Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 14.02.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Februar 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, der die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
I.
1. Der Beschwerdeführer macht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. §§ 230 Abs. 1, 247 Satz 2, 2. Halbsatz StPO geltend.
Dazu trägt er vor:
Während der gemäß § 247 Satz 2, 2. Halbsatz StPO angeordneten Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der geschädigten Zeugin F. Ö. habe die Strafkammer auch Beweis durch Augenscheinseinnahme erhoben, die bezüglich Bl. 178 sowie Bl. 465 der Akten weder zuvor in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt noch später wiederholt worden sei. Das Protokoll des ersten Hauptverhandlungstages weise folgende Vorgänge aus:
„Die Zeugin äußerte sich weiter auf Vorhalte. Schließlich wurden die Lichtbilder Blatt 310 / 317, sowie die Skizze Blatt 178 und die Lichtbilder Blatt 351 / 369, 465 / 467 der Akten in Augenschein genommen und der Zeugin vorgezeigt, die sich hierzu äußerte (Bl. 626 d. EA).”
Die Augenscheinseinnahme sei vom Ausschließungsbeschluß nicht gedeckt gewesen.
Eine Ablichtung der Skizze Bl. 178 fügt der Beschwerdeführer in seinen Revisionsvortrag ein, eine solche von Bl. 465 nicht. Das Protokoll ist inhaltlich zutreffend wiedergegeben.
Die Rüge hat keinen Erfolg.
a) Bezüglich Bl. 465 d.A. genügt sie nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Das bloße Zitieren des Protokolls reicht dazu nicht aus. Aktenteile, auf die die Verfahrensrüge gestützt wird, müssen in der Revisionsbegründungsschrift im einzelnen bezeichnet und wörtlich oder inhaltlich wiedergegeben werden (vgl. BGH NStZ 1992, 29). Den Inhalt von Bl. 465 d.A. verschweigt die Revision. Dagegen legt sie eine Vielzahl von Lichtbildern vor, die nicht Gegenstand von Revisionsrügen sind. Das Revisionsgericht kann hier allein auf Grund der vorliegenden Revisionsbegründung nicht nachprüfen, ob Bl. 465 Gegenstand des Sachbeweises war oder nur als nicht protokollierungspflichtiger Vernehmungsbehelf in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (vgl. BGH StV 2000, 241; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 10).
Aus der Akte ergibt sich, daß Bl. 465 das Vorblatt der Lichtbildmappe ist, welches ein Übersendungsschreiben enthält. Es handelt sich also entgegen der Bezeichnung im Protokoll und der darauf Bezug nehmenden Revisionsbegründung nicht um ein Lichtbild. Ein beschriebenes Blatt der Ermittlungsakte ist in der Regel Gegenstand des Urkundenbeweises. Gegenstand des Augenscheins kann es sein, wenn es nicht auf seinen Inhalt, sondern auf sein Vorhandensein oder seine Beschaffenheit ankommt (BGH NStZ-RR 99, 37). Auch dazu trägt die Revision nichts vor. Das Revisionsgericht kann nicht nachprüfen, ob Verfahrensrecht verletzt ist. Der Beschwerdeführer entzieht durch einen derart lückenhaften Vortrag seiner Behauptung, die Verfahrensweise sei gesetzwidrig, den Boden, weil er sich mit den gegen seine Behauptung sprechenden Umständen nicht auseinandersetzen muß. Dies macht die Rüge unzulässig (BGHSt 40, 218, 240).
b) Bezüglich der Skizze Bl. 178 d.A. kann offenbleiben, ob die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO zulässig erhoben ist (BGHR StPO § 347 Abwesenheit 10); sie ist jedenfalls unbegründet.
Soweit das Protokoll die Augenscheinseinnahme einer Skizze ausweist, ist es unklar. Daher ist das Protokoll hier kein Beweis im Sinne von §§ 273, 274 StPO dafür, daß tatsächlich eine entsprechende Augenscheinseinnahme als Sachbeweiserhebung stattgefunden hat.
Aus der von der Revision vorgelegten Skizze (Bl. 178 d.A.), den Urteilsgründen, dem Akteninhalt und den vom Senat eingeholten, im Freibeweis verwertbaren dienstlichen Erklärungen der Richter ergibt sich vielmehr, daß die Skizze bei der Vernehmung der Zeugin Ö. lediglich als Vernehmungsbehelf gedient hat.
Dem Inhalt der vorgelegten Skizze ist im Zusammenhang mit den Urteilsgründen zu entnehmen, daß es sich um den Tatort mit eingezeichnetem Standort von Täter und Opfer im Fall 4, das Badezimmer in der Wohnung Ö., handelt. Diese Skizze ist ersichtlich freihändig gezeichnet und enthält keine maßstäbliche Darstellung. Von wem sie herrührt, trägt der Beschwerdeführer nicht vor. Bei einer solchen Skizze handelt es sich um die Darstellung der individuellen Wahrnehmung einer Person, die diese – oder ein Dritter nach ihren Angaben – entsprechend den zeichnerischen Fähigkeiten gefertigt hat. Solche Skizzen dürfen nur zum Beweis ihrer Existenz oder Herstellung in Augenschein genommen werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 86 Rdn. 12). Über den Inhalt der Skizze kann grundsätzlich nur durch Vernehmung der wahrnehmenden Person – in der Regel des Herstellers – Beweis erhoben werden. Bei einem Foto handelt es sich dagegen um die mit technischen Mitteln hergestellte objektive Wiedergabe eines Zustandes von Personen oder Sachen. Ein Foto kann deshalb auch bezüglich seines Inhalts Gegenstand des Augenscheins sein. Skizzen der vorliegenden Art werden dagegen in der Regel als Vernehmungshilfen benutzt, weil es sich um das festgehaltene Ergebnis einer Wahrnehmung handelt, was zum Inhalt der Bekundungen der Beweisperson wird (BGHSt 18, 51, 54; Meyer-Goßner aaO). Die Skizze läßt hier – ohne Erläuterung – ersichtlich keinen eigenen Beweiswert erkennen.
Im Unterschied zum vorliegenden Fall handelte es sich in der Senatsentscheidung – Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 234/02 – = NStZ 2003, 218 – um drei Lichtbildblätter, die der Beschwerdeführer in Ablichtung mit seiner Revisionsbegründungsschrift vorgelegt hatte. Auf diesen sind Fotos von Personen abgebildet, um deren Wiedererkennen es ging. Die Fotos sind daher dem Inhalt nach Augenscheinsgegenstände.
Hier ergibt sich aus der Sachakte – nicht aus dem Revisionsvorbringen –, daß die Skizze Bl. 178 im Ermittlungsverfahren vom Opfer gefertigt wurde. Also wurde sie laut Protokoll der Herstellerin – der wahrnehmenden Person – vorgezeigt, die sich hierzu äußerte. Es liegt deshalb nahe, daß sie – wie im Regelfall bei einer derartigen Skizze – zur Erläuterung und Veranschaulichung der Zeugenangaben diente. Das Protokoll verwendet zwar auch den rechtstechnischen Begriff des Augenscheins, da aber der Inhalt der Skizze im Gegensatz zum Foto nicht Gegenstand des Augenscheins sein kann, ist das Protokoll in diesem Punkt ebenso unklar wie hinsichtlich des Vorblattes der Lichtbildmappe. Weitere Unklarheiten ergeben sich – auch nach dem Revisionsvortrag – daraus, daß die erwähnten Lichtbilder jeweils mehrfach im Rahmen von Zeugenvernehmungen in Augenschein genommen wurden. Eine Augenscheinseinnahme durch das Gericht als Erhebung des Sachbeweises erfolgt aber in der Regel nur einmal. Damit entfällt die Beweiskraft des Protokolls im Sinne von §§ 273, 274 StPO im Hinblick auf eine Beweiserhebung durch Augenscheinseinnahme bezüglich der Skizze (BGH NStZ 2002, 270).
Der Senat hatte deshalb im Wege des Freibeweises zu klären, auf welche Art und Weise die Skizze Bl. 178 d.A. tatsächlich in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Dazu hat er dienstliche Äußerungen der am Verfahren beteiligten Berufsrichter eingeholt. Diese haben übereinstimmend erklärt, daß die Skizze im Wege des Vorhalts der polizeilichen Vernehmung als Vernehmungsbehelf benutzt wurde.
Der vom Beschwerdeführer in Anspruch genommene Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ist damit nicht gegeben.
2. Den Öffentlichkeitsgrundsatz hat die Strafkammer ebenfalls nicht verletzt (§ 169 StPO).
a) Soweit der Angeklagte den Ausschluß der Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Zeugin F. Ö.- nach §§ 171b Abs. 1 und 2 GVG beanstandet, ist diese Entscheidung gemäß § 171b Abs. 3 GVG unanfechtbar und daher durch das Revisionsgericht nicht überprüfbar (§ 336 Satz 2 StPO).
b) Der weiter gerügte Verstoß gegen § 338 Nr. 6 StPO liegt nicht vor. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Ziffer 1 verwiesen.
Im übrigen ist eine Augenscheinseinnahme während des Ausschlusses der Öffentlichkeit für die Dauer einer Zeugenvernehmung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu beanstanden, wenn sie im Zusammenhang mit der Zeugenaussage steht oder sich aus ihr entwickelt (BGHR GVG § 171b Abs. 1 Augenschein 1; BGH NStZ 2003, 218).
3. Hinsichtlich der übrigen Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 5. September 2003 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemeinen Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Das Landgericht ist in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe von einer nicht ausschließbar erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholgenusses ausgegangen (UA S. 17). Dies beschwert ihn
nicht, wenngleich der Zweifelssatz nicht nachvollziehbar angewendet und die Erheblichkeit im Sinne des § 21 StGB nicht als Rechtsbegriff behandelt wurde (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189; BGH StV 1999, 309; BGHSt 43, 66, 77).
Unterschriften
Wahl, Schluckebier, Kolz, Elf, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2557563 |
DAR 2005, 253 |
StraFo 2004, 319 |