Leitsatz (amtlich)
Zur Rechtzeitigkeit der Rüge der Vertragswidrigkeit.
Normenkette
CISG Art. 39 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Aktenzeichen 8 U 4/98) |
LG Bayreuth (Aktenzeichen 3 O 842/96) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. August 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist ein papierverarbeitendes Unternehmen und stellt unter anderem die H. -Feuchttücher her. Die hierfür erforderlichen Feuchttuch-Krepp-Halbfertigfabrikate bezieht sie in ständiger Geschäftsbeziehung von der T. Papierfabrik AG, B. /Schweiz; diese verwendet zur Herstellung der Halbfertigfabrikate Zellulosematerial, das in einer Papiermaschine PM 3 in mehreren Produktionsstufen verfeinert wird. In dieser Maschine befinden sich drei hintereinander geschaltete Mahlwerke, sogenannte Doppelscheibenrefiner, die wahlweise mit Mahlgarnituren des Typs EWR 5/76/60 der Herstellerfirma E. oder mit Mahlgarnituren des Typs E 6533 R/L der Beklagten bestückt werden.
Am 31. März 1993 bestellte die T. Papierfabrik AG bei den Beklagten einen Satz der Mahlgarnitur E 6533 R/L zum Preis von 3.065 DM; den Beklagten war dabei nicht bekannt, daß diese Mahlgarnitur für die Feuchttuchherstellung bestimmt war. Die am 7. April 1993 gelieferte Mahlgarnitur wurde am 13. April 1993 in die Papiermaschine PM 3 als Doppelscheibenrefiner Nr. 1 montiert, der den Doppelscheibenrefinern Nr. 2 und 3 vorgeschaltet ist, und dann am 17. April 1993 in Betrieb genommen. Am 25. April 1993 stellte die T. Papierfabrik AG zunächst am Doppelscheibenrefiner Nr. 2, der mit einer Mahlgarnitur der Firma E. bestückt war, einen Totalschaden fest; daraufhin wurde am 26. April 1993 die schadhafte Mahlgarnitur ersetzt. Am 26. April 1993 erlitt die von den Beklagten gelieferte Mahlgarnitur einen Totalschaden, woraufhin sie durch eine Mahlgarnitur der Firma E. ersetzt wurde.
Vom 19. bis 22. April 1993 produzierte die T. Papierfabrik AG auf der vorgenannten Papiermaschine PM 3 insgesamt 243,51 Tonnen Feuchttuch-Halbfertigfabrikate, von denen sie im April und Mai 1993 eine Teilmenge von 120,953 Tonnen an die Klägerin auslieferte. Am 17. Mai 1993 teilte die Klägerin der T. Papierfabrik AG telefonisch mit, daß sich auf den bereits weiter verarbeiteten H. -Feucht-Fertigprodukten Rostflecken befänden und auch die noch nicht verarbeiteten Feuchttuch-Krepp-Halbfertigfabrikate bereits Neigung zur bräunlichen Fleckenbildung zeigten. Am 27. Mai 1993 beauftragte die T. Papierfabrik AG die Firma P. in M. mit der Identifizierung der Rostflecken und ließ zu diesem Zweck unter anderem die von den Beklagten am 7. April 1993 gelieferte Mahlgarnitur untersuchen. Nach Eingang des Prüfberichts der Firma P. vom 9. Juni 1993, der der T. Papierfabrik am 11. Juni 1993 zugegangen war, wandte sich diese mit Schreiben vom 14. Juni 1993 an die Beklagten und machte diese vorsorglich für den entstandenen Schaden haftbar, weil sie vermutete, daß die von den Beklagten am 7. April 1993 gelieferte Mahlgarnitur mangelhaft gewesen sei.
Nachdem die T. Papierfabrik AG sämtliche Ansprüche, die ihr aus dem mit den Beklagten geschlossenen Kaufvertrag vom 31. März 1993 zustehen, an die Klägerin abgetreten hat, macht diese einen Teilbetrag von 100.000 DM als Schadensersatz wegen nicht vertragsgemäßer Lieferung der Mahlgarnitur geltend. Die Beklagten sind dem Klagebegehren unter anderem mit der Begründung entgegengetreten, sowohl die T. Papierfabrik AG wie auch die Klägerin seien ihrer Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nicht rechtzeitig nachgekommen; die Mängelanzeige der T. Papierfabrik AG gegenüber den Beklagten sei verspätet erfolgt. Im übrigen sei für die am 7. April 1993 gelieferte Mahlgarnitur eine bestimmte Sollbeschaffenheit nicht vereinbart gewesen; zudem sei die gelieferte Mahlgarnitur von der T. Papierfabrik AG beim Einsatz überlastet worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob die T. Papierfabrik AG der ihr gemäß Art. 38 Abs. 1 CISG auferlegten Untersuchungspflicht nachgekommen sei. Selbst wenn man bei dem von der Klägerin behaupteten Qualitätsmangel von einem zunächst versteckten Fehler ausgehe, habe mit Eintritt des Totalschadens am 26. April 1993 an der von den Beklagten am 7. April 1993 gelieferten Mahlgarnitur die Frist zur Erhebung der Mängelrüge nach Art. 39 Abs. 1 CISG zu laufen begonnen. Die Klägerin (richtig: T. Papierfabrik AG) hätte sich mit dem am 26. April 1993 an der fraglichen Mahlgarnitur eingetretenen Totalschaden nicht einfach abfinden und offenbar die Schuld bei sich bzw. einer fehlerhaften Bedienung durch ihre Beschäftigten suchen dürfen. Nach den eigenen Ausführungen der Klägerin sei für den Totalschaden entweder ein Bedienungsfehler oder die Vertragswidrigkeit des Kaufobjekts in Betracht gekommen. Ein eventueller Bedienungsfehler durch eigene Beschäftigte sei jedoch unschwer abklärbar gewesen und habe auch nach der Behauptung der Klägerin nicht vorgelegen. Um so mehr habe sich die Fehlerhaftigkeit der gelieferten Mahlgarnitur aufdrängen müssen. Wenn nach nur wenigen Tagen Einsatz das von den Beklagten gelieferte Mahlwerk zerstört worden sei, habe deshalb Anlaß zu Untersuchungen bestanden, welche die Klägerin (richtig: T. Papierfabrik AG) zunächst unterlassen habe. Versteckte Mängel seien nicht erst nach positiver Kenntnisnahme im konkreten Einzelfall, sondern binnen angemessener Frist nach objektiver Erkennbarkeit zu rügen. Bei einer Betrachtung der möglichen Schadensursachen habe deshalb mit der Feststellung des Totalschadens am 26. April 1993 ein sich aufdrängender Anhaltspunkt für eine Mangelhaftigkeit der gelieferten Mahlgarnitur bestanden, so daß zu diesem Zeitpunkt die Untersuchungs- und Rügefrist des Art. 39 Abs. 1 CISG zu laufen begonnen habe. Gehe man davon aus, daß die T. Papierfabrik AG, wie später geschehen, unverzüglich nach der Feststellung des Totalschadens am 26. April 1993 ein Gutachten in Auftrag gegeben hätte, so wäre mit einer Ergebnismitteilung innerhalb von längstens zwei Wochen zu rechnen gewesen. Wenn man hieran eine weitere 1-Monatsfrist für die Rüge anschließen lasse, sei das Rügeschreiben vom 14. Juni 1993 – wenn auch nur um wenige Tage – verspätet.
Da die T. Papierfabrik AG somit das Recht verloren habe, sich auf die behauptete Vertragswidrigkeit zu berufen, könne die Klägerin nicht aus abgeleitetem Recht vorgehen. Es könne deshalb dahinstehen, ob das Schreiben vom 14. Juni 1993 den inhaltlichen Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 CISG entspreche, welche Beschaffenheit für die Mahlgarnitur vereinbart worden und ob eine für die Schäden relevante Abweichung gegeben sei.
II. Diese Ausführungen halten einer Überprüfung nicht stand.
1. Zutreffend und von den Parteien unbeanstandet wendet das Berufungsgericht auf den zwischen der T. Papierfabrik AG und den Beklagten geschlossenen Kaufvertrag vom 31. März 1993 das Übereinkommen der Vereinten Nationen über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (CISG) an, das für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1991 und für die Schweiz am 1. März 1993 in Kraft getreten ist.
2. Mangels gegenteiliger Feststellung des Berufungsgerichts ist für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Fehler der Mahlgarnitur um einen versteckten Mangel handelt, der weder bei Anlieferung am 7. April 1993 noch bei Montage am 13. April 1993 oder während des Einsatzes durch eine ordnungsgemäße Untersuchung (Art. 38 Abs. 1 CISG) hätte entdeckt werden können. Wenn sich danach die Vertragswidrigkeit der gelieferten Mahlgarnitur erstmals bei dem am 26. April 1993 eingetretenen Totalschaden zeigte, kann dennoch ein Beginn der Untersuchungs- und Rügefrist gemäß Artt. 38 Abs. 1, 39 Abs. 1 CISG bereits zu diesem Zeitpunkt nicht angenommen werden.
a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob nach dem UN-Kaufrecht verborgene Mängel, wie die Revision meint, erst nach positiver Kenntnisnahme im Einzelfall zu rügen sind, so daß die Frist des Art. 39 Abs. 1 CISG erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Mangel tatsächlich (später) festgestellt wird, oder ob, wovon das Berufungsgericht ausgeht, für den Fristbeginn auf die objektive Erkennbarkeit des verborgenen Mangels abzustellen ist (vgl. Schwenzer in v. Caemmerer/Schlechtriem, CISG, 2. Aufl., Art. 39 Rdnr. 20 für „später auftretende, ins Auge springende Mängel”; Koller in Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl., Vor § 373 Art. 39 WKR Rdnr. 674; Honsell/Magnus, Kommentar zum UN-Kaufrecht, 1997, Art. 39 Rdnr. 17; Piltz, Internationales Kaufrecht, 1993, § 5 Rdnr. 64; Heilmann, Mängelgewährleistung im UN-Kaufrecht, 1994, S. 324 f; siehe auch Staudinger/Magnus, CISG, 1994, Art. 39 Rdnr. 32, die eine solche Verpflichtung des Käufers aus dem Grundsatz vom Treu und Glauben ableiten).
b) Auch wenn die T. Papierfabrik AG den am 26. April 1993 eingetretenen Totalschaden nicht auf sich beruhen lassen durfte, sondern Maßnahmen zur Ermittlung der Schadensursache hätte ergreifen müssen, durfte das Berufungsgericht nicht, wie die Revision zu Recht rügt, aufgrund des bisher festgestellten Sachverhalts davon ausgehen, daß ein möglicher Bedienungsfehler durch die eigenen Beschäftigten der T. Papierfabrik AG „unschwer abklärbar” war, so daß sich ihr bereits am Schadenstag die Fehlerhaftigkeit der gelieferten Mahlgarnitur aufdrängen mußte.
aa) Für den am 26. April 1993 eingetretenen Totalschaden kam, wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat und auch vom Berufungsgericht erörtert wird, entweder ein Bedienungsfehler oder die Vertragswidrigkeit der gelieferten Mahlgarnitur in Betracht. Welche der beiden Schadensursachen vorlag, sollte durch das von der T. Papierfabrik AG später eingeleitete selbständige Beweisverfahren geklärt werden; auch im vorliegenden Rechtsstreit haben sich die Beklagten noch auf eine unsachgemäße Bedienung berufen, da die Mahlscheiben nur in geringem Abstand (Quasi-Null-Null-Abstand) gegeneinander liefen. Konnte danach ein Bedienungsfehler auch unbemerkt unterlaufen, ist nicht ersichtlich, wie ein solcher Fehler unmittelbar nach Schadenseintritt ohne besonderen Aufwand lediglich durch Befragung der Beschäftigten der T. Papierfabrik AG hätte ausgeschlossen werden können.
