Leitsatz (amtlich)
Die Hauptversammlung kann über die nach § 76 BetrVG 1952 bestimmte Anzahl hinaus weitere Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat wählen.
Normenkette
AktG 1965 § 96; BetrVG 1952 § 76
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.12.1972) |
LG Wiesbaden (Urteil vom 13.01.1972) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) vom 28. Dezember 1972 insoweit aufgehoben, als es über die Kosten der Berufungsinstanz entschieden und auf die Anschlußberufung des Klägers festgestellt hat, daß der Widerruf seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied der Beklagten aufgrund des Aufsichtsratsbeschlusses vom 12. Juli 1972 unwirksam sei. Hinsichtlich dieser Feststellung wird die Anschlußberufung gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wiesbaden vom 13. Januar 1972 zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungs- und Revisionsinstanz fallen zu 1/12 dem Kläger und zu 11/12 der Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger wurde mit Wirkung vom 1. Juli 1968 auf die Dauer von 5 Jahren zum kaufmännischen Vorstandsmitglied der beklagten Aktiengesellschaft berufen und in dieser Eigenschaft durch Vertrag vom 4. März 1968 für dieselbe Zeit angestellt.
Die Beklagte ist ein kommunales Versorgungsunternehmen, dessen sämtliche Aktien sich in der Hand der Stadt W. befinden und das im Strombereich lediglich die Verteilung betreibt. Sie hält zusammen mit den Stadtwerken M. als Tochtergesellschaft die „Kraftwerke M.-W. AG” (KMW), ein Stromerzeugungsunternehmen, das den Strombedarf der Beklagten zu 70 % deckt. Den restlichen. Strom kauft die Beklagte von der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE). Nach § 12 Abs. 7 ihrer Satzung bedürfen der Genehmigung des Aufsichtsrats „die Beteiligung an anderen Unternehmen einschließlich des Erwerbs von Aktien und Geschäftsanteilen, der Erwerb und die Übernahme von Unternehmungen sowie die Beteiligung an Interessengemeinschaften und die Aufgabe oder Stillegung bisheriger Betriebszweige auf Dauer”.
Bei der KMW wurde von Frühjahr 1970 an u.a. ein weiterer Ausbau des Kraftwerks erörtert, der dem steigenden Strombedarf Rechnung tragen und die Unabhängigkeit von den Stromlieferungen der RWE sichern sollte. Zu dieser Zeit unterbreitete die RWE der Beklagten ein Angebot, das zuletzt in einem Vorvertragsentwurf vom 4. Februar 1971 niedergelegt worden war. Es sah vor, daß die Beklagte und die Stadtwerke M. ihre Verteilungsnetze der KMW übertragen sollten und alsdann die RWE sich mit 50 % an der KMW beteiligen sollte, wodurch diese die nötigen Mittel zum Ausbau der Stromerzeugungsanlagen erhalten hätte. Einer von den beteiligten Städten und der KMW eingesetzten Energie-Verhandlungskommission, die u.a. das Angebot der RWE zu prüfen hatte, gehörte für die Stadt Wiesbaden auch der Kläger an. Im Auftrag des für die Beklagte zuständigen Dezernenten der Stadt nahm der Kläger mit Schreiben vom 23. Februar 1971 zu den Auswirkungen dieses Angebots Stellung, und zwar mit einem positiven Ergebnis. Er war auch an der Ausarbeitung der am 10. Mai 1971 eingebrachten Magistratsvorlage Nr. … beteiligt, die dem Magistrat empfahl, den Vorsehlägen der RWE im Grundsatz zuzustimmen. Am 18. Mai 1971 beschloß der Magistrat auf diese Vorlage hin, über das zuständige Dezernat Stellungnahmen der Beklagtem und der KMW einzuholen. Ferner sollten die WI. Wirtschaftsberatung AG und die Deutsche Revisions- und Treuhand-AG – Treuarbeit – mit gutachtlichen Äußerungen zu der Frage beauftragt werden, welche Vor- oder Nachteile der Stadt W. aus dem RWE-Angebot zur Bildung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft, aus dem RWE-Angebot bezüglich eines Interimsvertrags (Beibehaltung der vorhandenen Eigenerzeugung und Deckung des zusätzlichen Bedarfs durch RWE) sowie aus der sogenannten EWAG-Konzeption entstünden; bei dem letztgenannten Plan handelte es sich um den Ausbau einer gemeinsamen regionalen Stromversorgung im Rahmen der „Energiewirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft Rh.-M.”, der die Städte F. (M.), M., O., H., die Beklagte und die KMW angehörten.
Am 4. Juni 1971 faßte der Aufsichtsrat der Beklagten zur Tätigkeit der Energie-Verhandlungskommission eine Reihe von Beschlüssen, darunter den Beschluß Nr. …/71, der wie folgt lautete:
„Die Wiesbadener Vertreter in der Verhandlungskommission werden beauftragt, bei der Abstimmung mit M. davon auszugehen, daß die Stromverteilungsnetze in den Händen der Stadtwerke W. AG verbleiben. Auf dieser Basis ist die Fortsetzung der Verhandlungen mit dem RWE auf der Grundlage des Interimsvertrages vorzubereiten.
Die Fortsetzung der Verhandlungen mit dem RWE kann erst dann erfolgen, wenn Magistrat und Aufsichtsrat hierüber entschieden haben.”
Am 7. September 1971 fand eine Betriebsversammlung der Beklagten statt, die der Betriebsratsvorsitzende R. – zugleich Aufsichtsratsmitglied – leitete. Dieser nahm auch zu dem Angebot der RWE Stellung und sprach sich entgegen diesem Angebot dafür aus, daß die Beklagte in ihrer bisherigen Form und mit dem bisherigen Aufgabenbereich bestehen bleiben sollte. Im Anschluß hieran befürwortete der Kläger unter Hinweis auf zu erwartende wirtschaftliche und soziale Vorteile die RWE-Lösung.
In einer Aufsichtsratssitzung der Beklagten vom 17. September 1971 stellte ein Mitglied für die Arbeitnehmervertreter mit Rücksicht auf die Ausführungen des Klägers in der Betriebsversammlung den Antrag, seine Bestellung zum kaufmännischen Vorstandsmitglied zu widerrufen und ihm fristlos zu kündigen. Nach Anhörung des Klägers gab der Aufsichtsrat in geheimer Abstimmung dem Antrag mit 10 gegen 8 Stimmen statt. Die Widerrufs- und Kündigungserklärung ging dem Kläger am 21. September 1971 zu. Vom 1. Oktober 1971 zahlte die Beklagte dem Kläger keine Bezüge mehr.
In einem für den Magistrat erstatteten Gutachten vom 15. Oktober 1971 (mit Ergänzungen vom 4. Februar und 12. Juni 1972) kam die Treuarbeit zu dem Ergebnis, das RWE-Angebot biete die vorteilhafteste Lösung. Die WI. vertrat dagegen in einem Gutachten vom 3. März 1972 (mit weiteren Stellungnahmen vom 13. März und 23. Oktober 1972) die Auffassung, das RWE-Angebot weise sowohl für die Beklagte als auch für die Stadt Wiesbaden erhebliche Nachteile auf; die anderen Lösungen seien vorzuziehen.
Am 31. Mai 1972 beschloß der Magistrat der Stadt W. nach Anhörung der Gutachter, das RWE-Angebot sei keine geeignete Grundlage für eine langfristige Lösung der energiewirtschaftlichen Aufgaben; die Verteilungsnetze der Beklagten müßten aufgrund des WI.-Gutachtens in kommunaler Hand bleiben; der Ausbau der kommunalen Stromerzeugung im Rahmen der EWAG sei die beste Lösung. Gemäß Beschluß vom 10. Mai 1972 (während des vorliegenden Rechtsstreits) kündigte der Aufsichtsrat der Beklagten „unter Würdigung der Stellungnahme der WI.” erneut den Anstellungsvertrag des Klägers fristlos und hielt den Widerruf der Bestellung aufrecht. In einer Sitzung vom 6. Juni 1972 entzog der Magistrat dem Kläger unter Hinweis auf das WI.-Gutachten das Vertrauen. Gestützt auf einen gleichlautenden Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten vom 12. Juli 1972, widerrief der Aufsichtsrat an demselben Tag noch einmal die Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied und kündigte sein Dienstverhältnis fristlos; dies teilte der Vorsitzende dem Kläger mit Schreiben vom 12. Juli 1972 mit.
Der Kläger hält Bestellungswiderruf und fristlose Kündigung für unwirksam. Er hat beantragt festzustellen, daß durch den Aufsichtsratsbeschluß vom 17. September 1971 seine Bestellung nicht aufgehoben und sein Dienstverhältnis nicht beendet worden seien, und ferner, die Beklagte zur Weiterzahlung seines Gehalts von monatlich 5.000 DM brutto seit dem 1. Oktober 1971 mit Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagte hat mit ihrem Antrag auf Klagabweisung dem Kläger vorgeworfen, er habe durch seine Äußerungen in der Betriebsversammlung vom 7. September 1971 gegen den Aufsichtsratsbeschluß vom 4. Juni 1971 verstoßen, den Betriebsfrieden gestört und die Belegschaft irregeführt. Bei seinem Einsatz für das RWE-Angebot habe er versucht, mit Hilfe falscher Berechnungen eine Fehlentscheidung durchzusetzen. Schon früher habe der Kläger erhebliche Unruhe in der Belegschaft verursacht und eine kollegiale Zusammenarbeit, insbesondere mit den anderen Vorstandsmitgliedern, vermissen lassen. Eine 1971 notwendig gewordene Strompreiserhöhung habe er zum Schaden der Beklagten verzögert.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers festgestellt, daß auch aufgrund der Aufsichtsratsbeschlüsse vom 10. Mai und vom 12. Juli 1972 die Bestellung des Klägers nicht wirksam widerrufen und sein Dienstverhältnis nicht beendet worden sei. Mit der Revision, die der Kläger zurückzuweisen beantragt, möchte die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hält sowohl die Abberufung des Klägers aus dem Vorstandsamt als auch die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags für unwirksam, weil ein wichtiger Grund für diese Maßnahmen nicht vorgelegen habe. Weder durch seine Ausführungen in der Betriebsversammlung vom 7. September 1971 noch durch sein sonstiges Eintreten für das Beteiligungsangebot der RWE habe der Kläger pflichtwidrig gehandelt.
Durch den Beschluß vom 4. Juni 1971 habe der Aufsichtsrat der Beklagten zwar die Vertreter der Stadt W. in der Verhandlungskommission angewiesen, bei der Abstimmung mit der Stadt M. und der Vorbereitung weiterer Verhandlungen mit der RWE davon auszugehen, daß die Stromverteilungsnetze in der Hand der Beklagten blieben. Hierzu sei der Aufsichtsrat auch befugt gewesen, weil die Verhandlungen mit der RWE möglicherweise zustimmungsbedürftige Geschäfte gemäß § 12 Abs. 7 der Satzung betroffen hätten. Darin habe aber weder eine Weisung an den Vorstand noch eine grundsätzliche Entscheidung gegen das RWE-Angebot gelegen; das gehe schon daraus hervor, daß der Beschluß die Fortsetzung der Verhandlungen mit der RWE nach entsprechenden Entscheidungen des Magistrats und des Aufsichtsrats vorsehe, sowie aus den in derselben Sitzung gefaßten weiteren Beschlüssen, die ebenfalls erkennen ließen, daß der Aufsichtsrat sich damals noch nicht endgültig festgelegt und schon gar nicht eine bindende Weisung an den Vorstand erteilt habe. So habe der Aufsichtsrat den Vorstand um Überlegungen gebeten, welche wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Auswirkungen ein Alleingang der Stadt M. bei der Veräußerung der Stromverteilungsnetze für die Stadt W. und die Beteiligung der Beklagten an der KMW haben würde. Ferner habe er den Vorstand beauftragt, für die Verhandlungen in der Städtekommission eine M. Konzeption zu erarbeiten und dabei insbesondere zur Zukunft der KMW Stellung zu nehmen. Schließlich weise ein an demselben Tag gefaßter Aufsichtsratsbeschluß, in jeder Sitzung solle eine Information über den neuesten Stand der Beratungen des RWE-Angebots erfolgen, ebenfalls darauf hin, daß eine endgültige Entscheidung über Annahme oder Ablehnung dieses Angebots noch ausgestanden habe.
