Leitsatz (amtlich)
Wird der Verletzte trotz einer bleibenden körperlichen Behinderung von seinem Arbeitgeber in der bisherigen Stellung unter völlig unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigt, so kann der Sozialversicherer in der Regel wegen der dem Verletzten gezahlten Teilrente keinen Rückgriff bei dem verantwortlichen Schädiger mit der Begründung nehmen, die Arbeitsleistung des Verletzten sei objektiv weniger wert als vor dem Unfall und der fortgezahlte volle Lohn daher zum Teil eine unentgeltliche Zuwendung des Arbeitgebers, die den Schädiger nicht entlasten dürfe.
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Entscheidung vom 19.01.1966) |
LG Heilbronn |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. Januar 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der bei der Klägerin versicherte Maurerpolier Alfred K. wurde am 23. November 1960 auf dem Wege zur Arbeit von dem Beklagten mit dessen Kraftwagen angefahren. Er behielt von den Verletzungen, die ihn für ein Jahr arbeitsunfähig machten, vor allem eine dauernde Schädigung des gebrochenen und unvollkommen verheilten linken Unterschenkels zurück. Hierdurch ist er in seinem Beruf behindert und weniger leistungsfähig als vor dem. Gleichwohl beschäftigt ihn sein Arbeitgeber, der Bauunternehmer Sp., in seiner alten Stellung als Polier zum unveränderten Monatsgehalt von rund 1.000 DM weiter.
Die Klägerin hat Heilungskosten für K. aufgewandt und gewährt ihm eine Teilrente wegen seiner Erwerbsbeschränkung, die nach anfänglich höheren Sätzen seit dem 1. Dezember 1963 auf dauernd 20 v.H. festgesetzt worden ist. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat seine volle Eintrittspflicht für die Unfallfolgen anerkannt und der Klägerin ihre Aufwendungen bis zum 31. Dezember 1961 erstattet. Er lehnt jedoch den Ersatz der seit dem 1. Januar 1962 fortgezahlten Teilrente mit der Begründung ab, der Verletzte erleide im Hinblick auf seine unveränderte Weiterbeschäftigung keinen Erwerbsschaden, dessen Ersatz die Klägerin aus übergegangenem Recht beanspruchen könnte.
Die Klägerin hat demgegenüber behauptet, der Arbeitgeber zahle dem Verletzten nur aus Gründen der Fürsorge sein früheres Gehalt trotz der verminderten Arbeitsleistung weiter. Soweit dieses 600 DM monatlich übersteige, werde es nicht mehr als Entlohnung, sondern als unentgeltliche Sozialzuwendung gewährt. Die Klägerin hat ausgeführt, eine solche Schadloshaltung durch den Arbeitgeber - gleichviel ob vertraglich geschuldet oder freiwillig erbracht - dürfe nicht zur Entlastung des Schädigers führen. Was im Falle der Lohnfortzahlung an einen arbeitsunfähigen Verletzten anerkannt sei, müsse entsprechend auch bei der unveränderten Vollbezahlung eines durch Unfall vermindert Leistungsfähigen gelten. Die Klägerin hat 4.647,30 DM nebst Zinsen zum Ausgleich der bis Ende 1964 gezahlten Renten beansprucht und um die Feststeilung gebeten, daß ihr der Beklagte im Rahmen von § 1542 RVO auch ihre weiteren Aufwendungen aus Anlaß des in Rede stehenden Unfalls ersetzen müsse.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat bestritten, daß der Verletzte nach dem Unfall seinen Beruf nicht mehr voll ausfülle, und behauptet, zumindest sei die heute erbrachte Tätigkeit dem Arbeitgeber wie auch objektiv die unveränderte Vergütung wert, so daß von einer teilweisen Zuwendung aus Fürsorgegründen nicht gesprochen werden könne. Der Beklagte ist überdies den Rechtsansichten der Klägerin entgegengetreten und hat gegenüber dem Feststellungsbegehren darauf hingewiesen, daß ein ausreichendes Anerkenntnis dem Grunde nach abgegeben worden sei.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin ergänzend behauptet, K. habe vor dem Unfall regelmäßig nach Feierabend für private Auftraggeber gearbeitet und dadurch im Monatsdurchschnitt 200 DM erzielt; zu diesem Nebenerwerb sei er infolge seiner Verletzung nicht mehr imstande. Der Beklagte hat dieses neue Vorbringen bestritten und um seine Zurückweisung als verspätet gebeten. Das Oberlandesgericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht hat den rechtlichen Ausgangspunkt der Klägerin gebilligt, daß bei einem unfallversehrten Arbeitnehmer ein bleibender Erwerbsschaden und dementsprechend ein übergangsfähiger Ersatzanspruch gegen den Schädiger in dem Umfang zu bejahen sei, wie der Verletzte sein bisheriges Gehalt nicht mehr als Arbeitsentgelt, sondern als soziale Fürsorgeleistung des Arbeitgebers empfange. Der Tatrichter hat indessen eine solche Aufspaltung der Bezüge in verdiente Entlohnung und unentgeltliche Zuwendung vorliegend nicht festzustellen vermocht. Das Hilfsvorbringen der Klägerin, der Verletzte habe Nebeneinkünfte von 200 DM monatlich unfallbedingt verloren, ist als verspätet zurückgewiesen worden. Ob die Klägerin zumindest diesen Schaden als Rechtsnachfolgerin des Verletzten geltend machen könnte, ist mithin offen geblieben.
1.
Die Rügen der Revision zum ersten Punkt greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat die Feststellung des behaupteten Teilerwerbsschadens nicht daran scheitern lassen, daß der Verletzte nach dem Unfall nicht ausdrücklich im Lohn herabgestuft und dann mit einer ergänzenden Zuwendung aus sozialen Gründen bedacht worden ist, die den Verlust wieder ausglich. Auch wenn sich das unverändert fortgezahlte Gehalt nur nach der übereinstimmenden Vorstellung der Beteiligten künftig aus zwei solchen Bestandteilen zusammensetzen sollte, so hat das Berufungsgericht dargelegt, könnte von einem freiwilligen Schadensausgleich durch den Arbeitgeber gesprochen werden, der nach anerkannten Rechtsgrundsätzen dem Schädiger nicht zugute kommen dürfte.
Der Tatrichter hat indessen selbst eine dahingehende, bloße Vorstellung der Partner des Arbeitsvertrages nicht festzustellen vermocht. Die Revision meint zu Unrecht, daß es auf sie nicht ankomme. Es ist nicht zuzugeben, daß schon ein objektives Zurückbleiben des Wertes der Arbeitsleistung hinter dem fortgezahlten Lohn ausreiche, um die Überzahlung als soziale Zuwendung erscheinen zu lassen. Wenn nicht hinzukommt, daß das übersetzte Entgelt bewußt zur Hintanhaltung einer unfallbedingten Erwerbseinbuße gewährt wird, handelt es sich auch bei einer solchen unausgewogenen Vergütung insgesamt nur um Arbeitslohn. Das Berufungsgericht hat dies zutreffend damit begründet, daß der Arbeitnehmer nicht ein bestimmtes Arbeitsergebnis, sondern seine Arbeitskraft in ihrer konkreten Beschaffenheit schuldet, und daß deren Zurückbleiben hinter der Norm vielfach aus unterschiedlichen Gründen hingenommen wird, ohne daß sich deshalb ein bestimmter Teil des Lohnes als unentgeltliche Zuwendung auffassen lasse. Das gilt selbst dann, wenn die Beschäftigung des vermindert Leistungsfähigen insgesamt auf sozialen Erwägungen beruht, wie etwa bei einem Kriegsversehrten.
So liegt es nach den Feststellungen hier überdies nicht. Der Arbeitgeber beschäftigt den Verletzten trotz seiner unfallbedingten Behinderung weiter, weil er ihn als ungewöhnlich tüchtig, anständig und verläßlich schätzen gelernt hat. Wenn in seinen Augen diese Vorzüge ausreichen, K. in der Stellung als Polier zu belassen, so kann schon deshalb nicht davon gesprochen werden, daß der Verletzte die hierfür gezahlte, tarifmäßige Entlohnung nur zum Teil als Arbeitsentgelt erhalte. Daran ändert es nichts, daß Kettenacker als Unbekannter vermutlich weder von einem fremden noch dem eigenen Arbeitgeber neu als Polier eingestellt würde. Die verschlechterten Aussichten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten allenfalls künftig zu einem Erwerbsschaden führen, wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt hat. Die Behauptung der Revision, K. könnte ohne die Unfallverletzung schon heute bei seinem jetzigen oder einem anderen Arbeitgeber bessere Zahlungsbedingungen aushandeln, muß als neues tatsächliches Vorbringen außer Betracht bleiben.
Es ist nach alledem nicht richtig, daß K. schon deshalb einen Teil seines fortgesahlten Gehalts als freiwilligen Unfallausgleich des Arbeitgebers beziehe, weil er für den gleichen Betrag vordem Überragendes geleistet habe und heute nur noch mit erheblich verringertem Arbeitsergebnis tätig sei. Wenn der Arbeitgeber von einer Gehaltskürzung aus diesem Grunde abgesehen hat - der übrigens wahrscheinlich arbeitsrechtliche Bestimmungen entgegengestanden hätten -, so muß die Klägerin dies hinnehmen.
Daß eine Aufteilung des fortgezahlten Gehalts in Lohn und unentgeltliche Zuwendung zumindest stillschweigend vereinbart worden sei, hat das Berufungsgericht nach dem Beweisergebnis nicht festzustellen vermocht. Hierbei hat es u.a. erwogen, das Unterbleiben einer ausdrücklichen Herabstufung spreche im Sinne einer tatsächlichen Vermutung dafür, daß der Arbeitgeber eine Lohnkürzung nicht beabsichtigt habe. Diese Würdigung läßt sich rechtlich nicht beanstanden. Sie ist möglich, weil der Verletzte als Polier beschäftigt und tarifmäßig bezahlt wird; anders könnte es bei der Einstufung nach einer tatsächlich nicht (mehr) ausgeübten Tätigkeit liegen. Inwiefern das Berufungsgericht mit seiner Erwägung auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zurückgegriffen hätte, ist nicht ersichtlich; ein typischer Geschehensablauf ist nirgends angenommen worden.
Auf weitere Rechtsfragen braucht hiernach nicht mehr eingegangen zu werden. Es kann insbesondere dahinstehen, ob und wie die Klägerin und der Arbeitgeber, wenn dieser tatsächlich eine freiwillige Ausgleichszahlung leistete, an dem entsprechenden Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten beteiligt wären.
2.
Nach dem Gesagten hätte es entscheidend nur noch auf den zweitinstanzlichen Hilfsvortrag der Klägerin ankommen können, der Verletzte habe unfallbedingt einen monatlichen Nebenerwerb von 200 DM verloren. In diesem Punkt greifen die Rügen der Revision durch. Es muß ihr darin beigetreten werden, daß die Nichtzulassung des Vorbringens durch die angewandte Bestimmung des § 529 Abs. 2 ZPO nicht gedeckt wird.
Zu Unrecht meint die Revision freilich, das Berufungsgericht habe der Klägerin die Verspätung nicht ohne nähere Feststellungen als grobe Nachlässigkeit anlasten dürfen. Einer positiven Feststellung diesen Inhalts bedurfte es nicht. § 529 ZPO setzt nur die negative Überzeugung des Gerichts voraus, daß das Fehlen des Verschuldens nicht dargetan sei (vgl. Baumbach-Lauterbach 29. Aufl. § 529 ZPO Anm. 2 B; BGH Urteil vom 12. Februar 1951 - IV ZR 106/50 = NJW 1951, 358). Die Klägerin hat derzeit mit keinem Wort erläutert, weshalb sie mit ihrer Behauptung erst im Lauf des zweiten Rechtszuges hervorgetreten ist. In der Revisionsinstanz kann sie dies nicht nachholen.
Dagegen greift die Rüge durch, das Berufungsgericht habe fehlsam eine Verzögerung des Rechtsstreits im Falle der Zulassung bejaht. Die Klägerin hatte in ihrer Berufungserwiderung vom 9. Dezember 1965 gebeten, K. als Zeugen über den behaupteten Entgang jenes Nebenverdienstes zu hören. Seine Ladung zu der mündlichen Verhandlung am 22. Dezember 1965 wäre nach § 272 b ZPO ersichtlich möglich gewesen. Alsdann durfte die Klägerin nicht aus dem Gesichtspunkt der Verzögerung mit dem Beweismittel ausgeschlossen werden (st. Rspr.; vgl. BGH LM § 529 ZPO Nr. 2, 3). Das würde selbst dann gelten, wenn das Berufungsgericht besorgt haben sollte, die beantragte Beweisaufnahme werde die Vernehmung weiterer Zeugen nach sich ziehen (BGH LM § 529 ZPO Nr. 21). Denn ob dies der Fall sein würde, war nicht mit Sicherheit vorauszusehen. Es war denkbar, daß K. die Beweisfrage erschöpfend und überzeugend beantwortete. Weiterer nachprüfbarer Tatsachen, die das Berufungsgericht in dem Beweiserbieten vermißt, hätte es dann nicht bedurft. Unter diesen Umständen kann auch nicht von einer mangelnden Bestimmtheit der Behauptung gesprochen werden, K. habe vor dem Unfall regelmäßig am Feierabend für private Auftraggeber gearbeitet und so wenigstens 200 DM im Monat hinzuverdient.
Schließlich war dieser Vortrag auch entgegen den Bedenken des Berufungsgerichts rechtserheblich. Sollte er zutreffen, so könnte sehr wohl ein entsprechender Schadensersatzanspruch nach § 1542 RVO auf die Klägerin übergegangen sein. Es stände nicht entgegen, daß sich die Leistungen der Klägerin auf den hauptberuflich erzielten Jahresarbeitsverdienst gründen. Die gezahlten Renten sind inhaltlich deckungsgleich mit allen Einkünften, die der Verletzte vor dem Unfall zur Bestreitung seines Lebensunterhalts erzielte (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 30. Mai 1961 - VI ZR 195/60 = VersR 1961, 709). Es ist für den Rückgriff nicht weiter danach zu unterscheiden, an welchen Teil des Arbeitsentgelts die Sozialrente anknüpft. Auch Heben einnahmen können deshalb zu ihrer Deckung herangezogen werden (ebenso Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 8. Aufl., Tz. 1895). Ob der Nebenerwerb unter Umgehung steuerlicher oder versicherungsrechtlicher Bestimmungen erzielt wurde ("Schwarzarbeit"), kann für die Frage der Kongruenz ebenfalls nicht ausschlaggebend sein.
3.
Der dargelegte Mangel zwingt dazu, das Urteil auf die Revision der Klägerin aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem war auch die vom Sachausgang abhängige Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018632 |
DB 1967, 2036 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1968, 39 |
MDR 1968, 39-40 (Volltext mit amtl. LS) |