Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.08.2002) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. August 2002 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Körperverletzung verurteilt, soweit er freigesprochen worden ist und im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren verhängt und ihn von weiteren Tatvorwürfen freigesprochen. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Revision der Nebenklägerin erhebt eine Verfahrensrüge und wendet sich mit der Sachrüge gegen die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils. Letztere hat Erfolg.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils fuhr der Angeklagte im Zeitraum zwischen dem 16. Oktober und dem 20. November 2001 immer wieder mit seinem Pkw im Straßenverkehr, obwohl ihm die Fahrerlaubnis – wie er wußte – bereits am 4. Juni 2000 entzogen worden war. Am 15. November 2001 schlug der Angeklagte die Nebenklägerin mit der Faust so ins Gesicht, daß sie eine Gesichtsprellung und ein Hämatom am linken Auge davontrug. Außerdem schlug oder trat er sie so oder warf sie so gegen eine Wand, daß sie eine Beckenprellung rechts erlitt.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten außer dem festgestellten Fahren ohne Fahrerlaubnis vier weitere Straftaten vorgeworfen: (1.) Er soll die Nebenklägerin am Abend des 16. Oktober 2001 genötigt haben, in seiner Wohnung zu bleiben, indem er ihr androhte, er werde sie und ihre Eltern umbringen oder schlagen. (2.) Er soll tateinheitlich die Nebenklägerin genötigt, sie eingesperrt, vergewaltigt, körperlich mißhandelt und fremde Sachen beschädigt oder zerstört haben, indem er sie am 22. Oktober 2001 in ihrer Mittagspause abpaßte, sie unter der Drohung, anderenfalls ihr oder ihrer Familie etwas anzutun, zwang, zu ihm in seine Wohnung zu ziehen und sie dort bis zum 20. November 2001 gefangen hielt, sie am Abend des 22. Oktober 2001 mit Fäusten ins Gesicht schlug und gegen ihren Körper trat, ihr T-Shirt und den Slip zerriß und mehrfach Geschlechtsverkehr sowie Oralverkehr erzwang. (3.) An einem nicht näher bestimmbaren Tag zwischen dem 22. Oktober 2001 und dem 20. November 2001, vermutlich am 15. November 2001, soll der Angeklagte die Nebenklägerin mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich mißhandelt und an der Gesundheit geschädigt haben sowie sie beleidigt haben, indem er mit einem Glas nach ihr warf und sie am Hals traf, sie auf den Boden schubste, mit den Fäusten ins Gesicht und auf den Körper schlug, sie trat und an die Wand stieß und sie dabei u. a. als „Schlampe” und „Hure” beschimpfte, so daß die Nebenklägerin eine Gesichtsschädelprellung und eine Beckenprellung rechts erlitt. (4.) An einem weiteren nicht genauer feststellbaren Tag zwischen dem 22. Oktober 2001 und dem 20. November 2001 soll der Angeklagte die Nebenklägerin in der Küche der Wohnung seiner Eltern mit Fäusten geschlagen und getreten haben.
Der Angeklagte hat diese Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht ist der belastenden Aussage der Nebenklägerin lediglich im Fall 3 der Anklage gefolgt, da hier die Verletzungen durch einen Arzt bestätigt worden sind. Im übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen, weil es Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin nicht überwinden konnte.
I.
Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge deckt aus den Gründen der Stellungnahme des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen die Frage, ob die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nicht erörtert. Dies ist im Ergebnis hier nicht zu beanstanden. Der Angeklagte ist bereits zweimal einschlägig wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und dreimal wegen gefährlicher bzw. gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Erscheinung getreten. Zuletzt wurde er durch Urteil der erkennenden Strafkammer vom 28. Februar 2001 wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen räuberischer Erpressung, tateinheitlich begangen mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dies rechtfertigt die Versagung einer erneuten Strafaussetzung auch ohne nähere Begründung.
Entscheidungsgründe
II.
Revision der Nebenklägerin
Die Revision der Nebenklägerin ist zulässig und begründet.
1. Einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es nicht, weil bereits die Sachrüge zur Aufhebung und Zurückverweisung hinsichtlich der Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerin führt.
2. Der Aufbau des angefochtenen Urteils entspricht nicht den Anforderungen des § 267 StPO. Auch bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muß der Tatrichter nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchem Grund die Feststellungen nicht ausreichen (std. Rspr., vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 5). Zusammenhängende Feststellungen zu den unter Ziffern 1 bis 4 der Anklage angeklagten Taten enthält das Urteil nicht. Es kann dahinstehen, ob dies hier einen sachlich-rechtlichen Mangel darstellt oder ob hier tatsächlich keine Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen möglich waren (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 12). Denn jedenfalls die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3. Die Beweiswürdigung der Strafkammer begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die Strafkammer geht davon aus, daß sich die Aussage der Nebenklägerin und die Einlassung des Angeklagten entgegenstehen und deshalb eine Verurteilung nur erfolgen konnte, „wenn die Aussage der Nebenklägerin aus sich heraus überzeugend gewesen wäre und zusammen mit weiteren Umständen und sonstigen Beweismitteln ein Tatnachweis hätte festgestellt werden können”, was nur hinsichtlich der Körperverletzung im Fall 3 der Anklage der Fall gewesen sei (UA Seite 16). Dieser Ausgangspunkt der Beweiswürdigung ist so unzutreffend. Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, muß die Aussage des Tatopfers nicht in jedem Fall durch weitere Umstände und sonstige Beweismittel belegt sein, um einen Tatnachweis zu erbringen. Wird die Tat vom Tatopfer selbst in einer Zeugenaussage geschildert, so kann der Angeklagte auf dieser Grundlage verurteilt werden, wenn das Tatgericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage nach einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung dieses einzigen Belastungszeugen überzeugt ist (std. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14).
b) Bei der Frage, ob die Nebenklägerin am 22. Oktober freiwillig mit dem Angeklagten mitgefahren ist, hat die Kammer einen falschen Maßstab angelegt, indem sie voraussetzt, die sonstigen Umstände der Begegnung müßten zu einer Annahme der Unfreiwilligkeit zwingen (UA Seite 20). Damit stellt sie zu hohe Anforderungen an den Nachweis der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin.
c) Widersprüchlich und deshalb fehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch hinsichtlich des weiteren Aufenthalts der Nebenklägerin in der Wohnung des Angeklagten. Während es die Kammer auf UA Seite 23 als nicht zweifelsfrei erwiesen ansieht, daß die Nebenklägerin nur gezwungenermaßen in der Wohnung des Angeklagten blieb – einen unfreiwilligen Aufenthalt mithin nicht ausschließt – legt sie in der weiteren Beweiswürdigung ausdrücklich ein freiwilliges Zusammenwohnen zugrunde (UA Seite 24) und leitet hieraus Bedenken gegen die Wahrheit des Vergewaltigungsvorwurfs ab. Darüber hinaus setzt sich die Kammer in diesem Zusammenhang nicht mit dem Umstand auseinander, daß die Nebenklägerin am 20. November 2001 mit einem Sprung von dem im Parterre gelegenen Balkon aus der Wohnung floh (UA Seite 30), was gegen einen freiwilligen Aufenthalt dort sprechen könnte.
d) Die Strafkammer geht allerdings davon aus, daß die Nebenklägerin die von ihr geschilderten sexuellen Vorgänge nicht frei erfunden habe (UA Seite 29). Die weiteren Ausführungen, das Geschehen könne durchaus auch als ein einverständlich angebahnter Geschlechtsverkehr vorgestellt werden, „bei dem sich der Angeklagte möglicherweise an der von sexueller Unerfahrenheit geprägten, seinen konkreten Vorstellungen nicht entsprechenden und ihn unbefriedigt lassenden Verhaltensweise der Nebenklägerin störte und ihr in der ihm eigenen aufbrausenden Art unmißverständlich zeigen wollte, was sie zu tun habe, wobei er der Meinung gewesen sein kann, sie sei letztlich damit einverstanden”, entbehren einer tatsächlichen Grundlage in den Feststellungen; sie stellen sich als eine reine Vermutung zugunsten des Angeklagten dar.
4. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß der Freispruch und die Verurteilung lediglich wegen vorsätzlicher Körperverletzung anstelle von gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung im Fall 3 der Anklage auf den aufgezeigten Fehlern beruhen, zumal die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten teilweise für widersprüchlich, widerlegt oder unglaubhaft hält (UA Seite 20, 21) und auch erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der meisten mit dem Angeklagten bekannten oder verwandten Zeugen hat (UA Seite 23).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558836 |
NStZ-RR 2003, 333 |