Leitsatz (amtlich)
Die wirtschaftliche Freiheit eines aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die einen rein ideellen Zweck verfolgt, ausgeschiedenen Gesellschafters wird durch den Ausschluß oder die weitgehende Beschränkung einer Abfindung nicht beeinträchtigt.
Normenkette
BGB § 738 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 26.02.1996) |
LG Berlin |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. Februar 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger begehren die Feststellung, daß bestimmte Regelungen des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft bürgerlichen Rechts „R. straße 16” unwirksam seien.
Diese Gesellschaft wurde im September 1983 gegründet. Die Gesellschafter hatten sich zum Ziel gesetzt, gemeinschaftlich und alternativ zu wohnen, und bewarben sich bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen und deren treuhänderischer Beratungsgesellschaft um eine Aufnahme in das bauliche Selbsthilfeprogramm. Mit notariellem Kaufvertrag vom 29. September 1983 erwarben sie das verrottete und teilweise unbewohnte Anwesen R. straße 16 in B. K. für 170.000,– DM. Am 30. Juli 1984 schlossen die Gesellschafter mit dem Land B. einen „Modernisierungsvertrag”, der u.a. festlegt, daß sie das Anwesen selber verwalten, für die Dauer von 15 Jahren die Mietpreise gebunden sind, bei einem eventuellen Verkauf die Zustimmung der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen erforderlich ist und beim Kaufpreis die öffentliche Förderung nicht berücksichtigt werden darf. Am 31. Juli 1984 wurden 11 Personen als (Mit-)Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Bei den Bauarbeiten entstanden Kosten in Höhe von 1.803.000,– DM; davon wurde der wesentliche Teil durch Fördermittel aufgebracht. Die Kläger behaupten, das Anwesen sei derzeit etwa 3 Mio. DM wert.
Der Gesellschaftsvertrag vom 28. März 1984 in der Fassung vom 14. Juni 1988 legt fest, daß es nicht Zweck der Gesellschaft ist, Gewinn zu erzielen, „sondern den Gesellschaftern und ihren Kindern bessere Lebensverhältnisse zu schaffen” (§ 2). Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 hat jeder Gesellschafter bei Eintritt in die Gesellschaft 6.000,– DM als Einlage zu zahlen. Der ausscheidende Gesellschafter erhält eine Abfindung in Höhe seiner Einlage; er verzichtet zugunsten der Gesellschaft auf eventuelle Mehransprüche, die sich aus dem Wert seines Gesellschaftsanteils ergeben können (§ 6 Abs. 1).
Die Kläger beantragen festzustellen, daß § 4 und § 6 des Gesellschaftsvertrages vom 28. März 1984 in der Fassung vom 14. Juni 1988 unwirksam seien. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Kammergericht die angegriffenen Gesellschaftsvertragsbestimmungen für teilweise unwirksam erklärt und sie insoweit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung neu gefaßt. Hiergegen wendet sich die Revision der Beklagten. Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Gesellschaft bürgerlichen Rechts „R. straße 16” keinen wirtschaftlichen, sondern einen ideellen Zweck verfolgt. Sie wurde im Rahmen eines baulichen Selbsthilfeprogramms des B. Senats gegründet. Ziele dieses Programms waren insbesondere eine behutsame Stadterneuerung, die Bindung aktiver Bevölkerungsgruppen an die Stadt, die Entwicklung neuer Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens, die soziale Stabilisierung in Altbaugebieten sowie die Integration unterschiedlicher Gruppen in die Gesellschaft. Diese Ziele greift § 2 des Gesellschaftsvertrages auf, indem er festlegt, Zweck der Gesellschaft sei es nicht, Gewinn zu erzielen, sondern den Gesellschaftern und ihren Kindern bessere Lebensverhältnisse zu verschaffen.
Soweit das Berufungsgericht ausführt, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei als Rechtsform nicht geeignet, ideellen Zielsetzungen zu dienen, kann ihm allerdings nicht zugestimmt werden. Es ist völlig unstreitig, daß jeder erlaubte – also auch ein ideeller – Zweck Gegenstand einer solchen Gesellschaft sein kann (vgl. nur Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 59 I, S. 1737 ff.; vgl. MünchKomm.-Ulmer, BGB, 2. Aufl., § 705 Rdn. 111; Soergel-Hadding, BGB, 11. Aufl., § 705 Rdn. 35).
II. Das Berufungsgericht hält § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages wegen des inzwischen eingetretenen großen Abstandes zwischen dem Buchwert und dem tatsächlichen Anteilswert für sittenwidrig und gleichzeitig für eine unzulässige indirekte Beschränkung des Kündigungsrechts nach § 723 Abs. 3 BGB. Diese Bewertung der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen greift die Revision mit Erfolg an. Die von dem Berufungsgericht herangezogene Senatsrechtsprechung ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
1. Der Senat billigt in ständiger Rechtsprechung dem ausgeschiedenen Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts grundsätzlich einen Abfindungsanspruch zu. Im Hinblick auf den dispositiven Charakter des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB und die dadurch anzutreffende Vielfalt gesellschaftsvertraglicher Abfindungsbestimmungen unterwirft er dabei den Inhalt und die Schranken solcher Abfindungsbestimmungen einer eingehenden Prüfung (vgl. dazu BGHZ 126, 226, 239 ff.; 116, 359, 368 ff.; Sen.Urt. v. 24. Mai 1993 – II ZR 36/92, WM 1993, 1412, 1413; v. 20. September 1993 – II ZR 104/92, WM 1993, 2008, 2009; vgl. ferner die Zusammenfassung bei Dauner-Lieb, ZHR 158, 271, 274 ff.). Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen läßt er den gesellschaftsvertraglichen Ausschluß des Abfindungsanspruches oder dessen erhebliche vertragliche Beschränkung zu (vgl. BGHZ 22, 186, 194 ff.; Sen.Urt. v. 20. Dezember 1965 – II ZR 145/64, WM 1966, 367, 368 – Ausschluß der Gesellschafter-Erben; vgl. ferner BGH, Urt. v. 14. Juli 1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338 f.; v. 14. Mai 1986 – IVa ZR 155/84, WM 1986, 832, 835; vgl. auch Schlegelberger/K. Schmidt, HGB, 5. Aufl., § 138 Rdn. 66; Brückner, Die Kontrolle von Abfindungsklauseln in Personengesellschafts- und GmbH-Verträgen, 1995, S 37 f., 125 ff.).
2. Voraussetzung für die Anwendung dieser Rechtsprechung ist stets, daß die betreffende Gesellschaft wirtschaftlich tätig, insbesondere auf den Betrieb eines (nichtkaufmännischen) Erwerbsgeschäfts gerichtet ist. Deshalb liegt nach herrschender Lehre eine weitere Ausnahme vor, wenn die Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach ihrem Gesellschaftsvertrag einen rein ideellen Zweck verfolgt (vgl. Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 34 Rdn. 98; MünchKomm.-Ulmer, BGB, 2. Aufl., § 738 Rdn. 42; Flume, Die Personengesellschaft, 1977, S. 178, 180 f.; Heymann/Emmerich, HGB, 2. Aufl., § 138 Rdn. 43; Grosser, Direktiven der Unternehmensthesaurierung bei der Auseinandersetzung von Personengesellschaften nach deutschem und österreichischem Recht, 1987, S. 59; Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1911, S. 177; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 338 ff.; Sanfleber, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1990, S. 139; Spliedt, Die Kündigungs- und Abfindungsrechte des Personengesellschafters und die Zulässigkeit ihrer Beschränkungen durch gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen – zugleich ein Beitrag zum Minderheitenschutz, 1980, S. 272; Brückner aaO, S. 124). Dem ist zuzustimmen. Die Beteiligung an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit ideeller Zielsetzung beruht regelmäßig auf altruistischen Vorstellungen; der Vermehrung des eigenen Vermögens dient sie nicht. Die Gesellschafter haben der Sache nach die Stellung von Treuhändern, die zur uneigennützigen Verwendung des ideellen Zwecken gewidmeten (Gesamthands-)Vermögens berufen sind (so auch Hachenburg/Ulmer aaO). Eine ihnen persönlich zukommende Abfindung läßt sich damit schwerlich vereinbaren. Daraus folgt, daß die wirtschaftliche Freiheit des Ausgeschiedenen durch den Ausschluß einer Abfindung oder eine Beschränkung auf die Rückzahlung der Einlage nicht beeinträchtigt wird.
III. Damit ist der ergänzenden Vertragsauslegung, so wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, der Boden entzogen. § 4 Abs. 3 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesellschaftsvertrages sind nicht sittenwidrig und beeinträchtigen auch nicht das Kündigungsrecht nach § 723 Abs. 3 BGB.
