Leitsatz (amtlich)
Wird ein Grundstück in der Weise aufgeteilt, daß aus einem aufstehenden Gebäude zwei selbständige Gebäude entstehen und ein Teil eines Gebäudes in das Nachbargrundstück hineinragt, so bleibt dieser Teil mit dem Eigentum an dem Gebäude, dessen wesentlicher Bestandteil er ist, verbunden (Ergänzung zu BGHZ 64, 333).
Normenkette
BGB §§ 93-94, 905, 912
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 22.10.1986) |
LG Mönchengladbach |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Oktober 1986 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger sind seit 1981 Eigentümer des Grundstücks K. Straße 20 in E.-V. (Flur 11, Flurstück 113). Das Nachbargrundstück Wa. Straße 2 (Flur 11 Flurstück 114) gehört dem Beklagten zu 1 und wird von der Beklagten zu 2 bewohnt. Auf beiden Flurstücken, die früher ein einheitliches Grundstück bildeten, steht ein im vorigen Jahrhundert errichtetes Haus. Ebenfalls noch im vorigen Jahrhundert wurde das Grundstück in der Weise geteilt, daß die Grenze – von der Kuckumer Straße aus gesehen – rechts neben der Haustür zum Haus der Kläger in der Mitte des Gebäudes ungefähr im rechten Winkel zu seiner Vorderfront verläuft. Das Haus des Beklagten zu 1 hat einen besonderen Eingang. Im ersten Obergeschoß steht die Trennwand zwischen den Wohnbereichen der Kläger und der Beklagten zu 2 nicht auf der Grundstücksgrenze, sondern etwa 1 m jenseits über dem Grundstück der Kläger. Der mit einem Teil von 1 m Breite und 7 m Länge über der Haustür und dem Flur der Kläger liegende Wohnraum wird von der Beklagten zu 2 genutzt. Ob die Trennwand im ersten Obergeschoß schon bei Teilung des Grundbesitzes und Aufteilung des Gebäudes so stand wie heute oder später gesetzt wurde, ist streitig. Die Kläger verlangen von den Beklagten die Herausgabe des über die Grenze ragenden Gebäudeteils im ersten Obergeschoß und die Entfernung der vorhandenen sowie die Errichtung einer den bauordnungsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Trennwand auf der Grundstücksgrenze.
Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision verfolgen die Kläger ihre Klaganträge weiter. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Kläger seien nicht Eigentümer des in ihr Grundstück hineinragenden Gebäudeteils im ersten Obergeschoß. Bewiesen sei, daß sich an dem baulichen Zustand des Gebäudes im Bereich der Trennwand im ersten Obergeschoß seit der Teilung des Grundbesitzes nichts geändert habe, daß also der von den Klägern herausverlangte Gebäudeteil schon bei Teilung des Grundbesitzes Bestandteil des auf dem neu gebildeten Flurstück 114 vorhandenen Gebäudes gewesen sei. Gehe man von diesem Beweisergebnis aus, sei der Konflikt zwischen den §§ 93 und 94 Abs. 1 BGB dahin zu lösen, daß der streitige Streifen des Zimmers im ersten Obergeschoß gemäß § 93 BGB dem Beklagten zu 1 als Eigentümer des durch die Aufteilung entstandenen rechtlich selbständigen Gebäudes gehöre. Das entspreche dem – allerdings für anders gelagerte Fälle – von der Rechtsprechung ausgesprochenen Grundsatz, daß jedenfalls dann, wenn bei Teilung eines bebauten Grundstücks der maßgebende Teil des Gebäudes auf einem der Grundstücke liege, das Eigentum an dem ganzen Gebäude an das Grundstück gebunden werde, auf dem sich eben dieser maßgebende Teil befinde (Hinweis auf BGHZ 64, 333 ff). Außerdem gelte dies vor allem deshalb, weil die früheren Eigentümer schon bei Teilung des Grundstücks den streitigen Gebäudeteil im ersten Obergeschoß dem im übrigen ausschließlich auf dem Nachbargrundstück stehenden Gebäude zugeordnet hätten. Eine solche von der Teilung des Grundbesitzes abweichende Aufteilung sei dem hier bis zum Inkrafttreten des BGB geltenden Code civil (Art. 664 – Stockwerkseigentum) nicht fremd gewesen.
II.
Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1. Zu Recht wendet das Berufungsgericht auf den vorliegenden Sachverhalt die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches an (Art. 181 EGBGB; BGHZ 97, 292, 293 f).
2. Entgegen der Auffassung der Revision steht den Klägern kein Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB gegen die Beklagten zu. Die Kläger sind nämlich nicht nach § 94 Abs. 1 BGB i.V.m. § 905 BGB Eigentümer des umstrittenen Gebäudeteils.
Wird ein Grundstück in der Weise aufgeteilt, daß ein bereits früher darauf errichtetes Gebäude von der Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke durchschnitten wird, und gelangen diese Grundstücke danach in das Eigentum verschiedener Personen, so würde die in § 94 Abs. 1, § 905 BGB vorgesehene Bindung des Eigentums am Gebäude an das Eigentum am Grundstück grundsätzlich zu einer vertikalen Aufspaltung des Eigentums am Gebäude entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze führen. Das in § 93 BGB vorgesehene einheitliche Eigentum am ganzen Gebäude stimmt mit der durch § 94 BGB geschaffenen Rechtslage dann ohne weiteres überein, wenn der Aufteilung des Grundstückes zwei voneinander unabhängige Gebäudeteile entsprechen, in einem Zweifamilienhaus z.B. sich jede Wohnungseinheit nur auf einem der neuen Grundstücke befindet. Probleme tauchen erst dann auf, wenn die neue Grundstücksgrenze ein einheitliches Gebäude derart durchschneidet, daß eine tatsächlich vorhandene Raumaufteilung nicht der neuen Grundstücksgrenze entspricht. Die Rechtsprechung hat sich mit diesem Konflikt vornehmlich im Zusammenhang mit dem Überbau auf fremdem Boden befaßt (vgl. BGHZ 64, 333, 336 m.w.N.). Ausgehend von dem Zweckgedanken der Überbauvorschriften, wirtschaftliche Werte möglichst zu erhalten (vgl. BGHZ 53, 5, 11), soll im Falle des entschuldigten Überbaues (§ 912 Abs. 1 BGB) der in das Grundstück des Nachbarn hineinragende Überbau nicht im Eigentum des Nachbarn stehen; er soll vielmehr wesentlicher Bestandteil des Grundstücks bleiben, von dem aus übergebaut worden ist, somit also im Eigentum des überbauenden Grundstückseigentümers verbleiben. Bei nicht entschuldigtem Überbau soll demgegenüber das Eigentum am Grundstück auf der Grenzlinie der Grundstücke real geteilt werden (BGHZ 27, 204).
Der Zweckgedanke der Überbauvorschriften im Falle des entschuldigten Überbaues hat dazu geführt, die zu §§ 912 BGB entwickelten Grundsätze auch auf den sog. Eigengrenzüberbau anzuwenden (vgl. Senatsurt. v. 26. April 1961, V ZR 203/59, LM BGB § 912 Nr. 9). Überschreitet der Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke mit dem Bau auf einem dieser Grundstücke die Grenze des anderen (Eigengrenzüberbau), so soll der hinübergebaute Gebäudeteil nicht Bestandteil des überbauten Grundstückes werden. Das Gebäude soll vielmehr als einheitliches Ganzes einen wesentlichen Bestandteil desjenigen Grundstücks bilden, von dem aus übergebaut worden ist. In BGHZ 64, 333 ist der Senat dann noch einen Schritt weitergegangen. Wird ein Grundstück in der Weise aufgeteilt, daß ein aufstehendes Gebäude von der Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke durchschnitten wird, und gelangen danach diese Grundstücke in das Eigentum verschiedener Personen, so soll das Eigentum an dem Gebäude als Ganzem jedenfalls dann, wenn sich der nach Umfang, Lage und wirtschaftlicher Bedeutung eindeutig maßgebende Teil auf einem der Grundstücke befindet, mit dem Eigentum an diesem Grundstück verbunden werden.
In dem hier zu beurteilenden Fall hat die im vorigen Jahrhundert vorgenommene Aufteilung des einheitlichen Grundstücks – anders als nach dem BGHZ 64, 333 zugrundeliegenden Sachverhalt – nicht eine natürlich-wirtschaftliche Einheit des aufstehenden Gebäudes durchschnitten. Sie hat vielmehr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu zwei Gebäuden mit selbständigen Wohneinheiten entsprechend den bereits vorher vorhandenen tatsächlichen Abtrennungen der Räumlichkeiten geführt. Daher stellt sich hier nicht die Frage, ob einer der beiden Grundstücksnachbarn Eigentümer des gesamten, eine natürlich-wirtschaftliche Einheit bildenden Gebäudes geworden ist. Vorliegend würde es sich vielmehr im Falle der Errichtung des Gebäudes auf dem Grundstück des Beklagten zu 1 nach der Aufteilung des ursprünglichen Grundstückseigentums um einen Überbau i.S. der §§ 912 ff BGB (vgl. BGHZ 97, 292, 294) oder im Falle der Errichtung des Gebäudes durch den Eigentümer beider benachbarter Parzellen um einen Eigengrenzüberbau handeln. In beiden Fällen würde die mit den Überbauvorschriften bezweckte Erhaltung natürlicher Einheiten und wirtschaftlicher Werte dazu führen, daß der in das Nachbargrundstück hineinragende Teil des Gebäudes als dessen wesentlicher Bestandteil im Sinne des § 94 BGB (vom Fall des unentschuldigten Überbaues abgesehen) im Eigentum des überbauenden Nachbarn verbleibt.
Wird die dem Überbau oder Eigengrenzüberbau entsprechende tatsächliche Situation durch die bloße Aufteilung des Grundstücks geschaffen, so ist hinsichtlich des Eigentums an den aufstehenden Gebäuden die gleiche Behandlung geboten. Auch hier muß der Zweckgedanke der Überbauvorschriften, wirtschaftliche Werte möglichst zu erhalten, als maßgebend angesehen werden und somit ebenfalls dazu führen, dem in § 93 BGB zum Ausdruck gekommenen Gesichtspunkt der natürlich-wirtschaftlichen Einheit von Gebäuden den Vorzug vor der nach § 94 Abs. 1 BGB bestimmten Zuordnung nach der Grundstücksgrenze zu geben. Gesichtspunkte der Art, wie sie beim sog. unentschuldigten Überbau ausnahmsweise für eine vertikale Aufspaltung des Eigentums an der Grenze sprechen, sind hier nicht ersichtlich. Nach den fehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts sind im Bereich der Trennwand im ersten Obergeschoß seit der Teilung des Grundstücks keine Veränderungen vorgenommen worden; die Trennwand ist also insbesondere nicht später vorsätzlich versetzt worden.
Da somit die Kläger nicht Eigentümer des streitigen Gebäudeteils sind, und auch schuldrechtliche Ansprüche der Kläger gegen die Beklagten nicht ersichtlich sind, ist die Klage unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Thumm, Dr. Eckstein, Linden, Vogt, Lambert-Lang
Fundstellen
Haufe-Index 1622226 |
BGHZ |
BGHZ, 311 |
NJW 1988, 1078 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1988, 570 |
JZ 1988, 418 |