Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerberaterhaftung aus fehlerhafter Anlageberatung. Bindungswirkung eines fehlerhaften Feststellungsurteils für das Verfahren über die Schadenshöhe
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Mandant kann bei fehlerhafter Beratung durch seinen Steuerberater nur den Schaden ersetzt verlangen, der ihm durch sein Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der erhaltenen Beratung entstanden ist.
2. Ein rechtskräftiges Feststellungsurteil über die Schadensersatzpflicht eines Steuerberaters aus Falschberatung bei der Anlageberatung, in dem davon ausgegangen wird, der Steuerberater könne auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung im Sinne einer Garantie für die Erreichbarkeit der von ihm angegebenen Einkünfte in Anspruch genommen werden, ist zwar fehlerhaft, bindet jedoch auch für das Verfahren über die Höhe des Schadensersatzanspruchs.
3. Ein Steuerberater, der beim Kauf eines Segelhafens als Anlageberatung Jahresmieteinnahmen von 120.000 DM als erzielbar angegeben hatte, haftet insoweit aufgrund des Feststellungsurteils für die Erzielbarkeit dieser Einnahmen; der Mandant kann, wenn die Einnahmen nicht erreicht werden, die Differenz zwischen den von ihm – bei sorgfältiger Wirtschaftsweise objektiv – erzielbaren Einnahmen und den vom Steuerberater in seine Berechnung eingestellten Jahreseinnahmen von 120.000 DM erstattet verlangen.
Normenkette
BGB § 249; StBerG § 33; ZPO § 322
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 23.10.1991; Aktenzeichen 3 U 1804/91) |
LG Traunstein (Urteil vom 08.01.1991; Aktenzeichen 6 O 1025/88) |
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die beklagten Steuerberater, die miteinander in Sozietät stehen, auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.
Am 5. März 1985 machte der Beklagte zu 2) den Ehemann der Klägerin auf die Möglichkeit aufmerksam, einen Segelhafen in P. zu erwerben, den eine Mandantin der Beklagten veräußern wollte. Dabei skizzierte er eine Renditeberechnung, nach der sich bei einer Fremdfinanzierung des Kaufpreises in Höhe von 3 Mio DM und bei jährlichen Einnahmen von 120.000 DM eine Rendite in Höhe von 60.000 DM pro Jahr ergeben sollte. Am 7. März 1985 erwarb die Klägerin den Segelhafen. In der Folgezeit blieben ihre Jahresmieteinnahmen hinter dem Betrag von 120.000 DM zurück. Ferner stellte sich heraus, daß von den im Hafen vorhandenen 80 Bootsliegeplätzen nur 37 behördlich genehmigt waren. Im September 1987 veräußerte die Klägerin den Hafen weiter.
Die Klägerin wirft den Beklagten vor, sie hätten ihr gegenüber ihre Beratungspflicht verletzt, weil sie die Ertragslage des Segelhafens falsch dargestellt und die Genehmigungen für die Liegeplätze nicht überprüft hätten. Sie hat zunächst in dem Verfahren 6 O 336/86 vor dem Landgericht Traunstein gegen die Beklagten Klage auf Feststellung erhoben, daß diese verpflichtet seien, ihr den aus dem Kauf des Hafens entstehenden Schaden zu ersetzen. Daraufhin erließ das Landgericht am 25. November 1986 ein Urteil, in dem festgestellt ist, die Beklagten seien als Gesamtschuldner verpflichtet, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der daraus entsteht, daß bei dem am 7. März 1985 erworbenen Segelhafen jährliche Einnahmen von 120.000 DM nicht erzielt werden können. Dieses Urteil ist rechtskräftig.
