Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br.

 

Gründe

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die bei den Angeklagten - es handelt sich um französische Staatsangehörige, die im Elsaß wohnen und zur Tatzeit in Basel (Schweiz) beschäftigt waren - im Sommer 1984 ihren Urlaub bei dem Mitangeklagten Bh. in Delhi (Indien) verbracht. Dieser übergab ihnen kurz vor der Abreise einen roten Hartschalenkoffer, in dessen Deckel 1.009,4 g Heroin mit einem Anteil von 642,569 g Heroinhhydrochlorid versteckt waren. Das geschah im Auftrag und in Anwesenheit des indischen Staatsangehörigen Ra. - eines Zeugen, der im vorliegenden Verfahren nicht vernommen worden ist. Der Mitangeklagte hatte die Angeklagten, die während ihres Indienaufenthalts seine Gäste gewesen waren, gebeten, sie möchten ihm doch einige Kleidungsstücke mit nach Europa nehmen, die er dann bei seiner bald folgenden Europareise bei ihnen wieder abholen werde; in dem Koffer, den er ihnen für diesen Zweck mitgebe, sei auch noch Platz für ihre Souveniers und Geschenkartikel. Wie das Landgericht ausführt, rechneten die Angeklagten nicht damit, daß der Koffer, den sie aus Gefälligkeit gegenüber ihrem Gastgeber auf ihrem Rückflug nach Frankfurt am Main mitnahmen, Rauschgift enthielt; diese Möglichkeit hätten sie auch nicht erkennen können und müssen. Das Heroin wurde auf ihrer Weiterfahrt mit der Eisenbahn auf deutschem Hoheitsgebiet bei einer zollamtlichen Kontrolle entdeckt und sichergestellt.

Das Landgericht hat den Mitangeklagten Bh., zu dessen Gunsten es davon ausgeht, Ra. sei der Haupttäter des Heroin-Schmuggels gewesen, wegen unerlaubten handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat die Angeklagten F. und G. freigesprochen, weil ihnen weder ein vorsätzlicher noch ein fahrlässiger Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz nachgewiesen werden könne. Zugleich hat es angeordnet, daß sie für den Tag ihrer vorläufigen Festnahme und den nachfolgenden Vollzug der Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen seien.

Mit ihrer vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts; sie erstrebt die Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln. Gegen den Ausspruch der Entschädigungspflicht hat sie sofortige Beschwerde eingelegt. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

II. Die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe die ihr obliegende Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verletzt, weil sie es unterlassen habe, den Zeugen Ra. zur Frage einer vorsätzlichen Beteiligung der Angeklagten an dem Heroin-Schmuggel zu hören, greift nicht durch.

Der Verteidiger des Mitangeklagten Bh. hatte die Vernehmung dieses in Indien wohnhaften Zeugen, dessen Anschrift mit "Village Manawala, District Amritsar, Punjab" angegeben wurde, beantragt und unter anderem behauptet, das Geschäft sei zwischen Ra. und den Angeklagten F. und G. "direkt" zustande gekommen, diese hätten das Heroin "auf eigene Rechnung" in der Schweiz oder in Frankreich verkaufen sollen, er - Bh. - habe später 20.000 US-Dollar "aus dem Verkaufserlös" abholen sollen. In seinem Beschluß, mit dem es diesen Beweisantrag zurückwies, hat das Landgericht den Zeugen im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als unerreichbar angesehen. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit sich die Staatsanwaltschaft darauf berufen kann, in dieser Entscheidung liege ein Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht. Jedenfalls ist die Annahme des Landgerichts, der Zeuge sei unerreichbar, nicht zu beanstanden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Zeuge unerreichbar, wenn der Tatrichter unter Beachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen um Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und - dabei ist das Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Verfahrens mit zu berücksichtigen - auch keine begründete Aussicht besteht, der Zeuge könne in absehbarer Zeit als Beweismittel herangezogen werden (vgl. BGHSt 22, 118 [120]; 32, 68 [73]; BGH NStZ 1984, 375 [376]; 1985, 375; Herdegen NStZ 1984, 337 [338 f.]; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 244 Rdn. 262, 266). Diesen Anforderungen ist das Landgericht gerecht geworden. Es hat im Verhandlungstermin vom 9. Juli 1985 und in seinem Ablehnungsbeschluß vom 16. Juli 1985 im einzelnen dargelegt, was es unternahm, um Existenz und Aufenthalt des Zeugen zu ermitteln und sein Erscheinen in der Hauptverhandlung zu erwirken. Um dieses Ziel bemühte sich die Strafkammer umfassend und intensiv, ihrer Bemühungen erstreckten sich auf einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten. Sie richtete zahlreiche Fernschreiben an die zuständigen Behörden im Inland un in Indien, sie schickte - per Luftpost - unmittelbare Ladungen an den bezeichneten Zeugen, stets wurde ihm freies Geleit zugesichert. Ferner leitete sie einen Brief weiter, in dem der Mitangeklagte Bh. - wiederum unter Hinweis auf freies Geleit - den Zeugen eindringlich bat, vor der Strafkammer zu erscheinen und auszusagen. Eine Antwort oder sonstige Reaktion blieb jedoch aus. Hier handelte es sich nicht um einen Fall, in dem "zahlreiche Anhaltspunkte" weitere Ermittlungen nach einem ausländischen Zeugen "als aussichtsreich" erscheinen lassen (so BGH, Beschluß vom 22. März 1984 - 1 StR 100/84). Es ist weder von der Beschwerdeführerin dargetan noch sonst ersichtlich, welche weiteren Maßnahmen hätten ergriffen werden können, um den Zeugen vom Vernehmungstermin zu verständigen und ihn zum Erscheinen zu veranlassen. Insbesondere ist nicht zu erkennen, warum die Lebensgefährtin des Mitangeklagten über den Aufenthalt des Zeugen besser unterrichtet gewesen sein sollte als jener selbst.

Die Strafkammer ist davon ausgegangen, daß im Verkehr mit Indien gerichtliche Rechtshilfeersuchen zur Zeit mangels vertraglicher Vereinbarung nicht gestellt werden können (RiVASt Anhang II - Länderteil - S. 82 "Indien"). Aber selbst wenn die Möglichkeit besteht, einen Zeugen im Wege der internationalen Rechtshilfe vernehmen zu lassen, kann er als unerreichbar angesehen werden, wenn nur seine Vernehmung vor dem erkennenden Gericht zur Wahrheitsfindung beizutragen vermag (vgl. BGHSt 13, 300 [302]; 22, 118 [122]; BGH NJW 1983, 527 f.; BGH NStZ 1985, 375 [376]). Auch diese Entscheidung hat das Landgericht ermessensfehlerfrei getroffen. Es durfte darauf abheben, daß "es bei der Bedeutung des Zeugen, seiner möglichen Verstrickung in die Tat und den widersprüchlichen Angaben aller Angeklagten zur Beteiligung dieses Zeugen unbedingt auf dessen persönlichen Eindruck vor der Kammer ankommt".

III. Die Sachbeschwerde ist unbegründet.

1. Auf der Grundlage der in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen kann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, daß die Strafkammer vorsätzliches Handeln der beiden Angeklagten nicht für erwiesen hält. Ihre Würdigung beruht auf eingehenden und erschöpfenden Erörterungen, die weder gegen die Denkgesetze noch gegen gesicherte Erfahrungssätze verstoßen. Sie ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGHSt 10, 208 [210]; 29, 18 [20]; BGH NStZ 1983, 277 [278]; 1984, 180). Gegen diese Beurteilung erhebt auch die Staatsanwaltschaft keine Einwendungen.

2. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten F. und G. hätten bei der unerlaubten Einfuhr des Betäubungsmittels (§ 229 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) auch nicht fahrlässig im Sinne von § 29 Abs. 4 BtMG (das Urteil führt versehentlich Abs. 3 auf) gehandelt, hält gleichfalls der Nachprüfung stand.

Wie die Strafkammer nicht verkennt, ist zwar in der Regel Vorsicht geboten, wenn einem Touristen bei der Heimfahrt aus einem Land, in dem erfahrungsgemäß Rauschgift produziert und auf den Markt gebracht wird, von einer weitgehend fremden Person oder sonst unter Umständen, die Verdacht erregen, ein Koffer oder anderes Gepäckstück zur Mitnahme in die Bundesrepublik Deutschland übergebe wird; in einem solchen "Kofferträgerfall" kann durchaus Fahrlässigkeit des Reisenden in Betracht kommen (vgl. BGH NStZ 1983, 175/175; Körner, BtMG 2. Aufl., § 29 Rdn. 113, 114, 117; Joachimski, Betäubungsmittelrecht 4. Aufl. § 29 Anm. 5 e). Dem angefochtenen Urteil ist auch zu entnehmen, daß es beiden Angeklagten vor Antritt ihrer Rückreise aus Indien bekannt war, es komme vor, daß "undolose Werkzeuge" von Rauschgifthändlern durch die Mitgabe von präparierten Gepäckstücken zu Heroin-Transporten mißbraucht werden. Jedoch führt das Landgericht eine Vielzahl von Umständen an, die den von ihm gezogenen Schluß rechtfertigen, bei der Übernahme des Koffers, in dessen Deckel das Heroin versteckt war, seien die Angeklagten guten Glaubens gewesen, sie würden nur Textilien mitnehmen und damit ihrem Gastgeber eine Gefälligkeit erweisen, und für sie habe auch kein Anlaß zu Mißtrauen bestanden. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung mißt es entscheidende Bedeutung dem Umstand bei, daß sich während des mehrwöchigen Urlaubsaufenthalts der Angeklagten eine intensive Freundschaft zwischen ihnen und dem Mitangeklagten Bh. entwickelt hatte, ohne daß Anzeichen dafür auftraten, dieser sei in den Rauschgifthandel verstrickt. Sie waren von ihm überaus gastfreundlich aufgenommen worden und glaubten daher, dem Wunsch ihres Gastgebers nach Mitnahme einiger Textilien, die er bei seiner bald folgenden Europareise bei ihnen wieder abholen wolle, aus Dankbarkeit entsprechen zu müssen, zumal da es ihnen gelegen kam, daß er ihnen einen Koffer zur Verfügung stellte, in dem auch noch Platz für die von ihnen selbst eingekauften Souvenirs und Geschenkartikel war. Vor diesem Hintergrund durfte die Strafkammer zu der Auffassung gelangen, ihnen könne nicht vorgeworfen werden, daß sie keinen Grund zu Argwohn gegenüber ihrem Gastgeber sahen. Auch im übrigen setzt sie sich mit den für fahrlässiges Verhalten der Angeklagten sprechenden Indizien in einer Weise auseinander, die keinen Rechtsfehler erkennen läßt. In der besonderen Situation , die das Urteil aufzeigt, waren sie nicht gehalten, den ihnen überlassenen Koffer näher zu untersuchen. Dafür, daß die Strafkammer an den Begriff der Fahrlässigkeit zu hohe Anforderungen gestellt habe, liegen bei dieser Sachlage keine Anhaltspunkte vor.

IV. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zubilligung von Haftentschädigung (§ 8 Abs. 3 StrEG), für deren Entscheidung der Senat zuständig ist (vgl BGH StV 1984, 478), kann keinen Erfolg haben.

Wie die vorstehenden Ausführungen unter III 2 ergeben, fällt den Angeklagten F. und G. im Zusammenhang mit der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG zur Last (vgl. dazu bGH, Beschluß vom 3. Februar 1983 - 1 StR 823/82 - bei Holtz MDR 1983, 450/451). Ferner ist auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden, daß es auch deren Verhalten im Rahmen der Strafverfolgung nicht als grob fahrlässig gewertet hat.

Wie das Landgericht zutreffend darlegt, haben die Angeklagten ihre Verhaftung auch nicht dadurch verursacht, daß sie bei ihren Vernehmungen wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hätten (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG). Es war eine erneute Vernehmung des Mitangeklagten Bh., die zu der Aufhebung des gegen die Angeklagten ergangenen Haftbefehls führte, weil in dessen Angaben erhebliche Widersprüche aufgetreten waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992840

ZfZ 1987, 149

NStZ 1986, 462

NStE Nr. 5 zu § 29 BtMG

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge