Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 30.04.2001) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 30. April 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage ist den Angeklagten zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin am 16. Juli 2000 gemeinsam vergewaltigt zu haben. Die Nebenklägerin habe an diesem Tag gegen 5.00 Uhr einen Imbiß aufgesucht, in dem die beiden Angeklagten arbeiteten. Nachdem die Nebenklägerin etwas zum Essen bestellt hatte, habe der Angeklagte A sie plötzlich gepackt und in einen neben dem Imbiß gelegenen Keller gezerrt. Dort habe er sie zunächst gezwungen, ihn oral zu befriedigen; anschließend hätten er und unmittelbar danach auch der Angeklagte K an der Nebenklägerin gegen deren Willen jeweils den Analverkehr durchgeführt.
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der mittäterschaftlich begangenen Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme habe nicht festgestellt werden können, ob sexuelle Handlungen im Einvernehmen mit der – homosexuell orientierten – Nebenklägerin oder gegen deren Willen vorgenommen worden seien; denkbar sei auch, daß ein etwa entgegenstehender Wille der stark alkoholisierten Frau für die Angeklagten nicht „hinreichend sicher erkennbar” gewesen sei.
Gegen das freisprechende Urteil wendet sich die Nebenklägerin mit den auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Ihre Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist durchgreifende Rechtsfehler auf. Allerdings hat es das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter wegen nicht auszuräumender Zweifel einen Angeklagten freispricht, da die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. In diesen Fällen beschränkt sich die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlichrechtlicher Fehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH StV 2001, 440; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 m.w.N.). So verhält es sich hier.
1. Nach den Urteilsfeststellungen haben sich die – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten im Ermittlungsverfahren wiederholt zur Sache eingelassen. Hierzu teilt der Tatrichter lediglich mit, daß beide Angeklagte zunächst bestritten hätten, mit der Nebenklägerin sexuell verkehrt zu haben; nach Vorliegen des Ergebnisses eines ihn insoweit belastenden DNA-Gutachtens habe der Angeklagte A dann eingeräumt, mit der Nebenklägerin einvernehmlich vaginal verkehrt zu haben; der Angeklagte K hingegen habe nach wie vor bestritten, überhaupt in dem Keller gewesen zu sein (UA S. 3). Zu der Frage, wie sich die wiederholt vernommenen Angeklagten zu weiteren Einzelheiten des Geschehens geäußert haben, etwa der Kontaktaufnahme zur Nebenklägerin oder deren Verhalten gegenüber dem Zeugen L nach der Rückkehr in den Imbiß, verhält sich das Urteil dagegen nicht. Eine umfassende Darstellung der relevanten Aussagen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber dann geboten, wenn – wie hier – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt. Bei einer solchen Beweislage muß der Tatrichter erkennen lassen, daß er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 44, 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23 m.w.N.; zur Wiedergabe der Angaben im Urteil vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 12). Dies gilt nicht nur im Falle einer Verurteilung, sondern auch dann, wenn ein Angeklagter freigesprochen wird, weil sich das Gericht von der Richtigkeit der belastenden Aussage eines Zeugen nicht überzeugen kann (vgl. BGH NStZ 2000, 550; BGH Urt. v. 21. August 2001 – 5 StR 89/01).
Die Beweiswürdigung ist auch insoweit lückenhaft, als über die DNA-Analyse hinaus nicht mitgeteilt wird, zu welchem Ergebnis die körperliche Untersuchung der Nebenklägerin geführt hat. Das Vorhandensein oder das Fehlen von Verletzungen hätten jedenfalls als Indiz die Überzeugungsbildung der Strafkammer – gleich in welche Richtung – beeinflussen können. Eine Erörterung war um so mehr geboten, als die Untersuchungen der Nebenklägerin nur wenige Stunden nach dem Zusammentreffen mit den Angeklagten durchgeführt worden sind und somit ein (Positiv- oder Negativ-) Befund von besonderem Beweiswert hätte sein können. Angesichts der „knabenhaften” Statur der Nebenklägerin (Körpergröße: 1,56 m; Gewicht: 40 kg) und ihrer Bekundungen, daß sie bei dem gegen ihren Willen vollzogenen Analverkehr erhebliche Schmerzen empfunden habe, hätte ein solches Vorgehen naheliegend zu entsprechenden Verletzungen geführt. Ein solches Untersuchungsergebnis stünde zudem im Gegensatz zu der Behauptung des Angeklagten A, mit der Nebenklägerin nur vaginal verkehrt zu haben. Zwar darf eine lügenhafte Einlassung grundsätzlich nur mit Vorsicht als Beweiszeichen für die Schuld eines Angeklagten gewertet werden (vgl. dazu BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 30, 33). Dies macht eine Erörterung jedoch nicht von vornherein entbehrlich, zumal hier aufgrund der schwierigen Beweislage eine besonders sorgfältige Würdigung aller Verdachtsmomente angezeigt war.
