Entscheidungsstichwort (Thema)
Volksverhetzung
Leitsatz (amtlich)
Der Tatbestand der Volksverhetzung in der Handlungsalternative des Verharmlosens des Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB) ist grundsätzlich auf Verteidigerhandeln nicht anzuwenden, wenn dem verteidigten Mandanten seinerseits Volksverhetzung i.S.d. Tatbestandes zur Last liegt. Insoweit greift die Tatbestandsausschlußklausel des § 86 Abs. 3 StGB (i.V.m. § 130 Abs. 5 StGB).
Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Erklärung des Verteidigers ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das sich lediglich den äußeren Anschein der Verteidigung gibt, tatsächlich aber nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermag.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 3, 5, § 86 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Mannheim (Aktenzeichen 503 Js 69/97 - 6 KLs) |
Tenor
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 25. März 1999 werden als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels; die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten, der von Beruf Rechtsanwalt ist, wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft greift das Urteil im Strafausspruch an und erhebt verschiedene Verfahrensrügen sowie die Sachrüge. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
I. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung in der Handlungsalternative des Verharmlosens des Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB) liegt ein von ihm als Verteidiger gestellter Beweisantrag zugrunde, den er im Frühjahr 1997 in einem Strafverfahren gegen den seinerseits der Volksverhetzung und anderer Delikte angeklagten vormaligen NPD-Vorsitzenden D. anbrachte.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der vom Angeklagten verteidigte D. dem Kreis der Revisionisten zuzurechnen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die deutsche Geschichte der Zeit des Nationalsozialismus umzuschreiben. Vor allem durch Leugnen oder Verharmlosen des Verfolgungsschicksals der Opfer des Nationalsozialismus „soll das deutsche Volk von seiner historischen Schuld entlastet” werden. Zugleich wird behauptet, die Berichte über den Holocaust beruhten auf einer Legendenbildung durch jüdische Kreise, die das Ziel verfolge, das deutsche Volk finanziell und politisch zu erpressen.
In der Hauptverhandlung gegen D. stellten dieser selbst und der Angeklagte als sein Verteidiger zahlreiche Beweisanträge. Das Verteidigungsverhalten war von einer gemeinsamen „revisionistischen Grundrichtung” getragen. Einer entsprechenden Verteidigungsabsprache gemäß ließ D. in seinen Anträgen der rechtsradikalen Polemik freien Lauf. Der Angeklagte hielt sich aus beruflichen Gründen indessen zurück und vermied Äußerungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung hätten erfüllen können. Demgemäß schloß der Angeklagte mehrere Beweisanträge, die er zumeist schriftlich vorbereitet hatte, mit der Klausel, daß mit den Beweisbehauptungen die Massenvernichtung der Juden nicht geleugnet, verharmlost oder gebilligt werden solle. Dem lag das Bestreben zugrunde, absehbare strafrechtliche und berufliche Schwierigkeiten zu vermeiden. Gegen Ende der Hauptverhandlung „breitete sich eine allgemeine Atmosphäre der Hektik aus”, die zunehmend von gefühlsbetonten Äußerungen geprägt war. Als der Schluß der Beweisaufnahme unmittelbar bevorstand, stellte der Angeklagte mehrere Hilfsbeweisanträge, die er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht schriftlich vorbereitet hatte, sondern „in offensichtlicher Eile” handschriftlich notierte, verlas und übergab. Einer dieser Anträge – der allein Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten ist – lautete wie folgt:
„Es werden die Zeugen Bundespräsident Herzog, Bundestagspräsidentin Süßmuth, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Limbach und Bundeskanzler Kohl zum Beweis der Tatsache benannt, daß es primär massive politische Interessen sind, welche dem Durchbruch der historischen Wahrheit im Zusammenhang mit dem Holocaust entgegenstehen, und zwar nicht einmal in erster Linie diejenigen der überlebenden Juden und derer Abkömmlinge oder gar des Staates Israel, sondern vor allem diejenigen unserer eigenen (deutschen) politischen Klasse, welche ihre einzigartige politische Unfähigkeit seit fast 50 Jahren mit der ‚Einzigartigkeit der deutschen Schuld’ legitimiert und nicht in der Lage ist, zuzugeben, daß sie sich an der Nase herumführen und für dumm verkaufen läßt.”
