Leitsatz (amtlich)

Dass die Prüfung einer erstmals in der Berufungsinstanz auf die Aufrechnung mit einer Gegenforderung gegründeten Einwendung die Entscheidung verzögern würde, rechtfertigt es nicht, die Geltendmachung der Gegenforderung als nicht sachdienlich anzusehen, wenn deren Berücksichtigung zur endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet (hier: Wechsel des Bestellers vom Leistungsverweigerungsrecht wegen Mängeln des Werks zur Geltendmachung eines Aufwendungsersatzanspruchs).

 

Normenkette

ZPO § 530 Abs. 2 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Naumburg (Urteil vom 27.03.2002)

LG Halle (Saale)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Naumburg v. 27.3.2002 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Vergütung für die Herstellung und Lieferung von Vorhängen aus Glasfasergewebe.

Nachdem die Klägerin die Vorhänge hergestellt und geliefert und die Beklagte sie im Messezentrum ... aufgehängt hatte, machten sich Falten bemerkbar, deren Ursache zwischen den Parteien streitig ist. Mit Schreiben v. 28.9.2000 forderte die Beklagte die Klägerin zur Beseitigung der Faltenbildung und weiterer, im Einzelnen aufgeführter Mängel auf und setzte ihr hierfür eine Frist bis zum 13.10.2000. Die Klägerin kam dieser Aufforderung zur Mängelbeseitigung nicht nach.

Das LG hat die Beklagte nach Beweisaufnahme unter Abweisung der weiter gehenden Klage zur Zahlung von 93.010,60 DM, Zug um Zug gegen Beseitigung der Faltenbildung an den Vorhängen, verurteilt. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, wobei die Beklagte ihre Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG zurückgenommen hat.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren vorgetragen, dass sie die Mängel der Vorhänge beseitigt habe, nachdem die Klägerin der Aufforderung zur Mängelbeseitigung im Schreiben v. 28.9.2000 nicht nachgekommen sei. Sie hat die Aufrechnung mit einem Aufwendungsersatzanspruch i. H. v. 49.167,07 EUR erklärt.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, an die Klägerin 93.010,60 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat den Werklohnanspruch der Klägerin als fällig angesehen. Auf den Streit der Parteien über die Abnahme komme es nicht an, weil die Beklagte das Werk mittlerweile selbst fertig gestellt habe und keine weiteren Arbeiten mehr von der Klägerin verlange. Die Zulassung der erstmals im Berufungsrechtszug erklärten Aufrechnung, der die Klägerin nicht zugestimmt habe, sei nicht sachdienlich. Jedenfalls das Vorbringen der Beklagten zur Höhe des zur Aufrechnung gestellten Anspruchs bedürfe noch der Substanziierung. Die Zulassung der Aufrechnung im Berufungsrechtszug sei jedoch regelmäßig nicht sachdienlich, wenn die Aufrechnungsforderung auf Grund eines gerichtlichen Hinweises erst noch mit Substanz vorgetragen werden müsse.

II. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Allerdings rügt sie zu Unrecht, die Auffassung des Berufungsgerichts, der Unternehmer könne nach Ablauf der gem. § 634 Abs. 1 BGB (in der hier anzuwendenden, bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung; im Folgenden a. F.) vor Abnahme wirksam gesetzten Frist ohne weiteres die vereinbarte Vergütung beanspruchen und es sei Sache des Bestellers, mit dem Anspruch auf ErS. der zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten aufzurechnen, stehe in Widerspruch zu der Beweislastregel, wonach der Unternehmer vor Abnahme die Freiheit des Werks von Mängeln darlegen und beweisen müsse, um seinen Vergütungsanspruch durchzusetzen.

Denn das Berufungsgericht spricht zwar im Tatbestand seines Urteils an einer Stelle davon, die Beklagte habe die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch erklärt. In den Entscheidungsgründen heißt es jedoch im Einklang mit den Schriftsätzen der Beklagten v. 13. und 14.2.2002, auf die das Berufungsgericht sich bezieht, dass die Beklagte die Aufrechnung mit einem Anspruch nach § 633 Abs. 3 BGB a. F. auf ErS. von Mängelbeseitigungskosten erklärt habe. Das stimmt damit überein, dass die Beklagte in dem Schreiben v. 28.9.2000 - entgegen der durch den Tatbestand des Berufungsurteils nicht gestützten Behauptung der Revision - keine Ablehnungsandrohung ausgesprochen, sondern nur eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat.

Ein Abwicklungsverhältnis hat das Berufungsgericht somit nicht zu Grunde gelegt. Es hat vielmehr als unstreitig angesehen, dass das Werk - jedenfalls nach der Mängelbeseitigung - fehlerfrei sei. Die Klägerin konnte daher den vereinbarten Werklohn verlangen, soweit ihr Vergütungsanspruch nicht durch Aufrechnung mit dem Anspruch der Beklagten auf AufwendungserS. erloschen war.

2. Es hält jedoch der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand, dass das Berufungsgericht die Sachdienlichkeit der Berücksichtigung der Aufrechnung verneint hat.

a) Nach § 530 Abs. 2 ZPO in der auf das Berufungsverfahren anwendbaren, bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung (im Folgenden a. F.) ist die auf die Aufrechnung einer Gegenforderung gegründete Einwendung des Beklagten im Berufungsverfahren nur zuzulassen, wenn der Kläger einwilligt oder das Gericht die Geltendmachung in dem anhängigen Verfahren für sachdienlich hält.

Bei der Entscheidung über die Zulassung der Aufrechnung oder der entsprechend zu behandelnden Widerklage handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden kann, ob der Tatrichter den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenzen seines Ermessens überschritten hat (BGH BGHZ 33, 398 [400]). Maßgeblich für die nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende Sachdienlichkeit ist der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit, für den es entscheidend darauf ankommt, ob und inwieweit die Zulassung der Aufrechnung oder der Widerklage zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet und einem andernfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BGH BGHZ 33, 398 [400]; Urt. v. 4.10.1976 - VIII ZR 139/75, WM 1976, 1278 [1280]; Urt. v. 19.3.1992 - IX ZR 14/91, MDR 1992, 880 = ZIP 1992, 558 [562 f.]).

Es steht deshalb nach ständiger Rechtsprechung des BGH in einem solchen Fall der Sachdienlichkeit nicht entgegen, dass durch die Zulassung der Aufrechnung oder der Widerklage neue Parteierklärungen und Beweiserhebungen notwendig werden und die Erledigung des Rechtsstreits dadurch verzögert wird (BGH, Urt. v. 5.5.1983 - VII ZR 117/82, MDR 1983, 1017 = WM 1983, 1162 [1163]; Urt. v. 10.1.1985 - III ZR 93/83, MDR 1985, 741 = NJW 1985, 1841 [1842]; Urt. v. 26.5.1986 - II ZR 237/85, WM 1986, 1200 [1201]; Urt. v. 19.10.1999 - XI ZR 308/98, MDR 1999, 1519 = NJW 2000, 143 [144]).

Zwar ist andererseits in der Rechtsprechung des BGH verschiedentlich auch ausgesprochen worden, dass der Tatrichter die Sachdienlichkeit verneinen darf, wenn die Prüfung des Einwandes die Entscheidung verzögern würde (BGH BGHZ 5, 373 [377 f.]; BGHZ 17, 124 [125]; Urt. v. 7.5.1987 - VII ZR 158/86, MDR 1987, 1019 = BGHR ZPO § 530 Abs. 2 -Sachdienlichkeit 1; Beschl. v. 17.3.1988 - III ZR 170/87, BGHR ZPO § 530 Abs. 2 - Sachdienlichkeit 2; Urt. v. 7.1.2003 - X ZR 16/01, BGHReport 2003, 470 = NJW-RR 2003, 738).

Dabei geht es aber um solche Fälle, in denen nicht die sachgerechte Erledigung des bisherigen Streitstoffs in Rede steht, sondern das Gericht bei Zulassung des neuen Vorbringens zur Beurteilung und Entscheidung eines neuen, bis dahin zwischen den Parteien nicht erörterten Streitstoffs genötigt würde. In diesen Fällen kann nicht unberücksichtigt bleiben, ob ohne Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Rechtsstreit entscheidungsreif wäre (vgl. BGH BGHZ 5, 373 [377 f.]; Urt. v. 20.5.1953 - II ZR 206/52, LM ZPO § 523 Nr. 1; Urt. v. 4.10.1976 - VIII ZR 139/75, NJW 1977, 49; Urt. v. 7.5.1987 - VII ZR 158/86, MDR 1987, 1019 = BGHR ZPO § 530 Abs. 2 - Sachdienlichkeit 1; Urt. v. 7.1.2003 - X ZR 16/01, BGHReport 2003, 470 = NJW-RR 2003, 738).

b) Das lässt das Berufungsgericht außer Acht, wenn es die Zulassung der Aufrechnung im Berufungsrechtzug regelmäßig als nicht sachdienlich ansehen will, wenn die Aufrechnungsforderung auf Grund eines gerichtlichen Hinweises erst noch mit Substanz vorgetragen werden muss.

