Leitsatz (amtlich)
›a) Wissenserklärungsvertreter, dessen Erklärungen dem Versicherungsnehmer zugerechnet werden, ist, wer vom Versicherungsnehmer mit der Erfüllung von dessen Obliegenheiten und zur Abgabe von Erklärungen anstelle des Versicherungsnehmers betraut worden ist.
b) Der Ehegatte ist als solcher kein Wissenserklärungsvertreter. Vielmehr ist auch bei Ehegatten erforderlich, daß der eine den anderen mit der Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Versicherer betraut hat.‹
Tatbestand
Der Kläger beansprucht aus einer im Jahre 1972 abgeschlossenen Unfallversicherung Leistungen wegen Invalidität. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen von 1961 (AUB 61) zugrunde.
Am 1. Oktober 1989 stürzte der Kläger in seinem Hause die Treppe hinunter und zog sich eine schwere Kopfverletzung zu. Er wurde zu 100% Invalide. Er verlangt von der Beklagten 276000 DM Invaliditätsentschädigung und 10.740 DM Krankentagegeld. Die Beklagte weigert sich zu zahlen mit der Begründung, der Versicherungsschutz sei nach § 3 Abs. 4 AUB 61 ausgeschlossen. Der Treppensturz sei auf Alkoholeinwirkung zurückzuführen. Des weiteren habe die Ehefrau des Klägers die Frage in der Schadensanzeige, ob der Verletzte vor dem Unfall vollständig gesund gewesen sei, unzutreffend bejaht. Der Kläger sei alkoholkrank gewesen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, die unzutreffende Erklärung seiner Ehefrau sei dem Kläger zuzurechnen. Auch deshalb sei sie nach §§ 6 Abs. 3 VVG, 15, 17 AUB von der Leistungspflicht befreit.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt er seine Zahlungsansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Klausel des § 3 Abs. 4 AUB 61 eingreift, wonach Unfälle infolge von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen - auch soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind - von der Versicherung ausgeschlossen sind. Es hat die Beklagte schon deshalb als von der Leistungspflicht befreit angesehen, weil die Ehefrau des Klägers in der Schadensanzeige vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe (§§ 6 Abs. 3, 34 VVG, §§ 15, 17 AUB 61). Dies müsse sich der Kläger zurechnen lassen, weil seine Ehefrau seine Wissenserklärungsvertreterin gewesen sei. Diese Begründung hält den Angriffen der Revision nicht stand.
I. 1. Allerdings kann der Revision nicht darin zugestimmt werden, daß die Ehefrau des Klägers die Frage, ob der Kläger vor dem Unfall vollständig gesund gewesen sei, zutreffend mit "ja" beantwortet habe, weil der Kläger im Zeitpunkt vor dem Unfall nicht mehr alkoholkrank gewesen sei. Das Berufungsgericht hat aus den Berichten des Hospitals ... in K. vom 3. Oktober 1988 und der Fachklinik ... vom 27. Februar 1989 rechtsfehlerfrei geschlossen, daß der Kläger alkoholkrank war. Da der Kläger noch am Tage vor dem Unfall Alkohol getrunken hatte, gab es für das Berufungsgericht keinen Anlaß anzunehmen, der Kläger sei etwa durch dauernde Abstinenz inzwischen von seiner Alkoholabhängigkeit geheilt.