Sein Mandant D. machte sich diesen hilfsweise gestellten Antrag zu eigen und stellte ihn als Hauptantrag. Das Landgericht lehnte den Antrag in jenem Verfahren ab, weil er keine erhebliche Tatsachenbehauptung enthalte.
2. In dem daraufhin gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren hat das Landgericht den Erklärungsinhalt dieses vom Angeklagten als Verteidiger gestellten Beweisantrages durch Auslegung unter Berücksichtigung der Begleitumstände ermittelt. Es hat ausgeführt, wenn vom „Durchbruch der historischen Wahrheit im Zusammenhang mit dem Holocaust” die Rede sei, könne dies nur bedeuten, daß die bisher gültige historische Wahrheit nicht den Tatsachen entspreche. Vor dem Hintergrund des Gegenstandes des Verfahrens gegen D. könne das nur heißen, daß der Holocaust entweder überhaupt nicht oder nicht in der als geschichtliche Tatsache anerkannten Art und Weise bzw. in dem überlieferten Umfang stattgefunden habe. Zu Gunsten des Angeklagten sei indessen davon auszugehen, daß er die systematische Massenvernichtung der Juden nicht pauschal habe in Abrede stellen wollen. Vielmehr ergebe sich auch aus der Formulierung des Antrages der Aussagegehalt, daß es nicht zu den Massentötungen durch Vergasen im geschichtlich anerkannten Umfang gekommen sei. Auf dieser Grundlage bringe der Antrag die Meinung zum Ausdruck, jüdische Interessengruppen hätten das deutsche Volk politisch und finanziell erpreßt. Die polemische Gleichsetzung der – vom Angeklagten so apostrophierten – „einzigartigen politischen Unfähigkeit” mit der Einzigartigkeit der deutschen Schuld stelle eine äußerst geschmacklose Verharmlosung der Verbrechen der NS-Zeit dar.
Das Landgericht hat den Antrag auch für geeignet gehalten, den öffentlichen Frieden zu stören, weil er in öffentlicher Hauptverhandlung gestellt worden sei; an dieser hätten zahlreiche Sympathisanten D. s aus der rechtsradikalen Szene ebenso wie mehrere Pressevertreter teilgenommen. Nach entsprechenden Presseberichten seien 21 Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen den Angeklagten bei der Staatsanwaltschaft eingegangen.
Aufgrund seiner intensiven beruflichen Befassung mit allen Rechtsfragen, die mit dem Holocaust verknüpft seien, sei dem Angeklagten bewußt gewesen, daß sein Beweisantrag – wegen der Offenkundigkeit des Holocaust – keinerlei verteidigungsrelevante Erfolgsaussichten im Hinblick auf Schuldspruch oder Strafmaß zugunsten seines Mandanten hätte haben können. Auch die polemische Abfassung zeige, daß er den Antrag keineswegs zu Verteidigungszwecken gestellt habe.
II. Die Revision des Angeklagten
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat einen sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten nicht aufgedeckt. Die Urteilsgründe lassen zwar besorgen, das Landgericht könne die Gewährleistung einer wirksamen Strafverteidigung bei der Auslegung und Anwendung des in Rede stehenden Straftatbestandes auf Verteidigerhandeln nicht in jeder Hinsicht genügend bedacht haben. Das beschwert den Angeklagten jedoch im Ergebnis nicht, weil dem Zusammenhang des Urteils die Überzeugung des Landgerichts zu entnehmen ist, daß der Angeklagte bei Stellung des gegenständlichen Beweisantrages allein verteidigungsfremde Zwecke verfolgt hat. Mithin greift die Tatbestandsausschlußklausel für sogenannte legitime Zwecke hier nicht ein (§ 86 Abs. 3 i.V.m. § 130 Abs. 5 StGB).
1. Das Landgericht hat den Tatbestand der Volksverhetzung in der Handlungsalternative des Verharmlosens des Holocaust rechtsbedenkenfrei als erfüllt angesehen (§ 130 Abs. 3 StGB).
a) Der Tatbestand des Billigens, Leugnens oder Verharmlosens des Völkermordes an der jüdischen Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 in die Vorschrift des § 130 StGB eingefügt. Der Gesetzgeber wollte damit einen Beitrag zur Verhinderung rechtsextremistischer Propaganda leisten. Wegen deren gefährlicher Auswirkungen auf das politische Klima sollte die Anwendung des § 130 StGB in der Praxis erleichtert und die generalpräventive Wirkung der Strafvorschrift der Volksverhetzung erhöht werden, namentlich im Blick auf die Diffamierung und Diskriminierung jüdischer Mitbürger (vgl. Gesetzentwurf BTDrucks. 12/6853 S. 23/24; Rechtsausschußbericht BTDrucks. 12/8588 S. 8). Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde den Holocaust herunterspielt, beschönigt oder in seinem wahren Gewicht verschleiert. Alle denkbaren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Mißachtung sollen erfaßt werden (vgl. von Bubnoff in LK StGB 11. Aufl. § 130 Rdn. 44; siehe auch BT-Verh. 12/227 S. 19664, 19672). Steht eine relativierende Ausdrucksweise in Rede, ist der inhaltliche Gesamtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Zuhörers oder Lesers durch genaue Textanalyse unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln (vgl. von Bubnoff aaO).
b) Dem folgend hat das Landgericht den Aussagegehalt des vom Angeklagten in öffentlicher Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages ermittelt und als Verharmlosung des Holocaust zur Zeit des Nationalsozialismus gewürdigt. Ziel und Aussage des Antrages hat es darin gesehen zu verdeutlichen, daß es nicht im geschichtlich anerkannten Umfang zu dem Massenmord an der jüdischen Bevölkerung gekommen sei. Die Zahl der Opfer müsse vielmehr in so erheblicher Weise nach unten korrigiert werden, daß es dem Angeklagten in diesem Zusammenhang als angebracht erschienen sei, der Nachkriegspolitik „einzigartige Unfähigkeit” zu bescheinigen. Weiter hat die Strafkammer durch eine nachvollziehbare, nicht zu beanstandende Textanalyse vor dem Hintergrund des Gegenstandes des Verfahrens gegen D. den Aussagegehalt auch dahin ermittelt, daß dem „Durchbruch der Wahrheit” in dem so verstandenen Sinne auch jüdische Interessengruppen entgegengewirkt („nicht einmal in erster Linie diejenigen der überlebenden Juden”) und – revisionistischer Geschichtsauffassung entsprechend – das deutsche Volk politisch und finanziell erpreßt hätten. Zudem hat das Landgericht in der polemischen Gleichsetzung der vermeintlich „einzigartigen politischen Unfähigkeit” deutscher Politik mit der – auch im Antrag in Anführungszeichen gesetzten – „Einzigartigkeit der deutschen Schuld” eine Verharmlosung der Verbrechen der NS-Zeit gesehen. Dabei hat das Landgericht im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 82, 272, 280 f.; BVerfG, Kammer, NJW 1994, 2943, 2944) gemeint, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrundezulegen (vgl. dazu auch BGHZ 139, 95, 104), indem es nicht von einer Leugnung des Holocaust, sondern lediglich von einer sogenannten quantitativen Verharmlosung ausgegangen ist. Es hat jedenfalls eine andere, nicht zur Annahme der Strafbarkeit führende Auslegung für ausgeschlossen erachtet.
Diese Bewertung läßt im Ergebnis Denkfehler, Widersprüche oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze nicht erkennen und rechtfertigt – unbeschadet der Frage eines Tatbestandsausschlusses nach § 86 Abs. 3 StGB – die Annahme, damit werde der Holocaust (im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB) verharmlost. Zwar kann dem Verständnis des Landgerichts, der Antrag stelle sich als sogenanntes quantitatives Verharmlosen des Holocaust dar, möglicherweise entgegengehalten werden, indem vom Durchbruch der historischen Wahrheit „im Zusammenhang” mit dem Holocaust die Rede sei, könne auch eine weitere, vom Landgericht nicht erwogene Interpretation in Betracht gezogen werden. Eine solche Deutung könnte dahingehen, der Holocaust habe der historischen Wahrheit gemäß in seiner uneingeschränkten Bedeutung – also gleichsam qualitativ wie quantitativ ungeschmälert – angesprochen werden sollen und lediglich als Grundlage der vom Angeklagten – daran anknüpfend – aufgestellten wertenden Behauptungen zur Nachkriegspolitik im Umgang mit dieser historischen Tatsache gedient. Aber auch bei einem solchen Sinngehalt hielte die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis der Nachprüfung stand, weil schon der auch dann noch verbleibende, vom Landgericht festgestellte Aussagegehalt ersichtlich den Tatbestand erfüllt. Bereits allein die vom Landgericht hervorgehobene Herstellung einer Beziehung zwischen der einzigartigen deutschen Schuld und der angeblich „einzigartigen politischen Unfähigkeit” im Antragstext, die sich als polemisches Wortspiel erweist, stellt zumal im Verbund mit dem subtilen Abheben auf (auch) massive jüdische Interessen eine agitative Herabwürdigung des Holocaust und seiner Opfer dar. Der Gesetzgeber wollte gerade auch solches verbrämtes Verharmlosen mit Strafe bedrohen.
c) Die weitere Annahme des Landgerichts, die Antragstellung sei geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören, begegnet unter den gegebenen Umständen ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hinsichtlich der Wirkungskraft und Wirkungsweise der in Rede stehenden Formulierungen ist insoweit nicht ohne Bedeutung, daß die Erklärung nicht etwa im öffentlichen Meinungskampf erfolgt ist, sondern in gerichtlicher Hauptverhandlung. Aber auch bei solcher Fallgestaltung ist es ein gewichtiges Indiz für die Eignung zur Friedensstörung, wenn tatsächlich eine erhebliche unruhestiftende öffentliche Wirkung weit über die Hauptverhandlung hinaus eintritt. Das Landgericht hat diesen Umstand im gegebenen Zusammenhang zwar nicht ausdrücklich erwogen. Das erweist sich indessen nicht als rechtsfehlerhaft, weil mit der Feststellung der öffentlichen Resonanz, dem Hinweis auf Presseberichte und dem Eingang zahlreicher Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft die Eignung zur Friedensstörung jedenfalls im vorliegenden Fall hinreichend belegt ist.
2. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen der Tatbestandsausschlußklausel des § 86 Abs. 3 in Verbindung mit § 130 Abs. 5 StGB nicht vorliegen.
a) Die Tatbestandsausschlußklausel des § 86 Abs. 3 StGB (in Verbindung mit § 130 Abs. 5 StGB) ist im Grundsatz auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Angesichts der Weite des Tatbestandes – zumal in der Verharmlosungsalternative – hat der Gesetzgeber eine Regelung vorgesehen, die der Verfolgung legitimer, von der Rechtsordnung anerkannter Zwecke Rechnung trägt. Danach ist der Tatbestand namentlich dann ausgeschlossen, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder „ähnlichen Zwecken” dient (§ 86 Abs. 3 StGB). Strafverteidigung ist in ihrem Range den in der Vorschrift ausdrücklich aufgeführten Belangen gleich zu erachten. Das ergibt sich aus folgendem:
Die Stellung als Verteidiger in einem Strafprozeß und das damit verbundene Spannungsverhältnis zwischen Organ- und Beistandsfunktion erfordert schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine besondere Abgrenzung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten (vgl. nur BGHSt 38, 345, 347; siehe grundlegend auch Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers 1989, passim; siehe weiter zum Tatbestand der Strafvereitelung: BGH NStZ 1983, 503; zum Tatbestand der Beleidigung im Zusammenhang mit dem Massenmord an der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus: BGH NStZ 1987, 554; zur Unterstützung einer oder zum Werben für eine terroristische Vereinigung siehe BGHSt 29, 99; 31, 16; 32, 243; BGH NStZ 1990, 183; zum Gebrauchmachen von einer gefälschten Urkunde: BGHSt 38, 345; vgl. zur Beschaffung einer Schußwaffe: BGHSt 38, 7). Prozeßerklärungen sind danach nicht schon deshalb von vornherein strafrechtlicher Würdigung entzogen, weil sie im Rahmen der Verteidigung abgegeben werden (BGHSt 31, 16, 17). Grundsätzlich gelten die Straftatbestände für jedermann, mithin auch für den Verteidiger in der Hauptverhandlung. Die Struktur bestimmter Straftatbestände birgt indessen für den Rechtsanwalt selbst das Risiko, daß ein prozessual erlaubtes, im Rahmen wirksamer Verteidigung liegendes Verhalten in den Anwendungsbereich des Straftatbestandes fallen kann. Da Strafverteidigung ihrer Natur nach auf den Schutz des Beschuldigten vor Anklage, Verhaftung und Verurteilung ausgerichtet ist, wirkt sie sich beispielsweise auf dem Felde der Organisationsdelikte (§§ 129, 129 a StGB) mitunter notwendigerweise günstig auf den Fortbestand einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung aus (BGHSt 29, 99, 102). Für diese Fallgestaltung hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, daß in einem solchen Konfliktfall zwischen prozessual zulässigem Verteidigerhandeln und der Erfüllung des materiellen Straftatbestandes – dort dem Unterstützungsverbot der §§ 129, 129 a StGB – ein rechtswidriges Handeln nicht angenommen werden könne, es sei denn, es gebe sich lediglich den Anschein zulässiger Verteidigung, verfolge in Wirklichkeit indessen ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke (BGHSt 29, 99, 105; siehe auch BGH NStZ 1987, 554; 1990, 183, 184).
Eine solche Kollisionslage besteht jedoch dann nicht, wenn der besonderen Situation des Verteidigers als Organ der Rechtspflege bereits durch Auslegung des jeweiligen Straftatbestandes hinreichend Rechnung getragen werden kann. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich daraus, daß die Möglichkeit zu wirksamer Verteidigung auf der Grundlage des Verfahrensrechts notwendiger Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist; ihr kommt hierfür grundlegende Bedeutung zu (so u.a. BGHSt 38, 7, 10/11; siehe auch BGHSt 29, 99, 106; vgl. weiter BVerfGE 63, 380, 390; 65, 171, 174/175). Der Angeklagte hat schließlich auch nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK Anspruch auf „konkrete und wirkliche” Verteidigung (vgl. EGMR EuGRZ 1980, 662; 1985, 234; siehe Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. zu Art. 6 MRK Rdn. 20). Die Erfüllung dieses Gebots wäre ernsthaft gefährdet, wenn der Verteidiger wegen einer üblichen und prozessual zulässigen Verteidigungstätigkeit selbst strafrechtlich verfolgt würde (so schon BGHSt 29, 99, 106; siehe auch BGH NStZ 1987, 554). Der Wirkkraft dieser letztlich im Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden verfahrensrechtlichen Verbürgung ist deshalb bei der Auslegung und Anwendung des Straftatbestandes Genüge zu tun. Das gilt auch im Blick auf die für den Rechtsanwalt gewährleistete „freie Advokatur”. Eingriffe in die Verteidigerstellung berühren seine Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl. nur BGHSt 38, 7, 12; BVerfG, Kammer, NJW 1996, 3267 und 3268). Sie bedürfen einer gesetzlichen Legitimation, die sich klar erkennen und zweifelsfrei feststellen läßt (BVerfGE 34, 293, 303). Bei der Anwendung auslegungsfähiger und auslegungsbedürftiger Straftatbestände ist all dies zu beachten.
Das muß hier dazu führen, daß Strafverteidigung als den anderen in § 86 Abs. 3 StGB benannten sogenannten legitimen Zwecken gleichgewichtig zu erachten ist; sie ist ein „ähnlicher Zweck” in diesem Sinne. Der Tatbestand der Volksverhetzung in der hier in Rede stehenden Handlungsalternative ist mithin grundsätzlich auf Verteidigerhandeln in Fällen der vorliegenden Art nicht anzuwenden.
b) Dieser grundsätzliche Tatbestandsausschluß für Verteidigungshandeln ist indes kein Freibrief des Verteidigers für Straffreiheit. Die Gewährleistung einer effektiven Strafverteidigung steht dann nicht in Frage und der Grundsatz der freien Advokatur hat zurückzustehen, wenn die zu beurteilende Prozeßerklärung des Verteidigers ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das sich nur den äußeren Anschein der Verteidigung gibt, tatsächlich aber nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermag (vgl. dazu BGHSt 29, 99, 105; 38, 7, 10; BGH NStZ 1987, 554; 1990, 183, 184). In solchen Fällen fehlt es an der nach dem Schutzzweck der Tatbestandsausschlußklausel zu fordernden, von der Rechtsordnung anerkannten legitimen Zielsetzung des Handelns. Dementsprechend fällt eine ausschließlich von politisch-demonstrativem Charakter geprägte Äußerung mit beschimpfenden Formulierungen, die zur Sachaufklärung und Verteidigung im konkreten Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas beizutragen vermag, nicht unter § 86 Abs. 3 StGB, auch wenn sie als Beweisantrag bezeichnet ist.