Dafür spreche ferner der unter Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern der Beklagten gefaßte Magistratsbeschluß vom 18. Mai 1971 über die Einbringung der vom Kläger mit ausgearbeiteten Vorlage Nr. … und die Einholung von Gutachten der WI. und der Treuarbeit zur Frage, welche Vor- und Nachteile der Stadt u.a. auch aus dem RWE-Angebot entstünden. Schließlich ergebe sich der nur vorbereitende Charakter der genannten Beschlüsse des Aufsichtsrats und des Magistrats aus der Tatsache, daß der Magistrat erst am 31. Mai 1972 im Anschluß an eine Erörterung mit den Sachverständigen seine Grundsatzentscheidung gegen das RWE-Angebot und für die EWAG-Lösung getroffen habe.
Bei der Beurteilung des Verhaltens des Klägers in der Betriebsversammlung vom 7. September 1971 dürfe weiterhin nicht außer Betracht bleiben, daß der Kläger erst nach dem Betriebsratsvorsitzenden und Aufsichtsratsmitglied R. seinerseits seine Ansicht zu der RWE-Lösung dargelegt und damit von der Redebefugnis des Arbeitgebers nach § 42 Abs. 1 Satz 3 BetrVG 1952 Gebrauch gemacht habe, wobei er betont habe, daß es sich um seine persönliche Meinung handle und alles noch „im Stadium der Erörterung” sei. Seine Ausführungen seien auch nicht geeignet gewesen, den Betriebsfrieden zu stören, sondern hätten zur sachlichen Unterrichtung der Belegschaft beigetragen. Der Vorwurf der Beklagten, diese Unterrichtung sei unzutreffend gewesen, gehe schon deshalb fehl, weil die vom Magistrat angeforderten Gutachten damals noch nicht vorgelegen hätten; ein bereits vorhandener Gutachtenentwurf der WI. sei dem Kläger im Gegensatz zu einem anderen Vorstandsmitglied vorenthalten worden.
Allerdings sei die WI. in ihrem späteren Gutachten vom 13. März 1972 zu dem Ergebnis gekommen, das RWE-Angebot weise für die Beklagte und die Stadt W. „gegenüber der augenblicklichen Energiebeschaffungskonzeption erhebliche Nachteile” auf. Immerhin ließen sich diesem Gutachten auch positive Elemente für die RWE-Lösung entnehmen, da nach ihm die Strombeschaffungskosten für die KMW bei dieser Lösung immer noch geringer seien als bei der sogenannten Interimslösung. Vor allem aber könne sich der Kläger mit Erfolg auf das – nicht etwa von ihm, sondern von der Stadt eingeholte – Gutachten der Treuarbeit vom 15. Oktober 1971 und deren ergänzende Stellungnahmen berufen, die in Übereinstimmung mit dem Kläger den RWE-Vorschlag als die für die Stadt W. vergleichsweise vorteilhafteste Stromversorgungskonzeption beurteilten. Mit Rücksicht auf diese gutachtliche Stellungnahme könne dem Kläger auch nicht vorgeworfen werden, er sei im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der Magistratsvorlage Nr. … zu einer offensichtlichen Fehlbeurteilung gekommen und habe sich dadurch als unfähig zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung erwiesen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die gutachtlichen Äußerungen der Treuarbeit oder die der WI. richtig seien. Denn die unterschiedliche Beurteilung der Pläne für eine Neuregelung der städtischen Energieversorgung durch zwei bedeutende und angesehene Wirtschaftsprüfungsunternehmen zeige, daß in dieser Frage durchaus abweichende Auffassungen vertreten werden könnten.
II. Diese Feststellungen tragen das gefundene Ergebnis, soweit das Berufungsgericht den Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied aufgrund der Aufsichtsratsbeschlüsse vom 17. September 1971 und vom 10. Mai 1972 sowie die Kündigung des Dienstverhältnisses überhaupt als unwirksam angesehen hat.
Dabei ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß nach § 76 Abs. 1 AktG der Vorstand die Aktiengesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat und der Aufsichtsrat ihm für die Geschäftsführung keine Weisungen erteilen darf (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Die Satzung kann lediglich, wie es hier geschehen ist, bestimmte Arten von Geschäften an die Zustimmung des Aufsichtsrats binden (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Es ist schon zweifelhaft, ob das damit dem Aufsichtsrat eingeräumte Mitentscheidungsrecht die Befugnis einschließt, einem Vorstandsmitglied vorweg vorzuschreiben, daß es bei den Erörterungen über ein zustimmungsbedürftiges Geschäft innerhalb und außerhalb der Gesellschaft einen bestimmten Standpunkt zu vertreten habe. Das gilt hier um so mehr, als bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über ein solches Geschäft die Hauptversammlung das letzte Wort hat (§ 111 Abs. 4 Satz 3–5 AktG) und gerade die Alleinaktionärin der Beklagten durch ihren zuständigen Dezernenten den Kläger beauftragt hatte, zu den verschiedenen energiewirtschaftlichen Plänen Stellung zu nehmen, womit nur eine unabhängige Stellungnahme gemeint sein konnte.
Jedenfalls greift die tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts durch, der Aufsichtsratsbeschluß vom 4. Juni 1971 sei nicht als endgültige und verbindliche Weisung an den Vorstand aufzufassen. Sie ist rechtlich ebensowenig zu beanstanden wie die weiteren Feststellungen, der Kläger habe sich insbesondere in der Betriebsversammlung vom 7. September 1971 und im Zusammenhang mit der Magistratsvorlage Nr. … weder pflichtwidrig verhalten, noch seien ihm eine unvertretbar fehlerhafte Beurteilung der Lage und geschäftliche Unfähigkeit vorzuwerfen. Mit seiner hieraus gezogenen Folgerung, es fehle an einem wichtigen Grund sowohl für den Widerruf der Bestellung als auch für die Kündigung des Dienstvertrags, hat das Berufungsgericht – von dem noch zu erörternden Gesichtspunkt des Vertrauensentzugs abgesehen – den Begriff des wichtigen Grundes nach § 84 Abs. 3 AktG wie auch nach § 626 BGB nicht verkannt und in tatsächlicher Hinsicht die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens eingehalten.
Die Angriffe der Revision erschöpfen sich insoweit in dem unzulässigen Versuch, die vom Berufungsgericht erörterten Tatsachen anders zu deuten oder ihnen ein anderes Gewicht zu geben. Der Vorwurf, die „Versprechungen des Klägers über höhere Löhne und bessere Sozialleistungen” in der Betriebsversammlung seien „völlig aus der Luft gegriffen” gewesen, hat in dem vorgetragenen Sachverhalt keine Grundlage, wie schon das Landgericht in seinem Urteil (S. 15, 16) eingehend dargelegt hat; in der Berufungsinstanz ist die Beklagte darauf nicht mehr zurückgekommen. Im übrigen hat das Berufungsgericht alle von der Revision angeführten erheblichen Tatsachen gesehen und gewürdigt. Von einer Beweisaufnahme über das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 19. Mai 1972 (S. 2 ff) konnte es absehen, weil dieses Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht nicht über das hinausging, was in dem Aufsichtsratsbeschluß Nr. 58/71 Niederschlag gefunden hat. Da es nach seinen rechtlich fehlerfreien Erwägungen nicht so sehr auf die objektive Richtigkeit oder Unrichtigkeit des WI.-Gutachtens als vielmehr darauf ankam, ob die abweichende Sicht des Klägers im Ergebnis sachlich vertretbar war, brauchte das Berufungsgericht angesichts der weitgehend mit dieser Meinung übereinstimmenden Stellungnahme der Treuarbeit auch kein gerichtliches Gutachten einzuholen. Weitere Ausführungen hierzu erübrigen sich mit Rücksicht auf Art. 1 Nr. 4 BGHEntlG.
III. Da hiernach die Tatsachen, auf die sich der Aufsichtsrat der Beklagten bei seinen mit der Klage beanstandeten Beschlüssen in erster Linie gestützt hat, nach der rechtlich unangreifbaren tatrichtlichen Würdigung keinen schwerwiegenden Vorwurf gegen den Kläger zu begründen vermögen, kann die Beklagte nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts auch nicht unterstützend auf ältere Vorgänge zurückgreifen, aus denen sie einen Widerrufs- oder Kündigungsgrund nicht rechtzeitig hergeleitet hat (vgl. Urt. d. Senats v. 30.10.51 – II ZR 76/51, insoweit in LM BGB § 242 (A) Nr. 2 nicht abgedr.).
IV. Mit Recht wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, auch der Vertrauensentzug durch die Alleinaktionärin rechtfertige nicht den Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied.
1. Nach § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG reicht der Vertrauensentzug nur dann nicht für den Widerruf aus, wenn er aus „offenbar unsachlichen Gründen” erfolgt ist, wofür das abberufene Vorstandsmitglied die Beweislast trägt. Die Tatsache, daß das Berufungsgericht einen sachlichen Grund für den Entzug des Vertrauens nicht festzustellen vermochte, ersetzt nicht die hier notwendige konkrete Feststellung eines offenbar unsachlichen Grundes. Das Vorliegen eines solchen Grundes ist auch nicht dem Vortrag des Klägers zu entnehmen, der Grund könne „nur in dem Versuch liegen, die Prozeßsituation der Gegenseite zu verbessern” (Schrifts. v. 18.7.72). Das Bestreben, die Prozeßführung der Beklagten zu unterstützen, könnte den Hauptversammlungsbeschluß vom 12. Juli 1972 nur dann als offenbar unsachlich erscheinen lassen, wenn die zugrundeliegenden Beweggründe selbst so zu kennzeichnen wären. Dafür bietet aber der vorgetragene Sachverhalt keinen Anhaltspunkt.
Zwar nennt das Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 12. Juli 1972 nicht die Gründe für den Vertrauensentzug. Es besteht aber ein unverkennbarer Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Beschluß vom 6. Juli 1972, durch den der Magistrat dem Kläger bereits das Vertrauen entzogen und dies mit einem Hinweis auf das WI.-Gutachten begründet hatte. Wenn die Mehrheit des Magistrats aufgrund dieses Gutachtens zu dem Ergebnis gekommen war, der Kläger habe die Stadt und die Beklagte falsch beraten und sei deshalb als Vorstandsmitglied nicht mehr tragbar, so läßt sich dem darauf beruhenden Vertrauensentzug auch dann nicht die Bedeutung eines wichtigen Grundes gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG absprechen, wenn dem Kläger subjektiv kein Vorwurf zu machen war oder er sogar objektiv im Recht gewesen sein sollte. Denn ebenso wie das Berufungsgericht dem Kläger die sachliche Vertretbarkeit seiner Ansicht zugute gehalten hat, kann es andererseits nicht als offenbar unsachlich zu werten sein, daß die Vertreter der Alleinaktionärin aufgrund des WI.-Gutachtens zu einem gegenteiligen Urteil gelangt waren und deshalb dem Kläger als Vorstandsmitglied kein Vertrauen mehr entgegenbrachten. Bei dem RWE-Angebot und seiner Einschätzung im Vergleich zu den weiteren Vorschlägen ging es um eine für die künftige Stromversorgung sehr wichtige Entscheidung. Hierzu hatte der Kläger wiederholt mit Nachdruck einen der Mehrheitsauffassung des Aufsichtsrats und des Magistrats gerade entgegengesetzten Standpunkt vertreten. Unter diesen Umständen kann von einem willkürlichen, haltlosen oder sonstwie mißbräuchlichen Entzug des Vertrauens (vgl. BGHZ 13, 188, 193; Urt. d. Sen. v. 7.6.56 – II ZR 221/55, WM 1956, 1182 zu IV) nicht gesprochen werden.
2. Auf den Vertrauensentzug durch die Alleinaktionärin käme es allerdings dann nicht an, wenn der Kläger mit seiner Auffassung Recht hätte, die darauf gestützte Abberufungserklärung vom 12. Juli 1971 sei schon aus förmlichen Gründen unwirksam. Das trifft jedoch nicht zu.
a) Zu Unrecht vermißt der Kläger mit seiner Revisionserwiderung die Feststellung, daß dem Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 12. Juli 1971 ein neuer Mehrheitsbeschluß des Aufsichtsrats zugrundegelegen habe. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils (S. 12) beruhte dieses Schreiben auf einer erneuten Entscheidung des Aufsichtsrats vom gleichen Tage. Überdies hat die Beklagte ohne Widerspruch des Klägers vorgetragen, diese Entscheidung sei „mit überwältigender Mehrheit” zustandegekommen (Schrifts. 18.10.72 S. 16, 17).
b) Weiterhin beanstandet der Kläger, daß dem 18-köpfigen Aufsichtsrat der Beklagten 9 Mitglieder aus dem Kreise der Arbeitnehmer angehören. Er meint, eine solche „paritätische” Besetzung verstoße gegen zwingende aktienrechtliche Grundsätze. Diese Ansicht, die im Schrifttum v. Godin/Wilhelmi (AktG 4. Aufl. § 105 Anm. 3 im Gegensatz zur 3. Aufl.), Claussen (Aktiengesellschaft 1971, 385 ff) und Werner (Aktiengesellschaft 1972, 137 ff) vertreten, findet in der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung keine Grundlage.
Nach § 76 BetrVG 1952 (aufrechterhalten durch § 129 BetrVG 1972) muß der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus gewählten Vertretern der Arbeitnehmer bestehen. Diese Vorschrift sagt nichts über die Zusammensetzung der übrigen, nach § 101 AktG zu wählenden Mitglieder, sondern stellt es in das Belieben der Hauptversammlung, hierfür außenstehende Personen, Aktionäre oder auch Arbeitnehmer aus einem Betrieb der Gesellschaft auszusuchen (Fitting/Auffahrt/Kaiser, BetrVG 11. Aufl. Anh. § 76 BetrVG 1952 Anm. 8). Beruft sie über das nach § 76 BetrVG 1952 zu wählende Drittel hinaus weitere Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat, so sind diese keine „Vertreter der Arbeitnehmer” im Sinne des BetrVG, sondern Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre (§ 96 AktG), die von der Hauptversammlung jederzeit mit der nach § 103 Abs. 1 AktG bestimmten Mehrheit abberufen werden können (OLG Hamburg, Aktiengesellschaft 1972, 183 ff).
Eine Grenze für das freie Auswahlrecht der Hauptversammlung setzen (abgesehen von einem etwa bestehenden Entsendungsrecht gemäß § 101 Abs. 2 AktG oder satzungsmäßigen Beschränkungen im Rahmen des § 100 Abs. 4 AktG) lediglich die zwingenden Vorschriften des § 100 Abs. 1 und 2 AktG sowie § 105 Abs. 1 AktG, der neben Vorstandsmitgliedern und deren dauernden Stellvertretern zwar auch Prokuristen oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigte Handlungsbevollmächtigte, aber keine sonstigen Arbeitnehmer der Gesellschaft von der Wahl in den Aufsichtsrat ausschließt. Hierin liegt keine Gesetzeslücke. Vielmehr hat der Gesetzgeber, wie sich aus der Entstehungsgeschichte einwandfrei ergibt, bewußt davon abgesehen, die Wählbarkeit von Arbeitnehmern sonstwie zu beschränken (dazu ausführlich OLG Hamburg a.a.O.). Nach dem Aktiengesetz 1937 (§ 90) durften Aufsichtsratsmitglieder ursprünglich nicht „als Angestellte die Geschäfte der Gesellschaft führen”. Dieses Verbot wurde mit der Einführung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 auf „leitende Angestellte” beschränkt. Das ausgesprochene Ziel dieser Änderung war es zu ermöglichen, daß die Hauptversammlung freiwillig außer dem von den Arbeitnehmern gewählten Drittel noch weitere Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat wählt (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit vom 8.7.1952, BT-Drucks. I 3585 S. 19). Das Aktiengesetz 1965 begnügte sich dann mit der zuvor wiedergegebenen Regelung des § 105 Abs. 1, die verhindern soll, daß Geschäftsführung und Überwachung der Geschäftsführung in derselben Hand liegen (Begr. zu § 105, abgedr. bei Kropff, AktG 1965 S. 146). Der damit in der jeweiligen Gesetzesfassung deutlich zum Ausdruck gekommene Wille der gesetzgebenden Körperschaften verbietet es, die geltende Unvereinbarkeitsregelung auf Arbeitnehmer allgemein auszudehnen (Mertens in Kölner Komm. z. AktG § 96 Anm. 12, 13; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG § 96 Anm. 46, § 105 Anm. 18–20; Meyer-Landrut in Großkomm. AktG 3. Aufl. § 105 Anm. 5; Baumbach/Hueck, AktG 13. Aufl. Anh. nach § 96 RN 13; OLG Hamburg a.a.O. m.w.N.).