bb) Selbst wenn die T. Papierfabrik AG einen möglichen Bedienungsfehler durch innerbetriebliche Feststellungen und ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens kurzfristig hätte ausräumen können, war ihr für die Entscheidung über das weitere Vorgehen und die Einleitung der hierfür erforderlichen Maßnahmen – etwa die Auswahl und Beauftragung des Sachverständigen – jedenfalls ein gewisser Zeitraum von rund einer Woche zuzubilligen, woran sich die vom Berufungsgericht angenommene zweiwöchige Dauer einer gutachterlichen Untersuchung sowie danach die – regelmäßige – einmonatige Rügefrist nach Art. 39 Abs. 1 CISG (vgl. BGHZ 129, 75, 85 f) anschloß. Dann aber war das Rügeschreiben der T. Papierfabrik AG vom 14. Juni 1993 gegenüber den Beklagten – sieben Wochen nach Eintritt des Totalschadens – nicht verspätet.
3. Das Rügeschreiben vom 14. Juni 1993 entsprach auch, was das Berufungsgericht von seinem rechtlichen Standpunkt aus offenlassen konnte, den inhaltlichen Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 CISG. Durch diese Vorschrift, nach welcher der Käufer „die Art der Vertragswidrigkeit genau” zu bezeichnen hat, soll der Verkäufer in die Lage versetzt werden, sich ein Bild über die Vertragswidrigkeit zu machen, um die erforderlichen Schritte zu ergreifen. Dabei hat der Käufer jedenfalls die gerügten Qualitätsabweichungen zu bezeichnen, wobei bei Maschinen und technischen Geräten nur die Darlegung der Symptome, nicht aber die Angabe der diesen zugrundeliegenden Ursachen gefordert werden kann (Schwenzer aaO Art. 39 Rdnr. 6 ff; Staudinger/Magnus Art. 39 Rdnr. 21). Hier hat die T. Papierfabrik AG den Beklagten mit Schreiben vom 14. Juni 1993 mitgeteilt, daß ein Kunde in den mit der streitgegenständlichen Mahlgarnitur produzierten Halbfertigfabrikaten Stahlspäne gefunden habe und es hierdurch bei der Weiterverarbeitung der Halbfertigfabrikate zu Feuchttüchern bei diesen zu Rostflecken gekommen sei. Zugleich hat die T. Papierfabrik AG die Vermutung geäußert, daß die am 7. April 1993 gelieferte Garnitur mangelhaft gewesen sei, so daß sie die Beklagte vorsorglich für allen aus der nicht vertragskonformen Lieferung entstandenen bzw. künftig noch entstehenden Schaden haftbar mache. Damit war die beanstandete Vertragswidrigkeit der Lieferung entsprechend dem damaligen Kenntnisstand der T. Papierfabrik AG hinreichend genau bezeichnet, so daß die Beklagten dem Schreiben vom 14. Juni 1993 sowohl den Liefergegenstand wie die gerügte Vertragswidrigkeit entnehmen konnten.
4. Da das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – Feststellungen zum Vorliegen der gerügten Vertragswidrigkeit, zu einer möglichen Haftungsbeschränkung der Beklagten sowie zum Umfang des geltend gemachten Schadens nicht getroffen hat, war die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Ball, Wiechers
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.11.1999 durch Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539188 |
DB 2000, 569 |
NJW-RR 2000, 1361 |
EWiR 2000, 125 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 481 |
ZIP 2000, 234 |
MDR 2000, 258 |
RIW 2000, 381 |
ELF 2000, 12 |
TranspR-IHR 2000, 1 |