Im hier vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 4.177.691,39 DM in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 1.789.197,10 DM stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Verurteilung auf die Berufungen der Beklagten nur in Höhe von 88.139,09 DM aufrechterhalten und die Berufungen der Parteien im übrigen zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hat der Senat nur in Höhe eines Betrages von 114.784,35 DM zur Entscheidung angenommen. In diesem Umfang verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter, während die Beklagten mit ihren Revisionen die vollständige Abweisung der Klage erstreben.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Soweit jetzt noch über die Klageforderung zu entscheiden ist, hat das Landgericht Traunstein mit seinem Feststellungsurteil über deren Grundlage bindend erkannt. Die Bindungswirkung folgt in ihrem Umfang der materiellen Rechtskraft des Feststellungsurteils, die gemäß § 322 Abs. 1 ZPO so weit reicht, wie über den durch die Feststellungsklage erhobenen Anspruch entschieden worden ist (vgl. BGHZ 117, 1, 2; BGH Urt. v. 1. Juli 1986 – VI ZR 120/85, NJW 1987, 371). Für ihre Bestimmung ist zunächst die Urteilsformel heranzuziehen, die eine zuverlässige Aussage darüber, inwieweit das Landgericht Traunstein eine Schadensersatzpflicht der Beklagten bejahen wollte, nicht enthält. Deshalb bedarf es zur Ermittlung der Reichweite der materiellen Rechtskraft der Auslegung des Urteilstenors unter Rückgriff auf Tatbestand und Entscheidungsgründe (vgl. BGH, Urt. v. 8. November 1965 – VIII ZR 300/63, LM § 322 ZPO Nr. 54; v. 15. Juni 1982 – VI ZR 179/80, NJW 1982, 2257; v. 17. Februar 1983 – III ZR 184/81, WM 1983, 454, 455; v. 1. Juli 1986 – VI ZR 120/85, NJW 1987, 371, jeweils m.w.N.). Diese Auslegung kann der Senat frei vornehmen (BGH Urt. v. 8. November 1965 aaO m.w.N.). Nach dem im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegebenen Klageantrag hatte die Klägerin festzustellen begehrt, daß ihr von den Beklagten der Schaden zu ersetzen sei, der aus dem Kauf des Segelhafens entstehe. Gegenüber diesem Antrag enthält die Urteilsformel, die als ersatzfähigen Schaden nur denjenigen bezeichnet, der daraus entsteht, daß jährliche Einnahmen von 120.000 DM nicht erzielt werden können, eine Einschränkung. Vollends deutlich wird dies aus den Entscheidungsgründen des Feststellungsurteils, in denen einerseits eine Schadensersatzpflicht der Beklagten für die fehlenden Liegeplatzgenehmigungen verneint wird und in denen im übrigen ein Anspruch gegen die Beklagten damit begründet wird, sie hafteten dafür, daß die vom Beklagten zu 2) in seiner Modellrechnung angesetzten Jahreseinnahmen von 120.000 DM tatsächlich zu erzielen seien. Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, die Beklagten könnten auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung im Sinne einer Garantie für die Erreichbarkeit bestimmter Einkünfte in Anspruch genommen werden. Damit ist das Feststellungsurteil zwar rechtsfehlerhaft. Es verkennt die für einen Schadensersatzanspruch aus fehlerhafter Beratung gebotene Berechnungsweise, nach der der Mandant eines Steuerberaters, ebenso wie in den Fällen der Anwalts- und Notarhaftung, nur den Schaden ersetzt verlangen kann, der ihm durch sein Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der erhaltenen Beratung entstanden ist und der die vom Landgericht Traunstein zugrunde gelegte Berechnungsweise gerade ausschließt (Senatsurt. v. 7. Mai 1991 – IX ZR 188/90, WM 1991, 1303, 1305 m.w.N.). Diese Rechtsfehlerhaftigkeit ist infolge der Rechtskraft des Feststellungsurteils jedoch hinzunehmen und bindet auch für das Verfahren über die Höhe des Schadensersatzanspruchs.
II.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, für die Berechnung des Betrages, den die Klägerin aufgrund der Bindungswirkungen des Feststellungsurteils ersetzt verlangen könne, sei davon auszugehen, daß bei Jahreseinnahmen von 120.000 DM ggf. Renditen von 60.000 DM pro Jahr erreicht worden wären. Deshalb sei der Klägerin jeweils der Unterschiedsbetrag zwischen der von ihr nach Erwerb des Hafens tatsächlich erzielten Rendite und dem Betrag von 60.000 DM zuzusprechen. Für die Jahre 1985 bis 1988 hat das Berufungsgericht auf dieser Grundlage einen Zahlungsanspruch von 88.139,09 DM errechnet.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Zu Recht wendet die Revision der Klägerin gegen die Berechnung des Berufungsgerichts ein, daß das Feststellungsurteil insoweit, als es einen Anspruch der Klägerin bejaht, nicht auf die vom Beklagten zu 2) errechnete Rendite abstellt. Es führt in seinen Entscheidungsgründen vielmehr aus, der Beklagte zu 2) hafte dafür, daß die von ihm angegebenen Jahreseinnahmen von 120.000 DM tatsächlich erzielt werden können, und begründet dies damit, daß die Rentabilität des Objekts entscheidend von der Höhe dieser Einnahmen abhänge. Daraus kann nicht entnommen werden, daß die Beklagten für den Unterschiedsbetrag zwischen der von der Klägerin erzielten und der vom Beklagten zu 2) errechneten Rendite einstehen sollen. Die aus dem Hafen zu erzielende Rendite war nicht allein von den Jahreseinnahmen abhängig. Sie wurde daneben in erheblichem Maße von der zu erzielenden Steuerersparnis und von der Höhe der Zinsbelastung beeinflußt, die die Klägerin für die Fremdfinanzierung des Hafens aufbringen mußte. Diese Faktoren konnten, auch für die Klägerin erkennbar, erheblichen Änderungen unterliegen, die bei entsprechend ungünstiger Entwicklung sogar zu Renditeverlusten hätten führen können, die die Höhe der vom Beklagten zu 2) angegebenen Jahreseinnahmen überschritten hätten. Dafür, daß das Landgericht Traunstein die Beklagten auch für die darin liegenden Unsicherheiten haftbar machen wollte, enthält das Feststellungsurteil keine Anhaltspunkte. Es ist mithin in dem Sinne auszulegen, daß die Beklagten die Differenz zwischen den von der Klägerin erzielbaren Einnahmen und den von dem Beklagten zu 2) in seine Berechnung eingestellten Jahreseinnahmen von 120.000 DM zu erstatten haben. Dabei ist der Betrag von 120.000 DM als Summe der jährlichen Nettoeinnahmen zu verstehen; denn das Feststellungsurteil führt in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich aus, er müsse voll zur Verfügung stehen und dürfe nicht durch Unkosten geschmälert sein.
Infolgedessen ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Klägerin insoweit aufzuheben, als es die Klage in Höhe eines Betrages von 114.784,35 DM nebst Zinsen abgewiesen hat, § 564 Abs. 1 ZPO. Wie der Senat bereits in seinem Nichtannahmebeschluß vom 30. September 1993 im einzelnen ausgeführt hat, ist dies der Betrag, in dessen Höhe nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin, von dem mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts zu deren Gunsten auszugehen ist, aufgrund der Bindungswirkungen des Feststellungsurteils des Landgerichts Traunstein ein Zahlungsanspruch verbleiben kann.
2. Darüber hinaus halten die Ausführungen des Berufungsgerichts auch den Revisionsangriffen der Beklagten nicht stand.
Die Beklagten rügen zu Recht, daß das Berufungsgericht bei seinen bisherigen Berechnungen den eindeutigen Wortlaut des Feststellungsurteils vom 25. November 1986 außer acht gelassen hat, der für die Ersatzpflicht der Beklagten sowohl in der Urteilsformel als auch in den Entscheidungsgründen auf die Jahreseinnahmen abstellt, die erzielt werden können. Demnach sind für die Ermittlung des von den Beklagten aufgrund der Bindungswirkungen des Feststellungsurteils zu zahlenden Betrages nicht ohne weiteres die Einkünfte zugrunde zu legen, die die Klägerin tatsächlich erzielt hat. Vielmehr kommt es auf diejenigen Nettoeinnahmen an, die bei sorgfaltsgemäßer Wirtschaftsweise aus dem Hafen objektiv erzielbar gewesen wären. Die Beklagten haben behauptet, daß es von Anfang an möglich gewesen wäre, jährliche Nettoerträge von 120.000 DM einzunehmen. Indiz dafür sei, daß es dem Käufer, der den Hafen 1987 von der Klägerin erworben habe, bereits in der Saison 1988 gelungen sei, die Einnahmen auf jährlich 383.000 DM zu steigern, denen lediglich Hafenmeisterkosten von 480 DM monatlich und sonstige laufende Unkosten von 10.000 DM im Jahr gegenübergestanden hätten. Zu Recht rügt die Revision der Beklagten, daß das Berufungsgericht dieses jeweils unter Beweis gestellte Vorbringen bei seiner Entscheidung übergangen hat.
Darüber hinaus enthält das Urteil des Berufungsgerichts auch insoweit einen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten, als es der Klägerin für das Jahr 1988 Schadensersatz zuerkannt hat. Die Klägerin hat sich dadurch, daß sie den Segelhafen im September 1987 nach der letzten mündlichen Verhandlung im Feststellungsprozeß weiterveräußerte, die Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen, selbst abgeschnitten. Dem Feststellungsurteil kann nicht entnommen werden, daß die Beklagten auch für diesen Fall auf den Unterschiedsbetrag zwischen den aus dem Hafen erzielbaren Einkünften und dem Betrag von 120.000 DM weiterhaften sollten.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten auch insoweit aufzuheben, als diese zur Zahlung verurteilt worden sind, § 564 Abs. 1 ZPO.
III.
Da der Rechtsstreit nach dem bisherigen Sach- und Streitstand noch nicht zur Endentscheidung reif ist, muß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, § 565 Abs. 1, 3 ZPO. Diesem wird dadurch Gelegenheit gegeben, unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Schadensersatzanspruch zu entscheiden, der für die Klägerin infolge der Bindungswirkungen des Feststellungsurteils verbleibt und die hierzu erforderlichen Feststellungen nachzuholen. Darüber hinaus wird für das weitere Verfahren folgendes zu beachten sein:
Das Feststellungsurteil enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagten auch insoweit für eine bei der Klägerin entstandene Einnahmedifferenz einstehen sollen, als sie ihre Ursache in der Ausgestaltung des zwischen der Klägerin und der ursprünglichen Eigentümerin des Segelhafens geschlossenen notariellen Kaufvertrages findet. Nach den in Ziffer 5 dieses Vertrages getroffenen Regelungen trat die Klägerin erst mit Wirkung vom 1. März 1985 in die Rechte und Pflichten der Verkäuferin aus den einzelnen Mietverhältnissen ein. Soweit sie sich dadurch die Möglichkeit genommen hat, bereits zuvor fällig gewordene Mietzinsen für das Jahr 1985 zu vereinnahmen, hat dies für die Ermittlung der erzielbaren Einkünfte außer Betracht zu bleiben. Im übrigen dürfen für die Berechnung des von den Beklagten zu erstattenden Betrages auch solche Mindereinnahmen nicht berücksichtigt werden, die darauf beruhen, daß von den bei Hafenerwerb vorhandenen 80 Bootsliegeplätzen nur ein Teil behördlich genehmigt war; denn das Feststellungsurteil verneint in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich eine Haftung der Beklagten für diesen Umstand.
Fundstellen