Der vom Kläger vertretene allgemeine Grundsatz, der Kontrollierende müsse „vom Kontrollierten unabhängig sein”, läßt sich im Sinne eines gesetzlichen Verbots der Wahl von Arbeitnehmern in den Aufsichtsrat über § 76 BetrVG 1952 hinaus auch nicht daraus ableiten, daß Angestellte der Gesellschaft keine Gründungs-, Sonder- oder Abschlußprüfer sein können (§ 33 Abs. 5, § 143 Abs. 2 Nr. 1, § 164 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Die Bestellung von Prüfern und die Wahl in den Aufsichtsrat sind verschiedene Tatbestände, bei denen der Gesetzgeber die Unvereinbarkeit des Amtes mit anderen Tätigkeiten bewußt unterschiedlich geregelt hat. An dieser klaren Entscheidung des Gesetzgebers muß schließlich auch der Versuch des Klägers scheitern, die Nichtigkeit der beanstandeten Beschlüsse wegen fehlerhafter Zusammensetzung des Aufsichtsrats damit zu begründen, daß die Wahl zusätzlicher Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat „mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren” sei (§ 241 Nr. 3 AktG). Die Gründe, aus denen die Wahl eines Aufsiehtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung nichtig sein kann, sind in § 250 Abs. 1 AktG erschöpfend aufgezählt. Der vom Kläger geltend gemachte Grund fällt nicht darunter.
Ob es zulässig ist, über die gesetzliche Regelung hinaus eine „paritätische” Besetzung des Aufsichtsrats durch Satzung oder Stimmbindungsvertrag vorzuschreiben (dazu eingehend Mertens a.a.O. § 96 Anm. 15 ff m.w.N.), ist hier nicht zu entscheiden, da ein solcher Sachverhalt nicht vorliegt.
c) Schließlich greift die Revisionserwiderung das Vorbringen des Klägers auf, Aufsichtsratsbeschlüsse, die, wie hier der Beschluß vom 17. September 1971, in geheimer Abstimmung Zustandekommen, seien gesetzwidrig und deshalb nichtig. Diese Frage kann jedoch auf sich beruhen, weil nicht vorgetragen ist, auch bei dem hier allein interessierenden Widerrufsbeschluß vom 12. Juli 1972 habe der Aufsichtsrat geheim abgestimmt. Von einer rechtserheblichen „Fortwirkung” des ersten, nach Ansicht des Klägers nichtigen Widerrufsbeschlusses kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil der spätere Beschluß vom 12. Juli 1972 von einem neuen Sachverhalt – dem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung – getragen ist.
3. Waren hiernach bei dem Aufsichtsratsbeschluß vom 12. Juli 1972 im Gegensatz zu den früheren Beschlüssen die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG gegeben, so konnte das Berufungsgericht gleichwohl feststellen, ein wichtiger Grund für die Kündigung des Dienstverhältnisses habe auch zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen. Denn ein Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, der die Abberufung eines Vorstandsmitglieds rechtfertigt, braucht nicht zugleich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB zu bilden. Das gilt namentlich dann, wenn der Grund für den Vertrauensentzug, wie das Berufungsgericht hier rechtlich fehlerfrei festgestellt hat, nicht in einem schuldhaft pflichtwidrigen Verhalten des Vorstandsmitglieds liegt (vgl. BGHZ 15, 71, 75).
V. Die Revision hat demnach Erfolg, soweit sie sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, auch der am 12. Juli 1972 erklärte Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied sei unzulässig. Im übrigen ist sie zurückzuweisen.
Unterschriften
Stimpel, Fleck, Dr. Kellermann, Bundschuh, Dr. Skibbe
Fundstellen
Haufe-Index 1502400 |
Nachschlagewerk BGH |