Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrzeugversicherung. Obliegenheitsverletzung. Schadenanzeige. Angabe zur Anzahl der vorhandenen Schlüssel. Relevanzrechtsprechung
Leitsatz (amtlich)
In der Fahrzeugversicherung ist eine zu hohe Angabe vorhandener Fahrzeugschlüssel generell nicht geeignet, Interessen des Versicherers zu gefährden.
Normenkette
VVG a.F. § 6 Abs. 3
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.03.2007; Aktenzeichen 3 U 125/05) |
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 24.03.2005; Aktenzeichen 2/23 O 190/04) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 28.3.2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des behaupteten Diebstahls eines Lkw aus einer Kfz-Kasko-Versicherung auf Zahlung von 41.225,90 EUR nebst Zinsen in Anspruch.
Rz. 2
Er meldete das Fahrzeug am 6.3.2004 als gestohlen. Sowohl gegenüber der Polizei als auch in der schriftlichen Schadenanzeige an die Beklagte vom 11.3.2004 gab der Kläger an, dass es vier Schlüssel zu dem Lkw gebe, und zwar je einen bei ihm, zwei Mitarbeitern und einen vierten Schlüssel in einem verschlossenen Werkzeugschrank im Büro der Halle. Gegenüber der Polizei teilte er zusätzlich mit, überprüft zu haben, dass alle vier Schlüssel vorhanden seien.
Rz. 3
An die Beklagte gelangten jedoch nur drei Schlüssel. Der Kläger behauptet nunmehr, dass es auch nur noch diese drei Schlüssel gebe, weil einer der Mitarbeiter ohne sein Wissen einen der beiden ursprünglichen Originalschlüssel nach Austausch des Zündschlosses im Lkw entsorgt habe. Er habe irrtümlich angenommen, dass sich dieser Schlüssel noch im Werkzeugschrank befinde. Die Beklagte hält sich wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit für leistungsfrei.
Rz. 4
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Rz. 5
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 7
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass dem Kläger zwar entgegen der Auffassung des LG der Nachweis des äußeren Bildes einer Fahrzeugentwendung gelungen sei. Die Beklagte sei jedoch gem. § 7 I (2) Satz 3, V (4) AKB i.V.m. § 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei, weil der Kläger durch falsche Angaben zu den vorhandenen Fahrzeugschlüsseln eine vorsätzliche Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit begangen habe.
Rz. 8
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
Rz. 9
1. Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das Berufungsgericht in der objektiv falschen Angabe zur Anzahl der vorhandenen Schlüssel eine Obliegenheitsverletzung i.S.v. § 7 I (2) Satz 3 AKB gesehen hat. Die dem Versicherungsnehmer hiernach obliegende Aufklärung gebietet es, auf Fragen des Versicherers zutreffende Angaben zur Anzahl der Fahrzeugschlüssel zu machen. Rechtsfolge einer Verletzung dieser Obliegenheit ist gem. § 7 V (4) AKB Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG a.F.
Rz. 10
Dass das Berufungsgericht die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. als nicht widerlegt angesehen hat, nimmt die Revision hin. Revisionsrechtlich erhebliche Bedenken gegen diese Annahme sind auch nicht ersichtlich.
Rz. 11
2. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Grundsätze der Relevanzrechtsprechung des Senats der Leistungsfreiheit nicht entgegenstünden. Nach dieser Rechtsprechung setzt die Leistungsfreiheit des Versicherers im Falle einer zwar vorsätzlichen, aber folgenlos gebliebenen Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers ein erhebliches Verschulden des Versicherungsnehmers, dessen ordnungsgemäße Belehrung über die Folgen einer Obliegenheitsverletzung sowie deren generelle Eignung, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, voraus (BGH, Urt. v. 28.2.2007 - IV ZR 331/05, VersR 2007, 785 unter II 2b; v. 26.1.2005 - IV ZR 239/03, VersR 2005, 493 unter 2c; v. 21.1.1998 - IV ZR 10/97, VersR 1998, 447 unter 2b; weitere Nachweise s. bei Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl., § 6 Rz. 54 ff.; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl., § 6 Rz. 101 und Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 17. Aufl., § 6 VVG Rz. 33 ff. und § 7 AKB Rz. 88 ff.).
Rz. 12
a) Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend gesehen. Da es von einer Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung des Klägers ausgegangen ist, ist diese auch für das Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Zudem ist ein der Beklagten entstandener Nachteil durch die falsche Angabe nicht ersichtlich. Insbesondere sind die Aufklärungsmöglichkeiten der Beklagten, ob tatsächlich ein Versicherungsfall vorgelegen hat, durch die unzutreffende Angabe des Klägers nicht beeinträchtigt worden.
Rz. 13
b) Anders als bei zu niedriger Angabe der Anzahl der Schlüssel ist deren zu hohe Angabe - was das Berufungsgericht verkannt hat - in der Fahrzeugversicherung generell nicht geeignet, Interessen des Versicherers zu gefährden.
Rz. 14
Denn in diesem Falle wird der Versicherer wegen des aus seiner Sicht fehlenden Schlüssels allenfalls dazu veranlasst werden, die Regulierung zurückzustellen, bis der Verbleib des vermeintlich fehlenden Schlüssels geklärt ist. Dementsprechend hat hier die Beklagte mit Schreiben vom 14.4.2004 reagiert, indem sie den Kläger um ergänzende Stellungnahme bat.
Rz. 15
Im Zusammenhang mit den Schlüsseln geht das Interesse des Versicherers bei einem gemeldeten Fahrzeugdiebstahl regelmäßig dahin, alle vom Hersteller ausgelieferten und noch vorhandenen Fahrzeugschlüssel sachverständig untersuchen zu lassen, u.a. darauf, ob Kopierspuren vorhanden sind, was auf das Fertigen von Nachschlüsseln deutet und weitere Nachforschungen nach sich zieht. Ferner ist für den Versicherer generell wichtig, prüfen zu können, ob alle Schlüssel vorhanden sind, weil das Fehlen eines Schlüssels Hinweise darauf geben kann, dass dieser einem Dritten zur Verfügung gestellt worden ist, damit er das Fahrzeug - zur Vortäuschung eines Diebstahls - von seinem Standort verbringt (vgl. BGH, Urt. v. 7.7.2004 - IV ZR 265/03, VersR 2004, 1117 unter 3). Ob alle Schlüssel vorhanden und ggf. einem Sachverständigen zur Untersuchung übergeben sind, kann der Versicherer aber nicht feststellen, wenn der Versicherungsnehmer ihm die Existenz eines oder mehrerer Schlüssel verschweigt, indem er deren Anzahl zu niedrig angibt. Durch die zu hohe Angabe gefährdet der Versicherungsnehmer dagegen allenfalls sein eigenes Interesse an einer schnellen Schadenregulierung.
Rz. 16
3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist gem. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwecks Klärung der vom Berufungsgericht bislang offen gelassenen Frage der erheblichen Wahrscheinlichkeit eines nur vorgetäuschten Diebstahls an dieses zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2730687 |
NJW 2011, 3233 |
NJW 2011, 6 |
EBE/BGH 2011, 267 |
ZAP 2011, 975 |
DAR 2011, 638 |
MDR 2011, 975 |
NZV 2011, 4 |
NZV 2011, 531 |
VRS 2011, 307 |
VersR 2011, 1136 |
ZfS 2011, 570 |
RdW 2011, 595 |
VK 2011, 156 |
VRR 2011, 380 |
r+s 2011, 422 |