Leitsatz (amtlich)
›Die Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrages, wonach der Besteller nach Abnahme des Bauwerks 5 % der Auftragssumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist als Sicherheit einbehalten darf, benachteiligt den Unternehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen; sie ist unwirksam, wenn ihm kein angemessener Ausgleich dafür zugestanden wird.
Das dem Unternehmer eingeräumte Recht, den Einbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen, ist kein angemessener Ausgleich in diesem Sinn.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagte beauftragte die Klägerin in den Jahren 1988 und 1990 mit der schlüsselfertigen Errichtung mehrerer größerer Bauvorhaben in M. Gemäß Nr. 4 der jeweiligen Verträge waren Abschlagszahlungen bis zu 80 % (bzw. 90 %) des Wertes der jeweils erbrachten Leistungen, Schlußzahlungen bis zu 95 % der anerkannten Schlußrechnungen und eine Garantiesumme von 5 % der Auftragssumme vereinbart. Vertragsgrundlage sollten nach Nr. 5 in der aufgeführten Reihenfolge die besonderen Vereinbarungen, die Vertragsbedingungen sowie, nach anderem, die VOB sein. In den besonderen Vereinbarungen heißt es u.a. wie folgt:
"GA = Gewährleistungseinbehalt - kann auf Antrag des Auftragnehmers nach Auszahlung der Schlußrechnung durch eine Bankbürgschaft einer westdeutschen Großbank und eines westdeutschen Kreditinstitutes öffentlichen Rechts gemäß beiliegendem D.-Muster abgelöst werden. Die Auszahlung erfolgt Zug-um-Zug gegen die Vorlage der Bürgschaft. Die Bürgschaft wird in zwei Stückelungen zu je DM ... hereingereicht. Eine Hälfte wird nach Ablauf der Hälfte der Gewährleistungszeit zurückgegeben."
In den Vertragsbedingungen heißt es in Abschnitt L u.a. wie folgt:
"Nr. 4
Der Auftragnehmer leistet auf seine Arbeiten und Lieferungen eine Gewährleistung im Rahmen der Bestimmungen des BGB. ..."
"Nr. 5
Zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers dient die gemäß Vertrag zurückbehaltene Garantiesumme. Sicherheitsleistungen können auf Antrag frühestens nach der Hälfte der Laufzeit der Garantiesummenzeit bei Mängelfreiheit durch eine für den Auftraggeber kostenlose und unbefristete unter Verzicht auf die Einreden der Anfechtbarkeit, Aufrechenbarkeit und Vorausklage ausgestattete Bankbürgschaft mit Zahlungsverpflichtung auf erstes Anfordern ersetzt werden gemäß D.-Formblatt; ein Anspruch auf Zustimmung besteht nicht. Die Ausstellung hat nach den Vorschriften der Bevollmächtigten des Auftraggebers zu erfolgen. Im übrigen ist § 17 VOB, Teil B, ausgeschlossen."
Die genannten D.-Formblätter sehen die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern vor. Die Klägerin löste sämtliche Gewährleistungseinbehalte (insgesamt 1.645.100 DM) durch Bürgschaften auf erstes Anfordern ab.
Die Klägerin hat Herausgabe von insgesamt acht näher bezeichneter Bürgschaftungsurkunden mit der Begründung verlangt, die vorformulierten und von der Beklagten gestellten Klauseln über die Bürgschaft auf erstes Anfordern seien nach § 9 AGB-Gesetz unwirksam. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, soweit die Parteien nicht im zweiten Rechtszug den Rechtsstreit bezüglich vier Bürgschaftsurkunden übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin noch Herausgabe je einer Bürgschaft betreffend die Objekte K. und B.. Im übrigen haben die Parteien den Rechtsstreit, soweit er die Herausgabe der beiden Bürgschaften für das Bauvorhaben D. betraf, übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg; sie führt, soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Revisionsinstanz nicht in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfBR 1996, 216 abgedruckt ist, führt aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunden nicht zu, da sie aufgrund wirksamer vertraglicher Vereinbarungen gegeben seien, auch wenn es sich dabei um Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln sollte. Eine vorformulierte Vertragsbedingung über eine auf erstes Anfordern zu zahlende Gewährleistungsbürgschaft verstoße jedenfalls im kaufmännischen Verkehr nicht gegen das AGB-Gesetz. Solche Bürgschaften seien im Baubereich üblich und benachteiligten den kaufmännischen Auftragnehmer nicht unangemessen. Eine Bürgschaft auf erstes Anfordern sei mit dem Wesen einer Bürgschaftsverpflichtung vereinbar. Der Auftragnehmer trage zwar bei Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern das Insolvenzrisiko, erhalte jedoch bei Abnahme des Werkes den vollen Werklohn und könne gegebenenfalls auf das von ihm hergestellte Werk zurückgreifen. Andernfalls müßte der Auftraggeber nach Abnahme des Werkes das Insolvenzrisiko des Auftragnehmers tragen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Parteien das Klauselwerk, wonach die Beklagte einen Gewährleistungseinbehalt von 5 % des Werklohns vornehmen darf, den die Klägerin unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen berechtigt ist, im einzelnen ausgehandelt hatten. Zugunsten der Klägerin ist in der Revision davon auszugehen, daß die Beklagte die Klauseln als vorformulierte Vertragsbedingungen gestellt hat; sie unterliegen danach einer Prüfung nach § 9 AGBG.
Das Berufungsgericht hat lediglich die Ablösungsbefugnis des Einbehalts durch Bürgschaft auf erstes Anfordern beurteilt. Dabei übersieht es, daß diese Klausel dem Auftragnehmer nur eine Wahlmöglichkeit einräumt, von der er nach seinem Belieben Gebrauch machen kann. Das Einräumen eines Wahlrechts kann aber für sich genommen den Wahlberechtigten nicht im Sinne des § 9 AGBG benachteiligen. Benachteiligt werden kann der Auftragnehmer durch die Vereinbarung eines Gewährleistungseinbehalts. Bei der Prüfung, ob darin eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 AGBG liegt, sind allerdings nicht nur Höhe und Dauer des Einbehalts, sondern auch der Regelungszusammenhang, in dem die Klausel steht, zu berücksichtigen. Das sind hier insbesondere die Regelung der Fälligkeit des Werklohns insgesamt und die Art, wie der bare Einbehalt abgelöst werden kann.
Nach diesen Grundsätzen halten die Klauseln einer Prüfung nach § 9 Abs. 1 AGBG nicht stand; die Klägerin kann daher die Herausgabe der noch im Streit stehenden Bürgschaftsurkunden nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen.
1. Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unangemessen i.S.v. § 9 Abs. 1 AGBG, wenn der Verwender mißbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (z.B. Senatsurteil vom 8. Juli 1993 - VII ZR 79/92, NJW 1993, 2738 = BauR 1993, 723 = ZfBR 1993, 277 m.w.N.). Soweit die Klauseln das Recht zum Einbehalt von 5 % der Auftragssumme als Gewährleistungssicherheit betreffen, beeinträchtigen sie den Auftragnehmer als Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, ohne daß ihm ein entsprechender Ausgleich zugestanden wird.
a) Das Interesse des Auftraggebers an einer angemessenen Sicherheit für etwaige Gewährleistungsansprüche nach Abnahme des Werkes ist schutzwürdig. Erfahrungsgemäß wird kaum ein Bauwerk völlig mangelfrei errichtet; nach Abnahme zeigen sich innerhalb der Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche immer wieder Mängel, die der Auftragnehmer auf seine Kosten zu beseitigen verpflichtet ist. Ohne eine Sicherheit müßte der Auftraggeber während dieser Zeit uneingeschränkt das Bonitätsrisiko des Auftragnehmers tragen.
b) Mit der Vereinbarung eines Einbehaltes von 5 % der jeweiligen Auftragssumme für die Dauer der Gewährleistung von fünf Jahren hat die Beklagte allerdings versucht, ihre Interessen mißbräuchlich auf Kosten der Klägerin durchzusetzen.
aa) Nach dem Werkvertragsrecht des BGB ist die volle Vergütung bei Abnahme des Werkes zu entrichten und von diesem Zeitpunkt an im Zweifel zu verzinsen (§ 641 BGB). Das Gesetz sieht den Einbehalt eines Teils des Werklohnes als Sicherheit für etwaige Gewährleistungsansprüche nicht vor, verbietet ihn allerdings auch nicht.
bb) Daran gemessen werden die berechtigten Interessen des Auftragnehmers nicht hinreichend gewahrt. Aufgrund des vereinbarten Einbehalts hat er für die Dauer von fünf Jahren nach Abnahme des Werkes, also für einen verhältnismäßig langen Zeitraum, das Bonitätsrisiko des Auftraggebers zu tragen, bis er den restlichen, eigentlich bei Abnahme des Werkes fälligen nicht unbeträchtlichen Teil des Werklohnes erhält. Sein Interesse an eigener Liquidität in Höhe des Einbehalts bleibt ebenso unberücksichtigt wie sein Interesse, zumindest die vom Gesetz vorgesehene Verzinsung hierfür zu erhalten (so auch OLG Hamm BB 1988, 868; OLG Karlsruhe BauR 1989, 203; OLG München BauR 1992, 234; OLG Braunschweig OLGR 1994, 180).
cc) Die Beklagte hat der Klägerin keinen angemessenen Ausgleich zugestanden. Die Klägerin kann nicht verlangen, daß die Beklagte den Einbehalt entsprechend § 17 Nr. 6 VOB/B auf ein Sperrkonto bei einem vereinbarten Geldinstitut einzahlt; ihr stehen auch nicht die anderen, in § 17 VOB/B geregelten Rechte zu. In Klausel L Nr. 5 der vorrangig vereinbarten Vertragsbedingungen wird nämlich § 17 VOB/B ausgeschlossen.
Das Recht der Klägerin, bis zur Abnahme der Bauvorhaben 80 % (bzw. 90 %) des gesamten Werklohns als Abschlag verlangen zu können, ist kein angemessener Ausgleich für den Einbehalt nach Abnahme. Es entspricht dem ohnehin Üblichen.
2. Die Ausgestaltung des hier vorgesehenen Austauschrechts, nämlich Ablösung des Einbehalts ausschließlich durch Bürgschaft auf erstes Anfordern, eröffnet der Klägerin keine faire Alternative.
a) Die Bürgschaft auf erstes Anfordern geht deutlich über die Notwendigkeit hinaus, in der bauvertraglichen Praxis dem Auftraggeber nach Abnahme des Werkes eine ausreichende Sicherheit für seine etwaigen Gewährleistungsansprüche einzuräumen. Der Auftraggeber kann als Bürgschaftsgläubiger den verbürgten Betrag sofort erlangen. Er ist nicht verpflichtet, schlüssig darzulegen, daß die durch die Bürgschaft gesicherte Hauptforderung besteht; Einwendungen können - abgesehen von Mißbrauchsfällen - erst im Rückforderungsprozeß geltend gemacht werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, NJW 1994, 380 und vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, BauR 1997, 134 = ZfBR 1997, 38). Die Bürgschaft auf erstes Anfordern führt damit dem Gläubiger sofort liquide Mittel zu, wenn er den Bürgschaftsfall für eingetreten erklärt. Zahlt der Bürge, so ist der Auftragnehmer wegen seiner Ansprüche auf einen u.U. langjährigen Prozeß angewiesen. Während dieser Zeit hat er im vollen Umfang das Risiko der Bonität des Auftraggebers zu tragen. Für diese Risikoverlagerung besteht ebensowenig eine Berechtigung wie beim Einhalt; das Sicherungsmittel soll die werkvertraglichen Gewährleistungsansprüche des Bestellers sichern, nicht aber zu einer Steigerung seiner Liquidität führen und dadurch das Bonitätsrisiko verlagern. Schließlich kann eine Bürgschaft auf erstes Anfordern den Auftraggeber dazu verleiten, sich durch unberechtigte Inanspruchnahme des Bürgen einen Liquiditätsvorteil zu verschaffen.
b) Die Tatsache, daß nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im Baugewerbe die Bürgschaft auf erstes Anfordern unter Kaufleuten häufig als Sicherheit vereinbart wird, ändert nichts daran, daß sie keine angemessene Kompensation für die aus dem Einbehalt resultierenden Nachteile und Risiken darstellt.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben; es ist im tenorierten Umfang aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da Feststellungen darüber zu treffen sind, ob die Klauseln, wie von der Beklagten behauptet, im einzelnen ausgehandelt worden sind.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten. Soweit das Berufungsgericht bereits über einen Teil der Kosten gemäß § 91a ZPO entschieden hat, ist dieser Teil von der Revision nicht angegriffen worden. Soweit die Parteien darüber hinaus in der Revisionsinstanz die Hauptsache bezüglich der Herausgabe der beiden Bürgschaften, betreffend das Bauvorhaben D., übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist es zweckmäßig, die Kostenentscheidung darüber dem Berufungsgericht vorzubehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 2993720 |
BGHZ 136, 27 |
BGHZ, 27 |
DB 1997, 1918 |
NJW 1997, 2598 |
BGHR AGBGB § 9 Abs. 1 Gewährleistungseinbehalt 1 |
BGHR BGB § 641 Sicherheitseinbehalt 1 |
BauR 1997, 829 |
DRsp I(138)802a-b |
JR 1998, 150 |
KTS 1998, 90 |
WM 1997, 1675 |
ZIP 1997, 1549 |
MDR 1997, 929 |
ZfBR 1997, 292 |
ZBB 1998, 33 |