Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Tenor
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird
1. das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen B. II. 3. der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen;
2. das Urteil des Landgerichts München I vom 24. April 2001
- im Schuldspruch dahingehend geändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 93 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie des schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in fünf Fällen schuldig ist;
- insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, als gegen den Angeklagten kein Berufsverbot ausgesprochen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Hauptschullehrer im Beamtenverhältnis, wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 97 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie erstrebt die Verhängung höherer Einzelstrafen und einer höheren Gesamtstrafe sowie den Ausspruch eines Berufsverbots. Das vom Generalbundesanwalt nur hinsichtlich des Berufsverbots vertretene Rechtsmittel ist nur zum Teil begründet.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vier Fällen des sexuellen Mißbrauchs der 12jährigen Michaela M. gemäß B. II. 3. der Urteilsgründe muß entfallen, weil diese Taten verjährt sind.
Nach den zugrundeliegenden Feststellungen filmte der Angeklagte im Jahre 1986 oder 1987 in vier Fällen mit einer Videokamera die Geschädigte beim Ausziehen und führte ihr die Aufnahmen anschließend vor; bei dem Filmen wie bei den Filmvorführungen wollte er sich sexuell erregen. Dieses Verhalten erfüllt mangels körperlichen Kontakts mit der Geschädigten nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB aF, sondern den eigenständigen Tatbestand des § 176 Abs. 5 StGB aF, der lediglich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe androhte. Die Verjährungsfrist hierfür betrug fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Strafverfolgungsverjährung ist daher insoweit im Jahre 1991 oder 1992 eingetreten, denn bis dahin wurde eine zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Unterbrechungshandlung nicht vorgenommen. § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, der am 30. Juni 1994 in Kraft trat und das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bestimmt, ändert daran nichts. Diese Neuregelung der Verjährungsvorschriften gilt zwar auch für Taten, die vor dem 30. Juni 1994 begangen worden sind, diese dürfen aber zu dieser Zeit noch nicht verjährt sein (Art. 2 des 30. StrÄndG; Senatsbeschluß vom 2. September 1998 – 1 StR 385/98 –).
Das Verfahren ist daher ungeachtet der Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch insoweit gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen (vgl. BGH, Beschl. vom 16. Juli 1996 – 4 StR 257/96; Kuckein in KK StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 23 m.w.N.).
Trotz des Wegfalls dieser Vorwürfe kann die Gesamtstrafe bestehen bleiben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen auch verjährte Taten bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden, wenn auch nicht mit demselben Gewicht wie nicht verjährte Straftaten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 46 Rdn. 38 m.w.N.). Angesichts der maßvollen Gesamtstrafe kann ausgeschlossen werden, daß das Landgericht die vier verjährten Taten mit zu großem Gewicht berücksichtigt hat.
2. Die Angriffe der Beschwerdeführerin gegen den Strafausspruch sind unbegründet. Weder die Zumessung der Einzelstrafen noch Ausspruch und Begründung der Gesamtfreiheitsstrafe lassen Rechtsfehler erkennen.
3. Die Rüge, das Landgericht habe es fehlerhaft unterlassen, die Voraussetzungen für die Verhängung eines Berufsverbots gegen den Angeklagten gemäß § 70 Abs. 1 StGB zu prüfen, hat Erfolg.
Der Angeklagte hat die ihm durch seinen Lehrerberuf gegebenen Möglichkeiten bei seiner Berufstätigkeit bewußt und planmäßig dazu benutzt, fortlaufend sexuelle Mißbrauchshandlungen an unter 14 Jahre alten Schülerinnen zu begehen. Trotz der erstmaligen Verurteilung des Angeklagten liegt eine Wiederholungsgefahr nahe. Der Angeklagte hat eine Vielzahl solcher Mißbrauchstaten über nahezu den gesamten Zeitraum seiner Festanstellung als Lehrer begangen. Zuletzt hat er das sexuelle Verhältnis mit der Geschädigten Petra J. fortgesetzt, auch nachdem seine Ehefrau hiervon Kenntnis erlangt hatte, und noch nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 30. Mai 2000 hat er entgegen dem angeordneten Kontaktverbot erneut mit Petra J. Kontakt aufgenommen.
Die Verhängung eines Berufsverbots wird nicht dadurch gehindert, daß der Angeklagte Beamter ist. Zwar tritt § 70 StGB grundsätzlich hinter der Bestimmung des § 45 StGB über den Verlust der Amtsfähigkeit und den einschlägigen Bestimmungen der Beamtengesetze über den Verlust der Beamtenrechte – hier Art. 46 BayBG – zurück (BGH NJW 1987, 2686, 2687; Hanack in LK 11. Aufl. § 70 StGB Rdn. 32). Dies gilt jedoch nur hinsichtlich der Beamtenstellung als solcher und muß sich nicht auf berufsfachliche Fähigkeiten erstrecken, aufgrund derer der Beamte tätig geworden ist. Hat ein Beamter bei der Begehung einer rechtswidrigen Tat die Möglichkeiten einer speziellen fachlichen Qualifikation genutzt, von der er auch in nichtamtlicher Eigenschaft in gefährlicher Weise Gebrauch machen könnte, so sind darauf gerichtete Berufsverbote zulässig (Hanack aaO Rdn. 33; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 70 Rdn. 3; vgl. auch BGH wistra 2000, 459 und BGHR StGB § 70 Abs. 1 Pflichtverletzung 7). Insoweit steht die Beamteneigenschaft dem Verbot einer seinem Fach entsprechenden Berufsausübung nicht entgegen. Es kann daher zum Beispiel einem beamteten Lehrer oder einem Amtsarzt gemäß § 70 StGB untersagt werden, privat als Lehrer oder Arzt tätig zu werden. Da das Beamtenverhältnis des Angeklagten mit der Rechtskraft seiner Verurteilung gemäß Art. 46 Satz 1 Nr. 1 BayBG endet und der Angeklagte, der keine andere Ausbildung als die für das Lehramt besitzt, den Beruf als Lehrer selbst als „Traumberuf” bezeichnet hat, liegt hier sogar die Annahme nahe, daß der Angeklagte versuchen wird, als Privatlehrer tätig zu werden.
Der neue Tatrichter wird daher die Frage der Verhängung eines Berufsverbots nach § 70 StGB noch zu prüfen haben. Dabei wird zu beachten sein, daß das Berufsverbot im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den auf die Gefahrenabwehr zugeschnittenen Charakter der Maßregel nur in dem gegenständlichen Umfang ausgesprochen werden darf, in dem dies erforderlich ist, um die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern (vgl. BGHR StGB § 70 Abs. 1 Umfang, zulässiger 2).
4. Die gemäß § 301 StPO gebotene Prüfung des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, die nur im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittels zulässig ist und nicht auf die Schuldfrage ausgedehnt werden kann (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 301 Rdn. 1), hat einen Mangel nicht aufgedeckt.
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Kolz, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 666265 |
NStZ 2002, 198 |
SchuR 2005, 39 |