2. Das Berufungsgericht hat aber aus der objektiv falschen Antwort geschlossen, daß die Ehefrau des Klägers auch subjektiv unrichtig geantwortet habe. Es führt aus, aufgrund der Feststellungen zu dem Gesundheitszustand des Klägers vor Oktober 1989 sei davon auszugehen, daß die Ehefrau die Alkoholkrankheit auch gekannt habe und sie "somit" die Auskunftspflicht vorsätzlich verletzt habe. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
Zwar muß der Versicherungsnehmer mangelndes Verschulden oder einen geringeren Verschuldensgrad als grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz beweisen, wenn feststeht, daß die Antwort objektiv falsch ist (vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 25. Aufl. § 6 Anm. 14 und die dort angef. Rspr.). Der Kläger hat dazu aber vorgetragen, seiner Ehefrau seien seine Alkoholprobleme wohl bekannt gewesen. Sie habe seinen zeitweise übermäßigen Alkoholgenuß jedoch nicht als Krankheit im medizinischen oder versicherungsrechtlichen Sinne verstanden und in der vorformulierten Frage als ihr bekannte Krankheiten nur organische oder körperliche angesehen. Trifft dies zu, könnte Vorsatz entfallen. Denn Vorsatz erfordert das Wollen der Obliegenheitsverletzung im Bewußtsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm (vgl. Prölss aaO Anm. 12 m.w.H.). Gegen eine vorsätzliche, vielleicht auch gegen eine grob fahrlässige Falschbeantwortung könnte auch sprechen, daß die Ehefrau des Klägers in der Schadensanzeige angegeben hatte, ihr Ehemann habe in den letzten 24 Stunden Alkohol getrunken. Das spricht nicht dafür, daß sie den Alkoholkonsum ihres Ehemannes der Beklagten gegenüber verheimlichen wollte. Der Kläger hat für seine Behauptung, seine Ehefrau habe die Frage, ob er vor dem Unfall vollständig gesund gewesen sei, nur auf organische und körperliche Krankheiten bezogen, Beweis durch ihre Vernehmung angetreten. Diesem Beweisangebot hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Schon dieser von der Revision gerügte Verfahrensfehler nötigt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
3. Gelingt es dem Kläger zu beweisen, daß seine Ehefrau die Frage, ob der Verletzte vor dem Unfall vollständig gesund gewesen sei, zwar nicht vorsätzlich falsch beantwortet hat, sollte aber grobe Fahrlässigkeit vorliegen, wird es gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG, § 17 AUB 61 darauf ankommen, ob die falsche Auskunft Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder auf die Feststellung zur Höhe der Leistung gehabt hat.
II. 1. Die Sache muß auch deshalb zurückverwiesen werden, weil das Berufungsgericht für seine Annahme, die Ehefrau des Klägers sei seine Wissenserklärungsvertreterin, keine Feststellungen getroffen hat.
a) Der Bundesgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß sich der Versicherungsnehmer falsche Angaben dritter Personen in entsprechender Anwendung des § 166 BGB zurechnen lassen muß, wenn er diese Personen zur Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit beauftragt hat (Urteile vom 19. Januar 1967 - II ZR 37/64 - VersR 1967, 343 unter VI; vom 30. April 1981 - IVa ZR 129/80 - VersR 1981, 948 unter III 2 b m.w.N. = NJW 1981, 1952). Bei dieser Haftung für einen Wissenserklärungsvertreter handelt es sich um keinen Anwendungsfall der Repräsentantenhaftung, sondern um eine Haftung kraft eigenen Zurechnungsgrundes (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1967 aaO). Wissenserklärungsvertreter ist nicht nur, wer vom Versicherungsnehmer zu dessen rechtsgeschäftlichem Vertreter bestellt ist. Es genügt, daß der Versicherungsnehmer den Dritten mit der Erfüllung seiner Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer betraut hat und daß der Dritte die Erklärungen anstelle des Versicherungsnehmers abgibt. Erst in der Übertragung bestimmter Aufgaben liegt - wenn zu ihnen die Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Versicherer gehören - der Grund, weshalb es gerechtfertigt ist, diese Erklärungen des Dritten dem Versicherungsnehmer zuzurechnen.
b) In seiner Entscheidung vom 10. Februar 1982 (IVa ZR 194/80 - VersR 1982, 463 unter II 2) hat der Bundesgerichtshof offengelassen, ob bei Bestehen einer ungestörten ehelichen Lebensgemeinschaft eine Befugnis des Ehegatten angenommen werden könne, den anderen bei Versicherungsangelegenheiten zu vertreten, die dessen eigene Ansprüche betreffen. In jenem Falle bedurfte es der Entscheidung nicht, weil bei Erstattung der Schadensanzeige bereits die Scheidungsklage erhoben war und schon deshalb eine analoge Anwendung des § 166 BGB nicht in Betracht kam. Nach dem oben unter II 1 a Gesagten kann aber auch bei intakter ehelicher Lebensgemeinschaft die Ehegattengemeinschaft allein nicht schon die Annahme begründen, der Ehegatte sei als solcher Wissenserklärungsvertreter. Auch bei Ehegatten ist für die Zurechnung der Erklärungen des einen erforderlich, daß der andere ihn mit der Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Versicherer betraut hat. Dazu sind konkrete Anhaltspunkte festzustellen. Die häusliche Gemeinschaft allein läßt nicht den Schluß zu, der Ehegatte solle berechtigt sein, für den Versicherungsnehmer Wissenserklärungen abzugeben. Aus § 1357 BGB ergibt sich nichts anderes. Allerdings kann der Versicherungsnehmer seinen Ehegatten schon vor dem Versicherungsfall generell damit betraut haben, für ihn nach Eintritt eines etwaigen Versicherungsfalls die notwendigen Angelegenheiten zu regeln und die erforderlichen Erklärungen abzugeben. Das kann sich konkludent aus den Umständen ergeben, etwa wenn der Ehegatte grundsätzlich befugt war, Angelegenheiten dieser Art zu regeln.
