Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuhälterei
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 8. Januar 1998 insoweit aufgehoben, als der Angeklagte wegen „Zuhälterei, begangen in neun Einzelakten”, in Tateinheit mit Förderung der Prostitution verurteilt wurde.
Die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Zuhälterei begangen in neun Einzelakten”, sowie eines weiteren Falles der Zuhälterei, jeweils in Tateinheit mit Förderung der Prostitution, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Ihr Rechtsmittel richtet sich – wie der Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung klargestellt hat – nicht gegen die Verurteilung im Hinblick auf die unter II 10 der Urteilsgründe begangenen Taten. Die wirksam beschränkte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge, bei der der behauptete Verfahrensverstoß ohnehin nicht nachgewiesen ist, bedarf es daher nicht.
II.
Das Landgericht hat unter anderem folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte hatte gute Geschäftskontakte in die Ukraine, wo er auch die gesondert verfolgte E., seine spätere Ehefrau, kennenlernte. Unter Beteiligung seiner Ehefrau und weiterer Personen organisierte er die Einreise von Frauen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, um diese hier der Prostitution zuzuführen. Die Verfahrensweise war dabei im wesentlichen gleichartig:
Mittelsmänner des Angeklagten waren in der Ukraine nach Vorlage der gemäß § 84 AuslG erforderlichen Einladungen mit der Beschaffung der Visa und sonstigen Reisedokumente befaßt. Die anfallenden Gebühren wurden ebenso wie die Kosten der gebuchten Flüge für die Frauen zunächst von dem Angeklagten übernommen und waren dann später in Deutschland von den Frauen zurückzuzahlen. Die Frauen trafen mit den Hin- und Rückflugtickets in Frankfurt am Main ein und wurden zunächst in das Wohnhaus des Angeklagten verbracht. Noch an dem gleichen oder am nächsten Tag gingen der Angeklagte und seine Frau mit den neu angekommenen Frauen für die Arbeit in der Bar geeignete Kleidung einkaufen, wobei wiederum die Rechnung von dem Angeklagten beglichen wurde und der Betrag später von den Frauen zurückzuzahlen war. Dann wurden die Frauen in verschiedene Etablissements gebracht, um dort der Prostitution nachzugehen. Die Auswahl der Bordelle oblag jeweils dem Angeklagten. Auch der spätere Wechsel des Etablissements – die meisten Frauen waren im Verlaufe ihrer Prostituiertentätigkeit in verschiedenen Bars eingesetzt – erfolgte im wesentlichen auf Zuweisung und Veranlassung des Angeklagten. Dem vereinzelt von Prostituierten geäußerten Wunsch, ein bestimmtes Bordell zu verlassen, wurde zwar Rechnung getragen. Auch hier wurde der genaue Zeitpunkt des Wechsels und insbesondere auch der neue Einsatzort jedoch von dem Angeklagten vorgegeben. Die Abrechnung erfolgte in der Regel dergestalt, daß von den 150 DM, die von dem Freier für eine halbe Stunde zu entrichten waren, 50 % an den Bordellwirt gingen und die verbleibenden 50 % zu gleichen Teilen zwischen der Prostituierten und dem Angeklagten aufzuteilen waren. Darüber hinaus hatten die Prostituierten 20 bis 25 DM Tagesmiete für das Zimmer an den Bordellbesitzer zu bezahlen und mußten ihre Schulden bei dem Angeklagten abtragen. Dieser rechnete mit den von ihn betreuten Frauen in der Regel einmal wöchentlich ab. Dazu hatten die Frauen entweder sonntags zu dem Angeklagten nach Hause zu kommen oder er suchte sie selbst in den jeweiligen Bordellen auf. An ihrem freien Tag nahm der Angeklagte die von ihm betreuten Prostituierten auch zum Einkaufen oder zu Ausflügen mit. Im übrigen war es den Frauen jedoch nur eingeschränkt möglich, das Bordell zu verlassen. In regelmäßigen Abständen führte der Angeklagte die Frauen einem Gynäkologen zur Durchführung von „Berufsfähigkeitsuntersuchungen” vor. Das anfallende Honorar wurde teilweise von dem Angeklagten entrichtet, war aber im Innenverhältnis wieder von den Frauen selbst zu tragen. Der Angeklagte nahm schließlich auch auf den privaten Kontakt der Prostituierten zu Männern in der Form Einfluß, daß er einerseits den Kontakt zu ihm bekannten deutschen Männern herstellte, die – teilweise gegen Bezahlung – zur Eheschließung mit den ukrainischen Frauen bereit waren, wodurch sich der ausländerrechtliche Status der Prostituierten gerade auch im Hinblick auf ihre Erwerbstätigkeit verbesserte, er andererseits aber den Umgang mit deutschen Männern, die die ukrainischen Frauen selbständig kennengelernt hatten, zu verhindern versuchte und in Einzelfällen Ablösesummen etwa in Höhe von 15.000 DM geltend machte. Ab Mai 1995 unterhielt der Angeklagte das Anwesen B., das im Untergeschoß einen Saunabereich, im mittleren Stock einen zweigeteilten Barbereich und im übrigen eine Vielzahl von Schlafzimmern aufwies, als Bordell.
Der Angeklagte hat in den Fällen II 1 bis II 9 der Urteilsgründe in den Jahren 1993 und 1994 neun Frauen aus der Ukraine, die teilweise nicht als Prostituierte arbeiten wollten, die auch eingeschüchtert wurden oder deren Reisepaß einbehalten wurde, in verschiedenen Etablissements zur Prostitutionsausübung untergebracht.
III.
Der Tatrichter hat rechtsfehlerfrei in allen Fällen die Voraussetzungen der dirigierenden Zuhälterei (§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) bejaht (vgl. BGHR StGB § 181 a Abs. 1 Nr. 1 Ausbeuten 1 = NStZ 1989, 67) und zutreffend bei den Frauen L., Li., D. und Ly., die unter anderem im B. der Prostitution nachgingen, Förderung der Prostitution gemäß § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. hierzu u.a. BGHR StGB § 180 a Abs. 1 Nr. 2 Förderungsmaßnahmen 1) angenommen.
Die Verneinung von Menschenhandel (§ 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB) und von ausbeuterischer Zuhälterei (§ 181 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung jedoch nicht stand.
Der Tatrichter hat an die Annahme der „auslandsspezifischen Hilflosigkeit” (vgl. hierzu BGHSt 42, 179, 181) einerseits und an die Feststellungspflicht hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben der Prostituierten bei § 181 a Abs. 1 Nr. 1 StGB andererseits zu hohe Anforderungen gestellt.
1. Nach § 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB wird bestraft, wer auf eine andere Person in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, einwirkt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, oder sie dazu bringt, diese aufzunehmen oder fortzusetzen.
Eine „auslandsspezifische Hilflosigkeit” liegt hier in allen Fällen nahe.
Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer in der konkreten Lage und nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, sich dem Ansinnen aus eigener Kraft zu entziehen (vgl. u.a. Tröndle, StGB 48. Aufl. Rdn. 4 zu § 180 b).
Von einer „auslandsspezifischen Hilflosigkeit” ist auszugehen, wenn das Opfer der deutschen Sprache nicht mächtig ist, über keinerlei Barmittel verfügt und bezüglich Unterkunft und Verpflegung auf den Täter angewiesen ist, wobei die Hilflosigkeit durch die Wegnahme des Passes noch verstärkt wird (vgl. Senatsbeschluß vom 19. März 1997 in BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 2 Anwerben 4). Die Hilflosigkeit durfte vom Tatrichter nicht damit verneint werden, daß die Zeuginnen „jederzeit zurückfliegen” konnten. Abgesehen davon, daß die Feststellungen in den konkreten Einzelfällen dafür nichts ergeben, würde dies der Hilflosigkeit auch nicht entgegenstehen. Denn die Hilflosigkeit besteht in derartigen Fällen häufig gerade darin, daß die Opfer gar nicht in der Lage sind, von einer nur potentiellen Rückkehrmöglichkeit überhaupt Gebrauch zu machen. Dies zeigt sich auch daran, daß nicht einmal Zeuginnen, die nur widerwillig der Prostitution nachgingen, von der Rückkehrmöglichkeit Gebrauch machten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. BGHR StGB § 180 a Abs. 1 Beweiswürdigung 1) steht deshalb eine Nichteinbehaltung des Passes zum Beispiel auch der Annahme persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinne des § 180 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht entgegen.
