Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine gewillkürte Prozess-Standschaft
Leitsatz (amtlich)
Eine gewillkürte Prozeßstandschaft ist dann zulässig, wenn der Prozeßführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozeßführung ermächtigt worden ist, und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat.
Normenkette
BGB § 894; ZPO § 50
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 6. September 1985 und das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 6. Februar 1985 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien sind die einzigen Kinder der Eheleute Karl und Margarete W.. Diese errichteten am 1. Februar 1955 ein notariell beurkundetes gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben und die Parteien als Erben des Längstlebenden einsetzten. Später kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den Eltern der Parteien und der Klägerin. In einem neuen, jetzt privatschriftlichen, gemeinschaftlichen Testament vom 22. November 1972 trafen die Eheleute Wedde folgende Bestimmungen: Der zwei Grundstücke umfassende Grundbesitz des Vaters der Parteien wurde der Beklagten zugewendet. Die Klägerin wurde enterbt. An ihrer Stelle sollten ihre Töchter Sabine und Stefanie jeweils einen Geldbetrag erhalten, wobei die Summe offenblieb. In die hierfür in der Urkunde freigelassene Lücke setzte die Beklagte die Zahl "10.000" ein. Gemäß notarieller, als "Übergabevertrag" bezeichneter Urkunde vom 17. Januar 1973, die zugleich die Auflassung enthält, übertrug der Vater der Parteien mit Zustimmung seiner Ehefrau seinen Grundbesitz auf die Beklagte. Die Rechtsänderung wurde in das Grundbuch eingetragen. Am 27. Januar 1973 starb der Vater der Parteien.
Die Mutter der Parteien, die sich inzwischen mit der Klägerin wieder versöhnt, aber mit der Beklagten überworfen hat, hält den Übergabevertrag für nichtig, weil ihr Mann wegen seines damaligen schweren Krankheitszustandes nicht mehr geschäftsfähig gewesen, der Vertrag auch nicht ordnungsgemäß beurkundet und die Unterschrift ihres Mannes gefälscht worden sei. Mit Urkunde vom 22. September 1983 trat sie den ihr nach ihrer Ansicht danach zustehenden Anspruch gegen die Beklagte auf Berichtigung des Grundbuchs mit dem Ziel ihrer Eintragung an die Klägerin ab.
Die Klägerin macht sich die Behauptungen ihrer Mutter hinsichtlich des Übergabevertrages zu eigen und hält sich für berechtigt, den behaupteten Grundbuchberichtigungsanspruch im Wege gewillkürter Prozeßstandschaft geltend zu machen. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihre Zustimmung zur Grundbuchberichtigung dahin zu erteilen, daß Eigentümerin der beiden strittigen Grundstücke die Mutter der Parteien ist.
Beide Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen.
Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Zurückverweisung der Sache in erster Linie an das Landgericht, hilfsweise an das Oberlandesgericht.
Die Beklagte beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die Klägerin könne einen etwaigen Grundbuchberichtigungsanspruch ihrer Mutter nicht im eigenen Namen geltend machen, da die Voraussetzungen für eine zulässige gewillkürte Prozeßstandschaft nicht vorlägen.
