensalters der gebrechlichen Beschuldigten und ihrer Lebenssituation, die durch die Pflege ihres schwerkranken Ehemannes geprägt wird, davon ausgegangen, dass die Maßregelanordnung im konkreten Fall einen besonders schwerwiegenden Eingriff darstellt. Andererseits hat die Strafkammer bedacht, dass die Erheblichkeitsschwelle bei den begangenen Taten „zumindest nicht deutlich überschritten” war, es sich in zwei Fällen nur um Bedrohungen handelte, die die Beschuldigte nicht wahrmachen wollte, sie bei dem Schlag mit dem Altpapiersack keine erheblichen Verletzungen hätte verursachen können und durch die Schläge mit dem Schlüsselbund – der gewichtigsten Tat – das Werkzeug nicht planvoll einsetzte und keine erheblichen Verletzungen verursachte. Den zu erwartenden Taten hat die Strafkammer – dem Zweck der Maßregel entsprechend – eine größere Bedeutung als den Anlasstaten zukommen lassen und bedacht, dass „von der zierlichen und lebensalten Beschuldigten eher keine Aggressionsdelikte mit erheblichen körperlichen Schäden für potentielle künftige Opfer zu erwarten sind”. Hinsichtlich des Grades der von der Beschuldigten ausgehenden Gefahr hat das Landgericht in seine Erwägungen eingestellt, dass die Beschuldigte seit den verfahrensgegenständlichen Taten Ende 2017 keine weiteren Straftaten mehr begangen hat und im Einklang mit den Feststellungen der psychiatrischen Sachverständigen seither eine deutliche Abnahme der affektiven Erregung der Beschuldigten feststellbar ist. In der wertenden Gesamtschau ist es davon ausgegangen, dass die Unterbringung nach § 63 StGB einen unverhältnismäßigen Eingriff darstellen würde.
Rz. 8
c) Diese Würdigung des Landgerichts ist weder lückenhaft oder widersprüchlich, noch hat es die für eine Maßregelanordnung sprechenden Umstände rechtsfehlerhaft bewertet. Der mit den Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage erhobene Einwand, die Strafkammer habe die Möglichkeit der Bewährungsaussetzung gemäß § 67b StGB nicht erörtert, übersieht, dass die dargestellten rechtlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Anordnung der Maßregel uneingeschränkt auch dann gelten, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243 f.). Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 63 StGB besteht kein Anlass, dem Gericht vor dem vollständigen Absehen von der Maßregel wegen Unverhältnismäßigkeit eine Pflicht zur Prüfung der Frage aufzuerlegen, ob eine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung in Betracht kommt, die das Gewicht des Grundrechtseingriffs reduzieren und deshalb zur Bejahung der Verhältnismäßigkeit führen könnte. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall, in dem die Beschuldigte nach den Urteilsfeststellungen keine Krankheitseinsicht zeigt, ein Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, was wiederum zur Folge hätte, dass im Ergebnis eine ersichtlich unverhältnismäßige Maßregel zu vollstrecken wäre.
Rz. 9
Die von der Nebenklage angeführte Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 20. Juli 2010 – 4 StR 291/10, NStZ 2010, 692 f.; vgl. auch SSW-StGB/Kaspar, 4. Aufl., § 62 Rn. 31) gibt keinen Anlass zu abweichender Beurteilung; sie bezog sich auf einen Fall der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB, nicht aber auf die hier in Rede stehende Maßregel des § 63 StGB. Wie aufgezeigt könnte die Berücksichtigung der Aussetzungsmöglichkeit nach § 67b StGB schon im Rahmen der Anordnungsentscheidung dazu führen, eine an sich unverhältnismäßige Maßregel anzuordnen. Dies liefe dem Zweck der Verhältnismäßigkeitsprüfung – der Begrenzung des Grundrechtseingriffes auf Fälle eines überwiegenden Allgemeininteresses – zuwider.
Rz. 10
d) Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft die Gewichtung einzelner prognostisch bedeutsamer Indizien bemängelt, ersetzt sie lediglich die dem Tatgericht vorbehaltenen Wertungen durch eigene, ohne einen Rechtsfehler aufzuzeigen.
Rz. 11
3. Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die beiden Revisionen verursachten notwendigen Auslagen der Beschuldigten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146, 147).
Unterschriften
Schäfer, RiBGH Gericke befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer, Wimmer, Berg, Hoch
Fundstellen
Haufe-Index 13299201 |
NStZ-RR 2019, 305 |
StV 2021, 237 |