Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Berufungsbegründung, wenn in einem Arzthaftungsprozess die – in erster Instanz abgewiesene – Klage auf einen Aufklärungs- und einen Behandlungsfehler gestützt worden ist
Leitsatz (amtlich)
Ist im Arzthaftungsprozess die auf einen Behandlungs- sowie einen Aufklärungsfehler gestützte Klage unter beiden Gesichtspunkten abgewiesen worden, so muss die Berufungsbegründung erkennen lassen, ob das Urteil hinsichtlich beider Fehler angegriffen wird.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Pfälzischen OLG Zweibrücken vom 11.10.2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger begehrt von dem Beklagten wegen der Folgen einer Operation die Zahlung von Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für bereits entstandene und künftig entstehende Schäden materieller und immaterieller Art.
[2] Der Kläger, der von Beruf Stukkateur und Maler ist, suchte den Beklagten im Frühjahr 2002 wegen einer Geschwulst im Bereich der rechten Halsseite auf. Der Beklagte diagnostizierte eine gutartige Fettgewebegeschwulst (Lipom) und riet zur operativen Entfernung. Am 28.5.2002 fand zwischen den Parteien eine Besprechung über den geplanten Eingriff statt. Dabei unterzeichnete der Kläger einen "perimed-Aufklärungsbogen" betreffend die "Exstirpation oder Drainage eines Halslymphknotens". Am 3.6.2002 begab sich der Kläger in die Klinik. Dort führte der Beklagte mit ihm am Abend ein weiteres Aufklärungsgespräch und nahm am nächsten Tag den Eingriff vor. Seit der Operation leidet der Kläger unter Schmerzen und Kraftlosigkeit in der rechten Schulter und im rechten Arm. In der Folgezeit wurde eine Läsion des Nervus accessorius als Ursache der Beschwerden diagnostiziert. Die operative Rekonstruktion des Nervs scheiterte. Aufgrund des Tiefstands der rechten Schulter und ausgeprägter Muskelatrophie im Bereich der Clavikula rechts ist der Kläger nach seinem Vortrag auch künftig nicht mehr in der Lage, ganztags in seinem Beruf zu arbeiten.
[3] Die auf ärztliche Fehler bei der Operation und unzureichende Aufklärung über die Risiken des Eingriffs gestützte Klage hat das LG abgewiesen. Die Berufung blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken des Eingriffs. Der Kläger sei rechtzeitig aufgeklärt worden. Die Verletzung des Nervus accessorius sei ausdrücklich angesprochen worden. Dass der unterzeichnete perimed-Bogen eine "Exstirpation oder Drainage eines Halslymphknotens" und damit eine andere Operation als die Entfernung eines Lipoms betreffe, sei wegen der annähernd vergleichbaren Risiken unerheblich.
[5] Zwar bestünden erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen, aufgrund derer das LG einen ärztlichen Fehler bei der Operation verneint habe. Doch könnten neue Feststellungen nicht getroffen werden, da der Kläger das erstinstanzliche Urteil nur hinsichtlich der Haftung wegen einer nicht hinreichenden ärztlichen Aufklärung mit der Berufung angegriffen habe. Bei mehreren Streitgegenständen, um die es sich bei den Haftungstatbeständen wegen ärztlicher Behandlungsfehler und wegen unzureichender Aufklärung handle, sei eine Berufungsbegründung für jeden Anspruch nötig. Wegen des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist habe der Kläger durch den Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung seinen Berufungsangriff auch nicht mehr erweitern können.
II.
[6] Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
[7] 1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Revision uneingeschränkt in dem Umfang zulässig, in dem sie vom Kläger eingelegt worden ist (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Revision nicht nur beschränkt auf den Vorwurf des Behandlungsfehlers zugelassen. In der Urteilsformel findet sich keine Einschränkung. Zwar könnte sich eine Eingrenzung auch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ergeben (st.Rspr., vgl. z.B. BGH, Urt. v. 19.11.1991 - VI ZR 171/91, MDR 1992, 456 = CR 1992, 604 = NJW 1992, 1039 f. - insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 116, 104 ff.; BGH, BGHZ 48, 134, 136; Urteile v. 16.3.1988 - VIII ZR 184/87, MDR 1988, 668 = NJW 1988, 1778; v. 25.2.1993 - III ZR 9/92, MDR 1994, 206 = NJW 1993, 1799). Im Streitfall ist jedoch eine solche nicht anzunehmen, weil zur Beurteilung der Frage des Streitgegenstands der Berufung, wegen derer das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, der gesamte Streitstoff herangezogen werden muss, über den das Berufungsgericht entschieden hat (vgl. BGH, Urt. v. 25.3.2003 - VI ZR 131/02, MDR 2003, 931 = GesR 2003, 264 = BGHReport 2003, 807 = VersR 2003, 1441, 1442).
