Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 18.06.2003) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Juni 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der 1952 geborene Angeklagte vor der hier abgeurteilten Tat bereits vier Banküberfälle. Im Jahr 1982 überfiel er die Volksbank S., wo er ca. 14.000 DM erbeutete, und auf der Flucht sodann eine Zweigstelle der Volksbank F.; dort er- reichte er die Herausgabe von 16.000 DM. Nachdem er seine Beute durch Glücksspiele verbraucht hatte, überfiel er schließlich eine Bank in D. und erwirkte die Übergabe von 97.000 DM. Deswegen verurteilte ihn das Landgericht Düsseldorf 1984 wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, die der Angeklagte verbüßte. Während eines Hafturlaubes überfiel er 1988 eine Bankfiliale in K.. Dort nahm er im Kassenraum 50.000 DM an sich und er- reichte schließlich vom Filialleiter die Herausgabe weiterer 112.000 DM. Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Landgericht Karlsruhe 1988 wegen schwerer räuberischer Erpressung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Nachdem der Angeklagte zwischenzeitlich noch wegen Sachbeschädigung, begangen bei einem Fluchtversuch aus der Justizvollzugsanstalt, zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, wurde er im August 1999 aus der Strafhaft entlassen.
Im August des Jahres 2002 sah der Angeklagte dem Verlust seines Arbeitsplatzes entgegen; er war zudem verschuldet. Mit zwei Bekannten erwog er, eine Bank zu überfallen. Nachdem drei verschiedene Objekte ins Auge gefaßt waren, überfiel er schließlich am 26. August 2002 gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten P. die Filiale der Kreissparkasse E. in O.. Der Angeklagte und P. führten je eine Schreckschuß- pistole bei sich, die für einen unbefangenen Beobachter wie echte Schußwaffen aussahen. Der Angeklagte hatte überdies – wie schon bei einem der früheren Überfälle – eine Bombenattrappe vorbereitet, mit der er die in einer gesicherten Kassenbox stehende Kassiererin zum Öffnen der Zugangstür zwingen wollte. P. war mit einer Gesichtsmaske aus Armeebeständen ausgestat- tet, der Angeklagte hatte lediglich eine Baseballmütze auf dem Kopf und verzichtete sonst auf Tarnung. Er trat vor die Kassenbox, zog aus dem mitgeführten Rucksack seine Schreckschußwaffe und richtete diese durch das Sicherheitsglas auf die Kassiererin. Gleichzeitig stellte er seine Bombenattrappe direkt an das Sicherheitsglas und sagte: „Dies ist ein Überfall. Jetzt geht gleich eine Bombe hoch. Machen Sie die Tür auf!” Als die Kassiererin erwiderte, der Angeklagte solle „den Blödsinn” lassen, betrat auch der Mittäter P. die Bank und hielt seine Waffe in der Hand. Er ging zielstrebig zu den hinteren Büroräumen. Die Kassiererin fürchtete nun um ihr Leben und öffnete die Zugangstür zur Kassenbox. Der Angeklagte richtete weiter seine Waffe auf sie und befahl ihr, sich auf den Boden zu legen. Er ging zum Schalter und packte die auf dem Kassentisch liegenden Geldscheine ein. Er befahl der Zeugin, sie solle auf dem Boden liegen bleiben und ging dann zum Ausgang. Der Mittäter P. hatte im rückwärtigen Büroraum seine Waffe auf die junge Filialleiterin gerichtet, die im dritten Monat schwanger war, in Panik geriet und Todesangst verspürte. Auch sie mußte sich auf den Boden legen und die Arme spreitzen. Sie versuchte jedoch, sich etwas auf die Seite zu legen, da sie panische Angst hatte, sich in ihrem Zustand auf den Bauch zu legen. Sie flehte den Mittäter P. an, ihr nichts zu tun. Als dieser hörte, daß der Angeklagte dabei war, die Bank zu verlassen, drehte er sich um und folgte diesem. Beide fuhren davon. Die Beute belief sich auf knapp 50.000 Euro. Die beiden Bankbediensteten befanden sich infolge des Überfalls in einem Schockzustand. Die Filialleiterin war völlig aufgelöst, mußte einen Arzt aufsuchen und war für zwei Wochen krankgeschrieben. Sie mußte danach therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, ist nach der Geburt ihres Kindes beurlaubt und hat sich nicht vorstellen können, wieder ihre Funktion als Filialleiterin auszuüben oder im Kassenbereich zu arbeiten.
Das Landgericht hat von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten abgesehen. Die formellen Voraussetzungen seien zwar erfüllt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB). Der für die Anordnung erforderliche Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten sei indessen nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellbar (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Bei dem Angeklagten bestehe zwar ein „erhöhtes Rückfallrisiko”. Er verfüge aber über ein intaktes Wertesystem. Auf ihn könne durchaus positiv eingewirkt werden, wie seine positive Entwicklung nach einer fast zweijährigen Sozialtherapie im Rahmen des Vollzuges zeige. Das erhöhte Rückfallrisiko mindere sich bereits durch die erkannte vieljährige Freiheitsstrafe. Der Angeklagte werde nach der zu erwartenden vollständigen Verbüßung nahezu 60 Jahre alt sein. Dadurch mindere sich die Rückfallwahrscheinlichkeit, „jedenfalls für die Begehung von Banküberfällen”. Aus einer erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit könne zudem nicht unmittelbar auf einen inneren Hang geschlossen werden. Sicherungsverwahrung sei die ultima ratio strafrechtlicher Sanktionen. Deshalb seien besondere Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen zu stellen. Zudem unterscheide sich die neue Tat des Angeklagten von früheren Taten. Hier sei der Tatentschluß in Vorgesprächen mit dem Mittäter wechselseitig bestärkt worden. Der Angeklagte selbst habe am Tattag noch zweimal Vorwände gefunden, um die Tat bei verschiedenen angefahrenen Objekten nicht auszuführen, dann aber nicht über „genügend Kraft” verfügt, seine Bedenken auszusprechen und das Vorhaben „abzublasen”.
II. Die Begründung, mit der das Landgericht die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Soweit die Strafkammer ausführt, ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten sei nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellbar, läßt dies besorgen, daß sie die Anforderungen an die Annahme eines solchen Hanges überspannt hat (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB).
Das Merkmal „Hang” im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet; ebenso aber auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist das Bestehen eines solchen Hanges, nicht dessen Ursache (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGH, Beschluß vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01).
Die Strafkammer hat ausgeführt, aus der – von ihr angenommenen – erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit könne nicht unmittelbar auf einen inneren Hang geschlossen werden. Sie hätte sich in diesem Zusammenhang näher mit den Vorverurteilungen und den Umständen, unter denen es zu diesen wie auch zur verfahrensgegenständlichen Tat kam, auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte hat nach drei Banküberfällen aus einem Hafturlaub heraus erneut 1988 eine einschlägige Tat begangen und zwei langjährige Freiheitsstrafen verbüßen müssen. Zwar ist er nach seiner Haftentlassung etwa drei Jahre nicht straffällig geworden, hat dann aber, in einer schwieriger werdenden Lebenssituation im Alter von 50 Jahren die neue Tat begangen. Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer darauf eingehen müssen, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß der Angeklagte den durch seine Lebenslage bedingten Einflüssen und der von anderen Personen ausgehenden Versuchung letztlich nachgab. Dies deutet auf innere Haltlosigkeit und Willensschwäche hin, in deren Folge der Angeklagte Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Auch darin kann eine fest eingewurzelte Neigung gründen, in entsprechenden Situationen schwerwiegende Straftaten zu begehen. Nach der Begehung des fünften Banküberfalls liegt solches eher nahe.
2. Schließlich geben die Urteilsgründe Anlaß zu der Annahme, daß das Landgericht auch für die Gefährlichkeitsprognose von einem nicht zutreffenden Maßstab ausgegangen sein könnte. Es hat ausgeführt, das erhöhte Rückfallrisiko mindere sich durch die erkannte vieljährige Freiheitsstrafe; der Angeklagte werde nach der zu erwartenden vollständigen Verbüßung nahezu 60 Jahre alt sein.
Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für die Gefährlichkeitsprognose (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich (vgl. BGHSt 25, 59, 61; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 3; BGH NStZ 2002, 535; siehe zu § 66 Abs. 2 StGB auch BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03 – UA S. 21). Die Frage, ob die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft noch vorhanden sein wird, muß grundsätzlich einer Überprüfung nach § 67 c Abs. 1 StGB vor Ende des Vollzuges der Strafe vorbehalten bleiben. Der Tatrichter darf – zumal bei der Frage einer obligatorischen Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB – dem Alter des Angeklagten und den Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges allenfalls dann Bedeutung beimessen, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daß aufgrund dessen eine Gefährlichkeit des Täters bei Ende des Vollzuges der Strafe nicht mehr bestehen wird. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Umstände können die Gefährlichkeit jedoch nicht ausräumen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; BGH, NStZ 2002, 535; NStZ-RR 1998, 206; BGH, Urteil vom 7. November 2000 – 1 StR 377/00; Urteil vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01). Die Würdigung der Strafkammer, die genannten Umstände (vieljährige Freiheitsstrafe, Lebensalter nach Verbüßung nahezu 60 Jahre) minderten die Rückfallwahrscheinlichkeit, wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Charakterisierung des Angeklagten und die Prognose legen eher nahe, daß eine nicht mehr bestehende Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft nicht sicher wird angenommen werden können. Das deutet die Strafkammer selbst an, indem sie von einer erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit ausgeht.
III. Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung muß mithin neu befunden werden. Auch der Ausspruch über die Freiheitsstrafe kann danach keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat hervorgehoben, daß sie auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn sie die Sicherungsverwahrung hätte anordnen müssen.
Vorsorglich weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, daß zwischen der Bemessung der Höhe einer zu verhängenden Freiheitsstrafe und der Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung kein unmittelbarer und notwendiger Zusammenhang besteht. Die Zumessung der Strafe folgt grundsätzlich der Schuld des Täters; die Wirkungen, die von ihr für das künftige Leben des Täters zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 1 StGB; vgl. auch BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1).
Die Sache ist an eine allgemeine Strafkammer zurückzuverweisen, weil lediglich gegen den erwachsenen Angeklagten neu zu verhandeln und zu entscheiden ist.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2557585 |
NStZ-RR 2004, 202 |
BewHi 2004, 412 |