Ein Erörterungsmangel liegt ferner folgender Bewertung des Tatgerichts zugrunde (UA S. 31, 32): Die Strafkammer gelangt zu dem Ergebnis, daß die von der Nebenklägerin geschilderten Vorgänge – vom Betreten des Imbisses, dem Geschehen im Keller bis zur Rückkehr in den Verkaufsraum – mit dem Zeitraum von „ca. 10 – 15 Minuten”, in dem nach der Aussage des Zeugen Sö die Angeklagten mit der Nebenklägerin aus dem Imbiß verschwunden sein könnten, „kaum zu vereinbaren” seien. Gerade angesichts der häufig anzutreffenden Ungenauigkeit von Zeitangaben, die auf bloßer Schätzung beruhen (vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht 2. Aufl. Rdn. 616 ff., 620), hätte hier begründet werden müssen, warum die Zeitangabe des Zeugen ohne weiteres als zuverlässig erachtet wurde. Vor allem läßt die Strafkammer bei ihrer Wertung ersichtlich außer acht, daß es in dem fraglichen Zeitraum im Keller unstreitig zum Geschlechtsverkehr zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten A gekommen ist. Ein weiterer – nach der Anklage vom Angeklagten K unmittelbar danach vollzogener – Analverkehr hätte nicht wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen müssen. So bewertet das Gericht das von der Zeugin geschilderte objektive Geschehen an anderer Stelle auch durchaus als einen „denkbaren” Geschehensablauf (UA S. 12), was mit der oben geschilderten Würdigung schwerlich in Einklang zu bringen ist.
2. Die Beweiswürdigung begegnet darüber hinaus weiteren durchgreifenden Bedenken. So zieht die Strafkammer die für den Tatnachweis ausschlaggebende Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin auch deswegen in Zweifel, weil die Zeugin Ab der Nebenklägerin im Hinblick auf einen ähnlich gelagerten Vorfall aus dem Jahr 1992 – Verdacht der Vergewaltigung der Nebenklägerin durch einen Taxifahrer –, soweit es die Kontaktaufnahme und den Austausch von Zärtlichkeiten zwischen der Nebenklägerin und dem damaligen Tatverdächtigen betraf, glaubhaft widersprochen habe (UA S. 45, 46). Die Strafkammer begründet die besondere Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Ab unter anderem damit, daß „aus Gründen fraulicher Solidarität” „viel eher … damit zu rechnen gewesen wäre”, daß sie die Version der Nebenklägerin gestützt hätte. Das Tatgericht geht damit offenbar davon aus, daß weibliche Beweispersonen grundsätzlich geneigt seien, „aus Gründen weiblicher Solidarität” – auch falsche – Angaben anderer Frauen zu bestätigen. Das ist ebenso haltlos wie die Annahme des Tatgerichts, daß lesbischen Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Besonderheiten männlicher Haarfrisuren nicht auffielen (vgl. UA S. 33).
Das Urteil enthält eine Vielzahl weiterer Ungereimtheiten in der Beweiswürdigung: so bewertet es das Tatgericht insbesondere als „äußerst bemerkenswert”, daß eine „vor Gericht als Vergewaltigungsopfer auftretende Belastungszeugin” Anregungen mehrerer Verfahrensbeteiligter zurückgewiesen habe, über intime Details in nichtöffentlicher Hauptverhandlung aussagen zu dürfen.
3. Schließlich ist das Tatgericht der Pflicht zur Gesamtschau aller maßgeblichen Beweisumstände (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 f. m.w.N.) nur unvollständig nachgekommen. So wird im Urteil – auf Grundlage der Aussage des Zeugen L (UA S. 38) – zwar festgestellt, daß die Nebenklägerin nach Rückkehr in den Imbiß laut erklärt habe, sie sei hier soeben vergewaltigt worden; diese Äußerung habe sie später auf der Straße wiederholt. In der nachfolgenden Würdigung geht der Tatrichter jedoch ausschließlich auf die vom Zeugen L behaupteten Zudringlichkeiten der Nebenklägerin ihm gegenüber ein und leitet (auch) daraus die Unglaubhaftigkeit ihrer Angaben ab, ohne sich jedoch mit den obigen, die Angeklagten belastenden Äußerungen der Nebenklägerin auseinanderzusetzen.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Schaal
Fundstellen