Leitsatz (amtlich)
Gegenüber dem Anspruch des verletzten Fahrzeuginsassen auf Herausgabe der ihm zustehenden, von dem Unfallversicherer an den Versicherungsnehmer gezahlten Entschädigung kann dieser mit einer Schadensersatzforderung aufrechnen, die er aus demselben Unfallereignis gegen den Mitversicherten herleitet.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Juli 1971 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Am 29. November 1969 verunglückten der Sohn der Kläger und der Sohn der Beklagten tödlich in einem Kraftwagen, der dem Sohn der Beklagten gehörte. Nach den polizeilichen Feststellungen trifft den Fahrer dieses Wagens die Schuld an dem Unfall. Es ist streitig, wer von den beiden Verunglückten das Fahrzeug im Unfallzeitpunkt gelenkt hat.
Die Kläger auf der einen und die Beklagte auf der anderen Seite sind die gesetzlichen Erben ihres zu Tode gekommenen Sohnes. Der Sohn der Beklagten hatte für sein Fahrzeug eine Insassen-Unfallversicherung abgeschlossen. Der Versicherer hat die vereinbarte Versicherungssumme von 30.000,- DM an die Beklagte mit dem Hinweis gezahlt, daß sie die Hälfte hiervon an die Kläger weiterleiten müsse. Da die Beklagte dem nicht nachgekommen ist, haben die Kläger ihre Verurteilung zur Zahlung von 15.000,- DM nebst Zinsen begehrt.
Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Sie hat gegenüber der Klageforderung mit Schadensersatzansprüchen in Höhe von 19.205,34 DM aufgerechnet, die sie daraus herleitet, daß der Sohn der Kläger den Wagen gelenkt und den Unfall allein verschuldet habe. Die Kläger haben diese Behauptung bestritten und sich gegen die Zulässigkeit der Aufrechnung gewandt.
Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die erklärte Aufrechnung sei nicht zulässig. Im zweiten Rechtszug hat die Beklagte daraufhin hilfsweise Widerklage mit dem Antrag erhoben, die Kläger zur Zahlung von 15.000,- DM nebst Zinsen als Schadensersatz zu verurteilen. Ihre Berufung hatte auch mit dem Hilfsantrag keinen Erfolg.
Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin in erster Linie die Abweisung der Klage, hilfsweise die Verurteilung der Kläger gemäß der Widerklage.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf Auskehrung der halben Versicherungssumme aus zutreffenden Gründen bejaht. Die vom Sohn der Beklagten abgeschlossene Unfallversicherung war, soweit sie nicht ihn selbst schützte, eine Fremdversicherung zugunsten der jeweiligen Insassen im Sinne der §§ 179 Abs. 2, 75 VVG. Erlitt eine dieser Gefahrspersonen einen Unfall, so verfügte zwar allein der Sohn der Beklagten als Versicherungsnehmer nach § 76 VVG, § 3 Abs. 2 AKB über den Versicherungsanspruch. Sachlich-rechtlich stand er jedoch dem verunglückten Insassen zu (§ 75 VVG). Verstarb dieser, so fiel der Anspruch in seinen Nachlaß (BGHZ 32, 44). Die Kläger sind daher als gesetzliche Erben anspruchsberechtigt. Das wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
Zu Recht wendet sich die Revision jedoch dagegen, daß die Vorinstanzen die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen aus dem Unfall als unzulässig angesehen haben. Die in § 387 BGB vorausgesetzte Aufrechnungslage ist gegeben. Insbesondere sind die beiderseits geschuldeten Leistungen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ihrem Gegenstande nach gleichartig. Die Klageforderung wie der zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzanspruch richten sich auf Zahlung einer Geldsumme. Der Ansicht, daß die Aufrechnung gleichwohl nach Treu und Glauben ausgeschlossen sei, kann nicht beigetreten werden.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung in erster Linie auf den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz gestützt, daß die Aufrechnung gegen einen Anspruch auf Herausgabe des durch eine Geschäftsführung Erlangten dann gegen Treu und Glauben verstößt, wenn die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen ihren Grund nicht in dem Auftrags- und Treuhandverhältnis und den damit verbundenen Aufwendungen haben (RGZ 160, 52; BGHZ 14, 342). Dieser Rechtsgedanke kann auf den vorliegenden Fall wegen Fehlens seiner Voraussetzungen jedoch nicht angewandt werden.
Beide vom Berufungsgericht angezogenen Entscheidungen betrafen Auftragsverhältnisse. Dem Beauftragten ist es verwehrt worden, gegenüber dem Herausgabeanspruch des Auftraggebers mit Forderungen aufzurechnen, die in keinem Zusammenhang mit dem Auftrag standen. Hier liegt kein Auftrags Verhältnis vor, wohl aber löst der Versicherungsfall für den Versicherungsnehmer treuhänderische Verpflichtungen gegenüber den verletzten Fahrgästen aus. Die Treuhänderstellung des Versicherungsnehmers beruht darauf, daß er für die Geltendmachung der Versicherungsforderung und für den Empfang der Versicherungssumme zuständig, andererseits aber verpflichtet ist, die erhaltenen Beträge aus der Versicherung den verletzten Fahrgästen (bezw. beim Tod deren Erben) gemäß dem Pauschalsystem des § 16 Abs. 1 AKB auszukehren. Zwar stand der Abschluß der Insassen-Unfallversicherung im Belieben des Versicherungsnehmers, so daß der Versicherungsschutz eine freiwillige Zuwendung des Versicherungsnehmers für seine Fahrgäste bedeutet. Das Gesetz verbietet aber dem Versicherungsnehmer, diese Zuwendung nach Eintritt des Versicherungsfalls zurückzunehmen und sich an der Versicherungssumme zu bereichern (§ 179 Abs. 2 VVG). Die Rechtsordnung läßt eine Spekulation mit dem Leben und der Gesundheit anderer hinter deren Rücken nicht zu (BGHZ 32, 44, 49). Sachlich-rechtlich sind allein die verletzten Fahrgäste die aus der Unfallversicherung Berechtigten (§ 179 Abs. 3 in Verbindung mit § 76 VVG). Es mag dahinstehen, ob man der rechtlichen Eigenart dieses Verhältnisses mit seiner Einordnung in das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag gerecht wird (so der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der angeführten Entscheidung; dagegen Esser, Schuldrecht, Besonderer Teil 4. Aufl. § 99 I Anm. 4 und Marschall von Bieberstein, Reflexschäden und Regreßrechte, 1967 S. 257, 258). Jedenfalls kann die einer Treuhänderstellung entsprechende Verpflichtung des Versicherungsnehmers, die ihm ausgezahlte Versicherungssumme den verletzten Fahrgästen bzw. deren Erben weiterzuleiten, nicht in Frage gestellt werden. Bei der Prüfung, ob der Versicherungsnehmer gegenüber dem Anspruch auf Auskehrung der Versicherungssumme mit einer eigenen, ihm gegen den Versicherten zustehenden Forderung aufrechnen kann, ist auf den Grund des in der Rechtsprechung zum Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrecht entwickelten Aufrechnungsverbots zurückzugreifen. Dieses Aufrechnungsverbot ist aus der Eigenart des jeweiligen, durch treuhänderische Beziehungen geprägten Rechtsverhältnisses und aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entwickelt worden. So ist in der angezogenen Entscheidung BGHZ 14, 342 ausgesprochen worden, daß ein Beauftragter, der auf Grund der ihm vom Auftraggeber erteilten Vollmacht von einem Dritten Geld in Empfang genommen hat, gegen den Anspruch auf Herausgabe des Erlangten jedenfalls dann nicht aufrechnen kann, wenn der Auftraggeber bei Erteilung des Auftrags mit der unverzüglichen Abführung des Erlangten rechnen durfte und deshalb die Aufrechnung Treu und Glauben widerspricht. Der Versicherungsnehmer hat kraft der Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses vom Versicherer Geld erhalten, das für den Versicherten bestimmt ist. Entscheidend ist, ob der Versicherte mit der unverzüglichen Abführung des Erlangten rechnen darf. Das ist in aller Regel der Fall und folgt schon aus dem vom Berufungsgericht herausgestellten Zweck der Unfallversicherung, dem Verletzten eine rasche, allein durch die Tatsache des Unfalls ausgelöste Hilfe zu gewähren. Nachdem der Versicherungsnehmer dem Versicherten einen derartigen Versicherungsschutz verschafft hat, sei es auch durch eigenen Entschluß und auf eigene Kosten, muß er dem Versicherten die ihm gebührende Leistung grundsätzlich auch so zukommen lassen, daß sie den Versicherungszweck erfüllt. Der Versicherungsnehmer würde seine versicherungsrechtliche Stellung als zur Weitergabe verpflichteter Leistungsempfänger treuwidrig ausnutzen, wenn er bei dieser Gelegenheit mit Forderungen aus anderen Rechtsverhältnissen hervortreten und sie durch Aufrechnung gegen den Anspruch des Versicherten befriedigen wollte.
