Leitsatz (amtlich)
a) Zur zeitlichen Abgrenzung der Streupflicht in den Abendstunden für die Zugänge zu einem Gebäude, zu dem der Betreiber eines Schwimmbades und der Pächter eines Restaurants einen Publikumsverkehr eröffnet haben.
b) Zur Haftung des Gebäudeeigentümers neben dem Pächter oder Mieter für die Sicherung einer Außentreppe bei Glatteis.
Normenkette
BOB § 823
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 04.05.1983) |
LG Koblenz |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Mai 1983 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die beklagte Gemeinde ist Eigentümerin eines Gebäudekomplexes, zu dem ein Schwimmbad und ein Restaurationsbetrieb gehören. Letzterer ist verpachtet. Eine 12-stufige, in der Mitte mit einem Geländer versehene, beleuchtete Außentreppe dient sowohl dem Schwimmbad als auch dem Restaurant als Zu- und Abgang. Als der Kläger (damals 50 Jahre alt) am 28. Januar 1981 gegen 22.40 Uhr eine in den Restaurationsräumen abgehaltene politische Versammlung verließ, rutschte er auf der Treppe infolge Eisglätte aus und verletzte sich. Er hat die beklagte Gemeinde wegen Verletzung der Streupflicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Die Beklagte hat sich darauf berufen, der vom Kläger benutzte (von oben gesehen) linke Teil der Treppe sei – wie stets im Winter – durch eine Fähnchenleine gesperrt gewesen; nur der rechte Teil werde von Eis und Schnee freigehalten und gestreut. Der Kläger habe den Unfall selbst zu verantworten, weil er den gesperrten Teil der Treppe benutzt habe. Zudem hat sie geltend gemacht, für die Besucher des Restaurationsbetriebes sei um diese späte Abendstunde allein der Pächter verkehrssicherungspflichtig; das ihrer Regie unterstehende Schwimmbad sei längst geschlossen gewesen.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Beklagte könne für einen sich um 22.40 Uhr auf der Außentreppe ereignenden Unfall nicht wegen Verletzung der Streupflicht verantwortlich gemacht werden. Zwar habe ihr an sich neben dem Pächter des Restaurationsbetriebes eine Streupflicht bezüglich der Treppe oblegen, da sie beide, Eigentümerin und Pächter, einen Verkehr über die Treppe eröffnet und unterhalten hatten. Soweit jedoch der Pächter des Lokals einen zeitlich weitergehenden Verkehr eröffnet habe, habe ihm allein die Streupflicht oblegen. Das treffe für die Zeit des hier streitigen Unfalls zu, da das Schwimmbad um 21.00 Uhr geschlossen werde und der alsdann noch auslaufende Badebetrieb Jedenfalls um 22.00 Uhr beendet gewesen sei.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts werden von der Revision mit Erfolg beanstandet.
Das Berufungsgericht stellt fest, daß sich auf den dunklen, aus porösem Basalt bestehenden Treppenstufen zu der Zeit, als der Kläger das Gebäude verließ, durch Absinken der Temperatur Glatteis gebildet hatte und daß der linke, vom Kläger benutzte Teil der Treppe, der von der Beklagten bei Glatteisgefahr nach deren Behauptung generell gesperrt worden sei, frei zugänglich war. Infolgedessen lag – vorbehaltlich eines möglichen Mitverschuldens des Klägers – die eigentliche Ursache des Unfalls in der mangelnden Sperrung der nicht gestreuten linken Treppenhälfte. Somit ist entscheidungserheblich, ob die beklagte Gemeinde insoweit zu der vorgerückten Abendstunde (22.40 Uhr), in der der Kläger stürzte, eine Verkehrssicherungs- oder jedenfalls Überwachungspflicht traf.
1. Eine solche Pflicht der Gemeinde folgt nicht bereits – darin ist dem Berufungsgericht beizupflichten – aus der Eröffnung des Schwimmbadverkehrs und ihrer daraus folgenden Streupflicht. Der Eröffner einer Gefahrenquelle, wie sie eine Außentreppe bei Glatteis darstellt, ist nicht „rund um die Uhr” streupflichtig. Vielmehr ist die Streupflicht wie die Verkehrssicherungspflicht allgemein, auf den Umfang begrenzt, was „billige Rücksicht nach der Verkehrsauffassung” gebietet (st. Rspr. BGHZ 58, 149, 156 und Senatsurteile vom 11. April 1978 – VI ZR 259/76 – VersR 1978, 721 und vom 26. September 1978 – VI ZR 150/77 – VersR 1978, 1160, 1161 – beide m.w.N.). Der Umfang der Anforderungen bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. So beginnt beispielsweise bei Straßen und öffentlichen Parkplätzen die Streupflicht im allgemeinen am Morgen mit dem Einsetzen des Verkehrs und endet am Abend etwa 20.00 Uhr (s. BGH Urteile vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 – VersR 1966, 90, 92 und vom 4. Oktober 1983 – VI ZR 98/82 – VersR 1984, 40; Wussow, UHR, 12. Aufl., TZ 284 m.w.N.). Die Pflicht kann sich aber auch auf späte Abendstunden erstrecken, nämlich dann, wenn zu dieser Zeit noch ein besonderer Publikumsverkehr besteht, beispielsweise bei Gastwirten, die zu erhöhten Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet sind (s. Steffen, RGRK-BGB, 12. Aufl., § 823 Rdn. 227 m.w.N.; Wussow a.a.O. TZ 148). So war auch die Beklagte für die Besucher des Schwimmbades, das erst um 21.00 Uhr geschlossen wurde, über die normalerweise mit 20.00 Uhr anzusetzende Beendigung der Streupflicht hinaus sicherungspflichtig, jedoch nicht mehr zur Unfallzeit (22.40 Uhr).
Denn es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten für die Schwimmbadbesucher auf 22.00 Uhr begrenzt. Da das Schwimmbad um 21.00 Uhr schloß, war selbst unter Berücksichtigung einer gewissen Verweildauer der letzten Besucher, die sich noch duschen und anziehen mußten, jedenfalls nach 22.00 Uhr nicht mehr mit Personen zu rechnen, die das Schwimmbad verlassen würden. Sofern diese anschließend noch die Gastwirtschaft aufsuchten, unterstanden sie nicht mehr der Verkehrssicherungspflicht des Unterhalters des Schwimmbades. Vielmehr war zu dieser Zeit dann der Pächter des Restaurationsbetriebes für die Sicherheit seiner Gaste verantwortlich. Der Kläger war auch nicht etwa ein „Nachzügler” aus dem Schwimmbad, sondern ein Besucher der Gaststätte, dessen Pächter seine Räume für die Durchführung einer politischen Versammlung zur Verfügung gestellt hatte.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend bedacht, daß der Kläger nicht auf der (von oben gesehen) rechten Treppenhälfte gestürzt ist, für die zur Zeit des Unfalls nicht die Beklagte als Betreiberin des Schwimmbades neben dem Pächter des Restaurants, sondern dieser grundsätzlich nur noch allein streupflichtig war, sondern auf der linken Treppenhälfte, die von der Beklagten zwar bei Glatteisgefahr im allgemeinen durch eine Fähnchenleine für jeden Publikumsverkehr gesperrt, am Unfallabend aber nach den – von der Revision nicht angegriffenen – Feststellungen des Berufungsgerichts frei zugänglich war. Insoweit kann sich eine Pflichtverletzung der Beklagten aus ihrer Stellung als Eigentümerin ergeben.
a) Grundsätzlich bleibt der Gebäudeeigentümer neben dem Pächter oder Mieter für den gefahrlosen Zugang zu dem Gebäude dem Publikumsverkehr gegenüber verkehrssicherungspflichtig. Dies gilt zwar primär gegenüber Gefahren, die ihre Ursache im baulichen Zustand des Gebäudes haben, wie in den von der Revision angeführten vom Reichsgericht entschiedenen Fällen (s. RGZ 92, 359, 363 und 95, 61, 62) und dem Fall, der dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Februar 1961 (VI ZR 49/60 – VersR 1961, 419) zugrunde lag. Die weiterhin bestehende Pflicht des Eigentümers ist aber nicht, wovon das Berufungsgericht auszugehen scheint, auf derartige Sachverhalte begrenzt. Vielmehr verbleibt die Verkehrssicherungspflicht prinzipiell auch für den Schutz vor Glatteis, das gerade Außentreppen gefährlich macht, beim Grundstückseigentümer neben derjenigen des Mieters oder Pächters. In der Rechtsprechung (s. Senatsurteil vom 19. Dezember 1961 – VI ZR 108/61 – VersR 1962, 238 m.w.N.) ist anerkannt, daß dieser die Verkehrssicherungspflicht nicht vollständig auf den Mieter oder Pächter delegieren kann, ihn vielmehr eine Überwachungspflicht trifft, damit sichergestellt wird, daß der Mieter oder Pächter die ihm übertragenen Obliegenheiten ordnungsgemäß erfüllt. In Grenzen kann er allerdings darauf vertrauen, daß der Mieter oder Pächter, wenn er diesem die Verkehrssicherungspflicht überträgt, der Pflicht auch nachkommt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte hervortreten, die dieses Vertrauen erschüttern müssen.
