Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 30. April 1998 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen – in teilweiser Abänderung der Kostenentscheidung des Berufungsurteils – die Klägerin 38 v.H., der Beklagte 62 v.H.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin vertreibt medizintechnische Geräte und betreut Dialysezentren. Sie beabsichtigte, im Jahre 1994 gemeinsam mit dem beklagten Arzt ein Dialysezentrum in A. zu errichten und zu betreiben. Zu diesem Zwecke schlossen die Parteien am 12. Juni 1994 einen schriftlichen Vertrag, aufgrund dessen der Beklagte die eigenverantwortliche ärztliche Leitung des Zentrums übernehmen sollte, während es der Klägerin oblag, die Finanzierung sicherzustellen und Entscheidungen in kaufmännischen oder wirtschaftlichen Fragen zu treffen. Der Vertrag sollte mit der Eröffnung einer Kassenarztpraxis durch den Beklagten, die unverzüglich nach Erhalt der kassenärztlichen Zulassung zu erfolgen hatte, in Kraft treten. Er wurde auf zehn Jahre abgeschlossen. Beide Parteien verpflichteten sich gegenseitig, sich keine Konkurrenz in Form einer gleichartigen Einrichtung in der gleichen Stadt zu machen.
Nachdem der zuständige Ausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung am 5. September 1994 dem Beklagten mündlich mitgeteilt hatte, daß seinem Zulassungsantrag auf Einrichtung einer kassenärztlichen Praxis stattgegeben werde – der formelle schriftliche Bescheid folgte am 21. September 1994 –, beanstandete der Beklagte mit Schreiben an die Klägerin vom 24. oder 26. September 1994, daß Besprechungstermine zur Anmietung von Räumlichkeiten für das Dialysezentrum mehrfach verschoben worden seien, ohne daß ein greifbares Ergebnis vorliege. Deshalb habe er erhebliche Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen der Klägerin, zumal er das bestehende Arbeitsverhältnis mit seinem Arbeitgeber spätestens am 1. Oktober 1994 gekündigt haben müsse. Der Beklagte forderte die Klägerin auf, ihm bis zum 28. September 1994, 12.00 Uhr, die verbindliche Finanzierungszusage einer Bank und den abgeschlossenen Mietvertrag vorzulegen, und drohte an, anderenfalls von dem Vertrag zurückzutreten bzw. die fristlose Kündigung zu erklären. Diese fristlose Kündigung sprach der Beklagte sodann mit Schreiben vom 29. September 1994 aus. Der Beklagte mietete daraufhin selbst geeignete Räumlichkeiten an. Im Dezember 1994 richtete er dort das Dialysezentrum ein, das er seither ohne Beteiligung der Klägerin betreibt.
Die Klägerin ist der Auffassung, ein Grund für eine fristlose Kündigung habe nicht vorgelegen. Sie hat den Beklagten daher wegen des Scheiterns des Projekts auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Ihre auf 61.200 DM (Abstandssumme für die Aufhebung des Mietverhältnisses) nebst Zinsen bezifferte Forderung wurde in beiden Vorinstanzen abgewiesen. Hingegen hat das Berufungsgericht ihrem weiter gestellten Antrag auf Feststellung stattgegeben, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr durch die Nichtaufnahme des Betriebes des Dialysezentrums A. entstanden seien. Mit der Revision begehrt der Beklagte auch die Abweisung des Feststellungsbegehrens.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, sich von dem Vertrag zu lösen, hält den Angriffen der Revision stand. Das Berufungsgericht hat in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung festgestellt, daß ein hinreichender Grund für die vom Beklagten mit Schreiben vom 29. September 1994 erklärte fristlose Kündigung nicht vorgelegen hat. Insbesondere ließ sich ein solcher Grund nicht daraus herleiten, daß die Klägerin damals den Mietvertrag über die Räume, in denen das Dialysezentrum betrieben werden sollte, noch nicht zustande gebracht hatte. Die Klägerin stand mit dem Landkreis A. als dem in Aussicht genommenen Vermieter jener Räume in Verhandlungen; ihr damaliger Ansprechpartner, der vom Berufungsgericht als Zeuge vernommene Verwaltungsdirektor des Landkreises, hat ihren Sachvortrag bestätigt, daß der Abschluß des Mietvertrages – auch aus der Sicht der Parteien – eine bloße Formsache gewesen sei. Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit dieser Aussage sind nicht erkennbar und werden auch von der Revision nicht geltend gemacht. Ebensowenig läßt es revisionsrechtlich relevante Rechtsfehler erkennen, daß das Berufungsgericht dem unstreitigen Umstand keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat, daß seinerzeit Mietzinshöhe und genaue Laufzeit noch nicht konkret abgesprochen waren. Das Berufungsgericht durfte der Aussage des Zeugen vielmehr entnehmen, daß die Klärung dieser Punkte keine ernsthaften Hinderungsgründe für Abschluß und Durchführung des Mietvertrages mit sich gebracht hätte. Dementsprechend war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis, in dem er damals noch stand, fristgemäß zum 1. Oktober 1994 zu kündigen; außerdem hat das Berufungsgericht – von der Revision unbeanstandet – der persönlichen Anhörung des Beklagten in der Berufungsverhandlung entnommen, daß es für ihn kein Problem gewesen wäre, seinen Arbeitsvertrag auch erst zum 1. November 1994 zu beenden. Unter diesen Umständen entbehrt die Auffassung der Revision, es sei dem Beklagten nach seinem Kenntnisstand Ende September 1994 (subjektiv) unzumutbar gewesen, auf die weitere Durchführbarkeit des mit der Klägerin geschlossenen Vertrages zu vertrauen, einer hinreichenden Grundlage.
