Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 20.12.2010) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 20. Dezember 2010 werden – soweit es den Angeklagten K. betrifft – verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft trägt die Staatskasse, die Kosten des Rechtsmittels der Nebenkläger tragen diese selbst. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte. Die dem Angeklagten durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, dass die Zeit der verbüßten Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wird. Vom Vorwurf des Mordes hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision gegen den Freispruch und beanstandet mit der Sachrüge Rechtsfehler in der Beweiswürdigung. Die Revisionen der Nebenkläger richten sich mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ebenfalls gegen den Freispruch und beanstanden die rechtliche Würdigung des Landgerichts sowie die Höhe der verhängten Strafe.
Rz. 2
Die Revisionen der Nebenkläger sind zulässig, soweit sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes und wegen Körperverletzung mit Todesfolge erstreben. Soweit sie rügen, das Landgericht hätte den Angeklagten des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und der Gefährdung des Straßenverkehrs bzw. des Versuchs dieser Delikte sowie des Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig sprechen müssen, und die Höhe der verhängten Strafe beanstanden, sind die Rechtsmittel gemäß § 400 Abs. 1, § 395 Abs. 1 und 3 StPO unzulässig.
Rz. 3
Die Rechtsmittel bleiben im Übrigen in der Sache ohne Erfolg.
Rz. 4
I. Nach den Feststellungen beschädigten der Angeklagte und seine inzwischen rechtskräftig abgeurteilten früheren Mitangeklagten A., O. und W. in Ka. auf dem Parkplatz des „Spaßbades am P.” einen von dem Obdachlosen B. als Unterkunft benutzten Personenkraftwagen. Nachdem dieser von dem Angeklagten Schadensersatz gefordert und begonnen hatte, ihn zur späteren Identifizierung mit der Kamera seines Mobiltelefons zu filmen, kam es zwischen beiden zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Geschädigte auf dem Angeklagten zum Liegen kam. Dieser rief den früheren Mitangeklagten A. zu Hilfe, der B. zwei kräftige Tritte mit seinen festen Turnschuhen versetzte, wovon einer den Kopf traf. Der Angeklagte, der sich dadurch befreien konnte, lief zu dem Personenkraftwagen, setzte sich an das Steuer und fuhr davon. Dem Geschädigten gelang es, sich auf der Beifahrerseite festzuhalten. Nach einer kurzen Fahrstrecke ließ er im Bereich einer Verkehrsinsel das Fahrzeug los. Ob der Geschädigte dabei stürzte oder sich Verletzungen zuzog, konnte das Landgericht nicht sicher aufklären. Der Angeklagte fuhr in ein nahegelegenes Wohngebiet, wo er den Personenkraftwagen abstellte.
Rz. 5
Ca. eine Stunde später fanden Zeugen im Bereich der Verkehrsinsel den leblosen Körper des Tatopfers auf dem Bauch liegend in einer großen Blutlache. Todesursache war eine massive stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf des Getöteten.
Rz. 6
Das Landgericht hat in der Hauptverhandlung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass der Angeklagte vor Verlassen des Parkplatzes das Tatopfer durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen dessen Kopf tötete. Soweit die Anklage ihm zur Last legt, dies getan zu haben, um die von ihm zuvor begangenen Straftaten zu verdecken, hat es ihn aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. In der Beweiswürdigung hat es hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Der Täter habe nach dem Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen dem Getöteten die todesursächlichen Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf mit einem flächenhaften Tatwerkzeug zugefügt. Keinesfalls seien sie durch den Tritt des früheren Mitangeklagten A. oder einen Sturz vom fahrenden Kraftfahrzeug verursacht worden. Der Tod sei binnen weniger Sekunden eingetreten.
Rz. 8
Es sei möglich und sogar wahrscheinlich, dass es der Angeklagte gewesen sei, der B. tödlich verletzt habe. Das Geschehen auf dem Parkplatz sei in erster Linie durch sein Verhalten eskaliert. Er habe die Gelegenheit gehabt, vor Verlassen des Parkplatzes anzuhalten und das Tatopfer zu töten. Der Angeklagte habe wegen der von ihm zuvor begangenen Straftaten auch ein nachvollziehbares Motiv für die Tötung aufgewiesen. Auch sein Nachtatverhalten – der Versuch, im Kraftfahrzeug hinterlassene Spuren zu beseitigen, die Rückkehr an den Tatort kurz nach der Tat sowie die Äußerungen gegenüber Dritten, er sei für den Tod verantwortlich – seien gewichtige, gegen ihn sprechende Indizien. Die Gesamtschau aller Umstände spreche für die Täterschaft des Angeklagten. Es verblieben jedoch nicht zu überwindende Zweifel. Die Aussagen von Zeugen ließen es als möglich erscheinen, dass der Angeklagte vor dem Verlassen des Parkplatzes nicht mehr angehalten habe. Es habe auch für die Angeklagten A. und O. bei vergleichbarer Motivlage die Möglichkeit bestanden, das Tatopfer zu töten. Die Erklärung des Angeklagten, er habe sich als verantwortlich für den Tod bezeichnet, weil er davon ausgegangen sei, B. habe sich die tödlichen Verletzungen durch einen Sturz vom fahrenden Personenkraftwagen zugezogen, sei nachvollziehbar.
Rz. 9
Entscheidungsgründe
II. Die Überprüfung des Urteils unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ergeben.
Rz. 10
1. Das angefochtene Urteil wird den Mindestanforderungen an die Begründung eines freisprechenden Urteils gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116, 117; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 267 Rn. 33 mwN) noch gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich der Anklagevorwurf, der Angeklagte habe dem Geschädigten die tödlichen Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf zur Verdeckung der von ihm zuvor begangenen Straftaten der Sachbeschädigung und gefährlichen Körperverletzung zugefügt, in ausreichender Weise entnehmen. Die Strafkammer hat Feststellungen zur Person des Angeklagten sowie – soweit es ihr möglich war – zur Sache in einer geschlossenen Darstellung getroffen. Anschließend hat sie im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung erörtert, aus welchen Gründen sie sich mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nicht davon hat überzeugen können, dass der Angeklagte das Tatopfer tötete. Die Urteilsgründe sind daher so abgefasst, dass der Senat sie darauf überprüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.
Rz. 11
2. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie weist keinen sachlich-rechtlichen Fehler (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 337 Rn. 26 ff. mwN) auf. Sie ist weder widersprüchlich, lückenhaft oder unklar noch verstößt sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Strafkammer hat alle wesentlichen Gesichtspunkte erörtert, die für und gegen den Angeklagten sprechen, und im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau aller Indizien (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1995 – 5 StR 351/95, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 11) rechtsfehlerfrei dargelegt, aus welchen Gründen sie sich keine sichere Überzeugung davon bilden konnte, dass der Angeklagte es war, der das Tatopfer tötete. Der Beweiswürdigung sind keine überspannten Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit zu entnehmen. Den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten” hat sie zutreffend nicht auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung, sondern auf das Ergebnis der gesamten Beweisaufnahme angewendet (Meyer-Goßner, aaO, § 261 Rn. 26 mwN).
Rz. 12
Die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft deckt aus den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Widerspruch in den getroffenen Feststellungen oder Lücken in der Beweiswürdigung auf. Die wesentlichen Inhalte der Einlassungen des Angeklagten und der früheren Mitangeklagten sind den Urteilsgründen ausreichend zu entnehmen. Der Schluss der Strafkammer, der Angeklagte habe seine Äußerungen, er sei für den Tod des B. verantwortlich, unwiderlegbar auf einen vermuteten Sturz des Geschädigten von dem fahrenden Fahrzeug bezogen, ist sachlichrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere hat sie keine Tatvariante unterstellt, für die keine konkreten Anhaltspunkte vorlagen. Die von ihr angenommene Tatortnähe der früheren Mitangeklagten A. und O. folgt daraus, dass sie sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen dort bis zum Wegfahren des Angeklagten vom Parkplatz und wieder nach der Tat aufhielten. Das von der Staatsanwaltschaft behauptete wechselnde Aussageverhalten des Angeklagten zum Tatgeschehen im Laufe der Ermittlungen ergibt sich aus der für die revisionsrechtliche Überprüfung aufgrund der erhobenen Sachrüge allein maßgeblichen Urteilsurkunde nicht. Soweit sie rügt, im Urteil seien Beweisergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung nicht berücksichtigt worden, ist dieses Vorbringen urteilsfremd und deshalb für die Überprüfung im Rahmen der Sachrüge unbeachtlich.
Rz. 13
3. Mit ihrer zusammenfassenden Wertung, es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wahrscheinlich, dass der Angeklagte und die früheren Mitangeklagten A. und O. in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken das am Boden liegende Tatopfer erschlagen haben, zeigen die Nebenkläger keinen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf. Entgegen ihrer Meinung kam auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) nicht in Betracht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere dem Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen, ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die tödlichen Kopfverletzungen des Geschädigten weder bei einem Sturz vom fahrenden Personenkraftwagen oder einem Überrollvorgang noch durch den Tritt gegen den Kopf, den der frühere Mitangeklagte A. nach Aufforderung durch den Angeklagten ausführte, verursacht worden sein können.
Unterschriften
Schäfer, Pfister, von Lienen, Mayer, Menges
Fundstellen