Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 13.03.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 13. März 2003 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg. Zum Schuld- und Strafausspruch erweist sie sich aus den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. Juli 2003 als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Soweit das Landgericht vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB statt des § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB ausgegangen ist, ist der Angeklagte nicht beschwert. Erörterungsbedürftig ist jedoch die Anordnung der Sicherungsverwahrung.
I. Nach den Feststellungen hat der vielfach bestrafte Angeklagte am 22. August 2002 bei einem Spiel mit einem elf- und einem dreizehnjährigen Mädchen dem älteren Mädchen über der Kleidung an die Brüste und an die Scheide gefaßt und schließlich vor beiden bis zum Samenerguß onaniert. Auf seine Aufforderung faßten ihn die Mädchen an den Penis.
Das Landgericht hat folgende einschlägige Vorstrafen festgestellt:
1. Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 3. August 1989 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Dezember 1989 wegen versuchter sexueller Nötigung (Verwendung einer Schreckschußpistole gegenüber einer erwachsenen Frau), Tatzeit 3. August 1988, Freiheitsstrafe ein Jahr mit Bewährung,
2. Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 21. Februar 1992 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Februar 1993 wegen versuchter sexueller Nötigung (der Angeklagte versuchte mit offener Hose das 25-jährige Opfer in die Büsche zu ziehen, ergriff das T-Shirt, welches beim Ausweichen der Zeugin zerriß), Tatzeit 6. August 1991, Freiheitsstrafe acht Monate,
3. Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 6. Januar 1994 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils im minder schweren Fall (der Angeklagte faßte im Vorbeigehen im Kaufhaus zwei Mädchen an Brust und Po), Tatzeit 15. Mai 1993, Gesamtfreiheitsstrafe fünf Monate,
4. Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 29. Juni 1995 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. November 1995 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich begangenen Fällen, Tatzeit 8. April 1995, Freiheitsstrafe zehn Monate,
5. Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 29. August 1996 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich begangenen Fällen, Tatzeit 10. Februar 1996, Freiheitsstrafe ein Jahr mit Bewährung,
6. Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 13. November 1997 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 1. März 1999 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen, Tatzeiten 30. und 31. Mai 1999, Gesamtfreiheitsstrafe ein Jahr drei Monate (Einzelstrafen jeweils neun Monate),
7. Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 8. April 1999 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. September 1999 wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, Tatzeit 16. Juni 1998, unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus der vorangegangenen Verurteilung, Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre drei Monate, Einzelstrafe in dieser Sache ein Jahr sechs Monate.
Bei den den Verurteilungen I. 4. bis I. 7. zugrunde liegenden Fällen handelte es sich jeweils um exhibitionistische Handlungen vor Kindern.
Der Angeklagte befand sich zuletzt vom 16. Juni 1998 bis zum 20. Januar 2002 in Haft. Er hat sämtliche Strafen – Strafaussetzungen waren jeweils widerrufen worden – verbüßt.
Entscheidungsgründe
II. Das Landgericht hat die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt und die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch die Verurteilungen durch das Amtsgericht Neuss vom 29. August 1996 (siehe oben I. 5.) und vom 8. April 1999, dieses in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. September 1999 (siehe oben I. 7.), zu einer Strafe von einem Jahr bzw. einer Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als erfüllt angesehen. Aufgrund dieser Vortaten und der Anlaßtat hat es unter Würdigung der weiteren Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten seinen Hang zu erheblichen Straftaten angenommen. Beiden Vorverurteilungen liegen exhibitionistische Handlungen des Angeklagten vor Kindern zugrunde, die nach § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. zu würdigen waren: Bei der am 10. Februar 1996 begangenen Tat hatte er in seinem Fahrzeug seinen Unterkörper entblößt, an seinem Glied manipuliert, mit zwei siebenjährigen vorbeigehenden Mädchen Blickkontakt gesucht und sie so auf sich aufmerksam gemacht. Bei der weiteren Vortat hatte er auf einem Spielplatz in der Nähe eines fünfjährigen spielenden Mädchens sein Geschlechtsteil entblößt und onaniert.
1. Die Heranziehung dieser Vortaten zur Begründung der Anordnung der Sicherungsverwahrung begegnet im Ergebnis keinen Bedenken.
Die Anwendung des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt zum einen voraus, daß der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von (mindestens) einem Jahr verurteilt worden ist. Mit den Anforderungen an die Höhe der für die Vortaten verhängten Strafen wollte der Gesetzgeber dem Anliegen Rechnung tragen, daß die Sicherungsverwahrung nur gegen Personen angeordnet wird, die durch Straftaten von einem gewissen Gewicht gezeigt haben, daß sie für die Allgemeinheit gefährlich sind (BGHSt 34, 321, 323; 24, 243; 24, 345, 347). Zum anderen müssen die Vortaten symptomatisch für den Hang des Täters zu erheblichen Straftaten sein; sie müssen als Indiz für einen solchen Hang gewertet werden können (st. Rspr.). Beide Voraussetzungen stehen in einer Wechselbeziehung zueinander, denn nur Straftaten von einem gewissen Gewicht lassen den Schluß auf einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten zu.
2. Die genannten Vorverurteilungen erfüllen diese Voraussetzungen. Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß bei den zur Begründung der Anordnung herangezogenen Vorverurteilungen Freiheitsstrafen in der von § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB geforderten Höhe ausgesprochen worden sind. Denn wenn auch § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB für die Schwere der Vortaten nicht auf die verwirklichten Delikte, sondern allein auf die Höhe der verhängten Strafen abstellt, kann hier nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Gesetzgeber für exhibitionistische Handlungen – auch vor Kindern – durch § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StGB eine Sonderregelung geschaffen hat, die die Erheblichkeit dieser Straftaten als solche und damit auch ihre Indizwirkung für einen Hang auf erhebliche Straftaten in Frage stellt. Denn nach § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StGB kann eine wegen exhibitionistischer Handlungen vor Kindern (§ 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB) verhängte Strafe auch dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird. Das Gesetz nimmt mithin unter bestimmten Voraussetzungen die Gefahr der Wiederholung derartiger rein exhibitionistischer Taten ausdrücklich hin. Mit dieser Wertung wäre die Annahme unvereinbar, es handele sich bei derartigen Delikten stets um erhebliche, für die Allgemeinheit gefährliche Taten. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für den Fall entschieden, daß nicht Besonderheiten in der konkreten Ausgestaltung der Taten vorliegen, der Täter es insbesondere dabei beläßt, die eigenen Genitalien vor Fremden in der Öffentlichkeit zu entblößen, ohne zu einem näheren Kontakt aufzufordern (BGH NStZ-RR 1999, 298; NStZ 1998, 408; NStZ 1995, 228).
Der Regelung des § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StGB liegt zugrunde, daß der Gesetzgeber grundsätzlich von der Folgenlosigkeit exhibitionistischer Handlungen – auch vor Kindern – ausgegangen ist:
Der Tatbestand der Vornahme sexueller Handlungen vor Kindern (von denen die exhibitionistischen Handlungen vor Kindern nur einen Ausschnitt darstellen) in der zu den Tatzeiten geltenden Ausgestaltung (§ 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. = § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB n.F.) wie auch die Möglichkeit erweiterter Strafaussetzung zur Bewährung bei exhibitionistischen Handlungen geht auf das 4. Strafrechtsreformgesetz zurück. In der Begründung des von der Bundesregierung eingereichten Entwurfs zu diesem Gesetz ist zu § 183 Abs. 3 StGB ausgeführt, daß der Grund für die Vorschrift die besonderen Verhältnisse beim Exhibitionismus seien, nämlich die Größe der Rückfallwahrscheinlichkeit, die geringe Schwere der Rechtsgutverletzung und die Möglichkeit einer Therapie (BR-Drucks. 489/70 S. 32). Die Anwendung der Vorschrift auch auf Fälle der exhibitionistischen Handlungen vor Kindern hatte der Entwurf allerdings mit Hinweis darauf, daß nach dem Stand der Forschung nicht ausgeschlossen werden könne, daß Kinder durch exhibitionistische Handlungen schwerer gefährdet seien als Personen im Alter von mindestens vierzehn Jahren (BR-Drucks. aaO), nicht vorgesehen. Hingegen hatte der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zu diesem Gesetz die Erweiterung des § 183 Abs. 3, Abs. 4 StGB auch auf die Fälle der exhibitionistischen Handlungen vor Kindern vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde in der nächsten Legislaturperiode ohne weitere Diskussion übernommen und in § 183 Abs. 3, Abs. 4 StGB des 4. Strafrechtsreformgesetzes vom 23. November 1973 festgeschrieben.
Zur Begründung hatte der Sonderausschuß in seinem Bericht ausgeführt, die Ausdehnung der Vergünstigung des § 183 Abs. 3 StGB auch für Fälle der vor Kindern vorgenommenen exhibitionistischen Handlungen sei, selbst wenn die Handlung im Einzelfall eher pädophilen als exhibitionistischen Charakter habe, gerechtfertigt, weil es sich in aller Regel bei dem Täter nicht um eine anti- oder asoziale, sondern wegen erheblicher emotioneller oder neurotischer Störungen hilfs- und behandlungsbedürftige Persönlichkeit handele (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts, Drucks. VI/3521 S. 37). Die Wiederholungsgefahr während der Bewährungszeit könne hingenommen werden, weil – so die von dem Ausschuß damals gehörten Sachverständigen – rein exhibitionistische Handlungen, auch soweit sie vor Kindern vorgenommen werden, im allgemeinen folgenlos verarbeitet werden (aaO S. 56).
Die erweiterte Aussetzungsmöglichkeit nach § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StGB wurde auch in der Folge nicht geändert. Allerdings wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998, das sich die Verbesserung des Schutzes der Allgemeinheit vor gefährlichen Sexualstraftätern zum Ziel gesetzt hatte, im Rahmen der Strafrahmenerhöhung bei den §§ 176 bis 178 StGB die Höchststrafe des § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB von drei Jahren auf fünf Jahre erhöht und § 176 StGB ohne weitere Differenzierung als Katalogtat für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 StGB aufgenommen. Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I 3007 f.), das am 1. April 2004 in Kraft tritt, wird für „sexuellen Mißbrauch von Kindern ohne Körperkontakt” (bisher § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB) eine Mindeststrafe von drei Monaten bestimmt. Dies allein belegt nicht, daß die Gefährlichkeit exhibitionistischer Taten vor Kindern vom Gesetzgeber nunmehr grundsätzlich anders beurteilt werden sollte. § 66 Abs. 3 StGB wurde bewußt weit gefaßt. Das Korrektiv für die erweiterte Anwendungsmöglichkeit der Sicherungsverwahrung wurde in den Anforderungen an die Höhe der Verurteilungen gesehen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 13/9062 S. 9; siehe auch Begründung zum Bundesrat-Entwurf BT-Drucks. 13/7559 S. 10).
3. Auch wenn danach bei einer vor Kindern begangenen exhibitionistischen Handlung, bei der keine unrechtserhöhenden Besonderheiten vorliegen, nicht ohne weiteres von einer erheblichen Straftat auszugehen sein wird, die für sich gesehen die Gefahr einer erheblichen Straftat im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB indiziert, würde diese auf einer isolierten Betrachtung der beiden Vortaten beruhende Wertung der vorliegenden Fallgestaltung nicht gerecht. Denn der Angeklagte hat gerade auch durch die Anlaßtat, bei der er sowohl selbst sexuelle Handlungen an Kindern vorgenommen als auch diese zur Vornahme von sexuellen Handlungen an ihm aufgefordert hat, gezeigt, daß er es nicht bei exhibitionistischen Handlungen beläßt, wenn die Situation günstig erscheint. Diese nach mehreren Therapien und langjähriger Strafverbüßung begangene Tat, die eine deutliche Steigerung gegenüber den in den letzten Jahren davor begangenen Taten aufweist, zeigt, daß die den Verurteilungen zu I. 5. und I. 7. zugrunde liegenden Taten als Ausdruck eines Hanges des Angeklagten gedeutet werden müssen, der nicht nur auf die Begehung exhibitionistischer Handlungen, sondern auch auf Sexualdelikte gerichtet ist, bei denen er aktiv auf Kinder zugeht und Körperkontakt sucht. Dies wird auch bestätigt durch die Vorstrafen zu I. 1. und I. 2., die bei der Prüfung des Hanges und im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose herangezogen werden können, und entspricht der Einschätzung der beiden gehörten Sachverständigen, denen die Kammer gefolgt ist, auch wenn – anders als bei den den Vorstrafen zu I. 1. und I. 2. zugrunde liegenden Taten, bei denen der Angeklagte sogar bereit war, Gewalt einzusetzen, um seine sexuellen Wünsche durchzusetzen – zukünftige gewalttätige Handlungen des Angeklagten eher unwahrscheinlich sind. Die Sachverständigen haben im übrigen, anders als die früher herangezogenen Sachverständigen, bei dem Angeklagten keine pathologische exhibitionistische Störung, sondern eine therapieresistente dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert.
Daß mit einem sexuellen Mißbrauch, wie er bei der hier abgeurteilten Tat vorgelegen hat, die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Kammer hat deshalb zu Recht die jeweils mit Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr belegten Vortaten als Symptomtaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB herangezogen. Auch im übrigen begegnen die Urteilsfeststellungen zum Hang des Angeklagten und der daraus abgeleiteten Gefährlichkeitsprognose, die sich auf eine sorgfältige Gesamtwürdigung seiner Person und Taten stützt, keinen Bedenken.
Angesichts der bei sexuellen Mißbrauchstaten an Kindern zu erwartenden schwerwiegenden psychischen Schäden kann die angeordnete Sicherungsverwahrung auch nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2557747 |
NStZ-RR 2005, 11 |