Leitsatz (amtlich)
›Soweit es auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ankommt, muß das Gericht in seiner Spruchbesetzung einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können. Die formlose Unterrichtung eines Teils des Spruchkörpers über den von anderen Mitgliedern gewonnenen persönlichen Eindruck genügt nicht.‹
Verfahrensgang
OLG Naumburg |
LG Halle (Saale) |
Tatbestand
Die klagende Sparkasse nimmt aus vier Wechseln die Beklagte zu 1) als Akzeptantin und den Beklagten zu 2) als deren persönlich haftenden Gesellschafter auf Zahlung von 383.000 DM nebst Zinsen in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte zu 1) gab der inzwischen in Konkurs gefallenen K. GmbH in B., für die sie im Lohnauftrag Halbfabrikate für Schuhe fertigte, vier Blanko-Wechselakzepte. Die K. GmbH stellte unter Benutzung der Akzepte Wechsel über Beträge von insgesamt 375.000 DM aus und indossierte sie der Klägerin. Alle vier Wechsel gingen mangels Zahlung zu Protest.
Die Parteien streiten darüber, ob den Wechselforderungen der Einwand sittenwidrigen Verhaltens entgegensteht. Dazu behaupten die Beklagten, die Blankoakzepte seien der K. GmbH nur aus Gefälligkeit und gegen das Versprechen, rechtzeitig die Wechsel einzulösen bzw. die Wechselsumme zur Verfügung zu stellen, erteilt worden; die Klägerin habe dies gewußt und die Wechsel gleichwohl in Kenntnis der prekären Lage der K. GmbH diskontiert, um ihre gefährdeten Kreditforderungen gegen diese zu Lasten der Beklagten zu realisieren.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Der Klageforderung stünden zwar keine wechselrechtlichen Einwendungen entgegen. Gleichwohl könne die Klage keinen Erfolg haben, weil nach der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme feststehe, daß die der Wechselbegebung zugrunde liegenden Abreden und ebenso auch die Wechseldiskontgeschäfte selbst sittenwidrig und damit nach § 138 BGB nichtig seien.
Die Klägerin habe die Zahlungsschwäche der K. GmbH gekannt und diese daraufhin veranlaßt, durch eine Änderung der bisherigen Wechselausstellungspraxis die Beklagten mit in die Wechselhaftung zu nehmen. Dabei habe sie gewußt, daß die K. GmbH der Beklagten zu 1) keine Waren geliefert, sondern lediglich Lohnaufträge erteilt habe. Sie habe somit in arglistiger Weise versucht, ihr Kreditengagement bei der K. GmbH zu Lasten der Beklagten abzumildern.
Das Wissen der Klägerin vom Fehlen ordnungsgemäßer Geschäfte als Grundlage der Wechselbegebungen stehe aufgrund der Bekundungen des Zeugen K. fest. Demgegenüber könne der Aussage des Zeugen H. nicht gefolgt werden, soweit dieser behauptet habe, er sei als damals für die Klägerin Handelnder von der Ordnungsmäßigkeit der den Wechselbegebungen zugrunde liegenden Geschäfte überzeugt gewesen. Zur Beurteilung der einander widersprechenden Zeugenaussagen sei das Berufungsgericht ungeachtet eines nach der Vernehmung des Zeugen H. eingetretenen teilweisen Wechsels der Senatsbesetzung in der Lage, weil der Berichterstatter unverändert im Senat geblieben sei und "über den Protokollinhalt hinaus den unmittelbaren Eindruck von der Zeugenaussage H. zu vermitteln" vermocht habe. Für eine erneute Vernehmung des Zeugen H. oder eine Gegenüberstellung der Zeugen habe deshalb kein Anlaß bestanden.
II. Die Revision rügt mit Recht, daß die an dem Urteil mitwirkenden Richter Ba. und Bu. an der Vernehmung des Zeugen H. nicht teilgenommen haben und daher keinen eigenen persönlichen Eindruck von diesem Zeugen gewonnen haben können.
1. Ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme erfordert zwar nicht in jedem Falle deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können durch Auswertung der Vernehmungsprotokolle verwertet werden, sofern es auf einen persönlichen Eindruck von den Zeugen und ihren Bekundungen nicht ankommt (Senatsurteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, WM 1991, 566, 567 m.w.Nachw.).
So liegt der Fall hier indes nicht. Das Berufungsgericht hat den Zeugen K. für glaubwürdig, den Zeugen H. dagegen für unglaubwürdig gehalten. In diesem Zusammenhang hat es sich sowohl mit der Frage des persönlichen Interesses beider Zeugen am Ausgang des Rechtsstreits als auch mit dem Aussageverhalten des Zeugen H. auseinandergesetzt. Daß dabei auch der nur von dem Senatsmitglied Dr. Z. gewonnene unmittelbare Eindruck von der Zeugenaussage H. verwertet wurde, ist in den Urteilsgründen ausdrücklich festgehalten.
2. Damit liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) vor. Bei einem Kollegialgericht kann dieser Grundsatz entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht dadurch gewahrt werden, daß ein Mitglied des Gerichts an einer Zeugenvernehmung teilnimmt und die übrigen zur Entscheidung berufenen Richter formlos über seine persönlichen Eindrücke unterrichtet. Soweit es um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen geht, muß das erkennende Gericht in seiner Spruchbesetzung einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können (Senatsurteil vom 4. Dezember 1990 aaO.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1994 - II ZR 4/94, NJW 1995, 1292, 1293; jeweils m.w.Nachw.). Im vorliegenden Fall ist keins dieser beiden Erfordernisse erfüllt.
III. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Die erneute Verhandlung wird dem Berufungsgericht Gelegenheit geben, die beiden entscheidenden Zeugen im gleichen Termin zu vernehmen und sie zur Aufklärung von Widersprüchen einander gegenüberzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993459 |
NJW 1997, 1586 |
BGHR ZPO § 355 Abs. 1 Unmittelbarkeit 6 |
BGHR ZPO § 398 Abs. 1 Ermessen 26 |
EzFamR aktuell 1997, 204 |
MDR 1997, 592 |