Leitsatz (amtlich)
›§ 344 Bedeutung des zwischen zwei prozessualen Taten bestehenden Subsidiaritätsverhältnisses für die Beschränkbarkeit der Revision.‹
Tatbestand
I. Das Landgericht hatte den Angeklagten am 21. Januar 1983 wegen in der Zeit von November 1981 bis Februar 1982 versuchter Anstiftung zum erpresserischen Menschenraub (§ 30 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, ihn im übrigen aber freigesprochen. Der Freispruch betraf den in der zugelassenen Anklage erhobenen Vorwurf, durch eine weitere selbständige Handlung gemeinsam mit unbekannten Tätern seinen Landsmann U B, gegen den auch jene andere Tat gerichtet war, am 15. April 1982 entführt zu haben, um für seine Freilassung von den Angehörigen 600.000 DM zu fordern (§ 239a Abs. 1 StGB).
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger war am 18. November 1983 "das Urteil ... mit den Feststellungen" aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen worden. Obwohl diese Rechtsmittel nur die Aufhebung des Teilfreispruchs zum Ziel hatten, war nach Ansicht des Senats eine Beschränkung hierauf nicht möglich. In seiner damaligen Entscheidung heißt es:
"Sofern die erneute Hauptverhandlung zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes führen sollte, darf daneben jene Verurteilung nicht aufrechterhalten werden; denn zwischen beiden Delikten besteht Gesetzeseinheit (BGHSt 8, 38; 14, 378; BGH, Beschluß vom 23. März 1982 - 3 StR 3/82). Das gilt auch dann, wenn der Angeklagte die geplante Tat statt mit den von ihm erfolglos Aufgeforderten mit anderen begangen haben sollte (BGHSt 8, 38 sowie der vorgenannte Beschluß). Wegen dieses Subsidiaritätsverhältnisses unterliegt das gesamte Urteil der Aufhebung (vgl. BGH NJW 1980, 1807)."
Die vom Angeklagten eingelegte Revision hatte der Senat gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Das Landgericht hat auf Grund der erneuten Hauptverhandlung wiederum so entschieden wie in seinem ursprünglichen Urteil. Zum Schuldspruch hat es - anders als zum (Teil-)Freispruch - keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern insoweit die aus dem aufgehobenen Urteil übernommen. Diese hat es als "rechtskräftig festgestellt" angesehen. Hierzu wird im neuen Urteil ausgeführt, angesichts des Grundsatzes der Prozeßökonomie müsse als selbstverständlich davon ausgegangen werden, daß der Senat vor Beginn der Hauptverhandlung, in der über die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger entschieden worden sei, über die offensichtlich unbegründete Revision des Angeklagten befunden habe. Spätestens durch den Vortrag des Berichterstatters in der damaligen Hauptverhandlung sei der Verwerfungsbeschluß den Prozeßbeteiligten bekannt und damit wirksam geworden. Dies habe zur "Rechtskraft der tatsächlichen Feststellungen" bezüglich des Schuldspruchs geführt. Demgemäß habe das Revisionsgericht die betreffenden Feststellungen nicht mehr durch sein erst später ergangenes Urteil aufheben können. Hierzu sei es auch nicht auf Grund der von der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern eingelegten Revisionen berechtigt gewesen; denn diese hätten sich nur gegen den Teilfreispruch gewandt. Zwar bestehe zwischen einer versuchten Anstiftung zu einem Verbrechen und dessen späteren Begehung ein Subsidiaritätsverhältnis, so daß die Verurteilung nach § 30 Abs. 1 StGB solange zur Disposition stehe, wie eine Bestrafung wegen des Verbrechens, zu dessen Begehung anfangs erfolglos angestiftet worden war, noch möglich sei. Das habe aber lediglich Bedeutung für die Rechtsfolgen, nicht auch für die Tatsachenfeststellungen, auf die jene Verurteilung gestützt sei. Sie blieben in einem derartigen Fall vom Subsidiaritätsprinzip unberührt. Etwas anderes könne hier nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 1980 - 1 StR 89/80 (= NJW 1980, 1807) hergeleitet werden. In dieser Sache habe es sich um zwei konkurrierende Delikte gehandelt, die Bestandteile einer Tat im Sinne des § 264 StPO gewesen seien. Demgegenüber stellten die dem Angeklagten im vorliegenden Verfahren zur Last gelegten Delikte zwei selbständige prozessuale Taten dar.
II. Gegen das neue Urteil haben der Angeklagte und die Nebenkläger wiederum Revision eingelegt. Sie rügen Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Auf seine Sachrüge muß die Entscheidung, soweit er verurteilt worden ist, aufgehoben werden. Sie enthält keine eigenen Feststellungen der nunmehr erkennenden Strafkammer bezüglich des Schuldspruchs. Das ist ein Sachmangel (BGHSt 30, 225, 226 m.w. N.).
Solcher Feststellungen bedurfte es, weil der Senat die betreffenden früheren Feststellungen aufgehoben hatte, wie sich aus dem eindeutigen Tenor seines Urteils vom 18. November 1983 ergibt. Allein schon auf Grund dieses Umstandes war das Landgericht zur erneuten Untersuchung der Tat verpflichtet. Es durfte sie nicht mit der Begründung ablehnen, dem Revisionsgericht habe die Berechtigung zur Aufhebung jener Feststellungen gefehlt.
Im übrigen entsprach die Entscheidung des Senats der Sach- und Rechtslage. Die Feststellungen waren nicht seiner Dispositionsbefugnis entzogen.
Die Strafkammer geht bei ihrer gegenteiligen Meinung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht von falschen Voraussetzungen aus. Unzutreffend ist die Annahme, der Senat hätte damals den Verwerfungsbeschluß vor Beginn der Hauptverhandlung gefaßt. Zudem wäre der Senat selbst dann an der Aufhebung jener Feststellungen nicht gehindert gewesen, wenn die Vermutung der Strafkammer dem wirklichen Verfahrensablauf entsprochen hätte. Denn die Revision eines Prozeßbeteiligten wird in ihrem Wirkungsbereich nicht dadurch eingeschränkt, daß auch ein anderer ein Rechtsmittel eingelegt hat. Vor allem aber sind die Folgerungen, die das Revisionsgericht in Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zieht, nicht auf das Gebiet der rechtlichen Würdigung begrenzt. Vielmehr obliegt es seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es nicht nur den betreffenden Teil des Urteilsspruchs, sondern auch die ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufhebt. Der enge Zusammenhang der beiden konkurrierenden Taten wird in der Regel Anlaß zu der umfassenderen Entscheidung geben. Unerheblich ist dabei der Umstand, daß es sich im vorliegenden Fall um zwei prozessuale Taten handeln würde. Wenn der Konkurrenzgesichtspunkt die Aufhebung des Urteilsspruchs in einem solchen Fall rechtfertigt, was das Landgericht selbst nicht bezweifelt, muß dies auch hinsichtlich der Feststellungen gelten, auf denen er beruht. Konsequent wäre auf der Grundlage der vom Landgericht vertretenen Meinung allein die Ablehnung jeglicher Folgerungen aus dem Subsidiaritätsprinzip beim Vorliegen zweier selbständiger Taten im Sinne des § 264 StPO. Dann ließe sich aber nicht verhindern, daß der Täter wegen beider Delikte verurteilt wird, z.B. wenn die Verurteilung nach § 30 Abs. 1 StGB bereits rechtskräftig geworden ist, bevor der Tatrichter in der neuen Hauptverhandlung darüber zu befinden hat, ob der Angeklagte auch das Verbrechen selbst begangen hat. Würde er zu diesem Ergebnis gelangen, so wäre der Angeklagte unter Verletzung des Subsidiaritätsprinzips wegen beider Delikte verurteilt. Für eine Korrektur bestände dann keine Möglichkeit mehr. Daher muß das Revisionsgericht aus der Sicht des Ergebnisses seiner Beratung die gebotenen Folgerungen einer Unteilbarkeit des Urteilsgegenstandes einschließlich der Feststellungen und damit der Unwirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung ziehen (vgl. BGHSt 27, 70, 72; BGH NJW 1980, 1807).
Dieses letztere Urteil betraf zwar den Fall, daß die konkurrierenden Delikte Bestandteile einer einzigen prozessualen Tat sind. Es steht aber einer Entscheidung im vorstehend dargelegten Sinn nicht entgegen. Ihm kann nicht entnommen werden, daß der 1. Strafsenat bei einer Sachgestaltung wie im vorliegenden Fall die Zulässigkeit einer auf den Subsidiaritätsgesichtspunkt gestützten Aufhebung der Urteilsfeststellungen verneinen würde. Zu einer dahingehenden Prüfung hatte die damals entschiedene Sache auch keinen Anlaß geboten.
Fundstellen
Haufe-Index 2992836 |
NJW 1986, 1820 |
DRsp IV(460)159a-b |
NStZ 1986, 565 |
EzSt StPO § 344 Nr. 3 |
MDR 1986, 512 |
NStE StPO § 344 Nr. 1 |
VRS 70, 452 |