Die Verneinung des Merkmals Hilflosigkeit durch den Tatrichter ist danach rechtlich zu beanstanden.
Der neue Tatrichter wird unter Beachtung vorstehender Grundsätze für jeden Fall die Voraussetzungen der „auslandsspezifischen Hilflosigkeit” neu zu prüfen und nähere Feststellungen zum „Einwirken” (vgl. hierzu auch BGHR StGB § 180 a Abs. 4 Einwirken 1 und 2; BGHSt 42, 179 ff.) bzw. zum „Dazubringen” im Sinne des § 180 b Abs. 2 StGB zu treffen haben, wobei auch die Verwirklichung der zuletzt genannten Tatbestandsmerkmale sich jedenfalls in den Fällen II 2 bis II 5 der Urteilsgründe aufdrängt.
Im Falle II 1 der Urteilsgründe wird darüber hinaus zu bedenken sein, ob die Zeugin R., deren Wunsch, mit der Prostitution aufhören zu dürfen, der Angeklagte durch die „Einschüchterung” unterband, „wenn sie Probleme bereite, werde er für ihre Scheidung sorgen und sie nach Hause schicken”, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Fortsetzung der Prostitution bestimmt wurde (schwerer Menschenhandel gemäß § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
2. Der Tatrichter hätte schon auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen auch der ausbeuterischen Zuhälterei (§ 181 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) bejahen müssen.
Der Begriff der Ausbeutung verlangt ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle, das zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten führt (vgl. u.a. BGHR StGB § 180 a Abs. 2 Nr. 2 Ausbeuten 1 und BGHR StGB § 181 a Abs. 1 Nr. 1 Ausbeuten 3).
Die Beantwortung der Frage, ob eine spürbare Verschlechterung der Vermögenslage in diesem Sinne vorliegt, setzt zwar grundsätzlich Feststellungen zur Höhe der Einnahmen und Abgaben der Prostituierten voraus (vgl. BGH NStZ 1989, 67 ff.), wobei Abgaben in Höhe von 50 % der Einnahmen die Annahme nahelegen können, es liege Ausbeutung vor (BGH a.a.O.). Entgegen der Auffassung des Tatrichters hindert hier die Unmöglichkeit exakter Feststellungen zu Einnahmen und Ausgaben aber nicht eine Verurteilung wegen ausbeuterischer Zuhälterei. Wenn die Prostituierte mindestens die Hälfte ihrer Einnahmen an den Bordellbesitzer abführen, von dem ihr verbleibenden Anteil wiederum die Hälfte an den Angeklagten abgeben und weiter die Tagesmiete bezahlen muß, ist von einer Ausbeutung im Sinne des § 181 a Abs. 1 Nr. 1 StGB auszugehen. Dies gilt schon unabhängig davon, daß sie wegen der Schuldentilgung längere Zeit noch wesentlich weniger zur Verfügung hatte. Auch darüber wird der neue Tatrichter zu befinden haben.
Das Urteil war daher im angefochtenen Umfang aufzuheben.
Die Aufhebung im Schuldspruch hinsichtlich der Fälle II 1 bis 9 der Urteilsgründe bedingt die Aufhebung der ohnehin unangemessen niedrigen Einzelstrafe und der Gesamtstrafe.
Die Feststellungen können jedoch insgesamt bestehen bleiben, da es sich um Wertungsfehler handelt. Ergänzende, nicht im Widerspruch stehende, Feststellungen sind möglich und geboten.
Der neue Tatrichter wird, falls er – über das zusätzliche Vorliegen der ausbeuterischen Zuhälterei hinaus – auch die Voraussetzungen des § 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB in einzelnen Fällen oder im Falle R. die des § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB bejaht, die Frage der Konkurrenzen neu zu überprüfen haben. In diesem Falle würde die dirigierende Zuhälterei nicht die Kraft haben, die Taten zur Tateinheit zu verklammern.
Soweit der Tatrichter die Voraussetzungen der §§ 73 und 73 d StGB verneint hat, wird der neue Tatrichter sein Augenmerk auch auf § 73 a StGB zu richten haben.
Unterschriften
Jähnke, Theune, Detter, Bode, Rothfuß
Fundstellen
Haufe-Index 540397 |
NStZ 1999, 349 |