Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutsche Bundesbahn
Normenkette
BGB § 196 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Tatbestand
Im Januar 1975 bestellte die Beklagte bei der Gemeinschuldnerin einen Zweiträger-Brückenkran einschließlich Montage zum Preis von 138 000 DM. Vor der Ausführung des Auftrages wurde im Oktober 1975 über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Danach teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er den Vertrag erfüllen werde (§ 17 KO). Ende Januar 1976 nahm die Beklagte den Brückenkran ab.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Begleichung einer angeblich noch offenen Restforderung von 24 623,43 DM.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Beklagten die Klage abgewiesen, nachdem die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hatte.
Die kraft Zulassung statthafte Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat die Klageforderung als verjährt angesehen. Mit der Abnahme des Brückenkranes Ende Januar 1976 sei die Werklohnforderung gemäß § 651 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB in Verbindung mit § 641 BGB fällig geworden. Nach §§ 196 Abs. 1 Nr. 1, 201 BGB sei die Forderung mit Ablauf des 31. Dezember 1978 verjährt, da die Verjährungsfrist im vorliegenden Fall nicht vier, sondern nur zwei Jahre betrage. Die Leistung der Gemeinschuldnerin sei nämlich nicht für einen Gewerbebetrieb erbracht worden, weil die Deutsche Bundesbahn kein Gewerbe im Sinne des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB betreibe.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision sind begründet. Entgegen der vom Berufungsgericht und teilweise auch in der Literatur (vgl. u. a. Schlegelberger, Handelsgesetzbuch 5. Aufl. § 1 Rdn. 24, § 343 Rdn. 4; Finger, Eisenbahngesetze 6. Aufl. § 6 Bundesbahngesetz - BBahnG - Anm. 3a, § 41 BBahnG - Anm. 1a) vertretenen Auffassung ist die Deutsche Bundesbahn, wenn sie - wie hier - Beschaffungsgeschäfte tätigt, als Gewerbebetrieb im Sinne des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB anzusehen. Damit verjährten die Ansprüche des Klägers nicht schon in zwei Jahren, wie das Berufungsgericht angenommen hat. Ansprüche gegen die Deutsche Bundesbahn aus Beschaffungsgeschäften der in § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB genannten Art unterliegen vielmehr der vierjährigen Verjährungsfrist des § 196 Abs. 2 BGB.
1.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes versteht unter einem Gewerbebetrieb im Sinne des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB jeden berufsmäßigen Geschäftsbetrieb, der von der Absicht dauernder Gewinnerzielung beherrscht wird (zuletzt BGHZ 83, 382, 386 f. m. w. Nachw.). Darunter fällt jede auf wirtschaftlichem Gebiet im weitesten Sinne ausgeübte geschäftliche Tätigkeit, die auf die Erzielung dauernder Einnahmen gerichtet ist (BGHZ 33, 321, 324 unter Hinweis auf BGH WM 1959, 161). Mit einer solchen Erwerbsabsicht kann auch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handeln, und zwar unabhängig davon, ob sie daneben zugleich in Erfüllung einer gemeinnützigen öffentlich-rechtlichen Aufgabe tätig wird; Voraussetzung ist nur das Betreiben eines wirtschaftlichen Unternehmens, also einer Tätigkeit, die nicht allein und herkömmlich mit der Zielrichtung einer öffentlichen Aufgabe betrieben wird (BGHZ 83, 387 unter Hinweis auf BGHZ 53, 222, 223; 57, 191, 199). Wirtschaftliche Unternehmen von Körperschaften des öffentlichen Rechts sind danach solche Einrichtungen und Anlagen, die auch von einem Privatunternehmen mit der Absicht der Erzielung dauernder Einnahmen betrieben werden können und gelegentlich auch betrieben werden (vgl. BGHZ 83 aaO unter Hinweis auf BGHZ 53, 223/224).
Diese Voraussetzungen treffen auf die Deutsche Bundesbahn zu. Diese übt ihre Tätigkeit nicht allein mit der Zielrichtung der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe aus. Allerdings widerstreiten bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit der Grundsatz der Gemeinwirtschaftlichkeit und der der wirtschaftlichen Betriebsführung: In der Begründung zum Bundesbahngesetz von 1951 (BT-DR I Nr. 1341 S. 36) klingt insoweit noch ein gewisser Vorrang des Prinzips der Gemeinwirtschaftlichkeit gegenüber dem der wirtschaftlichen Betriebsführung an, wenn es dort heißt, daß die Bundesbahn "als eine Art kaufmännischen Unternehmens" zwar gehalten sei, im Auf und Ab der Wirtschaftskonjunktur "nach den besten betriebswirtschaftlichen Grundsätzen erfolgreich zu arbeiten", daß dieses privatwirtschaftliche Handeln aber dort seine Grenze finde, "wo die Interessen der deutschen Volkswirtschaft gewahrt werden" müßten. Anläßlich der Neufassung des Bundesbahngesetzes im Jahre 1961 (BGBl I 1161), bei der u. a. die Bestimmung des § 28 Abs. 1 ihre heutige Fassung erhielt, wird demgegenüber der Grundsatz der wirtschaftlichen Betriebsführung stärker betont. In der Gesetzesbegründung (BT-DR III 2381 S. 3) wird es als das Ziel der Neufassung des § 28 BBahnG bezeichnet, "als neuen Grundsatz in den Vordergrund zu rücken, daß die Deutsche Bundesbahn als Wirtschaftsunternehmen zu führen und daher verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, daß die Erträge die Aufwendungen decken". Zwar braucht die Bundesbahn keine "Gewinnmaximierung" anzustreben (BT-DR aaO S. 4); dies steht jedoch der Annahme, daß sie ein Gewerbe betreibt, nicht entgegen. Ein Gewerbebetrieb erfordert lediglich Erwerbsabsicht in dem eingangs dargelegten Sinne, nicht aber auch Gewinnmaximierung. Es genügt, daß ein wirtschaftlicher Erfolg angestrebt wird, der den Aufwand - wenn auch nur in bescheidenem Maße - übersteigt. Hierzu ist die Deutsche Bundesbahn nach § 28 Abs. 1 BBahnG verpflichtet. Dabei hat sie ihre Rechnung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu führen (§ 29 BBahnG); ihr Vorstand hat für jedes Geschäftsjahr eine Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen (§ 32 Abs. 1 BBahnG), und in § 33 Abs. 1 BBahnG ist geregelt, was mit einem Überschuß, der sich aus dem Jahresabschluß ergibt, im einzelnen zu geschehen hat. Hieraus erhellt, daß die Deutsche Bundesbahn nach der Gesamtkonzeption ihrer Betriebsführung auf die Erzielung laufender Einnahmen, also auf das Erreichen eines wirtschaftlichen Ergebnisses ausgerichtet ist. Daß sie hierbei bisher mit erheblichen Verlusten abgeschlossen hat, kann ihr die Eigenschaft eines Gewerbebetriebes nicht nehmen. Mit Recht weist Becker (Kaufmannseigenschaft und Deutsche Bundesbahn NJW 1977, 1674/1675) darauf hin, daß kein Kaufmann allein deshalb seinen Status als Inhaber eines Handelsgewerbes verliert, weil sein Betrieb - gegebenenfalls jahrelang - mit Verlust arbeitet (in diesem Sinne vgl. auch BGB-RGRK 12. Aufl. § 196 Rdn. 27).
Im übrigen ist die Deutsche Bundesbahn ein Unternehmen, das seiner Art nach auch von einem Privatunternehmer mit der Absicht der Erzielung dauernder Einnahmen betrieben werden könnte. Sie betätigt sich auf einem Gebiet, auf dem auch privat betriebene Unternehmungen in einem nicht ganz unbeachtlichen Umfang tätig sind. So hatten die im Bundesverband Deutscher Eisenbahnen zusammengeschlossenen nicht bundeseigenen Eisenbahnen, die sogenannten "Privatbahnen", die im Eigentum von Privatunternehmen oder von Gebietskörperschaften, wie z. B. Ländern und Gemeinden, stehen, im Jahre 1982 ein Streckennetz von 2966 km Länge; sie beförderten 60 Millionen Personen und rund 64,6 Millionen Tonnen an Gütern; ihre Einnahmen lagen bei 459 Millionen DM (Statistisches Jahrbuch 1984 für die Bundesrepublik Deutschland S. 289/290).
2.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Tätigkeit der Deutschen Bundesbahn als Gewerbebetrieb anzusehen ist, kann schließlich auch die Verkehrsanschauung nicht unberücksichtigt bleiben; diese stellt erfahrungsgemäß auf betriebliche, organisatorische und wirtschaftliche Gesichtspunkte, d. h. auf den Aufbau und die Ausgestaltung der jeweiligen Tätigkeit ab, wie sie nach außen in Erscheinung tritt (vgl. BGHZ 33, 321, 325, 336). Dem Verkehr stellt sich die Deutsche Bundesbahn als ein auf die Beförderung von Personen und Gütern gerichteter Großbetrieb dar. Wenn ein solcher Betrieb nicht eindeutig von anderen Leitgedanken als dem Erwerbsstreben - im Sinne der Absicht der Erzielung dauernder Einnahmen - beherrscht wird, wird der Verkehr der Art und dem Umfang der technischen und kaufmännischen Gestaltung des Unternehmens entnehmen, ob es sich im Einzelfall um einen Gewerbebetrieb oder eine anderweite Tätigkeit handelt (vgl. BGHZ 33, 335). Bei der Deutschen Bundesbahn tritt, wie bereits oben erwähnt, das Prinzip der wirtschaftlichen Betriebsführung gegenüber dem Grundsatz der Gemeinwirtschaftlichkeit nicht völlig zurück. Die Bundesbahn steht vielmehr in einem regen Wettbewerb mit privaten Personen- und Güterbeförderungsunternehmen. Dementsprechend wirbt sie in erheblichem Umfang mit den Vorzügen ihrer Einrichtungen und ihrer Leistungen. Sie erstrebt damit erkennbar eine Verbesserung ihres wirtschaftlichen Ergebnisses. Das alles lenkt die Verkehrsanschauung darauf hin, in der Tätigkeit der Deutschen Bundesbahn weitgehend die Ausübung eines Gewerbebetriebs zu sehen.
3.
Im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung kommt auch die Literatur zu dem Ergebnis, die Deutsche Bundesbahn als Gewerbebetrieb anzusehen, indem sie unter Hinweis auf die Bestimmungen des Bundesbahngesetzes in der Neufassung von 1961 die Kaufmannseigenschaft der Bundesbahn bejaht (ausführlich Becker aaO; ferner Baumbach/Duden/Hopt, HGB 26. Aufl. § 1 Anm. 7; Brüggemann in Staub, Großkommentar zum HGB 4. Aufl. § 1 Rdn. 14; Bandasch/Nickel, Gemeinschaftskommentar zum HGB 3. Aufl. § 1 Rdn. 2; im Ergebnis auch Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht 9. Aufl. § 6 II 7.)
Der von Schlegelberger und Finger (aaO) vertretenen Gegenmeinung kann nicht beigepflichtet werden. Daß nach § 41 Abs. 1 BBahnG für den Betrieb der Deutschen Bundesbahn die Gewerbeordnung nicht gilt und die Bundesbahn nach § 42 BBahnG die gleiche Stellung einnimmt, die für die Verwaltungen und Betriebe des Bundes und deren Angehörige auf dem Gebiet des Wirtschafts-, Arbeits-, Wohnungs-, Fürsorge- und Versicherungsrechts besteht (so Schlegelberger), steht der Eigenschaft der Bundesbahn als (kaufmännischer) Gewerbebetrieb ebensowenig entgegen wie die Ansicht von Finger, nach § 6 Abs. 3 BBahnG sei die Erfüllung der Aufgaben der Deutschen Bundesbahn (ausschließlich) öffentlicher Dienst. § 41 Abs. 1 BBahnG wiederholt lediglich § 6 der Gewerbeordnung, wonach deren Vorschriften für den "Gewerbebetrieb" der Eisenbahnunternehmungen nicht gelten. § 42 BBahnG bezieht sich in erster Linie auf das Verhältnis der Bundesbahn zu den in ihren Diensten stehenden Beamten, Angestellten und Arbeitern. Soweit die Bundesbahn den Verwaltungen und Betrieben des Bundes auch auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts gleichgestellt ist, ergibt sich daraus nicht, daß sie kein Gewerbe im Sinne des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB ausübt. Auch andere Verwaltungen und Betriebe der öffentlichen Hand können unter den eingangs aufgeführten Voraussetzungen Gewerbebetriebe sein. Hieran ändert es nichts, daß die Erfüllung der Aufgaben der Deutschen Bundesbahn im Bundesbahngesetz als "öffentlicher Dienst" bezeichnet wird. Öffentlicher Dienst im Sinne eines hoheitlichen Tätigwerdens der Deutschen Bundesbahn kommt beispielsweise bei der Ausübung bahn- und baupolizeilicher Befugnisse, bei der Wahrnehmung der Geschäfte der Verkehrsverwaltung eines Landes (§ 51 BBahnG), bei der Planfeststellung (§ 6 BBahnG) oder bei der Gestaltung der Dienstverhältnisse der beamteten Mitarbeiter der Bundesbahn in Betracht. Derartige Betätigung hoheitlicher Gewalt schließt indessen nicht aus, daß die Bundesbahn sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf den Boden des bürgerlich-rechtlichen Verkehrs begibt (BGHZ 2, 37, 41; 6, 304, 309 f.). So hat die Rechtsprechung das Verhältnis zwischen der früheren Reichsbahn und der Deutschen Bundesbahn einerseits und deren Benutzern andererseits stets als ein privatrechtliches angesehen (RGZ 161, 341, 344 ff.; 162, 364, 365; BGHZ 2, 37, 41; 6, 304, 309; 20, 102, 105; std. Rspr.). Was aber für den privatrechtlichen Charakter der Personen- und Güterbeförderungsgeschäfte der Bundesbahn gilt, hat gleichermaßen Geltung für Werk(lieferungs)verträge, welche die Bundesbahn mit einem Werkunternehmer abschließt, um der Erfüllung ihrer betrieblichen Aufgaben nachzukommen.
Die Gegenmeinung von Schlegelberger und Finger übersieht schließlich auch, daß § 16 Abs. 1 des Reichsbahngesetzes vom 4. Juli 1939 (RGBl I 1205), worin der Deutschen Reichsbahn ausdrücklich der Status eines Gewerbebetriebes abgesprochen wurde, keinen Eingang in das Bundesbahngesetz gefunden hat. Dieser Umstand bildet ein gewichtiges Anzeichen dafür, die Deutsche Bundesbahn jedenfalls dann als Gewerbebetrieb anzusehen, wenn sie sich - wie im vorliegenden Fall - bei der Wahrnehmung ihrer betrieblichen Aufgaben auf den Boden des bürgerlich-rechtlichen Verkehrs begibt.
Fundstellen
Haufe-Index 1456031 |
BGHZ, 155 |
NJW 1985, 3063 |