Leitsatz (amtlich)
Zur Zuständigkeit für die Ahndung des Verstoßes eines Anwaltsnotars gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO und damit einhergehender Verletzung der Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO.
Normenkette
BNotO § 110 Abs. 1, § 14 Abs. 1 S. 1; BRAO § 45 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.04.2012; Aktenzeichen 2 Not 2/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des 2. Senats für Notarsachen des OLG Frankfurt vom 18.4.2012 abgeändert.
Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des LG Darmstadt vom 16.8.2011 und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des OLG Frankfurt vom 10.1.2012 werden aufgehoben.
Das Disziplinarverfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Anwaltsnotar.
Rz. 2
Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens ist folgender Sachverhalt:
Rz. 3
Die Geschwister G. und H. A. sowie M. Sch. waren als ungeteilte Erbengemeinschaft Eigentümer des ehemaligen Gärtnereigrundstücks W. Straße 1 in B. Am 22.10.1999 beurkundete der Kläger als Notar unter seiner Urkundennummer 159/99 eine Teilerbauseinandersetzung dieser Erbengemeinschaft hinsichtlich dieses Grundstücks, wonach M. Sch. einen noch zu vermessenden Teil von ca. 2.041 m2 als Eigentum unter Anrechnung auf ihren Erbteil erhielt. M. Sch. verpflichtete sich zur Durchführung von diversen Arbeiten auf dem Gesamtgrundstück, insb. an dem Wohnhaus. Der Aufwand für diese Arbeiten sollte wiederum von dem anzurechnenden Betrag hinsichtlich des restlichen Erbteils abgezogen werden.
Rz. 4
Die Arbeiten wurden von dem Ehemann der M. Sch., dem Heizungs-Sanitär-Installateur- und Schlossermeister W. G. Sch., durchgeführt. Für diesen erhob der Kläger in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 18.10.2006 beim LG Darmstadt Klage gegen G. und H. A. auf Zahlung von Werklohn i.H.v. 16.808,76 EUR. Begründet wurde die Klage damit, dass nach Durchführung der von M. Sch. im Rahmen der Teilerbauseinandersetzung geschuldeten Arbeiten weitere Arbeiten von der Erbengemeinschaft durch die Beklagten des Zivilprozesses in Auftrag gegeben worden seien. Diese verkündeten der Miterbin M. Sch. den Streit. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Darin verpflichteten sich die dortigen Beklagten zur Zahlung von 5.000 EUR. Wegen dieses Betrages sollte Frau M. Sch. im Innenausgleich aus der Erbengemeinschaft nicht in Anspruch genommen werden. Die Abwicklung sollte dergestalt geschehen, dass aus dem Konto der Erbengemeinschaft 5.000 EUR an jeden Erben ausgezahlt werden, damit die Beklagten des Zivilprozesses aus den ihnen zustehenden Beträgen die Vergleichssumme bezahlen könnten.
Rz. 5
Aufgrund einer Dienstaufsichtsbeschwerde des Miterben H. A. befasste sich zunächst die Rechtsanwaltskammer mit der Rüge, dass der Kläger, der als Notar die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hinsichtlich dieses Grundstücks beurkundet habe, nicht als Rechtsanwalt des Ehemanns einer der Miterben habe auftreten dürfen. Die Rechtsanwaltskammer wies mit Bescheid vom 11.7.2007 die gegen den Kläger erhobene Beschwerde zurück.
Rz. 6
Mit Disziplinarverfügung vom 16.8.2011 erteilte der Präsident des LG Darmstadt als zuständige Dienstaufsichtsbehörde dem Kläger einen Verweis wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot nach § 14 Abs. 1 BNotO i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO. Der Präsident des LG hat seine Disziplinarverfügung darauf gestützt, dass der Kläger in dem Rechtsstreit nicht für den Ehemann einer Miterbin habe tätig werden dürfen. Im Rahmen des geführten Rechtsstreits gegen die Miterbengemeinschaft sei es um die Frage gegangen, welche Tätigkeiten seitens der Ehefrau des dortigen Klägers zu bezahlen gewesen seien. Dies hänge damit zusammen, dass ausweislich der Urkunde des Klägers vom 22.10.1999 ein Teil der Werkleistung allein von der Miterbin Sch. zu tragen gewesen wäre, der aber gerade nicht eingeklagt gewesen sei. Dass sich die Sachverhalte entgegen der Ansicht des Klägers nicht trennen ließen, ergebe sich auch daraus, dass der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet worden sei, in dem durch einen Vertrag zugunsten Dritter auch M. Sch. als Miterbin einbezogen worden sei. Tatsächlich habe sich der erhobene Anspruch von vornherein gegen die Erbengemeinschaft und damit auch gegen M. Sch. als Mitglied dieser Erbengemeinschaft gerichtet. Nachdem der Kläger für die Erbengemeinschaft als Notar tätig geworden sei, habe er als Rechtsanwalt keine Ansprüche gegen diese Erbengemeinschaft als Klägervertreter verfolgen dürfen, bei der die Frage zu klären gewesen sei, welche Ansprüche gegen die Erbengemeinschaft oder einzelne Mitglieder bestünden, wenn dazu eine Abgrenzung zu den Arbeiten notwendig gewesen sei, die Gegenstand der Beurkundung gewesen seien. Dass die Rechtsanwaltskammer Frankfurt/M. das Verhalten des Klägers ebenfalls geprüft und darin keine anwaltliche Pflichtverletzung gesehen habe, könne den Kläger nicht entlasten, da vorliegend eine notarielle Amtspflicht zu beurteilen sei. Insgesamt hielt der Präsident des LG einen Verweis für tat- und schuldangemessen.
Rz. 7
Der gegen die Disziplinarverfügung erhobene Widerspruch des Klägers ist vom Präsidenten des OLG zurückgewiesen worden.
Rz. 8
Die gegen die Disziplinarverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids erhobene Klage ist vor dem OLG Frankfurt erfolglos geblieben. Das OLG hat die Anfechtungsklage für nicht begründet erachtet. Der Kläger habe durch Verstoß gegen das anwaltliche Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zugleich die nachwirkende notarielle Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO verletzt. Der Entscheidung im notariellen Disziplinarverfahren stehe im vorliegenden Fall die Entscheidung der unzuständigen Rechtsanwaltskammer nicht entgegen, da das Gericht an die vorangegangene Entscheidung der Berufskammer und der Staatsanwaltschaft nicht gebunden sei. Der Kläger habe als Rechtsanwalt wegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nicht tätig werden dürfen.
Rz. 9
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger die Anfechtung der Disziplinarverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids weiter. Er macht geltend, das OLG habe zu Unrecht die Dienstaufsicht der Notare als zuständig für die Ahndung des angenommenen Pflichtenverstoßes angesehen und zugleich verkannt, dass kein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vorliege.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des LG Darmstadt und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des OLG Frankfurt sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie sind daher aufzuheben (§ 109 BNotO, §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 3 BDG, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da eine Ahndung der dem Kläger als Notar vorgeworfenen Verfehlung im Disziplinarverfahren nicht in Betracht kommt, ist das Verfahren einzustellen (§ 32 Abs. 1 Nr. 4 BDG analog).
Rz. 11
1. Eine disziplinarrechtliche Ahndung scheitert bereits an § 110 Abs. 1 BNotO. Maßgebend für die Zuständigkeit zur Ahndung einer Pflichtverletzung ist danach, ob der Pflichtenverstoß des Anwaltsnotars vorwiegend mit dem Amt als Notar oder der Tätigkeit als Rechtsanwalt im Zusammenhang steht. Ist dies zweifelhaft oder besteht ein solcher Zusammenhang nicht, so ist im anwaltsgerichtlichen Verfahren, andernfalls im Disziplinarverfahren zu entscheiden. Das bedeutet, nur ein nicht zweifelhafter Zusammenhang des Pflichtenverstoßes mit dem Amt als Notar begründet die Disziplinargewalt der Dienstaufsicht über die Notare.
Rz. 12
a) Hier hat das OLG einen Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO angenommen. Dies würde zugleich einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 BNotO darstellen. Formal gesehen hätte der Kläger als Anwaltsnotar jedoch zunächst einmal seine anwaltlichen Pflichten verletzt, da er die hier in Rede stehende Handlung in seiner Funktion als Rechtsanwalt wahrgenommen hat. Inhaltlich stellt die Verletzung der Tätigkeitsverbote nach § 45 BRAO eine Verletzung der anwaltlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit dar. Diese Standespflicht fordert in den in § 45 Abs. 1 BRAO aufgeführten Fällen einen Verzicht auf die Vertretung z.B. in einem Zivilprozess. Nach der Rechtsprechung des BGH ist in dem Fall, dass der Notar eine von § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO erfasste Beurkundung vorgenommen hat, von einem Übergewicht der anwaltlichen Pflichtverletzung im Verhältnis zum gleichzeitig verwirklichten Amtspflichtenverstoß als Notar auszugehen (vgl. BGHSt 22, 157, 163 f. zu dem vergleichbaren Fall des § 45 Nr. 4 BRAO a.F., dessen Regelungsgehalt nunmehr in § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO erfasst ist). § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO ist seinerseits lex specialis zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO anzusehen, weil mit der Verwirklichung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO stets zugleich ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vorliegt [Feuerich/Weyland-Böhnlein, BRAO, 8. Aufl., § 45 Rz. 12]; s. auch Arndt/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, BNotO, 3. Aufl., § 110 Rz. 15; Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, 8. Aufl., § 118a Rz. 35; Gaier/Wolf/Göcken-Johnigk, Anwaltliches Berufsrecht, § 118a BRAO Rz. 8), wenn nicht besondere Anhaltspunkte eine andere Wertung erfordern.