1. Gleichwohl scheidet die Notwendigkeit, den Gesellschaftsvertrag – notfalls im Wege der ergänzenden Auslegung – den sich möglicherweise verändernden Umständen anzupassen, nicht von vornherein aus. Zutreffend führt das Berufungsgericht aus, da der Gesellschaftsvertrag (§§ 5, 8) keinen Zwang zur Aufnahme eines neuen Gesellschafters vorsehe, wenn ein alter Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet, und für den Fall des Todes eines Gesellschafters keine Nachfolge durch seinen Erben anordne, könne es dazu kommen, daß nach der Auszahlung der geringen Einlagen ein Alleingesellschafter verbleibe, dem das gesamte Gesellschaftsvermögen von beträchtlichem Wert zufalle. Auch wenn eine solche Entwicklung im vorliegenden Fall in weiter Ferne liegt – dies zeigt schon die seit der Gründung der Gesellschaft gestiegene Anzahl von Gesellschaftern –, so könnte in diesem Punkt doch ein Bedarf bestehen, auch diese bisher eher theoretische Möglichkeit durch Änderung des Gesellschaftsvertrages oder im Wege der ergänzenden Auslegung zu erfassen. Kommt es zu einer ergänzenden Vertragsauslegung, ist zu prüfen, ob die Parteien, wenn sie bei Vertragsschluß die spätere Entwicklung (oder Entwicklungsmöglichkeit) der Verhältnisse in Betracht gezogen hätten, es bei der vereinbarten Regelung belassen oder ob sie bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen als redliche Vertragspartner jener Entwicklung durch eine entsprechende vertragliche Bestimmung Rechnung getragen hätten. Führt eine solche Prüfung zu dem Ergebnis, daß letzteres zu bejahen ist, dann steht nicht nur fest, daß der Vertrag insoweit eine Lücke aufweist, sondern es ergibt sich daraus in aller Regel gleichzeitig auch, wie diese Lücke auszufüllen ist. Ein Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht kommt nur als letzter Notbehelf in Betracht. Soweit irgend möglich, sind Lücken von Gesellschaftsverträgen im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, daß die Grundzüge des konkreten Vertrages „zu Ende gedacht” werden. Dabei sind gewiß in erster Linie Anhaltspunkte heranzuziehen, die sich dem übrigen Vertragsinhalt und den sonstigen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen Umständen entnehmen und die auf den tatsächlichen Willen der Parteien schließen lassen. Hierauf ist die Ermittlung des für die ergänzende Auslegung maßgebenden hypothetischen Parteienwillens nicht beschränkt; dieser ist vielmehr unter Einbeziehung einer objektiven Abwägung der beiderseitigen Interessen zu ermitteln (vgl. BGHZ 123, 281, 285 f. m.w.N.).
2. Sind die Voraussetzungen für eine ergänzende Auslegung des Gesellschaftsvertrages gegeben, so könnte diese so vorgenommen werden, daß dann, wenn die Fördermittel nicht mehr zurückgefordert werden können und die Gesellschaftsmittel in einer Hand vereint sind, § 6 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrages („Nur bei Auflösung und Verkauf des Gesellschaftsvermögens erhält jeder der dann existierenden Gesellschafter den der Zahl der Gesellschafter entsprechenden Bruchteil des Erlöses”) entsprechend ergänzt wird. Dabei müßten die schon ausgeschiedenen Gesellschafter eine angemessene Berücksichtigung finden. Ein Vorschlag, der in diese Richtung ging, wurde der Gesellschafterversammlung vom 17. Juni 1993 unterbreitet. Er hatte zum Inhalt, den Gesellschaftsvertrag dahin abzuändern, daß bei Auflösung und Verkauf des Gesellschaftsvermögens jeder (auch ehemalige) Gesellschafter einen entsprechenden Anteil am Erlös erhalten sollte. Dieser vernünftige, auf eine (Teil-)Absicherung im Sinne des klägerischen Begehrens gerichtete Vorschlag wurde jedoch nicht beschlossen. Er bedürfte hinsichtlich eines etwaigen Alleingesellschafters auch noch der Ergänzung.
Denkbar wäre auch eine ergänzende Vertragsauslegung, welche die verbleibenden Gesellschafter verpflichtet, für den ausgeschiedenen Gesellschafter einen Nachfolger zu suchen, um so der Gefahr vorzubeugen, daß sich die Gesellschaftsanteile in einer Hand vereinen.
IV. Um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die noch fehlenden Feststellungen zu treffen, und um den Parteien einen etwaigen ergänzenden Sachvortrag zu ermöglichen, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Röhricht, Dr. Hesselberger, Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Kraemer
Fundstellen
BGHZ |
BGHZ, 387 |
HFR 1998, 227 |
NJW 1997, 2592 |
BGHR |
NZG 1998, 25 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1997, 1453 |
DNotZ 1998, 902 |
JA 1998, 89 |
JZ 1997, 1064 |
MDR 1997, 955 |