[8] 2. In Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Aufklärung hat das Berufungsgericht die Aufklärung des Klägers über die Risiken des Eingriffs für zureichend erachtet. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte den Kläger am 28.5.2002 und am Abend des 3.6.2002 im Großen und Ganzen über die Operation aufgeklärt (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 29, 176, 179 f.; BGH v. 7.2.1984 - VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 106 = MDR 1984, 565; BGH v. 14.2.1989 - VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 398 = MDR 1989, 624; BGH v. 15.2.2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 7 f. = MDR 2000, 1012 m. Anm. Terbille = MDR 2000, 701). Er hat auf die mögliche Verletzung des Schulterhebenervs (Nervus accessorius) und dessen Folgen (Lähmung) in ausreichender Weise hingewiesen. Dass er sich dabei eines perimed-Bogen bediente, der die Exstirpation eines Halslymphknotens und nicht die Entfernung eines Lipoms betrifft, begegnet nach den Umständen des Streitfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Dadurch wurde der Eingriff weder verharmlost noch lag für den Kläger die Annahme nahe, die Operation sei so unproblematisch, dass dafür nicht einmal ein Aufklärungsbogen vorgesehen sei. Selbst wenn der Kläger anfänglich eine solche Fehlvorstellung gehabt haben sollte, wurde sie dadurch beseitigt, dass der Beklagte mit ihm in zwei Gesprächen die konkreten Risiken an Hand der Abbildungen auf dem perimed-Bogen erläuterte. Dafür dass die mündliche Belehrung unzulänglich gewesen wäre, zeigt die Revision keinen hinreichenden Tatsachenvortrag auf, der in den Vorinstanzen rechtsfehlerhaft unberücksichtigt geblieben wäre.
[9] 3. Auch im Übrigen hält die Entscheidung des Berufungsgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Frage der Haftung des Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers ist nicht Streitstoff der Berufung geworden, weil dazu Ausführungen in der Berufungsbegründung fehlen.
[10] a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. - nunmehr § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO - nur dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2001 - VI ZR 414/00, BGHReport 2002, 167 = MDR 2002, 535 = VersR 2002, 999 ff. m.w.N.; BGH v. 25.11.1999 - III ZB 50/99, BGHZ 143, 169, 171 = MDR 2000, 291; Beschl. v. 10.1.1996 - IV ZB 29/95, NJW-RR 1996, 572; BGH, Urt. v. 13.11.1997 - VII ZR 199/96, MDR 1998, 303 = NJW 1998, 1081, 1082; v. 18.6.1998 - IX ZR 389/97, MDR 1998, 1114 = NJW 1998, 3126; v. 18.7.2001 - IV ZR 306/00, BGHReport 2001, 808 = VersR 2001, 1304, 1305). Diese Anforderungen sind durch die Neufassung in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO nicht verringert worden. Vielmehr dient diese Vorschrift dem Zweck, eine Klarstellung und Konzentration des Streitstoffs für die Berufungsinstanz zu erreichen. Deshalb muss der Berufungsführer mit der Berufungsbegründung klarstellen, in welchen Punkten und mit welcher Begründung er das Berufungsurteil angreift. Im Falle der uneingeschränkten Anfechtung muss die Berufungsbegründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen; bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sie sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird (BGH, Urt. v. 28.5.2003 - XII ZB 165/02, VersR 2004, 1064, 1065; v. 27.11.2003 - IX ZR 250/00, MDR 2004, 405 = BGHReport 2004, 318 = WM 2004, 442, 443; vgl. auch Musielak/Ball ZPO 5. Aufl., § 520 Rz. 38; Zöller/Gummer/Heßler ZPO 26. Aufl., § 520 Rz. 33 und 35). Auch wenn sich der Rechtsmittelführer nicht mit allen für ihn nachteilig beurteilten Punkten in seiner Berufungsbegründung auseinandersetzen muss, genügt es nicht, um das angefochtene Urteil insgesamt in Frage zu stellen, wenn er sich nur mit einem Berufungsgrund befasst, der nicht den ganzen Streitstoff betrifft (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.1990 - IX ZB 89/89, BRAK 1990, 115 = MDR 1990, 712 = NJW 1990, 1184 und Urt. v. 8.2.2001 - IX ZR 394/99, BGHReport 2001, 482 - BGH-Report 2001, 482).
[11] Bei dieser Sachlage bedarf es im vorliegenden Fall keiner abschließenden Beurteilung, ob es sich - wie das Berufungsgericht meint - um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender ärztlicher Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits besteht zwar eine Verknüpfung dergestalt, dass es Ziel des Schadensersatzbegehrens des Patienten ist, eine Entschädigung für die bei ihm aufgrund der Behandlung eingetretenen gesundheitlichen Nachteile zu erlangen, doch liegen den Haftungstatbeständen räumlich und zeitlich verschieden gelagerte Sachverhalte zugrunde, an denen unterschiedliche Personen beteiligt sein können. Auch sind die Schadensereignisse im Allgemeinen weder hinsichtlich der Auswirkungen noch hinsichtlich des Verschuldens gleichwertig (vgl. BGH, Urt. v. 4.11.1975 - VI ZR 226/73, VersR 1976, 293, 294). Indessen hat sich aus den oben dargelegten Gründen im Streitfall die Berufung nicht auf die Frage der Haftung wegen eines Behandlungsfehlers erstreckt.
[12] b) Zwar hat der Kläger seine Anträge aus der ersten Instanz unverändert aufrecht erhalten, doch kann allein daraus nicht ersehen werden, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angegriffen werden sollte. Dies kann nur anhand der Berufungsbegründung beurteilt werden. Die Berufungsbegründung enthält aber lediglich Ausführungen zur ärztlichen Risikoaufklärung. Soweit das LG den Behandlungsfehler verneint hat, wird das Urteil nicht angegriffen. Entgegen der Auffassung der Revision war eine Stellungnahme dazu nicht entbehrlich. Zwar muss der Berufungskläger nicht zu allen vom Erstgericht zu seinem Nachteil beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen (vgl. BGH, Urt. v. 22.12.1992 - VI ZR 53/92, MDR 1993, 743 = VersR 1993, 369, 371; BGH, Urt. v. 5.10.1983 - VIII ZR 224/82, MDR 1984, 310 = NJW 1984, 177, 178; v. 10.7.1985 - IVa ZR 151/83, MDR 1985, 1002 = NJW 1985, 2828), doch gilt dies nur, soweit der zugrunde liegende Streitstoff aufgrund einer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Im Streitfall ist dies hinsichtlich der Ansprüche wegen fehlerhafter Behandlung nicht gegeben.
[13] c) Da der Kläger die Klageabweisung wegen eines Behandlungsfehlers in der Berufungsbegründung nicht angegriffen hat, war ihm eine nachträgliche Erweiterung der Berufung mit Schriftsatz vom 9.9.2005 wegen des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist verwehrt. Auch wenn durch eine beschränkte Anfechtung die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfang gehemmt wird (vgl. BGH, Urt. v. 8.6.1994 - VIII ZR 178/93, MDR 1994, 1238 = VersR 1994, 1445, 1446; Zöller/Vollkommer a.a.O., § 705 Rz. 11), können die Berufungsangriffe nur im Rahmen der Frist zur Berufungsbegründung bis zum Schluss der Berufungsverhandlung ergänzt werden, soweit nicht darüberhinaus die Präklusionsvorschriften entgegenstehen.
Fundstellen
BGHR 2007, 313 |
EBE/BGH 2007, 5 |
NJW-RR 2007, 414 |
MDR 2007, 599 |
MedR 2007, 722 |
VersR 2007, 414 |
GesR 2007, 163 |
r+s 2007, 481 |
AZR 2007, 19 |
KHR 2007, 8 |