Rz. 13
Dem steht der Beschluss des Senats vom 9.12.1991 (NotZ 26/90 - DNotZ 1992, 455) nicht entgegen. Dort war bereits in der Vorinstanz (OLG Köln, Urt. v. 7.11.1990 - 2 VA (Not) 14/90) der Vorwurf einer Verletzung von § 45 Nr. 4 BRAO a.F. verneint worden. Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat war deshalb allein eine davon unabhängige Verletzung der notariellen Neutralitätspflicht durch mangelnde organisatorische Vorkehrungen zur Vermeidung von Mandatsannahmen durch in der Anwaltssozietät tätige Anwälte in Fällen, in denen über Inhalte von vom Notar beurkundeten Urkunden gestritten wurde. Der Senat hatte in der oben genannten Entscheidung keinen Anlass, sich zu den Voraussetzungen des § 110 BNotO zu äußern. Daher kann aus dieser Entscheidung nicht abgeleitet werden, der Verstoß eines Anwaltsnotars gegen seine Neutralitätspflicht aus § 14 Abs. 1 BNotO überwiege einen anwaltlichen Verstoß gegen das Vertretungsverbot aus § 45 BRAO (so aber Arndt/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, BNotO, 7. Aufl., § 110 Rz. 23; sich Sandkühler anschließend Eylmann/Vaasen-Lohmann, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 110 BNotO Rz. 14).
Rz. 14
b) Im vorliegenden Fall liegen keine Anhaltpunkte vor, die ein Übergewicht eines notariellen Pflichtenverstoßes begründen würden. Dies gilt schon deshalb, weil der Inhalt der vom Kläger beurkundeten Teilerbauseinandersetzung allenfalls wirtschaftliche Bedeutung für den anschließenden Zivilprozess hatte und besondere Informationen aus dem Beurkundungsverfahren nicht von Bedeutung für die Erfolgsaussicht der von ihm als Prozessbevollmächtigter erhobenen Klage waren. Der Kläger des Zivilprozesses hatte seine Klage auf Aufträge gestützt, die die Erbengemeinschaft ihm erteilt habe. Die Frage, wie das Grundstück im Innenverhältnis der Miterben aufgeteilt wurde, war ohne rechtliche Relevanz für die Begründetheit der Werklohnforderung. Ferner war es rechtlich unerheblich, ob im Innenverhältnis der Erbengemeinschaft die Ehefrau des dortigen Klägers gewisse Arbeiten zu übernehmen hatte. Sollten diese Arbeiten durch die Erbengemeinschaft dem Kläger des Zivilprozesses als Werkauftrag übertragen worden sein, würde die Begründetheit seiner Klage durch Abgrenzungsschwierigkeiten, welche dieser Tätigkeiten im Innenverhältnis von welchem der Miterben zu tragen war, nicht berührt.
Rz. 15
Unentschieden bleiben kann, ob ein Übergewicht eines anwaltlichen Pflichtenverstoßes anzunehmen wäre. Nach § 110 Abs. 1 BNotO, § 118a Abs. 1 BRAO ist bereits dann eine Ahndung im notariellen Disziplinarverfahren ausgeschlossen, wenn kein Übergewicht des notariellen Amtspflichtenverstoßes festzustellen ist.
Rz. 16
2. Dahinstehen kann deshalb, ob überhaupt ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vorliegt, woran Zweifel bestehen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist es erforderlich, dass die vorangegangene Tätigkeit und der insoweit anvertraute Verfahrensstoff in dem neuen Auftragsverhältnis eine rechtliche Bedeutung erlangen kann (vgl. - zu § 356 StGB - BGH, Urt. v. 16.11.1962 - 4 StR 344/62, BGHSt 18, 192, 193; Urt. v. 7.10.1986 - 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190, 191), um von derselben Rechtssache nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ausgehen zu können. Dies ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, da die beurkundete Teilerbauseinandersetzung - wie ausgeführt - keine rechtliche Bedeutung für die vom Kläger als Prozessbevollmächtigter erhobene Zivilklage hatte.
Rz. 17
3. Da eine disziplinarrechtliche Ahndung nicht in Betracht kommt, ist neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Einstellung des Disziplinarverfahrens auszusprechen.
Rz. 18
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 BNotO, § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 VwGO und die Wertfestsetzung auf § 109 BNotO, § 78 Satz 2 BDG, § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen