Leitsatz (amtlich)
Ist ein Lebensversicherungsanspruch nach § 22 der 1. DVO HVG unpfändbar geworden, so bleibt er es auch nach Beendigung der Versicherungsfreiheit.
Normenkette
VO zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk (1. DVO HVG) v. 13. Juli 1939, RGBl I 1255, § 22
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main |
LG Kassel |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts in Frankfurt (Main) vom 2. Juli 1959 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte, der als selbständiger Maurermeister ein Bauunternehmen betrieb, hatte bei einer Versicherungsgesellschaft schon vor der Währungsunion vier Lebensversicherungen abgeschlossen, die den in dem Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk vom 21. Dezember 1938, RGBl. I S. 1900 (HVG) geregelten Voraussetzungen für eine Befreiung von der Teilnahme an der Angestelltenversicherung entsprachen. Aufgrund dieser Versicherungsverträge machte er bei der Angestelltenversicherung Versicherungsfreiheit geltend. Im Jahre 1953 stellte er die Prämienzahlen ein mit der Folge, daß die Versicherungen durch Kündigung des Versicherers in prämienfreie mit Versicherungssummen von insgesamt 2.525 DM umgewandelt wurden. Am 10. Juli 1957 wurde über das Vermögen des Beklagten der Konkurs eröffnet. Der Kläger kündigte als Konkursverwalter die Versicherungsverträge und ließ sich von der Versicherungsgesellschaft die Rückkaufswerte von insgesamt 1.920,10 DM zur Konkursmasse auszahlen. Dem widersprach der Beklagte mit der Begründung, daß die Ansprüche aus den Lebensversicherungen nach § 22 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk vom 13. Juli 1939, RGBl. I S. 1255 (1. DVO HVG) unpfändbar seien und deshalb nicht der Konkursmasse, sondern ihm selbst zustünden. Der Kläger erhob daraufhin Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag, festzustellen, daß er berechtigt gewesen sei, den Rückkaufswert der Lebensversicherungen einzuziehen und in der Konkursmasse zu behalten. Er ist der Meinung, daß die Ansprüche aus den Lebensversicherungen pfändbar seien, seitdem die Versicherungsfreiheit des Beklagten mit der Umwandlung der Lebensversicherungen in beitragsfreie entfallen sei.
Entscheidungsgründe
Dem Kläger kann das von ihm beanspruchte Recht, die Rückkaufswerte der Lebensversicherungen des Beklagten einzuziehen und in der Konkursmasse zu behalten, nur dann zustehen, wenn die zur Zeit der Konkurseröffnung bestehenden Ansprüche des Beklagten aus diesen Versicherungen zur Konkursmasse gehörten (vgl. Prölss, VVG 12. Aufl. § 15 ALB Anm. 8). Das setzt nach § 1 Abs. 1 KO die Pfändbarkeit der Lebensversicherungsansprüche des Beklagten voraus. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb davon ab, ob diese Ansprüche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung pfändbar waren.
1. Aus § 850b Nr. 4 ZPO kann ihre Unpfändbarkeit schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil der Beklagte als Versicherungsnehmer die Versicherungen nicht – wie diese Bestimmung voraussetzt – ausschließlich für seinen Todesfall, sondern auch für den Fall abgeschlossen hatte, daß er den vereinbarten Zeitpunkt der Fälligkeit der Versicherungssummen erlebte.
2. Dagegen ergibt sich die Unpfändbarkeit der Lebensversicherungsansprüche des Beklagten aus § 22 der 1. DVO HVG. Nach dieser Bestimmung ist in den Fällen, in denen „auf Grund eines Lebensversicherungsvertrages Versicherungsfreiheit geltend gemacht wird”, der aus der Lebensversicherung erwachsende Anspruch auf Leistung eines Kapitals bis zum Höchstbetrag von 10.000 RM/DM der Pfändung entzogen. Diese Voraussetzungen des Pfändungsschutzes lagen bei den vier von dem Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherungen zunächst unstreitig vor.
a) Mit der im Jahre 1953 vollzogenen Umwandlung in prämienfreie Versicherungen, die gemäß § 175 VVG nach Einstellung der Prämienzahlungen durch Kündigung des Versicherers bewirkt wurde, endete dann allerdings nach § 8 Abs. 1 HVG die Versicherungsfreiheit des Beklagten, weil die umgewandelten Versicherungen nicht die Voraussetzungen des § 14 der 1. DVO HVG erfüllten. Damit wurde die Verpflichtung des Beklagten zur Teilnahme an der Angestelltenversicherung gemäß § 1 HVG wieder wirksam. Hierdurch verloren aber die Ansprüche des Beklagten aus den Lebensversicherungen entgegen der von Haaß-Glanzmann (HVG § 3 Anm. 51) erteilten Auffassung der Revision nicht das ihnen durch § 22 der 1. DVO HVG gewährte Privileg der Unpfändbarkeit. Zu einer solchen Änderung des nach § 22 der 1. DVO HVG eingetretenen Rechtszustandes hätte es einer klaren gesetzlichen Regelung bedurft. Sie ist nicht erfolgt. Auch aus § 22 der 1. DVO HVG ergibt sich eine derartige Rechtsfolge nicht. Entgegen der Auffassung der Revision kann dieser Bestimmung nicht entnommen werden, daß das Fortbestehen eines nach § 22 Abs. 1 der 1. DVO HVG eingetretenen Pfändungsschutzes von der Fortdauer der Versicherungsfreiheit abhängig sei. Nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts regelt diese Vorschrift vielmehr schon nach ihrem Wortlaut lediglich den Eintritt der Unpfändbarkeit der Lebensversicherungsansprüche, indem sie bestimmt, daß dieser dann erfolgt, wenn „der Handwerker auf Grund einer hierzu geeigneten Lebensversicherung seine Versicherungsfreiheit geltend macht”. Wenn der Gesetzgeber nicht nur den Eintritt, sondern auch die Fortdauer der Unpfändbarkeit der Lebensversicherungsansprüche an die Versicherungsfreiheit hätte knüpfen wollen, so hätte er das in einer diesem Willen entsprechenden Formulierung der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck gebracht. Er hätte dann entsprechend der in § 4 Abs. 1 HVG getroffenen Regelung bestimmt, daß die Lebensversicherungsansprüche der Pfändung entzogen seien, „wenn und solange” Versicherungsfreiheit geltend gemacht werde, oder in Anlehnung an die in § 8 Abs. 2 und 3 gewählte Formulierung negativ angeordnet, daß die Lebensversicherungsansprüche pfändbar seien, wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungsfreiheit „nicht oder nicht mehr” geltend mache.
b) Der Fortfall der Unpfändbarkeit der Lebensversicherungsansprüche kann entgegen der von Gilbert (ZfW 1955, 103) vertretenen Ansicht auch nicht damit begründet werden, daß die Lebensversicherungen mit der Beendigung der Versicherungsfreiheit ihre Eigenschaft als Handwerkerversicherung verloren hätten. Eine solche Auffassung läßt die Versorgungsfunktion außer acht, die eine Befreiungsversicherung auch nach der Beendigung der Versicherungsfreiheit zu erfüllen hat. Wenn mit der Beendigung der Versicherungsfreiheit die Angestelltenversicherungspflicht wieder in Kraft tritt, wird damit in aller Regel dem Handwerker ein weit geringerer sozialer Alters- und Hinterbliebenenversorgungsschutz zuteil, als wenn er die Befreiungs-Lebensversicherung nicht abgeschlossen, sondern von vornherein an der Angestelltenversicherung teilgenommen hätte. Da sich die Höhe der Renten der Angestelltenversicherung nach den §§ 30 ff. AnVG grundsätzlich nach der Zahl der zur Angestelltenversicherung entrichteten monatlichen Beiträge richtet, wirkt sich der Umstand, daß der Handwerker während der Zeit der Versicherungsfreiheit keine Beiträge zur Angestelltenversicherung geleistet hat, in aller Regel mindestens in einer geringeren Rentenleistung der Angestelltenversicherung aus. Endete die auf Grund eines Lebensversicherungsvertrages geltend gemachte Versicherungsfreiheit erst nach Vollendung des 50. Lebensjahres des Handwerkers, so entfiel nach § 23 der 1. DVO HVG bei der früheren Regelung vor dem Inkrafttreten des AnVNG außerdem der Grundbetrag der Angestelltenversicherungsrente, so daß der Handwerker dann nur die Steigerungsbeträge der Rente erhielt. Darüber hinaus läuft der Handwerker in den Fällen, in denen infolge einer langen Dauer der Versicherungsfreiheit die Teilnahme an der Angestelltenversicherung erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgt, sogar Gefahr, überhaupt nicht mehr in den Genuß der Versorgung aus der Angestelltenversicherung zu kommen. Diese Gefahr wird dann verwirklicht, wenn die Wartezeiten der §§ 23 ff. AnVG nicht mehr erfüllt werden können. Diese nachteiligen Auswirkungen auf die Versorgung aus der Angestelltenversicherung sind um so größer, je länger die Befreiungs-Lebensversicherung wirksam war, je länger also die Versicherungsfreiheit geltend gemacht worden ist. Die Angestelltenversicherung gewährleistet somit den Handwerkern, die eine Zeit lang auf Grund einer Lebensversicherung versicherungsfrei waren, in aller Regel nur einen unzureichenden Versorgungsschutz. Zur Ausfüllung der dadurch entstehenden Versorgungslücken dient die Befreiungs-Lebensversicherung, die auch nach ihrer Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung – wenn auch mit einer herabgesetzten Versicherungssumme – weiter wirksam bleibt (BGHZ 13, 234).Die Versorgungsnachteile, die der Handwerker durch die Verzögerung seines Beitritts zur Angestelltenversicherung erleidet, werden dann durch die Leistungen des Lebensversicherers zumindest zum Teil ausgeglichen. Die Befreiungs-Lebensversicherung behält also auch nach Beendigung der Versicherungsfreiheit weiter die ihr vom Handwerkerversorgungsgesetz zuerkannte Versorgungsfunktion. Damit sie diese auch weiterhin erfüllen kann, muß insbesondere auch die Unpfändbarkeit der aus ihr erwachsenden Ansprüche aufrechterhalten bleiben, weil andernfalls der mit dem Handwerkerversorgungsgesetz verfolgte Zweck, für die selbständigen Handwerker in dem festgelegten Rahmen eine wirksame, dem Zugriff der Gläubiger entzogene Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu gewährleisten, in aller Regel nicht erreicht werden könnte. Die Sicherung der Versorgungsgrundlage des Handwerkers erfordert daher die Fortdauer des Schutzes der Lebensversicherungsansprüche vor einer Pfändung gerade auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit nachträglich wieder entfallen.
c) Die Revision hat allerdings darin recht, daß der Handwerker bei dieser Beurteilung möglicherweise einen zweifachen Pfändungsschutz erhält, und daß dieser in manchen Fällen umfangreicher sein kann, als wenn der Handwerker von vornherein von einer Befreiungs-Lebensversicherung abgesehen und nur an der Angestelltenversicherung teilgenommen hätte. Dies hat aber der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, indem er den Pfändungsschutz für die Ansprüche aus der Befreiungs-Lebensversicherung der Höhe nach nicht auf den Pfändungsschutz bei der Angestelltenversicherung abgestimmt und beschränkt, sondern hierfür in § 22 der 1. DVO HVG zugunsten der Handwerker generell im Falle der Kapitalversicherung einen Höchstbetrag von 10.000 RM/DM festgesetzt hat, auch wenn die Lebensversicherungssumme die nach § 4 Abs. 2 HVG für die Befreiung von der Versicherungspflicht vorgeschriebenen Höhe übersteigt. Diese Regelung gilt sogar für den Fall der Halbversicherung (§ 5 HVG) ungeachtet dessen, daß bei ihr auch die Renten, die der Handwerker aus der Angestelltenversicherung erhält, nach den §§ 76 AnVG, 119, 119a RVO pfändungsfrei sind (Heyn, die Handwerkerversicherung, 2. Aufl. S. 157; Bruck-Möller, VVG 8. Aufl. § 15 Anm. 27). Daraus ergibt sich zugleich, daß die in § 22 der 1. DVO HVG normierte Unpfändbarkeit der Ansprüche aus der Befreiungs-Kapitalversicherung unabhängig davon besteht, ob der Handwerker daneben auch noch unpfändbare Leistungen aus der Angestelltenversicherung erhält.
Aus diesen Gründen ist das Feststellungsbegehren des Klägers unbegründet. Die Revision war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 609348 |
BGHZ, 261 |
NJW 1961, 1720 |
MDR 1961, 748 |