Leitsatz (amtlich)
Die Gefährdungshaftung aus § 717 Abs. 2 ZPO umfaßt ihrem Zweck nach nur die Auswirkungen des eigentlichen Vollstreckungseingriffs. Kreditschäden des Schuldners durch das Bekanntwerden der bloßen Tatsache einer Zwangsvollstreckung werden von ihr nicht gedeckt.
Normenkette
ZPO § 717; BGB § 249
Verfahrensgang
Saarländisches OLG |
LG Saarbrücken |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 16. Dezember 1980 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
In einem Vorprozeß mit umgekehrten Parteirollen war die jetzige Klägerin mit landgerichtlichem Urteil vom 29. September 1975 zur Zahlung von 13.819,50 DM nebst Zinsen an die jetzige Beklagte verurteilt worden. Gegen Sicherheitsleistung von 16.000 DM, die die Beklagte erbrachte, war das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte pfändete daraufhin mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 1. Dezember 1975 eine Werklohnforderung der Klägerin gegen den Landkreis S… und ließ sich diesen Anspruch zur Einziehung überweisen. Die Kreissparkasse S… leistete am 9. Dezember 1975 entsprechend einer früher ergangenen Weisung der Klägerin die Pfandsumme, die die Beklagte später wieder zurückbezahlt hat.
Auf die Berufung der damals beklagten jetzigen Klägerin im Vorprozeß wies das Oberlandesgericht am 25. November 1976 die dortige Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils ab.
Die Klägerin begehrt nunmehr von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 67.680 DM nebst Zinsen gemäß § 717 Abs. 2 ZPO. Sie behauptet, daß sie einen Gewinn in dieser Höhe bei einer Lieferung von Betonplatten an die Firma T. gemacht haben würde. Zum Abschluß des Geschäfts sei es dann nur deshalb nicht gekommen, weil der Zeuge T. von der Vollstreckungsmaßnahme gegen die Klägerin erfahren und aus dieser Nachricht Bedenken gegen deren Leistungsfähigkeit geschöpft habe.
Das Landgericht hat sich nach Beweisaufnahme von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen bezüglich des Gewinnentgangs überzeugt und der Klage im wesentlichen stattgegeben. Auf Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage aus Rechtsgründen abgewiesen.
Die Revision der Klägerin erstrebt – neben Zinsen und neben Forderungen, die Gegenstand ihrer Anschlußberufung gewesen waren – vor allem die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin hat im Ergebnis keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht geht nicht auf die im ersten Rechtszug umstritten gewesenen Tatfragen ein, auf die die Klägerin ihren Anspruch gestützt hat und die im zweiten Rechtszug weiterhin umstritten waren. Es meint vielmehr, daß der Klaganspruch ohnehin nicht begründet sei, unterstellt also die von der Klägerin behaupteten, Anspruchsvoraussetzungen. Das Berufungsgericht führt aus:
Auch bei § 717 Abs. 2 ZPO sei, wie allgemein im Haftpflichtrecht, zu fordern, daß die Vollstreckung aus dem vorläufigen Titel „nach dem Grundsatz der Sozialadäquanz” ursächlich für den Schaden geworden sei. Es erkennt freilich auch, daß es sich insoweit aus heutiger Sicht nicht am eine Frage der Ursächlichkeit, sondern um eine solche der Zurechenbarkeit handelt, und meint, daß deshalb die Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhanges nicht immer ausreichend sei, vielmehr auf den Schutzzweck der jeweiligen Haftungsnorm abgestellt werden müsse. Unter beiden Gesichtspunkten verneint das Berufungsgericht aber die Haftung der Beklagten. Denn es habe sich um eine bloße, wenn auch gute Gewinnchance gehandelt, nicht um „echten” Gewinn.
II.
Diesen Ausführungen des Berufungsgerichts kann nicht in jeder Hinsicht gefolgt werden; dem für den vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des Haftungstatbestandes des § 717 Abs. 2 ZPO gewonnenen Ergebnis schließt sich der Senat indessen an.
1. a) Die Meinung des Berufungsgerichts, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um den Entgang eines „echten Gewinns” im Sinne des § 252 BGB handele, ist nicht haltbar. Es ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt und ergibt sich auch schon aus dem Gesetz, daß insoweit eine bloße Wahrscheinlichkeit genügt und insbesondere ein Rechtsanspruch auf den erhofften Gewinn nicht erforderlich ist (z.B. Senatsurteil vom 22. Februar 1973 – VI ZR 15/72 – VersR 1973, 423).
b) Damit kommt es für die Revisionsinstanz nur noch auf die vom Berufungsgericht gleichfalls geprüfte Frage an, ob die Vereitelung der (unterstellten) Gewinnerwartung der Beklagten haftpflichtrechtlich zuzurechnen ist. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang zunächst das allgemeine Zurechnungskriterium der „adäquaten Verursachung” (der Begriff der „Sozialadäquanz” sollte einem anderen Fragenkreis vorbehalten bleiben) geprüft und sein Vorliegen verneint. Ob dem so zugestimmt werden könnte, mag fraglich sein. Der im wesentlichen an statistischer Häufigkeit und Voraussehbarkeit ausgerichtete hergebrachte Adäquanzbegriff ist eben deshalb, weil er im Grunde nur ein Maßstab für die rechtliche Zurechnung ist, von der Art des Haftungstatbestandes nicht unabhängig (vgl. etwa Senatsurteil BGHZ 79, 259, 261 f. zu § 33 LuftVG). So könnte es im vorliegenden Fall bedenklich sein, einen Ersatzanspruch wegen Vereitelung der behaupteten Gewinnerwartung auch dann an dem Fehlen eines adäquaten Verursachungszusammenhanges scheitern zu lassen, wenn die Durchsetzung des materiell aus letzter Sicht unbegründeten Anspruches die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt hätte (wofür es allerdings schon nach dem Vortrag der Klägerin an einem Anhalt fehlt).
Ob es daher sinnvoll und zutreffend war, wenn das Berufungsgericht in dem vorliegenden, einen Gefährdungstatbestand betreffenden Fall den adäquaten Zusammenhang zunächst allgemein geprüft hat, kann indessen dahinstehen.
2. Dem Berufungsgericht ist nämlich im wesentlichen zuzustimmen, soweit es die Zurechenbarkeit des behaupteten Schadens auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Haftungsnorm des § 717 Abs. 2 ZPO verneint, ein Umstand, dessen Voraussetzungen sich nach dem zuvor Gesagten mit den für die Prüfung eines adäquaten Zusammenhangs zu beachtenden Gesichtspunkten teilweise überschneiden kann.
Die Vollstreckung aus noch nicht rechtskräftigen Urteilen fällt, wie bemerkt, als Haftungstatbestand (ähnlich wie die vergleichbare Vorschrift des § 945 ZPO) in den Bereich der Gefährdungshaftung; dies jedenfalls insofern, als die Haftungsfolge an ein ausdrücklich vom Gesetz erlaubtes Verhalten anknüpft. Daher ist es verfehlt, wenn die Klägerin mehrfach von einer „rechtswidrigen” Zwangsvollstreckung gesprochen hat. Denn die Rechtmäßigkeit des Vollstreckungsaktes ist jedenfalls nicht unmittelbar vom rechtlichen Bestand des noch nicht rechtskräftig festgestellten Anspruchs, der vollstreckt werden soll, abhängig. Vielmehr ist die vorläufige Vollstreckbarkeit ein auch im allgemeinen Interesse des Rechtsverkehrs für notwendig erachtetes Institut und insoweit ein Korrelat zu der durch ein komplexes Rechtsmittelsystem gewährleisteten Sicherung des Schuldners (Beklagten). Die Haftungsvorschrift des § 717 Abs. 2 ZPO soll dem Schuldner nur einen Ausgleich für die gegebenenfalls unvermeidlichen Nachteile bieten, die sich aus der vorläufigen Durchsetzung eines letztlich nicht berechtigt erscheinenden Anspruchs im übrigen ergeben. An dieser Zielsetzung ist auch der Umfang der Haftpflicht des Gläubigers, dessen vorläufig bestätigter Anspruch späterhin verneint wird, zu messen.
Offensichtliches Hauptanliegen der Haftungssanktion ist die Erwägung, daß die dem Schuldner durch die vorläufige Durchsetzung eines später nicht bestätigten Anspruchs entstehenden Nachteile häufig durch die Rückzahlung der beigetriebenen Geldsumme, die Rückgabe der weggenommenen Sache oder die Aufhebung eines durchgesetzten Unterlassungsgebots nicht voll ausgeglichen sind. Die vorübergehende Entbehrung bzw. Behinderung kann weitere Nachteile mit sich bringen, welche nach allgemeinen schadensersatzrechtlichen Grundsätzen hinsichtlich ihrer unmittelbaren wie mittelbaren Auswirkung von dem Gläubiger, der sein vorläufiges Recht durchgesetzt hat, durch Schadensersatzleistungen ausgeglichen werden sollen. Insoweit besteht auch bei der Schadensbemessung kein Unterschied gegenüber anderen Haftungstatbeständen, wie das Landgericht in seiner der Klägerin günstigen Entscheidung zutreffend erkannt hat. Wäre also z.B. festgestellt, daß der Klägerin ein Auftrag deshalb entgangen ist, weil ihr infolge einer Beitreibung oder einer zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgten Zahlung die zur Abwicklung des gewinnträchtigen Geschäfts notwendigen Mittel fehlten, dann bestünde an einer Haftung der Beklagten für den dadurch verursachten Schaden kein Zweifel. So indessen verhält es sich auch nach der Behauptung der Klägerin nicht. Die Klägerin verlangt Schadensersatz nicht etwa wegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkung des Vollstreckungszugriffs. Der von ihr behauptete Schadensverlauf besteht vielmehr darin, daß die als solche (s. oben) rechtmäßige Vollstreckungsmaßnahme der Beklagten – offenbar durch eine Indiskretion eines Beamten des Drittschuldners – dem Vertragspartner bekannt geworden und so das wahrscheinliche, gewinnbringende Geschäft gescheitert ist. Schadensursache ist demnach allein, daß die für solche Fälle gesetzlich vorgesehene Zwangsvollstreckung überhaupt stattgefunden hat. Der Senat ist der Auffassung, daß eine solche Schadensfolge bei wertender Abgrenzung des Schutzbereichs der Haftungsvorschrift von diesem nicht mehr erfaßt wird. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich zugelassen, daß auch aus einem nicht rechtskräftigen Titel vollstreckt werden kann. Entfällt der Titel später, dann sollen die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen des Vollstreckungszugriffs schadensrechtlich ausgeglichen werden. Aber darauf ist die vorgesehene Gefährdungshaftung auch zu begrenzen. Wollte man anders entscheiden, darin würde das dem Gläubiger aus gutem Grund eingeräumte Recht, schon aus einem vorläufigen Titel zu vollstrecken, in einer Weise ausgehöhlt und entwertet werden, die nicht hingenommen werden kann. Es erscheint nicht billig, den Schuldner, der immerhin in einer Instanz unterlegen war, auch insoweit von jedem Risiko zu entlasten, und andererseits das Haftungsrisiko des rechtmäßig vollstreckenden Gläubigers ins Unabsehbare zu steigern. Hier muß sich auswirken, daß der Gläubiger nur für ein zwar spezifisch gefährliches, aber an sich erlaubtes Tun haftet. Der Umfang dieser Haftung ist auf diese besonderen Gefahren einzuschränken.
Anders könnte es sich, wie bemerkt, verhalten, wenn dem Gläubiger nach den Umständen der Entschluß zur Zwangsvollstreckung an sich, das heißt unabhängig von der erlaubten Gefährdung, zum Vorwurf gereichte, sein Tun sich also als Fehlverhalten darstellte.
Dafür spricht aber im vorliegenden Falle nichts.
3. Der Senat verkennt nicht, daß das Reichsgericht auch psychisch vermittelte Auswirkungen der legalen Vollstreckungsmaßnahmen in den Haftungsbereich des § 717 Abs. 2 ZPO einbezogen hat (RGZ 143, 118, 120; zu der sachlich verwandten Vorschrift des § 945 ZPO vgl. RG JW 1938, 1051, wo allerdings die „rigorose Arrestmaßnahme” besonders hervorgehoben wird). Sollten jene Erwägungen des Reichsgerichts den in dieser Entscheidung dargelegten entgegenstehen, dann vermöchte ihnen der Senat nicht zu folgen.
Nach alledem hält das angefochtene Urteil dem Revisionsangriff im Ergebnis stand.
Fundstellen
Haufe-Index 609609 |
BGHZ, 110 |
ZIP 1982, 1485 |