Leitsatz (amtlich)
Zur Darstellungspflicht bei Freispruch.
Normenkette
StPO §§ 261, 267
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 07.02.2001) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. Februar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Anklage wirft dem Angeklagten Betrug in 64 Fällen, Anstiftung zur Brandstiftung in Tateinheit mit Versicherungsbetrug und das Vortäuschen einer Straftat vor. Der Angeklagte habe als Inhaber der Firma S, einem Getränkehandel, in der Zeit vom 31. Mai 1995 bis zum 7. Juli 1995 bei zahlreichen Lieferanten Waren im Gesamtwert von knapp 2,5 Mio. DM bestellt und erhalten. Dabei habe er gewußt, daß er mangels Zahlungsfähigkeit keine Zahlungen werde leisten können, und beabsichtigt, den durch Weiterveräußerung der Waren erzielten Erlös für eigene Zwecke zu verwenden. Er habe einen Unbekannten beauftragt, die Bürocontainer der Firma S in Brand zu setzen, um so die vorangegangenen Betrugshandlungen zu verschleiern und unberechtigt Versicherungsleistungen zu erlangen. Nachdem der Beauftragte den Brand gelegt habe, habe der Angeklagte gegenüber der Polizei angegeben, daß sich in einem Tresor im Geschäftsbüro 1,3 Mio. DM Bargeld befunden hätten, die von unbekannten Tätern gestohlen worden seien.
Nachdem das Landgericht Leipzig den Angeklagten im wesentlichen gemäß der Anklage rechtskräftig verurteilt hatte, hat das Landgericht Dresden die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet. In der neuen Hauptverhandlung hat das Landgericht Dresden den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte bestellte in der Zeit vom 31. Mai 1995 bis zum 7. Juli 1995 von ca. 60 Lieferanten Waren zum Gesamtpreis von ca. 2,3 Mio. DM. Die Bezahlung der Waren sollte im Regelfall ca. 30 Tage nach Erhalt der Rechnung erfolgen. Der Angeklagte verkaufte bis zum 8. Juli 1995 etwa die Hälfte dieser Waren an nicht mehr feststellbare Käufer, überwiegend an zwei Italiener, die nach ihren Angaben eine S.P.A. (Aktiengesellschaft) betrieben. Diese Italiener und ihre Firma konnten jedoch nicht identifiziert werden. Die der Firma „zugeordnete” Umsatzsteuer-Identifikations-Nummer war ungültig. Im Vertrauen darauf, daß mit dieser Firma gute Geschäfte möglich seien, ließ der Angeklagte die Italiener bis zum 8. Juli 1995 weitere Waren im Wert von ca. 1 Mio. DM abholen, ohne auf Barzahlung zu bestehen. Am Abend des 8. Juli 1995 erschienen die Italiener beim Angeklagten am Firmensitz in Ochelmitz und übergaben ihm 985.000 DM Bargeld. Dieses Geld schloß der Angeklagte in den Tresor im Firmenbüro ein. Die Verlobte des Angeklagten legte 36.000 DM Bargeld, die von einem Kunden überbracht worden waren, im Tresor hinzu.
Der Angeklagte weilte am 8. Juli 1995 auf einer Party in Wansleben „bis gegen 24.00 Uhr” und fuhr anschließend nach Halle.
In der Nacht vom 8. zum 9. Juli 1995 zwischen 24.00 und 1.00 Uhr wurde durch einen Unbekannten in den Bürocontainern der Firma S mittels Vergaserkraftstoffs ein Brand gelegt, der auf die Lagerhalle übergriff und das mindestens zur Hälfte gefüllte Warenlager zum Teil unbrauchbar machte. Die Container brannten mit allen Büroeinrichtungen völlig aus. Zuvor hatte der Unbekannte mit einem Nachschlüssel den Tresor geöffnet und das dort befindliche Geld an sich genommen. Der Täter ließ den Tresor offen, versperrte das Riegelwerk bei geöffneter Tür und zog den Schlüssel wieder ab. Da der Wachhund, der das Gelände in der Nacht immer bewachte, ein paar Tage zuvor erkrankt war, war das Gelände auch nicht mehr bewacht.