Anders liegt es jedoch, wenn dasselbe Unfallereignis, das zum Anspruch des Versicherten auf Auskehrung der Versicherungsleistung geführt hat, zugleich Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Versicherten als Fahrzeuglenker begründet hat, wie dies hier für die Revision als möglich unterstellt werden muß. In einem solchen Fall kann der Versicherte nicht erwarten, daß ihm der Versicherungsnehmer zunächst die erlangte Versicherungssumme unverzüglich aushändigt, um alsdann zuzusehen, wie er Befriedigung wegen seiner Schadensersatzansprüche von dem Versicherten erlangt (der insoweit nicht den Schutz der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung genießt § 11 Nr. 3 AKB). Treu und Glauben verlangen nicht, daß die auf einer unerlaubten Handlung des Versicherten beruhende Schadensersatzforderung in dieser Weise hinter den Anspruch auf Auskehrung der Unfallversicherungssumme zurücktritt. Der Versicherte wird nicht treuwidrig benachteiligt, wenn seine durch Delikt begründete Verbindlichkeit im Wege der Aufrechnung mit einem Vermögenswert getilgt wird, der ihm durch dasselbe Ereignis ohne eigenes Dazutun, allein auf Grund der Vorsorge und Aufwendungen des Versicherungsnehmers, zugeflossen ist. Die Aufrechnung ist daher in einem solchen besonderen Fall entgegen der Meinung des Berufungsgerichts zuzulassen (anderer Meinung OLG Oldenburg VersR 1965, 78). Mit ihr wird nicht, wie das Berufungsgericht befürchtet, die Vorschrift des § 179 Abs. 3 VVG umgangen. Die Aufrechnung hat nicht zur Folge, daß sich die Fremdversicherung in eine Versicherung für eigene Rechnung verwandelt. Der Versicherungsnehmer erkennt mit der Aufrechnung gerade an, daß die Versicherungssumme dem Versicherten gebührt. Er verweigert ihm praktisch nur die sonst gebotene sofortige Auskehrung bis zur Klärung der eigenen Haftpflichtansprüche. Diese Verzögerung, die bei der Aufrechnung mit einer bestrittenen gegen eine unstreitige Forderung stets eintritt, muß auch hier hingenommen werden. Das Risiko schließlich, daß die vom Versicherer gezahlte Summe zu einem späteren Zeitpunkt unersetzbar verbraucht sein könnte, kann auf beiden Seiten bestehen.
Der Ausgang des Rechtsstreits hängt nach alledem davon ab, ob und in welcher Höhe der Beklagten die zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzforderung zusteht. Damit dies geklärt werden kann, mußte die Sache nach Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 3018681 |
DB 1973, 1123 (Volltext mit amtl. LS) |
NJW 1973, 1368 |
NJW 1973, 1368-1369 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1973, 658 (Volltext mit amtl. LS) |
VersR 1973, 634-636 (Volltext mit red. LS) |