Die Abgrenzung und Ausgrenzung solcher Ausnahmefälle kann sich als schwierig erweisen; im Zweifel wird den Erfordernissen wirksamer Verteidigung der Vorrang einzuräumen sein. Ob im Einzelfall allein verteidigungsfremde Zwecke verfolgt werden, also gleichsam im Gewande der Prozeßerklärung oder Antragstellung Volksverhetzung betrieben wird, unterliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung auf der Grundlage aller Umstände (vgl. BGHSt 40, 97, 101). Erweist sich das Verharmlosen als unvermeidlicher oder dem Verteidiger gar „erwünschter Begleiteffekt” neben der Verfolgung anerkannter Verteidigungszwecke, greift die Tatbestandsausschlußklausel; das Verteidigerhandeln ist mithin nicht tatbestandsmäßig. Diese Konsequenz ist im Interesse rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung hinzunehmen. Die entsprechenden Folgen erscheinen im Blick darauf vertretbar, daß die Äußerung vor Gericht erfolgt, mithin unter den Rahmenbedingungen des Verfahrensrechts, namentlich der Sachleitungsbefugnis des Gerichtsvorsitzenden.
c) Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß der Angeklagte mit der Antragstellung ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke verfolgt hat. Diese Würdigung erweist sich als tragfähig und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Das Landgericht hat ausführlich begründet, daß dem Beweisantrag „keine verteidigungsrelevanten Erfolgsaussichten” zukamen und sich der Angeklagte als auf dem in Rede stehenden Kriminalitätsfelde erfahrener Strafverteidiger dessen auch bewußt war. Es hat dabei nicht nur die feststehende Rechtsprechung im Beweisantragsrecht zur Offenkundigkeit des Holocaust im Blick gehabt (vgl. nur BGH NStZ 1994, 140 m.w.N.), sondern auch die – dem Angeklagten ebenfalls bekannte – Rechtsprechung erwähnt, daß derjenige, der die historische Wahrheit nicht anerkennt, dafür keine Strafmilderung verdient (Hinweis auf BGH NJW 1995, 340). Als weiteres Indiz hat es auf die polemische Fassung des Antrages abgehoben. Diese Würdigung erweist sich nicht deshalb als lückenhaft, weil das Landgericht in diesem Zusammenhang nicht noch einmal ausdrücklich erwogen hat, daß der Antrag in „hektischer Atmosphäre” gestellt wurde und der Angeklagte im übrigen zumeist absichernde Klauseln mit seinen sonstigen Anträgen verband. Der Senat schließt aus, daß dem Landgericht dies im gegebenen Zusammenhang aus dem Blick geraten sein könnte. Denn die Strafkammer geht weiter ohne Rechtsfehler davon aus, der Angeklagte sei bei der Formulierung des Beweisantrages nicht etwa nur einem Fassungsversehen zum Opfer gefallen; vielmehr habe er sich aufgrund der Hektik und der Eskalation der Feindseligkeiten zwischen den Prozeßbeteiligten in der Schlußphase der Beweisaufnahme dazu verstanden, seine bis dahin vorsichtige Vorgehensweise abzulegen und sich offen zu dem von ihm selbst zumindest in Teilbereichen vertretenen revisionistischen Gedankengut zu bekennen; er habe sich in diesem Sinne äußern wollen. Dies folgert die Strafkammer aus verschiedenen Begleitumständen; sie hebt dabei auch hervor, daß dem Angeklagten das „revisionistische Gedankengut” seines Mandanten zumindest in abgeschwächter Form selbst zu eigen sei. Danach erweisen sich die vom Landgericht gezogenen Schlüsse als tragfähig.
Die Richtigkeit der Würdigung des Landgerichts wird darüber hinaus durch den Inhalt des Beweisantrages weiter belegt. Es liegt auf der Hand, daß der Antrag nach seinem Wortlaut ausschließlich demonstrativen Charakter hatte. Die Vorstellung, daß die als Beweismittel benannten Personen, der damalige Bundespräsident, die seinerzeitige Präsidentin des Bundestages, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und der vormalige Bundeskanzler, die zugleich mit polemischen Wendungen in Verbindung gebracht wurden („an der Nase herumführen”, „für dumm verkaufen”), in irgendeiner Weise etwas im Sinne des Antrages bekunden würden, war abwegig.
Die Bewertung, der Antrag sei nicht zu Verteidigungszwecken angebracht worden, wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß das Landgericht an einer Stelle im Zuge der Beweiswürdigung davon spricht, beim Anbringen des Beweisantrages hätten „weniger Verteidigungszwecke” als eigene revisionistische Motive des Angeklagten im Vordergrund gestanden. Dabei handelt es sich angesichts eindeutig entgegenstehender Formulierungen an verschiedenen anderen Stellen der Urteilsgründe ersichtlich um ein bloßes Vergreifen im Ausdruck.
Nach allem ist auch gegen die Annahme bedingten Vorsatzes von Rechts wegen nichts zu erinnern. Das Landgericht hat tragfähig, ohne Lücken oder Widersprüche, begründet, dem Angeklagten sei bewußt gewesen, daß sein Antrag völlig ungeeignet gewesen sei, etwas zur Entlastung seines Mandanten D. beizutragen; er habe sich offen zu dem auch von ihm selbst zumindest in Teilbereichen vertretenen revisionistischen Gedankengut bekennen wollen. Auf einen Irrtum über Tatumstände hatte sich der Angeklagte selbst nicht berufen; er lag hier auch fern.
3. Auch sonst ist ein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler nicht hervorgetreten.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Das ergibt die Auslegung der Revisionsrechtfertigung. Der unbeschränkte Aufhebungsantrag steht im Widerspruch dazu, daß die Revisionsbegründung lediglich auf eine höhere Bestrafung des Angeklagten abzielt; das gilt auch im Blick auf die erhobenen Verfahrensrügen.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Auf der Ablehnung der Beweisanträge, mit denen die Beschwerdeführerin bewiesen sehen wollte, daß der Angeklagte schon in früheren Strafverfahren als Verteidiger entsprechendes revisionistisches Gedankengut „öffentlich verbreitet” habe, beruht das angefochtene Urteil ersichtlich nicht. Das Landgericht geht ausdrücklich davon aus, daß dem Angeklagten sogenanntes revisionistisches Gedankengut – zumindest in abgeschwächter Form – selbst zu eigen sei. Zudem sind frühere einschlägige Äußerungen des Angeklagten im Urteil festgestellt.
2. Die Aufklärungspflicht ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht deshalb verletzt, weil das Landgericht das Protokoll der Hauptverhandlung gegen D. vom Tage der Stellung des in Rede stehenden Beweisantrages nicht in die Beweisaufnahme eingeführt hat. Dazu drängte nichts, nachdem das Gericht zum Verlauf jener Hauptverhandlung den damaligen Strafkammervorsitzenden als Zeugen vernommen hatte. Im übrigen hat auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft keinen Anlaß gesehen, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.
3. Die Strafzumessungserwägungen lassen einen sachlich-rechtlichen Mangel zu Gunsten des Angeklagten nicht erkennen. Teilweise sucht die Beschwerdeführerin lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen; damit vermag sie nicht durchzudringen, zumal die Strafkammer lediglich gehalten war, die bestimmenden Straffindungserwägungen im Urteil anzuführen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Deshalb ist es auch kein Rechtsmangel, daß das Landgericht auf die vom Angeklagten möglicherweise zu erwartenden ehrengerichtlichen Folgen nicht weitergehend als geschehen eingegangen ist und die von der Verfolgung ausgenommene tateinheitlich begangene Gesetzesverletzung nicht ausdrücklich als straferhöhend herangezogen hat.
Die von der Beschwerdeführerin beanstandete Wendung, der Angeklagte habe die „mildeste Form” des Tatbestandes verwirklicht, stellt ersichtlich darauf ab, daß bei der Strafbemessung zwischen der Erfüllung der Handlungsmerkmale des Billigens, Leugnens und Verharmlosens des Holocaust zu differenzieren ist. Das ist rechtlich zutreffend. Die verhängte Strafe kann auch nicht als unvertretbar milde charakterisiert werden.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Granderath, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 540110 |
BGHSt |
BGHSt, 36 |
NJW 2000, 2217 |
JR 2001, 34 |
NStZ 2000, 530 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 2001, 201 |
MittRKKöln 2000, 246 |
NPA 2000 |
StV 2000, 418 |