Leitsatz (amtlich)
Ein Juwelier, der Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrages entgegennimmt, kann nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung verpflichtet sein, über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub aufzuklären, wenn eine solche Versicherung branchenüblich ist.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 241 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 07.04.2015; Aktenzeichen 5 S 71/14) |
AG Winsen/Luhe (Urteil vom 30.09.2014; Aktenzeichen 20 C 1350/13) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 7.4.2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.
Rz. 2
Die Beklagte betreibt ein Juweliergeschäft. Im Februar 2012 übergab die Ehefrau des Klägers der Beklagten in deren Geschäftsräumen diverse im Eigentum des Klägers stehende Schmuckstücke mit der Intention, diese reparieren zu lassen (ein Goldarmband) bzw. der Beklagten zu verkaufen (zwei Ohrringe, zwei Armbänder, zwei Halsketten sowie eine Brosche).
Rz. 3
Anlässlich eines Raubüberfalls am 23.2.2012 auf das Geschäft der Beklagten wurden u.a. die Schmuckstücke des Klägers entwendet. Die Beklagte war insoweit nicht versichert, worauf sie in dem Gespräch mit der Ehefrau des Klägers vor Überlassung der Schmuckstücke nicht hingewiesen hatte.
Rz. 4
Der Wert der übergebenen Schmuckstücke ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte erachtet den vom Kläger angesetzten Betrag von 2.930 EUR für übersetzt und geht von einem Wert i.H.v. 200 bis 300 EUR aus. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz für die geraubten Schmuckstücke unter Berufung darauf, dass er die Schmuckstücke nicht bei der Beklagten belassen hätte, wenn er von dem fehlenden Versicherungsschutz gewusst hätte.
Rz. 5
Das AG hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.930 EUR nebst Zinsen zu zahlen und ihn von Rechtsverfolgungskosten freizustellen.
Rz. 6
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des AG dahingehend abgeändert, dass es die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, aus, ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht bestehe nicht. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie hinsichtlich der ihr übergebenen Schmuckstücke das Verlustrisiko durch Diebstahl oder Raub nicht durch Versicherungen abgedeckt habe. Zwar treffe es zu, dass eine Rechtspflicht zur Aufklärung über bestimmte Umstände auch ohne Nachfrage bestehe, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten darf, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Vorliegend seien jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es für die Willensbildung des Klägers offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung war, dass die Beklagte die ihr übergebenen Schmuckstücke gegen das Verlustrisiko durch Diebstahl oder Raub versichert hat. Etwas anderes möge gelten, wenn es sich bei den dem Juwelier übergebenen Schmuckstücken um solche von besonders hohem Wert handele. Angesichts dessen, dass auch der Kläger den Gesamtwert des übergebenen Schmuckes auf lediglich knapp 3.000 EUR beziffere, sei dies vorliegend nicht der Fall.
II.
Rz. 9
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Aufklärungspflicht der Beklagten über den mangelnden Versicherungsschutz nicht verneint werden.
Rz. 10
1. Richtig sieht das Berufungsgericht allerdings, dass eine Pflichtverletzung der Beklagten sich nicht bereits daraus ergibt, dass sie den von der Klägerin entgegengenommen Schmuck nicht gegen das von keiner Vertragspartei zu vertretende Risiko des Verlusts durch Diebstahl oder Raub versichert hat. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob zwischen den Parteien betreffend das zur Reparatur übergebene Goldarmband bereits ein Werkvertrag gem. § 631 BGB zustande gekommen ist. Denn eine generelle Versicherungspflicht besteht für den Juwelier weder für Kundenschmuck, der zur Durchführung eines Werkvertrages (§ 631 BGB), noch für solchen, der zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) entgegengenommen wird (für das Werkvertragsrecht ebenso: OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 107; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 631 Rz. 15; Staudinger/Peters/Jakoby, 2014, BGB, § 644 Rz. 14; Messerschmidt/Voit/Merkens, Privates Baurecht, 2. Aufl., § 644 Rz. 7; BeckOGK/Merkle, BGB, Stand: 1.2.2016, § 631 Rz. 469, 469.1; vgl. auch RG, HRR 1928, Nr. 413 zur Versicherungspflicht des Betreibers einer Kfz-Werkstatt gegen Feuergefahr; eine Versicherungspflicht bei Entgegennahme besonders wertvoller Gegenstände bejahend: Schwenker in Erman, BGB, 14. Aufl., § 644 Rz. 5; Busche in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 644 Rz. 13; ähnlich auch: Voit in BeckOK/BGB, Stand: 1.2.2015, § 631 Rz. 62, § 644 Rz. 8).
Rz. 11
2. Eine Pflicht der Beklagten, den Kläger darauf hinzuweisen, dass das Risiko des Verlustes durch Diebstahl oder Raub nicht oder nicht in voller Höhe durch Versicherungen gedeckt war, kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.
Rz. 12
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 12.7.2001 - IX ZR 360/00, NJW 2001, 3331, 3332, juris Rz. 15; v. 11.8.2010 - XII ZR 192/08, NJW 2010, 3362 Rz. 21; jeweils m.w.N.) besteht bei Vertragsverhandlungen zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage besteht allerdings dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (BGH, Urt. v. 2.3.1979 - V ZR 157/77, BauR 1979, 447, juris Rz. 8; v. 16.1.1991 - VIII ZR 335/89, NJW 1991, 1223, 1224, juris Rz. 14; v. 12.7.2001 - IX ZR 360/00, a.a.O., Rz. 15; v. 11.8.2010 - XII ZR 192/08, a.a.O., Rz. 22; jeweils m.w.N.). Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (BGH, Urt. v. 11.8.2010 - XII ZR 192/08, a.a.O., Rz. 22).
Rz. 13
b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann ein Juwelier verpflichtet sein, einen Kunden auf den fehlenden Versicherungsschutz dann hinzuweisen, wenn es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.
Rz. 14
Ein solcher Fall liegt hier auch unter Zugrundelegung der Vorstellung des Klägers vom Wert der übergebenen Schmuckstücke (2.930 EUR) nicht vor.
Rz. 15
c) Ferner kann der Kunde ggf. nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dann eine Aufklärung über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub erwarten, wenn diese Versicherung branchenüblich ist.
Rz. 16
Branchenüblichkeit liegt vor, wenn sich innerhalb einer Gruppe von Unternehmen, die ähnliche Leistungen auf dem Markt anbieten, eine Gepflogenheit oder ein Brauch innerhalb einer bestimmten Tätigkeit entwickelt hat, der nicht nur vorübergehend besteht, sondern eine gewisse Kontinuität erkennen lässt. Dies ist für die hier in Rede stehende Versicherung für die Revision mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten des Klägers zu unterstellen.
Rz. 17
Die Branchenüblichkeit kann eine berechtigte Erwartung des Kunden begründen, dass ein solcher Versicherungsschutz besteht. Dies ist für den Juwelier als Mitglied der Branche auch erkennbar. Wenn der Juwelier die deshalb möglicherweise gebotene Aufklärung unterlässt, begeht er eine Pflichtverletzung.
Rz. 18
Soweit die Revisionserwiderung die Aufklärung durch den Juwelier für unzumutbar hält, weil dies seine wirtschaftliche Tätigkeit wegen des damit verbundenen Zeitaufwands lähmen würde, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Bei den hier in Rede stehenden Vertragsanbahnungen handelt es sich nicht um Massengeschäfte, die eine derartige zeitliche Inanspruchnahme nicht zuließen.
Rz. 19
3. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage des Parteivorbringens Feststellungen zur Branchenüblichkeit und der daraus folgenden Verkehrsanschauung zu treffen haben.
Fundstellen
BB 2016, 1537 |
NJW 2016, 9 |
NWB 2016, 1949 |
NJW-RR 2016, 859 |
IBR 2016, 581 |
NZG 2016, 6 |
WM 2016, 1351 |
WuB 2016, 619 |
ZAP 2016, 892 |
JZ 2016, 570 |
MDR 2016, 13 |
MDR 2016, 814 |
VersR 2016, 1069 |
NWB direkt 2016, 714 |
RÜ 2016, 477 |
RdW 2016, 496 |
r+s 2016, 347 |
LL 2016, 695 |