Leitsatz (amtlich)
1. Zur Kausalität eines ärztlichen Behandlungsfehlers für den Gesundheitsschaden des Patienten (hier: fehlerhafte Anlage eines Arteria-brachialis-Katheters).
2. Zur hypothetischen Einwilligung des Patienten.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 27.04.2022; Aktenzeichen 7 U 165/16) |
LG Mannheim (Entscheidung vom 18.08.2016; Aktenzeichen 3 O 152/13) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. April 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger wurde am 13. Mai 2010 in der 23. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 610 Gramm in dem von der Beklagten zu 2 betriebenen Klinikum geboren und im Anschluss dort in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin intensivmedizinisch betreut. Er wurde insbesondere intubiert und maschinell beatmet. Bei ihm wurde ein offener Ductus arteriosus Botalli mit links-rechts-Shunt, zerebraler Minderperfusion sowie Lungenüberflutung festgestellt, der zunächst medikamentös behandelt wurde. Wegen klinischer Instabilität und schwankender Blutdruckwerte wurde dem Kläger am 29. Mai 2010 zur Blutdruckmessung ein arterieller Katheter in die Arteria radialis des linken Arms gelegt. Da Durchblutungsstörungen der Arterie auftraten, wurde der Katheter am 31. Mai 2010 wieder entfernt. Da der Ductus arteriosus Botalli mit der zunächst durchgeführten medikamentösen Therapie nicht zum Verschluss gebracht werden konnte, wurde am 4. Juni 2010 die Indikation zum operativen Verschluss gestellt. Dieser Eingriff wurde am 8. Juni 2010 in der Herzchirurgie des 20 km entfernten Universitätsklinikums H. durchgeführt. Zu diesem Zweck legte der Beklagte zu 1 dem Kläger am Morgen des 8. Juni 2010 einen Verweilkatheter zur Blutdruckmessung in die Arteria brachialis des linken Arms. Der Kläger wurde nach H. verlegt und dort operiert. Obwohl sich bereits bei der postoperativen Umlagerung des Klägers in den Transportinkubator durch Mitarbeiter der Beklagten eine Verfärbung der linken Hand des Klägers gezeigt hatte, die auf eine eingetretene Durchblutungsstörung hindeutete, wurde der Katheter nicht entfernt. Stattdessen wurde der Kläger mit dem liegenden Katheter zurück in das von der Beklagten zu 2 betriebene Klinikum transportiert. Nach Rückkehr des Klägers gegen 15.30 Uhr war keine arterielle Blutdruckkurve am Monitor mehr ableitbar. Es bestanden sichtbare Zeichen einer schweren Durchblutungsstörung. Der arterielle Katheter wurde um 16.30 Uhr gezogen. Aufgrund der eingetretenen Mangelversorgung des linken Unterarms des Klägers kam es in der Folge zu einem vollständigen Absterben des Gewebes der linken Hand und des linken Unterarms, was zu einer Amputation der linken Hand und des linken Unterarms führte. Dabei konnten das Ellenbogengelenk und das obere Drittel des Unterarms erhalten werden.
Rz. 3
Vor der Gutachterkommission für Fragen ärztlicher Haftpflicht bei der Landesärztekammer war ein von den Parteien dieses Verfahrens gegen das Universitätsklinikum H. eingeleitetes Verfahren anhängig. Die Gutachterkommission kam nach Einholung eines neonatologischen und eines herzchirurgischen Gutachtens zu dem Ergebnis, dass den Ärzten des Universitätsklinikums H. kein Vorwurf zu machen sei. Dagegen sei es als Behandlungsfehler der Ärzte der Beklagten zu 2 zu qualifizieren, dass diese einen Verweilkatheter in die Arteria brachialis gelegt hätten. Diese Arterie hätte jedenfalls wegen der höheren Gefährdung nicht genommen werden dürfen. Komme es in dieser Arterie zu einer Ischämie, werde der linke Arm nicht mehr mit Blut versorgt.
Rz. 4
Der Kläger macht geltend, es sei fehlerhaft gewesen, einen Katheter in die Arteria brachialis zu legen. Dies sei weder für die Operation noch für den Transport erforderlich gewesen. Außerdem seien seine Eltern über das Risiko dieser Katheteranlage, insbesondere über die Möglichkeit des Verschlusses der Arterie und des möglichen Verlustes des Unterarms nicht aufgeklärt worden. Auch über etwaige Behandlungsalternativen sei nicht gesprochen worden. Hinsichtlich der Verweilkanüle habe es Alternativen gegeben.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Beklagten nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der im Verfahren der Gutachterkommission tätigen Sachverständigen und Anhörung dieser Sachverständigen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 100.000 €, zur Erstattung von Fahrtkosten und von Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden festgestellt. Die auf Zahlung eines weitergehenden Schmerzensgeldes und einer zusätzlich begehrten Schmerzensgeldrente gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil nach Einholung eines neonatologischen Gutachtens des Dr. W. und Anhörung des Sachverständigen abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen.
Rz. 6
Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Darüber hinaus verfolgt er seinen auf Zahlung einer Schmerzensgeldrente gerichteten und zum Gegenstand der Anschlussberufung gemachten Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat drei der Beklagten zu 2 zuzurechnende Behandlungsfehler und zwei Behandlungsfehler des Beklagten zu 1 festgestellt, die aber jeweils nicht kausal für den Eintritt des Schadens seien. Es hat darüber hinaus einen Aufklärungsfehler in Bezug auf die Anlage eines Arterienkatheters bejaht. Dieses Versäumnis führe aber nicht zur Haftung, da nicht plausibel sei, dass die Eltern eine das Leben des Kindes rettende Operation bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgelehnt hätten. Im Einzelnen:
Rz. 8
a) Die Anlage des arteriellen Katheters in die linke Arteria brachialis habe zwar nicht grundsätzlich gegen medizinische Standards verstoßen. Sie hätte im Streitfall aber für den Transport nach H. unterbleiben müssen, weil der Kläger bereits zuvor nach Anlage eines Verweilkatheters in der Arteria radialis Durchblutungsstörungen in der linken Hand gehabt habe. Angesichts dieser bereits eingetretenen Durchblutungsstörung und des damit gegebenen Komplikationsrisikos am linken Arm hätte der Transport des Klägers nach H. ohne den arteriellen Verweilkatheter erfolgen müssen. Wenn dieser Katheter für die Operation erforderlich gewesen wäre, hätte er vor der Operation in H. vom dortigen Anästhesisten gelegt werden können und dann auch gelegt werden müssen. Die Anlage des Katheters in der Arteria brachialis links sei nur deswegen nicht grob fehlerhaft, weil der Versuch einer Anlage des Katheters an anderen Stellen zuvor gescheitert sei. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass die Anlage des Katheters bereits zum Transport nach H. ursächlich für die aufgetretene Durchblutungsstörung gewesen sei. Denn diese sei erst deutlich später nach der Operation in H. aufgetreten.
Rz. 9
b) Ein weiterer Behandlungsfehler liege darin, dass der Beklagte zu 1 die Durchgängigkeit der beiden Arterien im linken Unterarm des Klägers vor der Anlage eines Katheters im linken Oberarm nicht überprüft habe. Wegen der zuvor in der linken Arteria radialis aufgetretenen Durchblutungsstörung hätte der Beklagte zu 1 vor Anlage des Katheters in die Arteria brachialis die Durchgängigkeit der Arteria radialis und der Arteria ulnaris im linken Unterarm des Klägers prüfen müssen. Eine solche, aus medizinischen Gründen zu dokumentierende Maßnahme sei nicht in den Behandlungsunterlagen festgehalten. Die Beklagten hätten auch nicht geltend gemacht, dass eine solche Untersuchung durchgeführt worden sei. Die Untersuchung hätte aus medizinischen Gründen dokumentiert werden müssen, da es auch für nachfolgende Behandler (Anästhesisten in H.) zur eigenen Risikoabschätzung wichtig gewesen sei, zu wissen, ob die Unterarmarterien durchgängig gewesen seien.
Rz. 10
Es sei jedoch nicht festzustellen, dass sich das Unterlassen dieser Prüfung auf den späteren Eintritt einer Durchblutungsstörung ausgewirkt habe. Dies habe der Kläger zu beweisen. Das Versäumnis der Beklagten sei nur dann als grob fehlerhaft zu beurteilen, wenn vor der Anlage des Katheters nicht versucht worden wäre, an anderer Stelle einen arteriellen Zugang zu legen. Der Senat sei jedoch davon überzeugt, dass der Beklagte zu 1 nach Alternativen gesucht habe, bevor er den Katheter in der linken Arteria brachialis gelegt habe. Dem Kläger komme auch keine Beweislastumkehr nach einem einfachen Befunderhebungsfehler zu Gute. Eine solche komme nur dann in Betracht, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde. Der Sachverständige habe aber nicht sagen können, ob eine Untersuchung der Arteria radialis links eine Durchblutungsstörung ergeben hätte oder nicht.
Rz. 11
c) Behandlungsfehlerhaft hätten es die für die Abholung des Klägers zuständigen Mitarbeiter der Beklagten zu 2 auch unterlassen, den Katheter im Anschluss an die Operation bei der Übernahme des Klägers zur Umlagerung in den Transportinkubator zu ziehen. Vor dem Hintergrund der bereits eine Woche zuvor aufgetretenen Durchblutungsstörung hätte dies Anlass sein müssen, den Katheter sofort zu entfernen.
Rz. 12
Aber auch insoweit habe der Kläger die Kausalität des Behandlungsfehlers für den bei ihm eingetretenen Schaden nicht bewiesen. Zwar hätte für den Kläger bei sofortiger Entfernung des Katheters eine realistische Chance einer Reperfusion des Unterarms und der Hand bestanden. Diese Möglichkeit genüge aber für die Überzeugungsbildung nicht. Der Behandlungsfehler sei auch nicht als grob zu bewerten. Der Sachverständige habe sich bei der Einschätzung, ob es sich bei dem Belassen des Katheters trotz Verfärbung der Hand um ein schlechthin unverständliches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten - die mit Übernahme des Kindes in den Transportinkubator die Verantwortung für das Wohlergehen des Klägers übernommen hätten - gehandelt habe, schwergetan. In der Annahme, der Kläger habe unmittelbar vor Ort in H. weiterbehandelt werden können, habe er zunächst einen unverständlichen Fehler bejaht. Im Rahmen seiner erneuten Anhörung nach Feststellung des Umstands, dass sich die Neonatologie in H. nicht im selben Gebäude wie die Herzchirurgie befunden habe und deshalb ohnehin ein Transport mit einem Rettungswagen hätte erfolgen müssen, habe er es dann nicht mehr für völlig unverständlich gehalten, den Kläger nach M. zu transportieren. Denn es hätte sich dann ebenfalls die Notwendigkeit ergeben, den Kläger in einen Transportinkubator umzulagern. Die unterschiedliche Transportdauer spiele dann keine so große Rolle mehr. Dies überzeuge den Senat. Der Sachverständige habe es zwar als fehlerhaft, aber nicht völlig unverständlich angesehen, dass die Entscheidung zu Gunsten eines Transports des Klägers nach M. gefallen sei. Die Belastung des Klägers gegenüber einem Transport im Rettungswagen auf dem Klinikgelände sei nicht wesentlich geringer gewesen.
Rz. 13
d) Die Anlage des Katheters sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Eltern des Klägers in diese nicht wirksam eingewilligt hätten. Zwar seien sie über die Anlage des Arterienkatheters nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Sie seien insoweit lediglich auf Durchblutungsstörungen und Nervenverletzungen hingewiesen worden, nicht hingegen auf die schwerwiegende Gefahr eines Extremitätenverlusts. Die Beklagten machten jedoch mit Erfolg geltend, dass die Operation absolut notwendig gewesen sei, um den Kläger zu stabilisieren. Der Kläger habe ohne den Verschluss des Ductus nicht leben können. Dass vor diesem Hintergrund die Eltern eine das Leben des Kindes rettende, wenn auch mit dem Risiko eines Extremitätenverlusts verbundene Operation abgelehnt hätten, sei nicht plausibel und werde vom Kläger so auch nicht behauptet.
II.