b) Im Streitfall ist in Ermangelung einer ausdrücklichen Vereinbarung zur Übertragung der Streupflicht auf den Pächter der Gastwirtschaft (eine derartige Delegation ist § 7 des Pachtvertrages, durch den der Pächter sich verpflichtet hat, eine Betriebshaftpflichtversicherung abzuschließen, nicht zu entnehmen) zwar davon auszugehen, daß der Pächter mit der Pacht des Gaststättenbetriebes stillschweigend die Pflicht übernommen hatte, auch für die Verkehrssicherung der Zugänge der Gastwirtschaft mit zu sorgen und die Alleinverantwortung zu übernehmen, soweit besondere Sicherungsmaßnahmen in bezug auf die Gaststättenbesucher erforderlich würden. Das trifft auch für die Sicherung der Eingangstreppe gegen Glatteisgefahren Jedenfalls für die Nachtzeit zu, für die eine Streupflicht allein wegen der Besucher der Gaststätte bestand. Bezüglich dieser Streupflicht auf der rechten Treppenhälfte (von oben gesehen) ist eine frühere Versäumnis des Pächters, welche die Beklagte als Hauseigentümerin zum Eingreifen hätte veranlassen müssen, nicht dargetan.
c) Die Beklagte als Eigentümerin des Gebäudes war aber nicht durch einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der linken Treppenhälfte entlastet, die sie selbst bei Glatteisgefahr, wie sie am Unfalltag vorauszusehen war, generell vom Winterdienst aussparte und sperrte, auf der also weder sie noch der Pächter streuten. Insoweit setzte vielmehr die Beklagte für den Pächter einen Vertrauenstatbestand dahingehend, daß diese Treppenhälfte von Ihm nicht gestreut zu werden brauchte, weil die Beklagte durch die von ihr veranlaßte Gestaltung des Winterdienstes auch im Verhältnis zu ihm die Sicherungszuständigkeit übernommen hatte. Zwar wurde der Pächter dadurch nicht von eigenen Sicherungsmaßnahmen vollständig freigestellt. In erster Linie war es Jedoch Sache der Beklagten, dafür zu sorgen, daß aus ihrer Anordnung, die linke Seite der Treppe aus dem Winterdienst herauszunehmen und zu sperren statt auf ihr zu streuen, keine Unfallgefahren erwuchsen. Dafür, daß sie wegen der Handhabung und Überwachung der Absperrung mit dem Pächter eine ausdrückliche und eindeutige Regelung getroffen hat, fehlt Jeder Anhaltspunkt. Unter diesen Umständen könnte die Beklagte aus ihrer Verantwortung für die ordnungsgemäße Sperrung am Unfalltag nur dann entlassen sein, wenn sie beweisen könnte, daß eine ausreichende Sperre zu dem Zeitpunkt, zu dem ihr eine letzte Kontrolle zumutbar war, etwa bei Beendigung des Badebetriebes, noch vorhanden war und auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß eine solche Absperrung nachträglich von Unbefugten wieder beseitigt werden würde, wogegen sie in zumutbarer Weise Vorkehrungen hätte treffen müssen.
Hierzu fehlt es an Jeglicher Feststellung des Berufungsgerichts, sogar am beiderseitigen Sachvortrag.
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das die Parteien nach § 139 ZPO auf diesen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt hinzuweisen haben wird.
Unterschriften
Dr. Steffen, Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Bischoff
Fundstellen
Haufe-Index 1134354 |
NJW 1985, 270 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1985, 98 |