Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 23.08.2006) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. August 2006 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe sowie der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft – diese beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch und in der Aussetzungsfrage vom Generalbundesanwalt vertreten – bleiben ohne Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 3
Der Angeklagte hat es sich zur Aufgabe gemacht, Straftäter nicht ungestraft davonkommen zu lassen. In einem Selbstbedienungsladen vermutete er am 16. Juni 2005, dass eine Kundin, die Geschädigte, drogensüchtig sei und einen Ladendiebstahl begehen würde. Deshalb folgte er ihr, die alsbald eine Packung Rasierklingen entwendete oder zu entwenden versuchte. Der Angeklagte informierte hiervon eine Verkäuferin und forderte sie auf, sofort die Ladentür zu verschließen. Als die Geschädigte nunmehr schnellen Schrittes das Geschäft verlassen wollte, ergriff der Angeklagte sie und zog sie, als sie versuchte, sich ihm zu entreißen und zu flüchten, im Würgegriff zurück in das Geschäft, wobei er einen Arm um ihren Hals legte und sie auf diese Weise hinter sich herzog. Hierbei wurden mehrere Warenständer umgestoßen. Nachdem es der Geschädigten gelungen war, sich dem Angeklagten zu entwinden, verfolgte er sie in eine nahe gelegene Bäckerei. Dort drängte der Angeklagte die Geschädigte in einen Hinterraum und brachte sie bäuchlings zu Boden. Sodann fixierte er die laut um Hilfe rufende, von Panik erfasste Geschädigte, indem er ihr ein Knie in den Rücken drückte und ihr gleichzeitig einen Arm im Würgegriff um den Hals legte und ihren Kopf auf diese Weise fest nach oben zog, während er mit der anderen Hand telefonisch die Polizei benachrichtigte. Er versuchte, der Geschädigten einen unbekannt gebliebenen Gegenstand als Knebel in den Mund zu schieben, um sie am Schreien zu hindern. Die Geschädigte erlitt Schmerzen und Würgemale am Hals. Der wiederholten Aufforderung einer Bäckereiverkäuferin, die Geschädigte sofort loszulassen, kam der Angeklagte nicht nach. Erst einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Selbstbedienungsladens gelang es, den Angeklagten dazu zu bewegen, die Geschädigte loszulassen. Der Angeklagte hielt sein Handeln für gerechtfertigt. Er war der Auffassung, dass er auch zum Einsatz stärkerer Körpergewalt im Rahmen seiner Festnahmehandlung berechtigt sei, da die Geschädigte sich durch Flucht immer wieder ihm zu entziehen versuchte.
Rz. 4
Der Angeklagte leidet an einer ausgeprägten paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0). Er ist fünfmal vorbestraft.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
Rz. 6
Zutreffend hat das Landgericht in der Tat des Angeklagten – angesichts des Würgegriffs, des festen rückwärtigen Hochziehens des Kopfes und des Knebelungsversuchs gegen das bäuchlings am Boden liegende, dort mit Kniedruck in den Rücken fixierte Opfer – eine gefährliche Körperverletzung in der Form einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gefunden. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht eine etwaige Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten durch das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Das auch in diesem Zusammenhang geltende Verhältnismäßigkeitsprinzip verbietet es regelmäßig – jedenfalls bei Straftaten von geringem Gewicht –, zur Fluchtverhinderung Handlungen vorzunehmen, die zu einer ernsthaften Gesundheitsbeschädigung oder zu einer unmittelbaren Lebensgefährdung führen (BGHSt 45, 378, 381; Boujong in KK 5. Aufl. § 127 Rdn. 19; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 127 Rdn. 19; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 127 Rdn. 14; jeweils m.w.N.).
Rz. 7
Dass ein Irrtum des Angeklagten über die Rechtswidrigkeit der Tat jedenfalls vermeidbar war (§ 17 StGB), hat das Landgericht rechtsfehlerfrei begründet. Dabei hat es auf die vorangegangenen Strafverfahren, namentlich auf die Verurteilung durch das Landgericht Berlin vom 3. März 2003 wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf der hiesigen Tatkonstellation ähnlichen Fällen abgestellt und hervorgehoben, dass dem Angeklagten durch dieses Urteil die Grenzen des Festnahmerechts aus § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO eindringlich vor Augen geführt worden sind.
Rz. 8
Zum anderen hat das Landgericht die weitere Möglichkeit eines Verbotsirrtums, nämlich die Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB (vgl. BGHSt 40, 341, 349), ausgeschlossen. So hat es ausgeführt, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten „auch nicht durch seine Krankheit begrenzt oder ausgeschlossen” war; vielmehr habe die diagnostizierte schwere Persönlichkeitsstörung „lediglich eine erhebliche Verminderung der Fähigkeit, nach der gewonnenen Einsicht zu handeln”, bewirkt. Eine völlige Ausschließung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen seiner Erkrankung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler verneint.
Rz. 9
Die Strafzumessung ist im Ergebnis angesichts der einschlägigen Vorverurteilungen beanstandungsfrei.
