Leitsatz (amtlich)
›Nach Ablauf der in § 13 Abs. 3a AUB 61 festgelegten Drei-Jahres-Frist für eine "Neu"-Feststellung der unfallbedingten Dauerfolgen ist der Versicherungsnehmer nicht mehr gehalten, sich auf Verlangen seines Versicherers einer nochmaligen ärztlichen Untersuchung und Begutachtung zu unterwerfen. Das bloße Verstreichenlassen der Drei-Jahres-Frist des § 13 Abs. 3a AUB 61 führt nicht dazu, daß der Versicherer eine ärztliche Invaliditätsfeststellung gemäß § 8 II Abs. 1 AUB 61 - unabhängig von ihrer Richtigkeit und ihrem sachlichen Aussagegehalt - als bindend geworden hinnehmen müßte. Haben beide Vertragsparteien die Frist des § 13 Abs. 3a AUB 61 ungenutzt verstreichen lassen, ohne daß es vor Fristablauf zu einem Rechtsstreit zwischen ihnen gekommen ist, so kann grundsätzlich keiner von ihnen gegen den Willen des anderen für die Bewertung der zu entschädigenden Invalidität auf den letzten Tag des dritten Jahres nach dem Unfalltag abstellen.‹
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von seinen beiden verklagten Unfallversicherern weitere Invaliditätsentschädigungen in Höhe von 140.000 DM und 70.000 DM nebst Zinsen beanspruchen kann.
Er hat am 31. Dezember 1987 bei einem Skiunfall eine Verletzung des rechten Knies davongetragen. Über die gesundheitlichen Folgen des Unfalles hat die Beklagte zu 2) ein fachorthopädisches Gutachten der R. Anstalten vom 11. April 1989 eingeholt. Darin ist die Invalidität des Klägers mit 1/4 Beinwert der Gliedertaxe der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen aus dem Jahre 1961 (AUB 61), die dem Versicherungsvertrag des Klägers zugrunde liegen, eingeschätzt. Die Beklagte zu 1) leistete am 2. Juni 1989 eine Vorschußzahlung von 35.000 DM, die Beklagte zu 2) am 1. Dezember 1989 eine Vorschußzahlung von 17.500 DM. Beide Unfallversicherer bewerteten dabei die unfallbedingte Invalidität des rechten Beines mit 1/20 des Beinwertes. Auf die Mehrforderungen des Klägers kündigten sie eine Nachuntersuchung zum Schluß des dritten Jahres nach dem Unfall gemäß § 13 Abs. 3a AUB 61 an. Erst im Januar 1991 an ihn gerichteten Anforderungen, sich nun einer Nachuntersuchung zu stellen, leistete der Kläger unter Hinweis auf den Fristablauf keine Folge. Die Beklagten sind der Ansicht, sie seien damit wegen Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei geworden. Im übrigen bestreiten sie eine unfallabhängige Invalidität des Klägers, die seine Klageforderungen rechtfertigen könnte.
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Beklagten nicht durch eine Obliegenheitsverletzung des Klägers von ihrer Leistungspflicht frei geworden sind. Nach Ablauf der in § 13 Abs. 3a AUB 61 festgelegten Drei-Jahres-Frist für eine "Neu"-Feststellung der unfallbedingten Dauerfolgen, d.h. der unfallbedingten Invalidität, war der Kläger nicht länger gehalten, sich einer nochmaligen ärztlichen Untersuchung und Begutachtung auf Verlangen der Beklagten zu unterwerfen. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang folgender Klauseln:
§ 15 II Abs. 6a AUB 61:
"Der Versicherte ist verpflichtet, sich, sofern dies sein Zustand erlaubt, den vom Versicherer bezeichneten Ärzten zur Untersuchung zu stellen. Im Fall der aufgeschobenen Kapitalzahlung (§ 13 Nr. 3) hat er sich auf Verlangen des Versicherers von Jahr zu Jahr einer ärztlichen Untersuchung und Begutachtung zu unterwerfen."
§ 13 Abs. 3a AUB 61:
"Der Versicherer und der Versicherungsnehmer sind berechtigt, den Grad der dauernden Arbeitsunfähigkeit während der ersten zwei Jahre nach Abschluß der ärztlichen Behandlung, längstens jedoch drei Jahre vom Unfalltage an, jährlich neu feststellen zu lassen."
Der "Erst"-Untersuchung in den R. Anstalten hat sich der Kläger im Frühjahr 1989 gestellt. Eine zweite Begutachtung zum Zwecke der "Neu"-Feststellung gemäß § 13 Abs. 3a AUB 61 hätte von den Beklagten so früh verlangt werden müssen, daß die Begutachtung der verbliebenen Unfallfolgen samt der darauf gestützten Invaliditätsfeststellung zum Stichtag 31. Dezember 1990 noch möglich gewesen und dementsprechend vorgenommen worden wäre. Das ergibt sich daraus, daß sich die Unfallversicherer in den AUB 61 das Recht zur Neufeststellung nur bis zum Ablauf des dritten Unfalljahres vorbehalten haben.
2. Nach Ansicht des Berufungsgerichts scheitern die Ansprüche des Klägers daran, daß der von ihm mit 1/4 Beinwert behauptete Grad seiner unfallbedingten Invalidität nicht bindend im Sinne der AUB 61 festgestellt ist.
a) Daran ist richtig, daß die Beklagten mit ihrem Vorgehen im Jahre 1989, mit dem sie erkennbar auf die Einhaltung der in § 8 AUB 61 aufgeführten Fristen verzichtet haben, jedenfalls noch keinen höheren Grad unfallbedingter Invalidität des Klägers anerkannt haben, als sie ihren Vorschußzahlungen zugrunde legten, nämlich jeweils 1/20 Beinwert der Gliedertaxe.
b) Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß das bloße Verstreichenlassen der Drei-Jahres-Frist seit dem Unfalltag nicht dazu führen konnte, daß das Gutachten der R. Anstalten - unabhängig davon, ob es inhaltlich für den vom Kläger zu beweisenden unfallbedingten Invaliditätsgrad von 1/4 Beinwert ausreicht - in dieser Höhe bindend für die Beklagten wurde. Ihr Bestreiten einer unfallbedingten Invalidität des genannten Grades ist vielmehr nach wie vor grundsätzlich beachtlich.
3. Nicht mehr gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch darin, daß der Versuch des Klägers unbeachtlich sei, mit dem Gutachten der R. Anstalten und der zusätzlichen Benennung der es verantwortenden Ärzte für eine Gutachtenerläuterung (Bl. 183 mit Bl. 141 GA) eine 1/20 Beinwert übersteigende unfallbedingte Invalidität zu beweisen. Das Berufungsgericht durfte den Kläger nicht schon als beweisfällig geblieben ansehen, weil er (auch) nicht bereit war, sich einer gerichtlich angeordneten Untersuchung zum Zwecke der "Neu"-Feststellung der Unfalldauerfolgen am 31. Dezember 1990, d.h. zum Ende des dritten Jahres nach dem Unfalltag (s. Beweisbeschluß Bl. 213f. GA) , zu unterziehen.
a) In diesem Beweisbeschluß ist die Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Zwecke der Beweiserhebung über die Behauptung des Klägers angeordnet worden, seine unfallbedingte Invalidität betrage 1/4 des Beinwertes der AUB-Gliedertaxe. Da der Gutachter in dem Beschluß ausdrücklich darauf hingewiesen wird, er dürfe keine Tatsachen berücksichtigen, die nicht innerhalb von drei Jahren nach dem Unfalltag erkennbar gewesen wären, wird deutlich, daß der Auftrag nicht etwa darauf abzielte zu ermitteln, welchen Grad die Invalidität des Klägers innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfall bzw. bis zu dem Zeitpunkt erreichte, zu dem der Kläger in den R. Anstalten untersucht und begutachtet wurde. Vielmehr sollte die erneute Begutachtung auf den letzten Stichtag abstellen, den § 13 Abs. 3a AUB 61 für die "Neu"-Feststellung vorsieht.
Eine derartige Beweiserhebung war aber nur dann veranlaßt, wenn die Beklagten berechtigt geblieben waren, anstelle des Untersuchungsdatums 5. April 1989 auf diesen späteren Stichtag für die Beurteilung ihrer Verpflichtung zu höheren Invaliditätsentschädigungen als bislang gezahlt abzuheben. Dies trifft nach der vorliegenden Fallgestaltung jedoch nicht zu.
b) Da weder die Beklagten noch der Kläger binnen der Frist von drei Jahren seit dem Unfall vom 31. Dezember 1987 eine erneute Invaliditätsfeststellung herbeigeführt haben, wie es ihnen § 13 Abs. 3a AUB 61 erlaubt hätte, kann es auf der Grundlage der AUB 61 keine Rolle mehr spielen, welchen Grad die unfallbedingte Invalidität des Klägers am 31. Dezember 1990 hatte, denn die Maßgeblichkeit dieses späten Stichtages haben die Versicherer in ihren Bedingungen gerade davon abhängig gemacht, daß es zu einer fristgerechten "Neu"-Feststellung kommt.
Fehlt es daran, so kann es grundsätzlich nur noch darum gehen, welchen Grad die unfallbedingte Invalidität innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfalltag erreicht hatte, § 8 II Abs. 1, erster Halbs. AUB 61.
Der zu entscheidende Fall weist allerdings eine Besonderheit auf:
In dem Gutachten der R. Anstalten (Bl. 12ff. GA) ist nicht auf den Zustand des Klägers am oder bis zum 31. Dezember 1988, an dem das erste Jahr nach dem Unfall ablief, abgestellt worden, sondern auf seinen Zustand im Untersuchungszeitpunkt. Dies war der 5. April 1989. Da das Gutachten von einem Versicherer, nämlich von der Beklagten zu 2), in Auftrag gegeben wurde und beide Versicherer es anschließend auch zur Grundlage ihrer Teilregulierung gemacht haben, ist damit zwischen den Parteien in Abweichung von der Jahresfrist des § 8 II Abs. 1, erster Halbs. AUB 61 der tatsächliche Untersuchungszeitpunkt als Bewertungsstichtag maßgeblich geworden.
Gegen den Willen des Klägers, der von seinem Recht, seinerseits vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist eine "Neu"- Feststellung zu veranlassen, ersichtlich keinen Gebrauch gemacht hat, können die Beklagten jetzt nicht mehr auf einen anderen Bewertungsstichtag als den 5. April 1989 abstellen.
Daraus folgt zugleich, daß es für die zu treffende Entscheidung - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht auf den Zustand des Klägers am 31. Dezember 1990 ankommt.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Senatsurteilen vom 28. Februar 1990 (IV ZR 36/89 - VersR 1990, 478) und vom 8. Juli 1981 (IVa ZR 192/80 - VersR 1981, 1151). Dort war die Ausgangslage nämlich jeweils eine andere als im jetzt zu entscheidenden Fall:
Geht ein Versicherungsnehmer bereits vor Ablauf der Neufeststellungsfrist (so im 1990 entschiedenen Fall) gegen die Ablehnung seiner Ansprüche im Klagewege vor, so kann er im Regelfall nicht länger erwarten, sein Versicherer werde dennoch außerprozessual die nur bei entsprechendem Verlangen einer Vertragspartei in den AUB 61 vorgesehene Neufeststellung in die Wege leiten. Vielmehr gehen die Prozeßbeteiligten dann typischerweise davon aus, daß der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozeß ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen. Für diese Fälle bleibt im Regelfall der in den §§ 13 Abs. 3a und 15 II Abs. 6a Satz 2 AUB 61 getroffenen Regelung damit Rechnung getragen, daß bei der Entscheidung des Gerichts wie in den ihr zugrunde gelegten.Begutachtungen des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers nur Tatsachen Berücksichtigung finden dürfen, die bis zum Ablauf der Drei-Jahres-Frist erkennbar geworden sind. Dem kann der Versicherungsnehmer unter den genannten Umständen nicht mit Erfolg entgegenhalten, die in den AUB 61 vorgesehene Begutachtungsfrist sei ungenutzt abgelaufen, denn hierzu hat gerade er selbst maßgeblich beigetragen.
In dem 1981 entschiedenen Fall kam es zwar auch erst - wie hier - nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist zur Klageerhebung. Der Versicherungsnehmer machte jedoch mit Begutachtungen, die vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist vorgenommen worden waren, einen höheren Invaliditätsgrad geltend als er bislang von seinem Versicherer angenommen worden war. Damit war § 13 Abs. 3a AUB 61 - anders als hier - anwendbar geblieben. Einem Abstellen auf den Zustand des Klägers zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfalltag widersetzte sich auch keine der Parteien; insoweit konnte von einem beidseitigen Einverständnis ausgegangen werden.
d) Einigen sich in Fällen, in denen die Frist für eine Neufestsetzung vor Prozeßbeginn ungenutzt verstrichen ist, die Vertragspartner nicht vorprozessual oder im Prozeß auf eine Nachuntersuchung, die auf den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers spätestens bis Ablauf der Drei-Jahres-Frist abstellt, so ist im Normalfall für die Beurteilung der unfallbedingten Invalidität vorrangig auf die Tatsachenfeststellungen in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung gemäß § 8 II (l) Satz 1 AUB 61 abzustellen. Haben die Parteien von den Möglichkeiten der §§ 13 Abs. 3a und 15 II Abs. 6a AUB 61 keinen fristgerechten Gebrauch gemacht, so bleibt der Grad der Invalidität für die Entschädigungspflicht maßgebend, wie er sich aus den Tatsachenmitteilungen in den fristgerechten oder vom Versicherer als fristwahrend anerkannten ersten Invaliditätsfeststellungen ergibt. Macht einer der Vertragspartner geltend, diese Mitteilungen erlaubten (noch) keine Beurteilung des seinerzeitigen Invaliditätsgrades oder behauptet er, sie entsprächen nicht dem seinerzeit tatsächlich gegebenen Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers, so steht es zu dessen Beweislast, wie dieser Zustand tatsächlich beschaffen war (s. in diesem Zusammenhang auch das Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 - IVa ZR 195/86 - VersR 1988, 286) und welchen Invaliditätsgrad er bedingt.
4. Der Erfolg des Klägers wird demnach in erster Linie davon abhängen, ob er mit dem Gutachten der R. Anstalten und den gegebenenfalls zu seiner Erläuterung zu hörenden, das Gutachten verantwortenden Ärzten einen höheren Invaliditätsgrad beweisen kann als den ihm von den Beklagten.bislang zugebilligten - es sei denn, es gelänge ihm mit bislang noch nicht angebotenen Beweismitteln den Tatrichter von einem über 1/20 liegenden Beinwert seiner unfallbedingten Invalidität zu überzeugen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993266 |
BGHR AVB Unfallversicherung (AUB) § 13 Abs. 3a, Dreijahresfrist 2 |
MDR 1994, 1189 |
VersR 1994, 971 |