Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungspflicht von Umschulungskosten des Verletzten aufgrund eines Verkehrsunfalls
Leitsatz (amtlich)
- Der Schädiger kann von ihm zu ersetzende Kosten einer beruflichen Umschulung des Verletzten (hier: vom Kfz-Mechaniker zum Zahntechniker) nicht unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung um den Mehrverdienst kürzen, den der Verletzte in seinem neuen Beruf erzielen wird.
- Ist ein Verletzter, dessen Umschulung zu einem seiner bisherigen Tätigkeit gleichwertigen Beruf möglich und ihm zumutbar war, auf seinen Wunsch für eine höher qualifizierte Arbeit ausgebildet worden, so hat der Schädiger die Umschulungskosten grundsätzlich nur in dem Umfang zu ersetzen, in dem sie auch bei der Ausbildung zu einem gleichwertigen Beruf angefallen wären.
Normenkette
StVG §§ 7, 17-18; BGB § 823; PflVG § 3; RVO § 1237a Abs. 2 S. 3
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. Juni 1986 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 63.000 DM nebst 4% Zinsen seit dem 15. April 1982 abgewiesen worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Am 4. März 1976 verursachte der Beklagte zu 4) mit einem Lastzug des Beklagten zu 1) einen Verkehrsunfall, durch den der bei der klagenden LVA versicherte 24-jährige Kfz-Mechaniker Erwin H. verletzt wurde. Die Klägerin erbrachte Aufwendungen zur beruflichen Rehabilitation ihres Versicherten in Form einer Umschulung zum Zahntechniker, die sie unter Einräumung seiner Mitverantwortung für den Unfall von dem Fahrer und dem Halter des Lastzuges sowie von den Beklagten zu 2) und 3) als deren Haftpflichtversicherern zu 75% ersetzt verlangt.
Das Landgericht hat der auf Zahlung von 109.415,23 DM gerichteten Klage bis auf einen Teil der verlangten Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat unter anteiliger Anrechnung des von Erwin H. in seinem neuen Beruf bis zum Jahre 2016 zu erzielenden Mehrverdienstes der Klägerin lediglich 39.667,08 DM samt Zinsen zugesprochen.
Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Erhöhung der Urteilssumme um 63.000 DM nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht mit dem Landgericht davon aus, daß die Klägerin aus übergegangenem Recht (§ 1542 RVO) des Erwin H. gemäß §§ 7, 17 und 18 StVG, § 823 BGB sowie § 3 PflVG von den Beklagten 75% der von ihr aufgewendeten Umschulungskosten ersetzt verlangen könne. Aufgrund des Verkehrsunfalls seien Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation des Verletzten angebracht gewesen. Zwar habe seine Wiedereingliederung in das berufliche und gesellschaftliche Leben keine Ausbildung für den höher qualifizierten Beruf des Zahntechnikers erfordert. Dies führe aber nicht dazu, daß eine Erstattung der Aufwendungen der Klägerin völlig ausscheide oder von den Beklagten nur diejenigen Kosten zu ersetzen seien, die für die Umschulung zu dem einem Kfz-Mechaniker gleichwertigen Beruf hätten ausgegeben werden müssen. Vielmehr habe im Wege der Vorteilsausgleichung eine Verrechnung der in dem neuen Beruf zu erzielenden höheren Einkünfte mit den Leistungen der Klägerin zu erfolgen. Von dem auf 84.000 DM zu schätzenden Mehrverdienst, den Erwin H. bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres erzielen werde, sei auf der Grundlage einer Haftungsquote der Beklagten von 75% ein Betrag von 63.000 DM auf die nachgewiesenen Umschulungskosten von 102.667,08 DM anzurechnen, so daß die Klägerin von den Beklagten nur noch 39.667,08 DM verlangen könne.
II.
Diese Schadensberechnung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.
Von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen und aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden ist die Ausgangserwägung der Berufungsrichter, daß die Beklagten der Klägerin 75% der Aufwendungen zu ersetzen haben, die zur beruflichen Rehabilitation des Erwin H. erforderlich waren.
a)
Die vom Berufungsgericht aufgrund einer Abwägung der beiderseitigen Unfallursachen entsprechend dem Klagebegehren auf 75% bemessene Haftungsquote der Beklagten ist nicht von Rechtsfehlern beeinflußt; auch die Revisionserwiderung hat insoweit nichts zu erinnern.
b)
Mit Recht geht das Berufungsgericht weiter davon aus, daß bei einer Körperverletzung des Geschädigten die Ersatzpflicht des Schädigers grundsätzlich auch die Kosten einer Umschulung umfaßt, die bei verständiger Beurteilung der Erfolgsaussichten und ihres Verhältnisses zu den ohne solche Maßnahme zu erwartenden Einbußen des Verletzten, insbesondere zur Abwendung eines Verdienstausfallschadens, objektiv sinnvoll erscheint. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteile vom 4. Mai 1982 - VI ZR 175/80 - VersR 1982, 767, 768 f und vom 25. Mai 1982 - VI ZR 203/80 - VersR 1982, 791, 792 - insoweit nicht in BGHZ 84, 151).
c)
Der mit der Revision weiterverfolgte Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihr nicht bereits zugesprochener Umschulungskosten scheitert auch nicht daran, daß, wie die Revisionserwiderung meint, eine Umschulung des Erwin H. zu seiner Wiedereingliederung in das berufliche und gesellschaftliche Leben überhaupt nicht erforderlich gewesen wäre. Zwar hatte er nach dem Verkehrsunfall im März 1976 von September 1976 bis März 1979 seine Tätigkeit bei seinem damaligen Arbeitgeber zunächst fortgesetzt. Ohne Rechtsverstoß ist aber das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, es hätten seinerzeit konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, daß Erwin H. aufgrund seiner bei dem Unfall erlittenen schweren Beinverletzungen auf längere Sicht in der Ausübung der Tätigkeit eines Kfz-Mechanikers erheblich behindert sein werde, während ihm die Umschulung in einen anderen Beruf, bei dem er seine Beine weitgehend entlasten konnte, die Möglichkeit bot, seinen Platz im beruflichen Leben auch in Zukunft uneingeschränkt zu behaupten. So hatte insbesondere der gerichtliche Sachverständige Dr. B. in seinem schriftlichen Gutachten und bei dessen mündlicher Erläuterung ausgeführt, die Umschulung des Erwin H. in einen Beruf, der ohne körperliche Belastung überwiegend im Sitzen ausgeübt werden konnte, sei auch noch im März 1979 aus medizinischen Gründen und zur psychologischen Stützung des Verletzten sinnvoll gewesen; er (der Sachverständige) hätte damals trotz der seit dem Unfall bereits verstrichenen Zeit zur Umschulung geraten, da es bei weiterer Tätigkeit des Verletzten als Kfz-Mechaniker über einen längeren Zeitraum hinweg zu großen Schwierigkeiten gekommen wäre. Auf dieser Grundlage konnte das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO feststellen, daß die Voraussetzungen für eine Umschulung im Zeitpunkt ihrer Einleitung auch unter schadensrechtlichen Gesichtspunkten gegeben waren.
2.
Den Angriffen der Revision nicht stand hält aber die Ansicht der Berufungsrichter, die der Klägerin von den Beklagten zu erstattenden Umschulungskosten seien im Wege der Vorteilsausgleichung um denjenigen Betrag zu kürzen, den Erwin H. in seinem neuen Beruf bis zu seinem 65. Lebensjahr mehr verdienen werde als bei Fortsetzung seiner früheren beruflichen Tätigkeit.
a)
Die im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätze der Vorteilsausgleichung beruhen auf dem Gedanken, daß sich der Geschädigte - jedenfalls in gewissem Umfang - diejenigen Vorteile anrechnen lassen muß, die mit dem Schadensereignis "korrespondieren", d.h. die ihm im Zusammenhang mit diesem Ereignis in einer Weise zugeflossen sind, daß ihre Anrechnung nach dem Sinn des Schadensersatzrechts mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt; die Anrechnung muß dem Geschädigten unter Berücksichtigung der gesamten Interessenlage nach Treu und Glauben zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unangemessen entlasten (vgl. BGHZ 10, 107, 108; 30, 29, 31 ff; 91, 206, 209 f und 91, 357, 363 f). Dieser Zweck eines gerechten Interessenausgleichs verbietet es im Streitfall, die von der Klägerin aufgewendeten Umschulungskosten um den von Erwin H. in seinem neuen Beruf erzielten Mehrverdienst zu kürzen. Zwar ist der Umstand, daß der Geschädigte jetzt ein höheres Arbeitsentgelt bezieht, bei rein kausaler Sicht auf den Verkehrsunfall zurückzuführen, da es ohne diesen nicht zu der Umschulung gekommen wäre. Bei der für die Frage der Vorteilsausgleichung maßgeblichen wertenden Betrachtung ist jedoch zu beachten, daß nicht das Unfallereignis, sondern allein die von Erwin H. jetzt als Zahntechniker geleistete höherwertige Arbeit den Grund für seinen Mehrverdienst bildet. Dem steht auch nicht entgegen, daß, wie das Berufungsgericht meint, der Beruf des Kfz-Mechanikers einen annähernd gleichhohen Arbeitseinsatz und eine verantwortungsvolle technische Feinarbeit erfordere, wobei den Mechaniker gegenüber dem Zahntechniker sogar eine erheblich anstrengendere körperliche Tätigkeit treffe. Denn nicht diese vergleichende Sicht des Gerichts, sondern die Regeln des Arbeitsmarktes entscheiden über die Einstufung einer Arbeit und ihre Bezahlung. Beruht aber hiernach der Mehrverdienst des Erwin H. allein auf seiner als höherwertig angesehenen Tätigkeit als Zahntechniker, so kommt eine Vorteilsausgleichung als für ihn unzumutbar nicht in Betracht.
An diesem Ergebnis vermag auch die den Geschädigten grundsätzlich treffende Pflicht zur Kleinhaltung des Schadens (§ 254 Abs. 2 BGB) nichts zu ändern. Auch sie gebietet es Erwin H. gegenüber den Beklagten nicht, eine qualifiziertere Arbeitsleistung als vor dem Unfall mit höherem Verdienst zu erbringen; denn kein Schadensersatzgläubiger ist gehalten, durch auf diese Weise erzielten Mehrverdienst seinen Schuldner von der Schadensersatzpflicht zu entlasten.
Deshalb gilt für den höheren Verdienst des Erwin H. als Zahntechniker im Ergebnis dasselbe, was das Berufungsgericht für die weitere Steigerung seines Einkommens durch den Aufstieg zum Laborleiter ausführt: Die Einkommensverbesserung wird durch besonderen persönlichen Einsatz und qualifiziertere Arbeit verdient; sie ist leistungsbezogen und hat deshalb bei der Frage einer Vorteilsausgleichung außer Betracht zu bleiben. In dieser Weise hat der erkennende Senat auch bereits mit seinem Nichtannahmebeschluß vom 1. Februar 1983 in der Sache VI ZR 62/82 (VRS 65, 89) entschieden.
b)
Da somit eine Anrechnung des Mehrverdienstes schon dem Grunde nach ausscheidet, können die weiteren Bedenken gegen die Schadensberechnung des Berufungsgerichts dahinstehen, die sich daraus ergeben, daß nach dessen Ansicht die Pflicht der Beklagten zum Ersatz der Umschulungskosten bereits jetzt in Höhe von 63.000 DM endgültig entfallen ist, obwohl Erwin H. nach der Berechnung der Berufungsrichter einen Mehrverdienst in entsprechender Größenordnung erst bis zum Jahre 2016 erzielt haben wird und seine entsprechend lange berufliche Betätigung nicht gesichert erscheint.
3.
Daß es, wie dargelegt, an den Voraussetzungen für eine Vorteilsausgleichung fehlt, bedeutet indes noch nicht, daß der Klägerin die verlangten weiteren Umschulungskosten von 63.000 DM ohne weiteres zuzusprechen wären.
a)
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, hat der Schädiger dann, wenn, wie hier, eine Umschulung des Geschädigten objektiv sinnvoll und deshalb schadensrechtlich geboten ist, grundsätzlich nur diejenigen Kosten zu ersetzen, die für die Umschulung in einen seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit gleichwertigen Beruf aufzuwenden sind. Die sozialrechtliche Regelung des § 1237 a Abs. 2 Satz 3 RVO, daß Hilfen auch zum beruflichen Aufstieg erbracht werden können, hat im zivilen Haftungrecht keine Parallele. Zwar kann der vom Schädiger geschuldete Schadensersatz unter Umständen auch die Kosten einer Umschulung zu einem qualifizierteren Beruf umfassen; dies setzt jedoch voraus, daß auf andere Weise eine berufliche Wiedereingliederung des Verletzten nicht möglich ist (Senatsurteil vom 4. Mai 1982 = aaO).
Im Streitfall stellt das Berufungsgericht fest, daß die Umschulung des Erwin H. in den höher qualifizierten Beruf des Zahntechnikers zu seiner Wiedereingliederung in das berufliche und gesellschaftliche Leben nicht erforderlich gewesen sei, sondern nur einem Wunsch des Geschädigten entsprochen habe. Es wäre ihm durchaus auch die Ausbildung für einen der seiner bisherigen Tätigkeit als Kfz-Mechaniker sozial und in der Einkommensstruktur gleichwertigen Berufe des Radio- oder Fernsehtechnikers, Informationselektronikers, Fein- oder Elektromechanikers, Güte- oder Werkstoffprüfers möglich und zumutbar gewesen. Die Revision wendet sich zwar gegen diese Ausführungen zur fehlenden Erforderlichkeit der durchgeführten Umschulungsmaßnahme; sie greift aber die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Möglichkeit der Umschulung in andere Berufe nicht an. Auf dieser Grundlage kann jedoch den Beklagten nicht das Recht abgesprochen werden, die Erstattung der von der Klägerin aufgewendeten Umschulungskosten insoweit als nicht erforderlich zu verweigern, als sie über die Kosten einer Umschulung zu dem einem Kfz-Mechaniker gleichwertigen Beruf hinausgehen (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1982 = aaO; zum Mehrverdienst durch "soziale Aufwertung" siehe auch Senatsurteil vom 25. Mai 1982 = aaO). Damit erweist sich insoweit die auf Seite 23 des angefochtenen Urteils unter b) zwar angesprochene, dann aber vom Berufungsgericht rechtsfehlerhaft zu Gunsten der Vorteilsausgleichung abgelehnte Schadensberechnung im Ausgangspunkt als richtig.
b)
Über die Frage, welcher Betrag der von der Klägerin aufgewendeten Umschulungskosten hiernach von der Schadensersatzpflicht der Beklagten umfaßt wird, kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen vom erkennenden Senat nicht abschließend entschieden werden. So führt das Berufungsgericht zwar aus, daß die Ausbildung zu einem sozial gleichwertigen Beruf nach den Aufstellungen der Klägerin eine Ausbildungszeit von rund 18 Monaten benötigt hätte, während die Umschulung zum Zahntechniker 24 Monate erfordert habe. Ungeklärt ist jedoch bislang, ob dieser von der Klägerin angegebenen Zeitdifferenz zu folgen ist, wo und mit welchen Kosten - einschließlich Reisekostenaufwand - die Umschulung in einen solchen anderen Beruf hätte durchgeführt werden können und ob gar, wie der Sachbearbeiter A. der Klägerin als Zeuge bekundet hat, trotz dann kürzerer Ausbildungszeit dennoch ähnliche Kosten angefallen wären wie bei der Umschulung zum Zahntechniker. Dies alles bedarf noch der tatsächlichen Feststellung, bevor über die Höhe der von den Beklagten zu ersetzenden Umschulungskosten abschließend erkannt werden kann.
c)
Diese weitere Sachaufklärung erübrigt sich auch nicht deshalb, weil feststünde, daß Erwin H. bei nicht durch den Unfall gestörter beruflicher Weiterentwicklung durch Übernahme des Betriebes seines Schwiegervaters dieselben Einkünfte wie jetzt als Zahntechniker erzielt hätte, so daß die durchgeführte Umschulung aus diesem Grunde zur Abwendung eines entsprechenden Verdienstausfallschadens geboten gewesen wäre. Denn das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Unfallverletzungen einer Tätigkeit in diesem Betrieb entgegenstanden, und sich nicht davon überzeugen können, daß Erwin H. dort das behauptete hohe Einkommen erzielt hätte. Die Klägerin, die sich mit ihrer Revision auch gegen die dazu angestellten Berechnungen wendet, wird nach Wiedereröffnung der Verhandlung Gelegenheit haben, ihre Einwände dem Berufungsgericht vorzutragen.
III.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Steffen
Dr. Kullmann
Dr. Ankermann
Dr. Lepa
Bischoff
Fundstellen
Haufe-Index 1456029 |
NJW 1987, 2741 |