Rz. 10
Schließlich hat das Landgericht ohne Rechtsfehler alle Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB als gegeben befunden. So hat es die mit dem psychiatrischen Sachverständigen festgestellte ausgeprägte paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0) angesichts ihres Ausmaßes als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB bewertet und ist zu der prognostischen Beurteilung gelangt, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei hat das Landgericht, namentlich auf die nicht unerheblichen Gefahren für die Gesundheit der Geschädigten früherer Taten des Angeklagten abstellend, auch dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hinreichend Rechnung getragen.
III.
Rz. 11
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls erfolglos.
Rz. 12
1. Das gilt insbesondere auch, soweit sich das Rechtsmittel gegen die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung richtet. Das Landgericht hat den ihm innerhalb des § 56 StGB gegebenen weiten Beurteilungsspielraum (BGH, Urteil vom 23. Mai 2007 – 5 StR 97/07; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 56 Rdn. 11, 25), der gleichermaßen für die Entscheidung nach § 67b StGB gilt, nicht überschritten. Das Landgericht hat die Aussetzungsentscheidungen auf der Grundlage übereinstimmender vertretbarer Erwägungen getroffen (UA S. 20, 22 f.).
Rz. 13
a) Dabei hat das Landgericht die Gesichtspunkte, die einer günstigen Prognose widerstreiten können, ausweislich der hierzu getroffenen Urteilsfeststellungen und ihrer Verwertung für die Gefährlichkeitsprognose nicht etwa vernachlässigt: Der Angeklagte ist – neben zweier Verfahrenseinstellungen wegen Schuldunfähigkeit – fünfmal verurteilt worden. Insbesondere ist er durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. März 2003 wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, in einem Fall tateinheitlich begangen mit Freiheitsberaubung und fahrlässiger Körperverletzung, sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten mit Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung verurteilt worden. Diesen fünf Fällen der gefährlichen Körperverletzung ist gemein, dass der Angeklagte gegen Verkäufer unversteuerter Zigaretten unter Überschreitung seiner Rechte aus § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO intensiv von Pfefferspray und in einem Fall gravierend von Handschellen Gebrauch machte. Zumindest auch zweien der anderen genannten Verurteilungen liegt die Verfolgung vermeintlicher Straftäter oder die Verwendung von Reizgas zugrunde. Bei Begehung der hier abgeurteilten Tat vom 16. Juni 2005 stand der Angeklagte deshalb unter Bewährung. Bislang besteht keine Krankheitseinsicht des Angeklagten. Vielmehr hat er „immer wieder betont, dass seine Handlungen durch das ihm zustehende Festnahmerecht gedeckt gewesen seien”. Kontakte zum sozialpsychiatrischen Dienst und eine nervenärztliche Behandlung, zu der er sich im Rahmen einer Bewährungsaufsicht bereit erklärt hatte, brach der Angeklagte schließlich ab.
Rz. 14
b) In Erkenntnis aller dieser Umstände hat sich das Landgericht gleichwohl zu der für die Aussetzung erforderlichen positiven Prognose durchgerungen. Es hat dabei maßgeblich auf die Erkenntnis abgestellt, dass „der Angeklagte durch sein Verhalten in den letzten Jahren auch gezeigt (habe), dass er durchaus in der Lage (sei), sich an Regularien zu halten” (UA S. 22). So habe er trotz fehlender entsprechender Unrechtseinsicht bei seinen Festnahmeaktionen nunmehr auf den ihm ausdrücklich verwehrten Einsatz von Pfefferspray verzichtet. Er habe auch die weiteren Bewährungsweisungen zunächst eingehalten. Hiervon ausgehend hat das Landgericht auf die Wirkkraft erneuter Bewährungsweisungen (§ 67b Abs. 2, §§ 68b, 56c, 56d StGB) vertraut. Neben erneuten Behandlungsweisungen und der Unterstellung unter einen Bewährungshelfer hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr zulässigerweise ferner angewiesen, zukünftig jegliche Festnahmehandlung (§ 127 StPO) zu unterlassen.
Rz. 15
Angesichts der bislang partiell bewiesenen Einbindungsfähigkeit des Angeklagten, der gerade selbst auf Regelverstöße anderer besonders empfindlich reagiert, und der ihm unmissverständlich klar gemachten letzten Bewährungschance durfte das Landgericht ohne Überschreitung des ihm zugebilligten weiten Beurteilungsspielraums die für eine Aussetzung von Strafe und Maßregel erforderliche positive Prognose noch einmal bejahen. Dies gilt jedenfalls vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte bei erneuter einschlägiger Straffälligkeit mit solchem Regelverstoß bewusst schwerste Sanktionierung riskieren würde, da ihm ein dann sicher zu erwartender Widerruf der Aussetzungen des Vollzugs der zuletzt verhängten und der hier verhängten Strafe und insbesondere des zeitlich nicht fest begrenzten Maßregelvollzugs deutlich vor Augen geführt wurde.
Rz. 16
2. Auch darüber hinaus birgt das Urteil keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten.
Unterschriften
Basdorf, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2553767 |
NStZ 2007, 303 |
R&P 2007, 211 |