Der Streit der Parteien ging von Anfang an darum, ob und ggf. inwieweit die von der Klägerin an die Beklagte gelieferten Vorhänge mangelhaft seien. Das LG hat nach Beweisaufnahme der Werklohnklage stattgegeben, der Beklagten jedoch durch Zug-um-Zug-Verurteilung einen Nachbesserungsanspruch zugebilligt. Indem das Berufungsgericht es der Beklagten verwehrt hat, im Hinblick auf die behauptete Mängelbeseitigung in dem anhängigen Rechtsstreit nunmehr Aufwendungsersatz statt Nachbesserung zu beanspruchen, hat es ein Urteil gefällt, das die vom LG betriebene Sachaufklärung entwertet und den Streit der Parteien in der Sache unentschieden lässt. Hierdurch hat das Berufungsgericht dasjenige verfehlt, was nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung das maßgebende Kriterium für die Zulassung der Aufrechnung darstellt, nämlich die sachgemäße und endgültige Erledigung des Streitstoffs im Rahmen des anhängigen Verfahrens, die einem andernfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt.

3. Im Übrigen ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die zur Aufrechnung gestellte Aufwendungsersatzforderung der Beklagten sei nicht hinreichend substanziiert dargetan, nicht rechtsfehlerfrei.

Nach ständiger Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem RechtsS. geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen (u. a. BGH, Urt. v. 16.3.1998 - II ZR 323/96, MDR 1998, 914 = ZIP 1998, 956 [957]; Urt. v. 7.3.2001 - X ZR 160/99, BGHReport 2001, 526 = NJWRR 2001, 887). Die Beklagte hat in dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen SchriftS. v. 13.2.2002 zur Rechtfertigung ihrer Gegenforderung dargetan, welche Mängel die von der Klägerin gelieferten Vorhänge aufgewiesen hätten und mit welchem Aufwand an Material und (nach Stundenzahl und Stundenlohn spezifizierten) Arbeitslohn sie diese beseitigt habe. Dem war zwanglos die Behauptung zu entnehmen, dass dieser Aufwand zur Beseitigung der Mängel erforderlich gewesen sei. Diese Behauptung war dem Beweis insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zugänglich; der vom Berufungsgericht vermissten Darlegung, welche Arbeiten im Einzelnen mit welchem Stundenaufwand erforderlich gewesen seien, um konkret zu bezeichnende Mängel zu beseitigen, bedurfte es nicht.

4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht deshalb im Ergebnis richtig, weil die Beklagte das Urteil des LG, durch das sie zur Zahlung Zug um Zug gegen Nachbesserung verurteilt worden ist, nicht (mehr) angefochten hat. Zwar steht der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht jedenfalls dann nicht mehr zu, wenn ihr Gegenanspruch - wie für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - durch Aufrechnung gegen die Klageforderung erloschen ist. In diesem Fall darf die Beklagte aber auch nicht uneingeschränkt zur Zahlung verurteilt werden. Denn die Zug-um-Zug-Verurteilung ist gegenüber der unbeschränkten Verurteilung ein Weniger (BGH BGHZ 27, 241 [249]; v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [3] = MDR 1992, 293). Der Klägerin darf indes nichts zugesprochen werden, was ihr materiell-rechtlich nicht zusteht und prozessual durch den Wegfall der Zug-um-Zug-Verurteilung über das hinausgeht, was ihr das LG unangefochten zuerkannt hat (vgl. BGH, Urt. v. 18.9.1992 - V ZR 86/91, MDR 1993, 347 = NJW 1993, 324 [325]). Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, auf eine sachgerechte Antragstellung hinzuwirken, die der prozessualen Geltendmachung der Aufrechnungsforderung im wiedereröffneten Berufungsrechtszug Rechnung trägt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1157811

BB 2004, 1248

BGHR 2004, 1107

BauR 2004, 1200

BauR 2004, 1807

NJW-RR 2004, 1076

IBR 2004, 469

JurBüro 2004, 566

MDR 2004, 1075

BrBp 2004, 386

NJW-Spezial 2004, 167

NZBau 2004, 389

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