Rz. 14
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat Schadensansprüche des Klägers gegen die Beklagten rechtsfehlerhaft verneint (§ 280 Abs. 1, § 278, § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB).
Rz. 15
1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Haftung der Beklagten für die beim Kläger am 8. Juni 2010 eingetretene Durchblutungsstörung und deren Folgen ergebe sich nicht aus der behandlungsfehlerhaften Anlage eines Verweilkatheters in der Oberarmarterie des Klägers.
Rz. 16
a) Das Berufungsgericht hat einen Behandlungsfehler darin gesehen, dass der - von der Beklagten zu 2 zur Erbringung der ihr aufgrund des Behandlungsvertrags obliegenden ärztlichen Leistungen eingesetzte - Beklagte zu 1 dem Kläger am Morgen des 8. Juni 2010 einen Verweilkatheter zur Blutdruckmessung in die Arteria brachialis des linken Arms gelegt hat. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revisionserwiderung nicht. Sie lässt auch keine Rechtsfehler erkennen. Sie wird insbesondere durch die getroffenen Feststellungen getragen. Danach verstieß die Anlage des Verweilkatheters in die linke Oberarmarterie des Klägers durch den Beklagten zu 1 in der konkreten Behandlungssituation gegen den im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard (vgl. zum medizinischen Standard: Senatsurteil vom 24. Februar 2015 - VI ZR 106/13, VersR 2015, 712 Rn. 7; Senatsbeschluss vom 23. Februar 2021 - VI ZR 44/20, VersR 2022, 66 Rn. 13; jeweils mwN). Da beim Kläger bereits eine Woche zuvor nach Anlage eines Verweilkatheters in der Arteria radialis links eine Durchblutungsstörung aufgetreten war, hätten die Ärzte der Beklagten zu 2 am Operationstag wegen des erhöhten Risikos einer erneuten Ischämie davon absehen müssen, einen Verweilkatheter in dessen Arteria brachialis links zu legen. Sie hätten den Transport des Klägers in die Herzchirurgie in H. vielmehr ohne den Katheter durchführen lassen und es den in H. tätigen Ärzten überlassen müssen, einen Katheter zu legen, sofern diese es für die Durchführung der Operation für erforderlich gehalten hätten. Diese Feststellungen greift die Revisionserwiderung nicht an.
Rz. 17
b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht die Kausalität dieses Behandlungsfehlers für die beim Kläger am 8. Juni 2010 aufgetretenen Durchblutungsstörungen im linken Unterarm und in der linken Hand verneint. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, war die fehlerhafte Anlage des Verweilkatheters in die Arteria brachialis links sowohl äquivalent als auch adäquat kausal für die Ischämie. Die Anlage des Katheters kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ischämie entfiele, und war damit "conditio sine qua non" im Sinne der Äquivalenztheorie (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 2022 - VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 19; BGH, Urteile vom 14. Dezember 2016 - VIII ZR 49/16, NJW-RR 2017, 329 Rn. 17; vom 5. Mai 2011 - IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299, juris Rn. 35). Sie war auch im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen, und damit adäquat kausal (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 2022 - VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 20 mwN). Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts stellt ein arterieller Verweilkatheter ein Hindernis in der betroffenen Arterie dar, das das spezifische - beim Kläger aufgrund der eine Woche zuvor eingetretenen Ischämie erhöhte - Risiko einer Durchblutungsstörung mit sich bringt; dieses Risiko hatte sich beim Kläger verwirklicht. Dass sich die von dem Katheter ausgehende Gefahr nicht sofort, sondern erst einige Stunden später realisiert hat, ändert nichts daran, dass die Ursache für die beim Kläger aufgetretene Durchblutungsstörung bereits mit der Einbringung des Katheters gesetzt worden ist.
Rz. 18
c) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Kläger auch dann eine Durchblutungsstörung erlitten hätte, wenn ihm vor der Operation in H. von den dortigen Ärzten ein arterieller Katheter gelegt worden wäre. Ob derselbe Erfolg durch das Handeln einer anderen Person zu einem späteren Zeitpunkt verursacht worden wäre, betrifft einen hypothetischen Kausalverlauf, der zur Beweislast der Beklagten steht und dessen Voraussetzungen nicht festgestellt sind (vgl. Senatsurteile vom 5. April 2005 - VI ZR 216/03, VersR 2005, 942, juris Rn. 15; vom 22. März 2016 - VI ZR 467/14, Rn. 14, juris). So fehlt es bereits an der Feststellung, dass die Ärzte der Herzchirurgie in H. die Anlage eines arteriellen Katheters in der konkreten Behandlungssituation für erforderlich gehalten hätten. Auch steht nicht fest, dass diese Ärzte nicht eine andere Arterie als die Arteria brachialis - noch dazu des linken vorbelasteten Arms - für den Zugang gefunden hätten.
Rz. 19
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung des Versäumnisses des Beklagten zu 1, die linken Unterarmarterien des Klägers vor Anlage des arteriellen Verweilkatheters in die Oberarmarterie auf ihre Durchgängigkeit zu überprüfen.
Rz. 20
a) Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die unterlassene Durchgängigkeitsprüfung der Arteriae radialis und ulnaris links als von der Anlage des Katheters zu trennendes, isoliert zu betrachtendes Versäumnis qualifiziert hat, das sich auf den späteren Eintritt einer Durchblutungsstörung nicht nachweislich ausgewirkt habe. Sie rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und im Rahmen seiner Anhörung vom 15. Juli 2021, die sich der Kläger mit Schriftsätzen vom 28. Januar 2021 und 14. Januar 2022 zu Eigen gemacht hatte, im Kern nicht erfasst hat (§ 286 ZPO). Wie der Kläger unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen geltend gemacht hat, hatte dieser die Anlage eines Verweilkatheters in die Arteria brachialis links nur unter der Voraussetzung für medizinisch vertretbar gehalten, dass positive Feststellungen zur Durchlässigkeit der beiden Arterien im linken Unterarm getroffen worden waren. Der Sachverständige führt auf Seite 20 seines Gutachtens aus: "Wie oben bereits ausführlich diskutiert, gab es aber aufgrund der vorangehenden Katheteranlage in der Arteria radialis vom 29.05. bis 31.05.2010 aus strenger Sicht ex ante die Verpflichtung für die Beklagten, besonders vorsichtig bei der Wahl des arteriellen Zugangs vorzugehen. Die Anlage eines Arteria brachialis-Katheters links wäre nur dann korrekt gewesen, wenn sich die Beklagten vorher dezidiert davon überzeugt hätten, dass die Arteria radialis links wieder durchgängig war, aufgrund dieser besonderen Situation gibt es hier auch eine Dokumentationspflicht." Dem entsprechen die Ausführungen auf Seite 14 unten: "Geboten war es deshalb entweder palpatorisch oder sonographisch die Durchgängigkeit der linken Arteria radialis bzw. der linken Arteria ulnaris zu prüfen, bevor die Entscheidung hätte gefällt werden können, ob die Arteria brachialis links für einen arteriellen Zugang zur Verfügung stand. Wäre nämlich die arterielle Durchblutung der linken Hand ausschließlich über die Arteria ulnaris gewährleistet worden, hätte allein eine Teilokklusion durch den arteriellen Katheter in der Arteria brachialis ein Risiko für eine Ischämie derartig erhöht, dass dieser Zugang nicht mehr tolerabel gewesen wäre". Im Rahmen seiner mündlichen Anhörung gab der Sachverständige an: "Wenn ein solcher Katheter gelegt wird, muss gewährleistet sein, dass die Durchblutung gegeben ist."
Rz. 21
Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass der Sachverständige das Einbringen eines Verweilkatheters in die Arteria brachialis links nur unter der Voraussetzung für medizinisch vertretbar hielt, dass zuvor eine uneingeschränkte Durchblutungssituation in den Unterarmarterien links festgestellt worden war. Fehlte es dagegen an einer solchen Feststellung, durfte die Anlage eines Arteria brachialis-Katheters links nicht erfolgen. Der Behandlungsfehler liegt dann in der ohne die gebotene positive Feststellung der Durchblutungssituation vorgenommenen Anlage des Verweilkatheters. Dieser Erkenntnis hat sich das Berufungsgericht durch unzureichende Befassung mit dem Kern der Angaben des Sachverständigen, die der Kläger zum Gegenstand seines Schriftsatzes vom 14. Januar 2022 gemacht hat, verschlossen.
Rz. 22
b) Das Berufungsurteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Anlage eines Arteria brachialis-Katheters links bei der gebotenen Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen auch unter dem Gesichtspunkt als behandlungsfehlerhaft angesehen hätte, dass die in der konkreten Behandlungssituation für die Anlage des Katheters erforderlichen Grundvoraussetzungen nicht beachtet worden waren. Abgesehen davon, dass die fehlerhafte Anlage eines Arteria brachialis-Katheters - wie unter Ziffer 1 b) ausgeführt - kausal für die beim Kläger aufgetretene Ischämie war, ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht die Einbringung des Katheters in der gebotenen Gesamtbetrachtung als grob behandlungsfehlerhaft angesehen hätte.
Rz. 23
3. Von durchgreifenden Rechtsfehlern beeinflusst ist auch die Beurteilung des Behandlungsgeschehens im Anschluss an die Operation des Klägers in H. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht aus der unterlassenen Entfernung des Arteria brachialis-Katheters noch vor dem Rücktransport nach M. keine haftungsrechtlichen Konsequenzen abgeleitet hat.
Rz. 24
a) Das Berufungsgericht hat einen Behandlungsfehler darin gesehen, dass der mit der Übernahme des Klägers im Anschluss an die Operation in H. beauftragte Mitarbeiter der Beklagten zu 2 den arteriellen Verweilkatheter nicht unmittelbar nach der Operation noch in H. entfernt hat. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revisionserwiderung nicht. Sie lässt auch keine Rechtsfehler erkennen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war bei der Umlagerung des Klägers vom OP-Tisch in den Transportinkubator eine Verfärbung der linken Hand des Klägers festgestellt worden, die auf eine Durchblutungsstörung hindeutete. Vor dem Hintergrund der bereits eine Woche zuvor aufgetretenen Durchblutungsstörung war es bei dieser Sachlage medizinisch geboten, den Katheter sofort zu entfernen. Wenn der Kläger ohne den einliegenden Verweilkatheter nicht nach M. hätte transportiert werden können, hätte er in der Neonatologie der Universitätsklinik H. verbleiben müssen. Diese Feststellungen greift die Revisionserwiderung nicht an.
Rz. 25
b) Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dieser Behandlungsfehler sei für den Gesundheitsschaden des Klägers nicht kausal.
Rz. 26
aa) Die Revision rügt allerdings ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe seiner Überzeugungsbildung hinsichtlich der Frage, ob die Durchblutung des linken Unterarms und der linken Hand des Klägers bei rechtzeitiger Entfernung des Katheters wiederhergestellt worden wäre und sein Unterarm hätte erhalten werden können, rechtsfehlerhaft das strenge Beweismaß des § 286 ZPO zu Grunde gelegt; das Berufungsgericht habe verkannt, dass diese Frage nicht die haftungsbegründende, sondern die haftungsausfüllende Kausalität betreffe, die nach Maßgabe des § 287 ZPO zu beurteilen ist. Diese Auffassung trifft nicht zu.
Rz. 27
(1) Die haftungsbegründende Kausalität betrifft den Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und der Rechtsgutsverletzung, d.h. dem ersten Verletzungserfolg im Sinne einer Belastung der gesundheitlichen Befindlichkeit des Patienten (Primärverletzung). Dagegen bezieht sich die haftungsausfüllende Kausalität auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und weiteren Gesundheitsschäden des Patienten (Sekundärverletzungen, vgl. Senatsurteile vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 10; vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 15; vom 26. Juli 2022 - VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 14 ff.). Dementsprechend können vom Geschädigten geltend gemachte Beeinträchtigungen seiner körperlichen Befindlichkeit von vornherein nur dann als Sekundärverletzungen qualifiziert werden, wenn eine haftungsbegründende, d.h. durch das Handeln des Schädigers verursachte Primärverletzung unstreitig oder festgestellt ist (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 2022 - VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 17).
Rz. 28
(2) Nach diesen Grundsätzen betrifft die Frage, ob die Durchblutung des linken Unterarms und der linken Hand des Klägers bei rechtzeitiger Entfernung des Katheters wiederhergestellt worden wäre und sein Unterarm hätte erhalten werden können, die haftungsbegründende Kausalität. Anders als die Revision meint, liegt die Primärverletzung nicht in der Durchblutungsstörung, die sich durch die Verfärbung der linken Hand des Klägers bemerkbar machte. Denn sie wurde nicht durch den hier in Rede stehenden Behandlungsfehler verursacht. Sie ist nicht auf die unterlassene Entfernung des Katheters im Anschluss an die Operation zurückzuführen, sondern löste die Handlungspflicht der Mitarbeiter der Beklagten zu 2, deren Nichterfüllung den Behandlungsfehler begründet, erst aus (vgl. auch Senatsurteil vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 16).
Rz. 29
bb) Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger komme eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität nicht zugute.
Rz. 30
(1) Wie die Revision zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht bei der Bewertung, ob der von ihm bejahte Behandlungsfehler als grob zu qualifizieren ist, das diesen begründende Versäumnis aus dem Blick verloren und sein Augenmerk allein auf einen davon zu unterscheidenden weiteren (potentiell fehlerhaften) Aspekt des Behandlungsgeschehens gerichtet - den mit zusätzlichen Risiken versehenen Transport des Klägers nach M. Es hat die Frage, ob die unterlassene sofortige Entfernung des Katheters nach Feststellung der Verfärbung der linken Hand des Klägers als grob fehlerhaft zu bewerten ist, mit der Begründung verneint, die Entscheidung für einen Transport des Klägers nach M. sei nicht völlig unverständlich gewesen. Die entsprechenden Angaben des Sachverständigen seien überzeugend, da die Belastung des Klägers gegenüber einem Transport im Rettungswagen auf dem Klinikgelände nicht wesentlich geringer gewesen sei. Insbesondere die Umlagerung sei belastend gewesen. Dabei hat das Berufungsgericht auch den Zeitaspekt aus dem Blick verloren. Nach den getroffenen Feststellungen musste der Katheter nach Feststellung der Durchblutungsstörung "sofort entfernt" werden. Wie die Revision zu Recht rügt, hat das Berufungsgericht darüber hinaus die vom Sachverständigen ausdrücklich als möglich angesehene Alternative, den Kläger ohne den Katheter nach M. zu transportieren, nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung miteinbezogen.
Rz. 31
(2) Die Revision beanstandet weiter mit Erfolg, dass sich das Berufungsgericht im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung nicht mit dem Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 14. Januar 2022 befasst hat, wonach die dringend gebotene Entfernung des Katheters erst eine Stunde nach Ankunft des Klägers in M. erfolgt sei. Sie verweist zu Recht darauf, dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Behandlungsverlaufs auch eine etwaige Summierung vermeidbarer Zeitverluste bis zum Beginn der erforderlichen Behandlungsmaßnahme zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsurteil vom 8. März 1988 - VI ZR 201/87, VersR 1988, 495, juris Rn. 17).
Rz. 32
4. Von Rechtsfehlern beeinflusst sind schließlich die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten wegen unzureichender Aufklärung der Eltern des Klägers verneint hat.
Rz. 33
a) Das Berufungsgericht hat zugrunde gelegt, dass die Eltern des Klägers nicht ordnungsgemäß über die mit der Anlage eines arteriellen Verweilkatheters verbundenen Risiken aufgeklärt worden sind. Es fehle an dem Hinweis auf die Gefahr eines Extremitätenverlusts.
Rz. 34
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen die Erwägungen des Berufungsgerichts, die fehlende Einwilligung der Eltern des Klägers in die Anlage des Katheters führe nicht zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs, weil nicht plausibel sei, dass sie bei Aufklärung auch über die Gefahr des Extremitätenverlusts eine das Leben des Kindes rettende Operation abgelehnt hätten.
Rz. 35
aa) Zwar kann sich der Behandelnde, wenn die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt, darauf berufen, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung, nunmehr § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB). Auch ist der Behandelnde für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, erst dann beweisbelastet, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er - wäre er ordnungsgemäß und vollständig aufgeklärt worden - vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (vgl. Senatsurteile vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, NJW-RR 2021, 886 Rn. 14 ff.; vom 7. Dezember 2021 - VI ZR 277/19, VersR 2022, 245 Rn. 10; jeweils mwN; Senatsbeschluss vom 21. Juni 2022 - VI ZR 310/21, VersR 2022, 1161 Rn. 9; nunmehr § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB).
Rz. 36
Vom Patienten nicht zu verlangen ist dagegen, dass er plausibel macht, er hätte sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden. Der Patient muss lediglich einen echten Entscheidungskonflikt, nicht hingegen ein anderes Entscheidungsergebnis im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung plausibel machen (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 2021 - VI ZR 277/19, VersR 2022, 245 Rn. 10; vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718, 1719, juris Rn. 18). Maßgeblich ist insoweit allein die persönliche Entscheidungssituation des konkreten Patienten aus damaliger Sicht, nicht hingegen, ob ein "vernünftiger" Patient dem entsprechenden ärztlichen Rat gefolgt wäre. Feststellungen hierzu darf der Tatrichter dabei grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen (vgl. Senatsurteile vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19, NJW-RR 2021, 886 Rn. 16; vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718, 1719, juris Rn. 18; Senatsbeschluss vom 21. Juni 2022 - VI ZR 310/21, VersR 2022, 1161 Rn. 10).
Rz. 37
bb) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Es hat den in M. erfolgten Eingriff zwecks Anlage eines Arterienkatheters, über dessen Risiken die Eltern des Klägers nicht aufgeklärt worden sind, und die in H. erfolgte Operation zwecks Verschlusses des Ductus unzulässigerweise miteinander vermengt. Statt zu prüfen, ob die Eltern des Klägers bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Gefahren der Anlage eines Arteria brachialis-Katheters in einen Entscheidungskonflikt in Bezug auf die Anlage des Katheters durch den Beklagten zu 1 geraten wären, hat es auf die Entscheidungssituation der Eltern in Bezug auf die in H. vorgenommene Herzoperation abgestellt. Dies steht auch in nicht auflösbarem Widerspruch zu der Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Beklagten den Transport des Klägers in die Herzchirurgie in H. ohne den Katheter hätten durchführen lassen und es den in H. tätigen Ärzten hätten überlassen müssen, einen Katheter zu legen, sofern diese es für die Durchführung der Operation für erforderlich gehalten hätten.
Rz. 38
Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, es sei nicht plausibel, dass seine Eltern die Operation in H. bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgelehnt hätten, wird darauf hingewiesen, dass es nach den unter aa) dargestellten Grundsätzen nicht darauf ankommt, wie sich der Patient bzw. sein gesetzlicher Vertreter bei ordnungsgemäßer Aufklärung entschieden hätte, sondern lediglich darauf, ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre.
Rz. 39
Sollte das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung in die Anlage des arteriellen Verweilkatheters im weiteren Verfahren erneut zu prüfen sein, wird das Berufungsgericht darüber hinaus zu berücksichtigen haben, dass sich eine Einwilligung des Patienten, jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung, allein auf dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmaßnahmen, nicht hingegen auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen bezieht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06, MedR 2008, 158, juris Rn. 18; vom 23. Oktober 2007 - 1 StR 238/07, MedR 2008, 435, juris Rn 27; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 1 StR 576/07, NStZ 2008, 278, 279; OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2016 - 26 U 116/14, juris Rn. 36, Staudinger/Gutmann, BGB, 2021, § 630d Rn. 34, § 630e Rn. 48; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 8. Aufl., C 13; Katzenmeier in BeckOK BGB, 70. Ed., § 630d Rn. 10; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 83. Aufl., § 630d Rn. 2; vgl. auch Senatsurteil vom 10. März 1987 - VI ZR 88/86, VersR 1987, 770 Rn. 17). Dieser Umstand muss umso mehr Beachtung finden, wenn Gegenstand der Beurteilung nicht die tatsächlich erteilte, sondern eine hypothetische Einwilligung ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06, MedR 2008, 158, juris Rn. 19).
III.
Rz. 40
Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Seiters |
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von Pentz |
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Oehler |
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Klein |
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Böhm |
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Fundstellen