Der Angeklagte informierte am 9. Juli 1995 die Polizei und die Versicherung. In seiner zeugenschaftlichen Vernehmung bei der Polizei gab er an, daß in dem Tresor 1,3 Mio. DM Bargeld gelegen hätten und gestohlen worden seien. Seinen Lieferanten teilte der Angeklagte mit, daß er aufgrund des Brandes und des Diebstahls zahlungsunfähig sei.
Bereits am 18. März 1995 war durch einen Unbekannten in die Bürocontainer eingebrochen und aus dem Tresor das dort befindliche Bargeld entwendet worden, wobei der Unbekannte den Tresor „ohne weiteres aufschließen konnte”.
Entscheidungsgründe
II.
Das Landgericht hat sich außerstande gesehen festzustellen, daß der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat. Der Freispruch hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Beweiswürdigung in verschiedener Hinsicht fehlerhaft ist.
1. So birgt schon die Behandlung mehrerer Indizienkomplexe jeweils durchgreifende Rechtsfehler:
- Die Überzeugung des Landgerichts, daß der Angeklagte zur Zeit des Brandes nicht am Tatort gewesen sei, ist in untauglicher Weise begründet. Der Brand wurde zwischen 0.00 Uhr und 1.00 Uhr gelegt (UA S. 13). Der Angeklagte weilte auf einer Party in Wansleben bis „gegen Mitternacht” und fuhr dann fort, was der Zeuge Sa bekundet hat (UA S. 12, 20 f.). Bei dieser Beweislage war schon die objektiv begründete Feststellung unerläßlich, in welcher Zeit die Strecke zwischen dem Ort der Party und dem Brandort mit einem PKW zurückgelegt werden kann. Das Landgericht teilt hierzu allein die Einschätzung des Zeugen Sa mit: „Auch brauche man von Wansleben bis nach Ochelmitz ca. eine Stunde Fahrzeit” (UA S. 21). Zudem sind nicht einmal die vom Landgericht angenommenen Ungefährwerte zu den relevanten Zeitpunkten und zur notwendigen Fahrzeit geeignet, ein Alibi des Angeklagten zu begründen; denn danach kann der Angeklagte sehr wohl kurz vor 1.00 Uhr am Tatort gewesen sein.
- Nach den Feststellungen wurde das Gelände der S „immer” nachts durch einen Wachhund gesichert. In der Brandnacht befand dieser sich jedoch nicht auf dem Firmengelände, sondern in der Wohnung des Angeklagten in Liemehna. Diesem Umstand nimmt die Strafkammer den naheliegenden Charakter eines Belastungsindizes, indem sie – ohne jeglichen tauglichen Beleg – der Einlassung des Angeklagten folgt, der Hund sei „kurz vor dem Brand” erkrankt und deshalb in die Wohnung gebracht worden. Der hierfür zitierte Zeuge Sch hat von der angeblichen Erkrankung des Hundes allein durch den Angeklagten erfahren. Was der herangezogene Zeuge K zu diesem Komplex bekundet hat, wird nicht mitgeteilt. Daß ein … W – möglicherweise ein Tierarzt – dem Angeklagten „auch Medikamente vorbeigebracht” habe, ist nach den Urteilsgründen alleinige Behauptung des Angeklagten, die selbst dann, wenn sie von W bestätigt wäre, nur dann nennenswerten Beweiswert zugunsten des Angeklagten hätte, wenn feststünde, daß W den Hund untersucht und dabei eine Erkrankung diagnostiziert hätte – und nicht etwa nur auf eine Bitte des Angeklagten Medikamente vorbeigebracht hätte.
- Das Landgericht hält es nicht nur für unwiderlegt, sondern hat gar festgestellt, daß der Angeklagte über längere Zeit hinweg zwei Italienern Waren im Wert von ca. 1 Mio. DM allein gegen das Versprechen späterer Barzahlung überlassen hat, ohne sich auch nur der Identität dieser Italiener, gar ihrer angeblichen Aktiengesellschaft, deren Sitz oder ihrer Umsatzsteuer-Identifikations-Nummer vergewissert zu haben. Diese italienischen Kunden konnten – auf der Basis der Angaben des Angeklagten – nicht ermittelt werden. Die Gewährung eines Kredites in Höhe von 1 Mio. DM durch einen Kaufmann unter den genannten Bedingungen wäre eine exorbitante Besonderheit, deren Annahme durch entsprechende Beweismittel belegt sein müßte. Die vom Landgericht hierfür (UA S. 25 f.) genannten Beweisanzeichen ergeben jedoch substantiell nicht mehr, als daß der Angeklagte Geschäfte mit einem unbekannten italienischen Unternehmen getätigt hatte. Diese Umstände allein gestatten den vom Landgericht gezogenen Schluß auf das genannte Kreditgeschäft nicht.
- Das Landgericht übersieht, daß bereits am 18. März 1995 bei einem Einbruchsdiebstahl ein Unbekannter den Tresor „ohne weiteres aufschließen konnte” (UA S. 14) und dabei Gelegenheit hatte, einen Nachschlüssel zum Tresor zu fertigen oder solches durch Gewinnung eines Schlüsselabdrucks vorzubereiten. Daß der Angeklagte trotz seiner Kenntnis hiervon diesen „verbrauchten” Tresor nutzte, um dort 985.000 DM Bargeld zu deponieren, ist so fernliegend, daß es besonderer Erörterung bedurft hätte.
- Das Landgericht erwägt ein etwaiges Tatmotiv des Angeklagten überhaupt nicht, sondern beläßt es statt dessen bei vielerlei Einzelfeststellungen, aus denen die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens des Angeklagten möglicherweise hergeleitet werden kann. Damit geht das Landgericht daran vorbei, daß der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten auch unter Nutzung eines florierenden Unternehmens begangen haben kann.
2. Schließlich spricht das Landgericht (UA S. 29) zwar von einer „Gesamtabwägung”. Die gebotene Gesamtwürdigung lassen die Urteilsgründe jedoch vermissen. Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln; erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung. Auch wenn keine der jeweiligen Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreicht, besteht die Möglichkeit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 1983, 133, 134, jeweils m.w.N.). Dabei sind alle diejenigen Umstände in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, die naheliegenderweise für eine Schuld des Angeklagten sprechen können. Der daraus folgenden Darstellungspflicht kann sich der Tatrichter auch nicht etwa dadurch entziehen, daß er hinsichtlich einzelner möglicherweise relevanter Umstände die dem Angeklagten günstige Version des Geschehens in die Feststellungen aufnimmt, ohne hierzu eine Beweiswürdigung anzustellen. Dies gilt hier namentlich für die getroffenen Feststellungen zur Zahl der existierenden Tresorschlüssel und deren Lokalisierung sowie die Feststellung, der Angeklagte sei von der Party in Wansleben gegen 24.00 Uhr „nach Halle” gefahren. Alledem liegt nach den Urteilsgründen nicht mehr als die unwiderlegte Einlassung des Angeklagten zugrunde.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin: Ein – vielfacher – Betrug kann sich nicht nur unter den in der Anklage genannten Gesichtspunkten, sondern auch aus der Beurteilung ergeben, die das Landgericht Leipzig in seinem Urteil vom 8. August 1997 vorgenommen hat.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2560072 |
NJW 2002, 1811 |
Nachschlagewerk BGH |
wistra 2002, 268 |
NStZ-RR 2002, 371 |