Zwar sei davon auszugehen, daß die Klägerin von der Mutter der Parteien zur Geltendmachung des Anspruchs ermächtigt worden sei. Es sei auch anerkannt, daß eine solche Ermächtigung rechtswirksam erfolgen könne, obwohl der Grundbuchberichtigungsanspruch nicht selbständig abtretbar sei. Hinzukommen müsse aber noch ein eigenes rechtlich schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung des fremden Rechts; ein solches Interesse sei nur anzuerkennen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits die eigene Rechtslage des Ermächtigten günstig beeinflusse und der Prozeßgegner durch die gewählte Art der Prozeßführung nicht unbillig benachteiligt werde. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt:
Zum einen sei zu berücksichtigen, daß mit der eingeschlagenen Verfahrensweise im Kern der Zweck verfolgt werde, die Mutter der Parteien aus einer ungünstigen Beweislage zu befreien und deren Zeugenvernehmung zu ermöglichen. Zum andern erscheine wegen der Vermögensverhältnisse der Klägerin ein etwaiger Kostenerstattungsanspruch der Beklagten gefährdet. Schließlich sei nicht zu erkennen, inwiefern die von der Klägerin erstrebte Entscheidung deren eigene Rechtslage günstig beeinflussen könnte. Pflichtteilsansprüche der Klägerin nach ihrem Vater seien zweifelsfrei gemäß § 2332 Abs. 1 BGB verjährt; Pflichtteilsergänzungsansprüche (§§ 2325, 2329 BGB) aber würden mit der von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeit des Übertragungsvertrages entfallen. Auch aus der erbrechtlichen Stellung der Klägerin nach ihrer Mutter folge - zu Lebzeiten der Mutter - kein schutzwürdiges Interesse. Das Erb- oder Pflichtteilsrecht als solches stehe hier nicht in Rede; ein Rechtsstreit um den sachlichen Gehalt einer Verfügung von Todes wegen aber sei zu Lebzeiten des Erblassers ausgeschlossen. Etwas anderes könne dem Schlußerben oder Pflichtteilsberechtigten auch nicht mit der Überlegung zugebilligt werden, daß seine Stellung durch Rechtsgeschäfte zu Lebzeiten des Erblassers "ausgehöhlt" werden könnte. Der Erbe oder Pflichtteilsberechtigte habe weder einen Anspruch darauf, daß der Erblasser ihm im Ergebnis etwas hinterlasse, noch darauf, daß der Erblasser zu Lebzeiten einen Grundbuchberichtigungsanspruch geltend mache. Auch der Hinweis der Klägerin auf einen Schadensersatzanspruch wegen Betruges sei nicht tragfähig.
II.
Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der Überprüfung stand. Der Senat hat hierbei, da es um die Frage der Prozeßführungsbefugnis der Klägerin und somit um eine Prozeßvoraussetzung geht, von Amts wegen den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ohne Bindung an die Feststellungen des Berufungsgerichts zu prüfen und zu würdigen (BGHZ 31, 279; Senatsurteile v. 19. Dezember 1975, V ZR 230/73, LM ZPO § 50 Nr. 28 Bl. 2 R und v. 12. Juli 1985, V ZR 56/84, WM 1985, 1324). Die Prüfung führt zu dem Ergebnis, daß die Klägerin befugt ist, in sogenannter gewillkürter Prozeßstandschaft den behaupteten Grundbuchberichtigungsanspruch der Mutter der Parteien im eigenen Namen geltend zu machen.
Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß eine gewillkürte Prozeßstandschaft dann zulässig ist, wenn der Prozeßführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozeßführung ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (st.Rspr., s. etwa BGHZ 38, 281, 283; 92, 347, 349; 96, 151, 152; jeweils m.w.N.). Zu Unrecht meint jedoch das Berufungsgericht, diese Voraussetzungen seien hier nicht vollständig erfüllt.
1.
Eine der Klägerin von seiten ihrer Mutter erteilte Ermächtigung zur Prozeßführung im eigenen Namen hat zutreffenderweise auch das Berufungsgericht bejaht.
Es entspricht anerkannter Rechtsauffassung, daß eine solche Ermächtigung wirksam erteilt werden kann, obwohl der Grundbuchberichtigungsanspruch des § 894 BGB nicht selbständig abtretbar ist (Senatsurteile v. 7. Oktober 1966, V ZR 159/63, WM 1966, 1224; v. 14. Januar 1972, V ZR 164/69, WM 1972, 384; BGB-RGRK/Augustin, 12. Aufl. § 894 Rd. 26; Erman/Hagen, BGB 7. Aufl. § 894 Rd. 13).
Die Ermächtigung braucht auch nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sondern kann sich aus schlüssigem Verhalten des Rechtsinhabers ergeben (BGHZ 25, 250, 260; 94, 117, 122). Im allgemeinen wird in einer "Abtretung" des Berichtigungsanspruchs, wie sie hier am 22. September 1983 erklärt worden ist, eine Ermächtigung zur Geltendmachung des Anspruchs zu sehen sein (vgl. BGB-RGRK/Augustin aaO). Gegen das Weiterbestehen dieser Ermächtigung könnten im vorliegenden Fall allerdings deshalb Bedenken bestehen, weil die Mutter der Parteien im Jahr 1984 im Rahmen eines Prozeßkostenhilfeantrages den Berichtigungsanspruch dann wieder selbst geltend gemacht hat. Der im Berufungsurteil festgestellte Umstand, daß die Mutter der Parteien auf Veranlassung der Klägerin in der Berufungsverhandlung des vorliegenden Rechtsstreits vom 11. Juli 1985 anwesend war, gestattet aber den Schluß, daß sie jetzt wieder die Prozeßführung der Klägerin billigt. Hierin ist jedenfalls eine neue Ermächtigung der Klägerin zu dieser Prozeßführung zu erblicken; es genügt, daß die Ermächtigung bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz erklärt ist (BGHZ 31, 279, 283).
2.
a)
Was das erforderliche eigene Interesse des Ermächtigten an der Geltendmachung des fremden Rechts betrifft, so ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ein solches Interesse der Klägerin jedenfalls hinsichtlich ihres Pflichtteilsanspruchs nach ihrem Vater (§§ 2303, 1924 Abs. 1, 1931 BGB) zu bejahen.
Wäre, wie die Klägerin behauptet, der Übergabevertrag vom 17. Januar 1973 einschließlich der darin erklärten Auflassung nichtig, so wäre das Eigentum an den beiden Grundstücken in den Nachlaß des Vaters gefallen (und auf die Mutter der Parteien als Alleinerbin ihres Ehemannes übergegangen); gemäß § 2311 BGB wäre es daher bei der Berechnung des Pflichtteils der Klägerin heranzuziehen. Zu Recht bekämpft die Revision die Ansicht des Berufungsgerichts, hierauf komme es deshalb nicht an, weil Pflichtteilsansprüche der Klägerin nach ihrem Vater zweifelsfrei gemäß § 2332 Abs. 1 BGB verjährt seien. Das Berufungsgericht verkennt dabei, daß der Ablauf der Verjährungsfrist allein den Pflichtteilsanspruch der Klägerin noch nicht hinfällig macht; weitere Voraussetzung hierfür wäre vielmehr, daß der Verpflichtete - hier also die Mutter der Parteien als testamentarische Alleinerbin - die Verjährungseinrede erheben würde (§ 222 Abs. 1 BGB). Es mag auf sich beruhen, ob, wie die Revision meint, bei Berücksichtigung der Umstände des Falles auszuschließen ist, daß die Mutter der Parteien diese Einrede erheben wird. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, daß dies bisher geschehen wäre; im Hinblick auf das einverständliche Vorgehen der Klägerin und ihrer Mutter erscheint dies auch nicht naheliegend.
b)
Schutzwürdig ist dieses Interesse der Klägerin allerdings nur dann, wenn die Beklagte durch die gewählte Art der Prozeßführung nicht unbillig benachteiligt wird (BGHZ 96, 151, 155 f). Auch das ist hier aber nicht der Fall.
Es kann unterstellt werden, daß mit der eingeschlagenen Verfahrensweise der Zweck verfolgt wird, die Mutter der Parteien aus einer ungünstigen Beweislage zu befreien und ihre Zeugenvernehmung zu ermöglichen. Dieser Zweck wird dadurch, daß nicht die Rechtsinhaberin als Klägerin auftritt, sondern in gewillkürter Prozeßstandschaft eine andere Person, auch erreicht (BGH Urt. v. 30. Mai 1972, I ZR 75/71, NJW 1972, 1580; BGHZ 94, 117, 123 f; a.M. Rüssmann, AcP 172, 520, 542 ff). Das Bestreben, eine bestimmte Person als Zeugen zur Verfügung zu haben, bestimmt indes auch sonst häufig die Art und Weise der Prozeßführung und das Handeln der interessierten Personen, ohne daß dies allein deswegen als mißbräuchlich oder für die Gegenpartei unzumutbar zu beanstanden wäre. Anlaß zur Prüfung dieser Frage boten hauptsächlich Fälle der Abtretung eines Anspruchs, um dem Zedenten im Prozeß um diesen Anspruch die Stellung als Zeugen zu verschaffen (BGH Urt. v. 8. Januar 1976, III ZR 148/73, WM 1976, 424; v. 20. Dezember 1979, VII ZR 306/78, NJW 1980, 991; v. 15. November 1984, III ZR 115/83, WM 1985, 613, 615 m.w.N.). Für die gewillkürte Prozeßstandschaft kann insoweit nichts anderes gelten. Das auf der Hand liegende eigene Interesse des ermächtigenden Rechtsinhabers am Ausgang des Rechtsstreits kann im Rahmen der Beweiswürdigung angemessen berücksichtigt werden.
Ebensowenig kann hier eine unbillige Benachteiligung der Beklagten daraus hergeleitet werden, daß die Durchsetzung entstehender Kostenerstattungsansprüche wegen der Mittellosigkeit der Klägerin gefährdet sei. Soweit Kostenerstattungsansprüche der Beklagten (bedingt) bereits entstanden sind, steht dem schon der unwidersprochen gebliebene Vortrag im Schriftsatz der Klägerin vom 7. Juli 1986 entgegen, daß diese Kosten inzwischen (unter Vorbehalt) beglichen seien. Was künftig etwa entstehende Kostenerstattungsansprüche betrifft, so ist es zwar grundsätzlich als eine unzumutbare Beeinträchtigung der berechtigten Belange der Gegenseite anzusehen, wenn eine unvermögende Partei zur gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen vorgeschoben wird (vgl. etwa BGHZ 35, 180, 183; 38, 281, 287; 96, 151, 153, 155 f). Eine solche Situation ist aber nicht gegeben und eine unbillige Benachteiligung der Gegenseite durch die gewillkürte Prozeßstandschaft nicht zu erkennen, wenn bei einer Prozeßführung durch den Rechtsträger selbst etwaige Kostenerstattungsansprüche der Gegenseite in gleicher oder ähnlicher Weise gefährdet wären, der Rechtsträger also auch keinen wesentlich besseren finanziellen Rückhalt hat als der Ermächtigte. So liegt der Fall hier, wie sich schon aus den Prozeßkostenhilfeunterlagen der beigezogenen Akte 3 O 81/84 ergibt.
Gegen die Gefahr, womöglich nicht nur von der Klägerin, sondern auch von der Mutter der Parteien mit einem Prozeß überzogen zu werden, ist die Beklagte schließlich dadurch geschützt, daß sie dann die Einrede der Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) oder - nach rechtskräftigem Abschluß eines Prozesses - die Einrede der Rechtskraft erheben könnte (BGHZ 78, 1, 7; Senatsurt. v. 12. Juli 1985, V ZR 56/84, WM 1985, 1324, 1325).
III.
Nach alledem ist die Klägerin befugt, den behaupteten Grundbuchberichtigungsanspruch ihrer Mutter nach § 894 BGB im Wege gewillkürter Prozeßstandschaft geltend zu machen. Es kann daher offenbleiben, ob sie ihr Klageziel auch auf der Grundlage des § 812 BGB - sei es insoweit aus abgetretenem Recht oder ebenfalls im Wege gewillkürter Prozeßstandschaft - erreichen könnte (vgl. dazu Senatsurt. v. 12. Januar 1973, V ZR 98/71, NJW 1973, 613, 614; BGB-RGRK/Augustin a.a.O. § 894 Rdn. 28). Desgleichen kann auf sich beruhen, ob ein den Klageantrag rechtfertigender Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB schlüssig vorgetragen ist.
IV.
Die Urteile beider Vorinstanzen, die die Klage wegen fehlender Prozeßführungsbefugnis der Klägerin als unzulässig abgewiesen haben, können somit keinen Bestand haben. Unter Aufhebung dieser Urteile ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, da bei dem gegebenen Prozeßstand eine Weiterbehandlung der Sache durch das Berufungsgericht nicht sachdienlich erscheint (§§ 538 Abs. 1 Nr. 2, 540 ZPO; BGHZ 98, 362, 368).
Unterschriften
Dr. Thumm
Dr. Eckstein
Linden
Räfle
Lambert-Lang
Fundstellen