Entscheidungsstichwort (Thema)
Betrug
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 28. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.
Nach den Feststellungen täuschte der Angeklagte im Anschluß an einen am 22. März 1987 erlittenen Verkehrsunfall erhebliche vorgeblich als Folge des Unfalls eingetretene gesundheitliche Beeinträchtigungen vor, um von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners ihm tatsächlich nicht zustehende Schadensersatzleistungen zu erhalten. Aufgrund der Simulation des Angeklagten erbrachte die Versicherung im Zeitraum von April 1987 bis Mai 1996 zu Unrecht Rentenzahlungen für entstandenen Verdienstausfall in Höhe von insgesamt ca. 460.000 DM.
Gegen das Urteil wendet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe gegen § 261 StPO verstoßen, indem es bei seiner Entscheidung den Wortlaut ärztlicher Gutachten verwertet habe, ohne diese Gutachten ordnungsgemäß durch Verlesung gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben. Jedenfalls mit der die Verwertung des Gutachtens des Prof. Dr. S. vom 8. März 1991 betreffenden Verfahrensbeanstandung dringt die Rüge durch. Das Landgericht hat Prof. Dr. S. nicht als Sachverständigen angehört, sondern als sachverständigen Zeugen dazu vernommen, daß er dieses Gutachten erstattet hat.
Die Strafkammer teilt in den Urteilsgründen im Rahmen der Feststellungen zum Sachverhalt das schriftliche Gutachten des Prof. Dr. S. vom 8. März 1991 auszugsweise im Wortlaut mit. Die wörtliche Wiedergabe erstreckt sich über mehr als sechs Urteilsseiten. Eine förmliche Verlesung des Gutachtens gemäß § 249 Abs. 1 StPO ist in der Hauptverhandlung nicht erfolgt, was durch das Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls bewiesen wird (BGH NStZ 1999, 424; NStZ 1993, 51; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 11).
Durch gegebenenfalls auf nicht protokollierungspflichtige Vorhalte gemachte Bekundungen des in der Hauptverhandlung als sachverständigen Zeugen vernommenen Prof. Dr. S. oder des darüber hinaus als Auskunftsperson in Betracht kommenden Sachverständigen Prof. Dr. Sc. ist der Wortlaut des Gutachtens vom 8. März 1991 ebenfalls nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Dem Urteil läßt sich lediglich entnehmen, daß der sachverständige Zeuge glaubhaft bestätigt hat, das auszugsweise zitierte Gutachten angefertigt zu haben. Demgegenüber fehlt ein Hinweis auf eine den Inhalt des Gutachtens bestätigende Erklärung des sachverständigen Zeugen oder des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sc.. Wird ein nicht verlesenes Schriftstück ohne einen solchen Hinweis auf eine bestätigende Erklärung einer in der Hauptverhandlung vernommenen Auskunftsperson im Urteil auszugsweise wörtlich wiedergegeben, so deutet dies in der Regel darauf hin, daß der Wortlaut selbst zum Zwecke des Beweises verwertet worden ist und nicht nur eine gegebenenfalls auf einen Vorhalt abgegebene Bekundung (vgl. BGH NStZ 1999, 424; BGHSt 11, 159, 161f). Bei den im Urteil wörtlich zitierten Auszügen aus dem Gutachten vom 8. März 1999 handelt es sich zudem um umfangreiche, sowohl inhaltlich als auch sprachlich komplex gestaltete Textpassagen, in denen anamnestische Angaben des Angeklagten sowie eigene umfängliche Untersuchungsergebnisse referiert werden und eine zusammenfassende gutachterliche Wertung der erhobenen Befunde formuliert ist. Die Einzelheiten dieser Gutachtenteile, insbesondere der genaue Wortlaut, können nach der Lebenserfahrung von einer Auskunftsperson auch auf Vorhalt nicht aus der Erinnerung heraus wiedergegeben werden. Der Senat schließt daher aus, daß das Landgericht den Wortlaut der im Urteil zitierten Abschnitte des Gutachtens auf Grund der Angaben des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. S. oder des Sachverständigen Prof. Dr. Sc. festgestellt hat (vgl. BGHSt 5, 278; 11, 159; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 5, 11, 12; BGH bei Holtz MDR 1991, 704).
Mit der wörtlichen Verwertung des nicht in die Hauptverhandlung eingeführten schriftlichen Gutachtens hat das Landgericht gegen § 261 StPO verstoßen. Der Senat kann bei der gegebenen Sachlage nicht ausschließen, daß das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Denn die Strafkammer hat im Rahmen der Sachverhaltsfeststellungen auf eine eigene Schilderung des simulierten Verhaltens des Angeklagten verzichtet und sich statt dessen darauf beschränkt, verschiedene ärztliche Gutachten, darunter das Gutachten des Prof. Dr. S. vom 8. März 1991, auszugsweise wörtlich wiederzugeben und pauschal festzustellen, daß die „vorstehend genannten und in den Gutachten bescheinigten” gesundheitlichen Beeinträchtigungen niemals bestanden hätten.
Das Urteil kann demnach keinen Bestand haben, ohne daß es einer Erörterung der weiteren Verfahrensrügen oder der Sachbeschwerde bedarf.
II.
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Zur Klärung der Frage, ob gesundheitliche Beeinträchtigungen vom Angeklagten simuliert wurden, bedarf es einer mit sachverständiger Hilfe vorzunehmenden Auseinandersetzung mit den bei den verschiedenen Untersuchungen jeweils vom Angeklagten angegebenen Beschwerden, den erhobenen Untersuchungsbefunden und den unterschiedlichen Diagnosen. Dabei wird der neue Tatrichter auch die Möglichkeit einer bewußten oder unbewußt als Ausdruck einer neurotischen Störung erfolgten Aggravation vorhandener Beeinträchtigungen in seine Überlegungen mit einzubeziehen haben. Im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. Sc. empfiehlt es sich, zur Beurteilung dieser Fragen einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen.
2. Das tatrichterliche Urteil muß nach § 267 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 StPO eine in sich geschlossene Darstellung des zum Anklagevorwurf festgestellten Sachverhalts enthalten (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3 und § 267 Abs. 5 Freispruch 4), welche erkennen läßt, inwieweit der Tatrichter die gesetzlichen Merkmale des Straftatbestands durch Tatsachen erfüllt ansieht. Werden anstelle einer aus sich heraus verständlichen Schilderung des Tatgeschehens im wesentlichen wörtliche Zitate aus verschiedenen Schriftstücken, die zudem die innere Tatseite nicht belegen, aneinandergereiht, gefährdet dies in sachlich-rechtlicher Hinsicht den Bestand des Urteils.
Unterschriften
Jähnke, Detter, Rothfuß, Fischer, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 512480 |
NStZ-RR 2001, 18 |
StV 2000, 655 |
www.judicialis.de 2000 |