c) Der Kläger lag nach seinem Unfall vom 1. Oktober 1989 für längere Zeit in ständiger Bewußtlosigkeit im Krankenhaus. Es erscheint deshalb fraglich, ob er seine Ehefrau nach dem Unfall damit betraut hatte, für ihn die Versicherungsangelegenheiten zu regeln und die Erklärungen in der Schadensanzeige vom 14. Oktober 1989 abzugeben. Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Des weiteren fehlen Feststellungen dazu, ob der Kläger seine Ehefrau schon vor dem Unfall generell damit betraut hatte, Angelegenheiten vergleichbarer Art für ihn zu regeln. Das wäre denkbar, wenn die Ehefrau des Klägers z.B. in seinem Geschäft - der Kläger ist Kürschnermeister - mitgearbeitet hat. Aber auch der Ehegatte, der im Betrieb des Versicherungsnehmers mitarbeitet, ist nicht schon deshalb Wissenserklärungsvertreter, weil der Versicherungsnehmer seinem Ehegatten besonderes Vertrauen entgegenbringt. Wissenserklärungsvertreter ist der mitarbeitende Ehegatte nur dann, wenn dieses Vertrauen zu einer Tätigkeit und zu Befugnissen geführt hat, aus denen geschlossen werden kann, daß der Versicherungsnehmer seinen Ehegatten auch damit betraut hat, Erklärungen für ihn abzugeben. Das erscheint im vorliegenden Fall zweifelhaft, denn nach dem polizeilichen Vermerk vom 4. Oktober 1989 hatte sich die Ehefrau des Klägers vor dem Unfall um das Geschäft kaum gekümmert.
Soweit sich der Kläger zur Begründung seiner Klage auf die Einhaltung der Anzeigefrist beruft, liegt darin - entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht der Revisionserwiderung - keine Genehmigung der Erklärungen seiner Ehefrau über seine Vorerkrankungen.
Nach der Zurückverweisung der Sache haben die Parteien Gelegenheit zu der Frage vorzutragen, ob die Ehefrau des Klägers mit der Abgabe der Erklärungen gegenüber der Beklagten betraut war.
2. Falls es nach der erneuten Verhandlung darauf ankommen sollte, ob die Beklagte nach § 3 Abs. 4 AUB 61 nicht zu leisten braucht, ist im Hinblick auf das landgerichtliche Urteil darauf hinzuweisen, daß bislang nicht feststeht, ob und gegebenenfalls wieviel Alkohol der Kläger zur Zeit des Unfalls zu sich genommen hatte. Zwar hat die Ehefrau des Klägers nach dem Protokoll vom 5. Oktober 1989 vor der Polizei geäußert, der Kläger müsse während ihrer Abwesenheit die Wohnung verlassen haben, er habe sich in dieser Zeit "wahrscheinlich" neuen Alkohol besorgt. Diese Erklärungen beruhen erkennbar lediglich auf Vermutungen. Nach dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers haben seine Ehefrau und Tochter nach dem Unfall keine leeren Flaschen oder Alkoholreste gefunden. Bei seiner Aufnahme in das Krankenhaus sahen sich die Ärzte auch nicht veranlaßt, dem Kläger eine Blutprobe zu entnehmen.
Aber auch wenn der Kläger vor dem Sturz Alkohol zu sich genommen haben sollte, wird zu beachten sein, daß die Feststellung der Bewußtseinsstörung im Sinne von § 3 Nr. 4 AUB 61 nicht denselben Regeln unterliegt, wie sie bei Unfällen im Straßenverkehr und den dazu entwickelten Promillegrenzen angewendet werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1982 - IVa ZR 194/80 aaO unter I 1). Nicht jede Beeinträchtigung durch Alkohol, die zu einem Unfall führt, den ein Nüchterner vermieden hätte, schließt den Versicherungsschutz aus (Senatsurteil vom 10. Oktober 1990 - IV ZR 231/89 - VersR 1990, 1343 unter II 1).
Fundstellen
Haufe-Index 2993204 |
BGHZ 122, 388 |
BGHZ, 388 |
NJW 1993, 2112 |
BGHR VVG § 6 Wissenserklärungsvertreter 1 |
FamRZ 1993, 1302 |
MDR 1993, 737 |
VersR 1993, 960 |