2. Da ein Grund zur fristlosen Kündigung oder zum Rücktritt nicht vorlag, wäre der Beklagte durchaus in der Lage gewesen, wie vertraglich vorgesehen, das gemeinsame Dialysezentrum mit der Klägerin zu errichten und zu betreiben. Die gleichwohl mit Schreiben vom 29. September 1994 erklärte fristlose Kündigung war daher unberechtigt. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die unberechtigte Anfechtungs-, Kündigungs- oder Rücktrittserklärung eine zum Schadensersatz verpflichtende positive Vertragsverletzung darstellen kann (BGHZ 51, 190, 192 f; 53, 150, 152; 89, 296, 302; Urteil vom 19. Januar 1979 – I ZR 13/77 = NJW 1979, 2389, 2390 f; vom 14. Januar 1988 – IX ZR 265/86 = NJW 1988, 1268, 1269). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß der Beklagte, nachdem er zunächst die fristlose Kündigung des Vertrages erklärt hatte, sodann umgehend eine eigene Dialysepraxis in A. einrichtete und betrieb. In Anbetracht der dann entstehenden Konkurrenzsituation mit der Praxis des Beklagten war der Betrieb einer eigenen Dialysepraxis für die Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr sinnvoll. Unter diesen Umständen war die unberechtigte Kündigung durch den Beklagten eine positive Vertragsverletzung, die ihn zum Schadensersatz verpflichtet. Der Umstand, daß der Vertrag erst mit der Eröffnung der Kassenarztpraxis durch den Beklagten in Kraft treten sollte, vermag daran – entgegen der Auffassung der Revision – nichts zu ändern. Selbst wenn man diese Bestimmung als aufschiebende Bedingung ansehen wollte, muß sich der Beklagte nach § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als sei sie eingetreten. Auch Bedenken gegen die in Aussicht genommene planmäßige Laufzeit des Vertrages (zehn Jahre) sind nicht erkennbar. In Anbetracht der erheblichen Investitionen, die die Klägerin für die Schaffung der wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen des Betriebs des Dialysezentrums erbringen mußte, beeinträchtigte die Dauer dieser Bindung den Beklagten noch nicht unzumutbar in seiner Berufsfreiheit, zumal ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde ausdrücklich vorbehalten war.
3. Der Beklagte hat deshalb nach § 249 BGB die Klägerin so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn er sich nicht unberechtigt vom Vertrag gelöst (BGHZ 51, 190, 193) und durch die Eröffnung eines eigenen Dialysezentrums den geplanten Betrieb des gemeinsamen vereitelt hätte. Maßgeblich ist insoweit das positive Interesse; die Klägerin ist mithin berechtigt, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen (BGH, Urteil vom 19. Januar 1979 – I ZR 13/77 = NJW 1979, 2389, 2391). Die Klägerin kann also insbesondere auch den durch das Scheitern des Projekts entgangenen Gewinn beanspruchen, der nach Maßgabe des § 252 BGB zu berechnen ist, abzüglich ersparter Aufwendungen und derjenigen Vorteile, die dadurch erzielbar waren, daß die für das Projekt bereit gestellten finanziellen Mittel nunmehr anderweitig eingesetzt werden konnten.
4. Die deutliche Höherbewertung des Feststellungsbegehrens führt zu einer entsprechenden Erhöhung des Streitwerts für den Rechtsstreit insgesamt. Damit verschieben sich die in der Kostenentscheidung des Berufungsurteils ausgeworfenen Obsiegens- und Unterliegensquoten zu Lasten des Beklagten. Der Senat ist als Rechtsmittelgericht befugt, diese Änderung von Amts wegen ohne Bindung an die Anträge der Parteien vorzunehmen (§ 308 Abs. 2 ZPO). In der Rechtsmittelinstanz gilt das Verbot der reformatio in peius insoweit nicht (vgl. BGHZ 92, 137, 139; Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl. 1999 § 308 Rn. 9 m.w.N.).
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.04.2000 durch Freitag Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen